15.11.1996

Netanjahu und die Zionisten-Revisionisten

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Netanjahu und die Zionisten-Revisionisten

Von DOMINIQUE VIDAL

DIE Unnachgiebigkeit Benjamin Netanjahus hat viele überrascht. Schließlich hat er nur einen knappen Wahlsieg errungen, durch die Unterschrift seiner Vorgänger unter die Verträge von Oslo sind ihm eigentlich die Hände gebunden, und im Prinzip muß er sich dem Willen der Europäer und Amerikaner beugen, die Fortschritte bei den Verhandlungen sehen wollen. Von einem solchen Ministerpräsidenten glaubte man ein Minimum an Pragmatismus erwarten zu dürfen. Aber nichts dergleichen: Innerhalb von vier Monaten führten die Entscheidungen des Likud-Führers bei den Palästinensern zu einem seit Ende der Intifada nicht mehr erlebten Ausbruch von Wut. Es kann eben keiner aus seiner Haut, und für Netanjahu gilt das ganz besonders. Obwohl er erst seit knapp fünfzehn Jahren im politischen Geschäft ist, kann man den neuen israelischen Regierungschef als einen in der Wolle gefärbten „Revisionisten“ betrachten, wenn auch mit Einsprengseln aus dem amerikanischen Wirtschaftsliberalismus.

Sein Vater Ben-Zion war Professor für jüdische Geschichte und renommierter Kenner der spanischen Inquisition, aber eben nicht nur dies: In den dreißiger Jahren war er vor allem Privatsekretär von Wladimir (Zeev) Jabotinsky, dem Gründer der sogenannten Revisionisten, einer besonders reaktionären Fraktion der zionistischen Bewegung. 1962 beschloß Ben-Zion Netanjahu sogar, mit seiner Familie in die Vereinigten Staaten auszuwandern, um dem israelischen „Sozialismus“ zu entgehen. Sein Sohn wurde dort im Geiste Jabotinskys erzogen – kein Wunder, daß er sich an der Vergangenheit, an den Ursprüngen der jüdischen extremen Rechten orientiert.

Wladimir Jabotinsky machte sich im Ersten Weltkrieg einen Namen, als er die Jüdische Legion gründete, die – wenn auch etwas verspätet – 1918 an der „Befreiung“ Palästinas durch die Truppen des britischen Generals Allenby beteiligt war. 1921 wurde Jabotinsky Mitglied der zionistischen Exekutive, verließ sie jedoch 1923 wegen ihrer Kompromisse mit der britischen Mandatsmacht und gründete die Jugendorganisation Betar1 ; 1925 schuf er die Union der Zionisten-Revisionisten. In der Zwischenzeit brachte ihn seine antibolschewistische Haltung zu einer Zusammenarbeit mit dem kosakischen Atamanen Simon Petljura, der in seiner Heimat, der Ukraine, für schreckliche Pogrome verantwortlich gewesen war, die rund 40000 Juden das Leben gekostet hatten.2

Im August 1935 verließen die Revisionisten die Zionistische Weltorganisation, in der sie zeitweilig bis zu 21 Prozent der Delegierten gestellt hatten. Der unüberwindbare Gegensatz zur Mehrheit lag im sozialistischen Modell, in das die Mapai- Partei ihre nationalen Bestrebungen eingekleidet hatte. Jabotinsky vertrat hingegen eine westlich orientierte, politisch autoritäre und ökonomisch liberale Konzeption3 , die beim jüdischen Besitzbürgertum und den Mittelschichten, die damals nach Palästina einwanderten, großen Anklang fand. Außerdem sprachen die Revisionisten einfach offen aus, was die sozialistischen und liberalen Zionisten insgeheim auch wünschen mochten, aber aus taktischen Erwägungen nicht zu bekennen wagten.

Eine „eiserne Wand“ gegen die Araber

DAVID Ben Gurion und Chaim Weizmann hielten es für klüger, sich unter den Schutz der Briten zu stellen und Palästina Stück für Stück, Hektar für Hektar einzunehmen, statt sofort und mit Gewalt einen Staat zu gründen. Jabotinsky dagegen wollte von einem solchen nationalen Commonwealth-artigen Gemeinwesen mit unklarem Rechtsstatus und unbestimmten Grenzen nichts wissen. „Das Ziel des Zionismus ist die Schaffung eines jüdischen Staates“, erklärte er 1924. „Dessen Staatsgebiet wäre das Land zu beiden Seiten des Jordan. Die Methode: Kolonisierung durch eine große Zahl von Siedlern. Die Finanzierung: Staatsanleihen. Um diese vier Grundprinzipien durchzusetzen, brauchen wir eine internationale Anerkennung. Folglich lautet die Parole: erneute politische Kampagnen und militärische Ausbildung der jüdischen Jugend in Eretz Israel und in der Diaspora.“4

„Die eiserne Wand“ war Jabotinskys Reaktion auf die ersten antijüdischen Unruhen, die 1921 und 1922 in Palästina stattfanden. Unter diesem Titel erschien am 4. November 1923 in der russischen zionistischen Wochenschrift Rasswijet ein Beitrag, der die Grundzüge seiner Strategie darlegte: „Alle autochthonen Völker, zivilisierte wie wilde, betrachten ihr Land als nationale Heimstatt, in der sie die alleinigen Herren sein wollen. Freiwillig werden sie weder einen neuen Herrscher noch einen neuen Mitregenten akzeptieren. So auch die Araber (...). Eine zionistische Kolonisierung selbst geringen Ausmaßes wird scheitern – oder sie muß gegen den Willen der einheimischen Bevölkerung durchgesetzt werden. Daher läßt sich eine solche Kolonisierung nur fortsetzen und ausweiten, wenn sie von einer Macht beschützt wird, die mit der örtlichen Bevölkerung nicht zusammenhängt; einer eisernen Wand, die von dieser Bevölkerung nicht durchbrochen werden kann. In Palästina besteht diese eiserne Wand in der Stärkung einer Regierung, die von den Arabern in keiner Weise beeinflußt werden kann, mithin einer Regierung, gegen die die Araber ankämpfen.“5

Der revisionistische Zionismus und die faschistischen Bewegungen, die damals an Popularität gewannen, waren sich nicht nur äußerlich ähnlich – es bestand eine innere Verwandtschaft. Das ging so weit, daß die Revisionisten braune Hemden trugen, den Führerkult pflegten und sich als disziplinierte militärische Truppe aufführten. Gewalt wurde ihnen zur zweiten Natur: Gegen Streikende oder Versammlungen linksgerichteter Juden gingen sie mit Fäusten vor, auf Araber wurde schon mit Gewehren geschossen. Und als 1936 der große Palästinenser-Aufstand ausbrach, half die revisionistische Miliz Haganah-B den britischen Truppen, ihn blutig niederzuschlagen. In Jabotinskys Denken finden sich selbst Züge von Rassismus, vor allem in seiner Novelle „Samson“, in der jede „Vermischung“ von Juden und Nichtjuden abgelehnt wird. Das alles war so deutlich, daß David Ben Gurion ihn „Wladimir Hitler“ nannte und von den Nazis als den „deutschen Revisionisten“ sprach. Der erste Ministerpräsident Israels bemerkte sogar einmal über einen Artikel Hitlers: „Das hätte von Jabotinsky sein können: die gleichen Begriffe, der gleiche Stil, der gleiche Geist.“6

Die ideologische und politische Nähe zeigte sich auch in der Praxis. Während Jabotinsky sich mit seiner Bewunderung für Mussolini zurückhielt, sparte der Duce nicht mit Lob für seinen Gesinnungsgenossen: „Für den Erfolg des Zionismus braucht ihr einen jüdischen Staat mit einer jüdischen Fahne und jüdischer Sprache“ meinte er 1935 zu David Prato, dem späteren Großrabbiner von Rom. „Wer das wirklich begriffen hat, ist euer Faschist Jabotinsky.“7 Italiens Diktator war auch so gnädig, die Einrichtung einer Marineschule der Organisation Betar in Civitavecchia zu genehmigen. Bei der Einweihung sangen revisionistische Studenten die faschistische Hymne Giovinezza und riefen „Es lebe Italien! Es lebe der König! Es lebe der Duce!“8

Nach Jabotinskys Tod 1940 kam es vorübergehend zu einer Spaltung der Revisionisten. Während des Zweiten Weltkriegs hielt die Irgun-Fraktion den Waffenstillstand mit Großbritannien ein, die Gruppe Stern (später Lehi) dagegen machte die Briten zum Ziel zahlreicher bewaffneter Aktionen und genierte sich nicht, ein Bündnis mit dem Dritten Reich vorzuschlagen.9 Im „Befreiungskampf“ organisierten die Fraktionen dann allerdings wieder gemeinsame Terroranschläge. Vom Attentat im King David Hotel in Jerusalem am 22. Juli 1946, das 200 Tote und Verletzte forderte, bis hin zum Massaker vom 9. April 1945 in dem palästinensischen Dorf Deir Jassin, bei dem 250 Menschen starben: für die dunkelsten Seiten in der Entstehungsgeschichte des Staates Israel sowie für die Vertreibung von 800000 Palästinensern zeichnen die Männer um Menachem Begin und Jitzhak Schamir verantwortlich. Welche Rolle diese beiden Politiker dreißig Jahre später an der Spitze des Likud und des jüdischen Staates spielten, ist bekannt.

Benjamin Netanjahu kann sich an Vorbildern orientieren.

dt. Edgar Peinelt

Fußnoten: 1 Ein Akronym aus Brit (Bund) und Trumpeldor, dem Namen eines jüdischen Offiziers der zaristischen Armee und Helden im russisch-japanischen Krieg. Trumpeldor starb bei der Verteidigung der jüdischen Siedlung Tel-Hai in Galiläa gegen die Beduinen der Region. Betar hat ein eigene Hymne, sie beginnt mit den Zeilen: „Betar/ Aus der Gosse, aus Staub und Verfall/ Wurde geboren ein neues Geschlecht/ Durch Blut und Schweiß/ Stolz, großmütig und hart.“ 2 Siehe dazu die ausgezeichnete Arbeit von Marius Schattner, „Histoire de la droite israélienne“, Sammlung „Questions au XXe siècle“, Brüssel (Complexe) 1991. 3 Der extremistische Flügel der Revisionisten, die sogenannten birionim (Räuber) forderten sogar offen die Diktatur. In seinen „Aufzeichnungen eines Faschisten“ (sic), die von der Zeitung Doar Hayam veröffentlicht wurden, schrieb ihr Führer Aba Ahimeir 1928: „Ich bin kein Demokrat, und nach meiner festen Überzeugung stellt die Herrschaft einer aktiven Minderheit über eine passive Mehrheit die einzig mögliche Form der Regierung dar.“ (Zit. nach Yaacov Shaalit, „Jabotinsky and the Revisionist Movement 1925- 1948“, London, (Frank Cass) 1988, S. 365). Als die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren, riet Ahimeir seinen Freunden, sich an den „antimarxistischen Kern“ zu halten und die „antisemitische Schale“ wegzuwerfen. Und er meinte: „Hitler hat uns auch nichts Schlimmeres angetan als Stalin.“ (Zit. nach Schattner, a. a. O., S. 110). 4 Zit. nach Walter Laqueur, „Histoire du Sionisme“, Paris (Calmann-Lévy) 1973, S. 386. 5 Zit. nach Lenni Brenner, The Iron Wall, London (Zed Books) 1984, S. 74 f. 6 Zit. nach Michel Bar-Zohar, „Ben Gurion“, Paris (Fayard) 1986, S. 112-117. 7 Zit. nach Lenni Brenner, „Zionism in the Age of the Dictators“, London und Canberra (Croom Helm) 1983, S. 117. 8 Ebd., S. 139. 9 Jitzhak Schamir hat das selbst zugegeben, die Verantwortung allerdings Abraham Stern zugeschrieben. Immerhin sah er sich zu folgender Bemerkung über diesen Vorstoß veranlaßt: „Das war nicht nach meinem Geschmack, aber aus moralischer und nationaler Sicht schien es mir nicht verboten.“ (siehe Charles Enderlin, „Shamir“, Paris (Olivier Orban) 1991, S. 80 f.)

Le Monde diplomatique vom 15.11.1996, von DOMINIQUE VIDAL