Brandstifter im Kivu
UNERMÜDLICH auf der Suche nach einem mit sich selbst versöhnten Zentralafrika, hat Colette Braeckman in ihrem neuesten Buch, „Terreur africaine“1 , alle Faktoren zusammengetragen, die erklären, was im Gebiet der Großen Seen vor sich geht. Welche Rolle spielen jene Brandstifter, die Afrika als Austragungsort ihrer Rivalitäten mißbrauchen? Was ist nach dem Völkermord von 1994 in Ruanda, in Burundi und danach in Zaire geschehen, dem bedrohten, führungslos taumelnden Koloß?
Im Kivu, Epizentrum der gegenwärtigen Krise, laufen alle Fäden zusammen. Die Ruander betrachten den Kivu als das „natürliche“ Expansionsgebiet ihres übervölkerten Landes. Seit Jahrhunderten haben sich immer wieder Hutu und Tutsi aus dem benachbarten kleinen Königreich hier niedergelassen, bis sie der einheimischen Bevölkerung zahlenmäßig überlegen waren; in jüngster Vergangenheit wurden sie dabei sogar durch das Mobutu- Regime unterstützt. Zwischen Immigranten und Einheimischen brachen immer wieder Unruhen aus, die 1993 in regelrechte Massaker ausarteten.
Im April 1994 tobte in Ruanda der Völkermord. Im Juli desselben Jahres strömten Hunderttausende ruandische Hutu – Militärs und Zivilbevölkerung – in den noch von den Massakern 1993 gezeichneten Kivu. In diesen Lagern – „Brutstätten des Hasses“ nennt sie die Autorin – trafen die Reste der besiegten Armee Vorbereitungen zur Rückeroberung ihres Landes. Von allen Seiten erhielten sie Waffen und hinderten die Zivilbevölkerung – die sie als lebenden Schutzschild benutzen – an der Rückkehr in ihre Heimat.
Von hier aus starteten sie unzählige Überfälle auf ruandisches Gebiet, denn früher oder später, meinten die Wortführer, müsse „die Sache zum Abschluß gebracht“, das heißt, die Vernichtung der Tutsi fortgesetzt werden. Sie verbreiteten Panik unter der zairischen Bevölkerung – deren eigene Armee tatenlos zusah – und waren „fest entschlossen, sich in diesem idyllischen Landstrich, der ihnen seit langem versprochen war, auf Dauer niederzulassen“. Es sah so aus, als sei dieser Teil des Kivu, der Masisi, dazu ausersehen, eine Art „Hutuland“ zu werden. Im Süden des Kivu stieß die besiegte Armee des ehemaligen ruandischen Regimes jedoch auf den unerwarteten Widerstand der Banyamulenge, Angehörige des Tutsivolkes, die hier, in der Region Bukavu, schon seit Jahrhunderten leben.
Alles weitere spielt sich vor unseren Augen ab, in Zaire vor allem, einem Land, in dem nichts mehr funktioniert, in dem sich eine Clique von Plünderern um einen siechen Präsidenten geschart hat, und wo der Staat selbst Falschgeld in Umlauf bringt. Wo alle Indikatoren – Sterblichkeitsrate, Lebenserwartung, Ernährung, Schulbildung – trotz des immensen Reichtums denen im hungerleidenden Äthiopien gleichen.
DAS Handeln der ausländischen Mächte in dieser aufgeheizten Region beschreibt Colette Braeckman als von deren eigenen Identitätsreflexen beseelt. Belgien, selbst tief gespalten, hat seine Vorstellung vom Zusammenleben in Form einer konfliktreichen Zweigleisigkeit in diesen Teil der Welt hineingetragen; Frankreich, besessen vom Schreckgespenst seines schwindenden Einflusses auf dem Kontinent, heizt die brisante Situation ständig an, um seine Position zu halten; und die Vereinigten Staaten möchten in ihrem ungebremsten Expansionismus die abgelaufene Ära Mobutu in die Länge ziehen.
Colette Braeckman hofft, „daß eines Tages den Pyromanen das Handwerk gelegt wird, daß die Völker nicht länger manipuliert und mißbraucht werden und endlich selbst das letzte Wort haben“. Solche Worte klingen wie blinder Optimismus angesichts der Tatsachen, die die Autorin in ihrem Buch selbst beschreibt. Aber ist es nicht vieleicht doch etwas mehr als nur das?
CLAIRE BRISSET
dt. Christian Hansen