17.01.1997

Und ewig währt das amerikanische Wunder

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Und ewig währt das amerikanische Wunder

DREI Modelle in weniger als einem Jahr: das deutsche, das amerikanische und das britische. Und schon werden Stimmen laut, die das Loblied Hollands und Neuseelands singen. Unermüdlich hämmern die Arbeitgeber auf jene Arbeitnehmer ein, die sich immer noch sträuben, bestimmte „Privilegien“ aufzugeben und zu mehr „Flexibilität“ bereit zu sein. Unter dem Strich gefällt ihnen jedoch das Beispiel der Vereinigten Staaten nach wie vor am besten. In diesem Wachstumsland vermehren sich die Arbeitsplätze angeblich ständig weiter. Die zunehmende Ungerechtigkeit und den immer stärkeren Druck auf Löhne und Gehälter möchte man darüber beinahe vergessen. Zwar macht das „Modell“ seinem Namen auch weiterhin Ehre, aber ist das reichste Land der Welt nicht auch eine riesige Werkstatt für die Globalisierung der Unsicherheit von Arbeitsplätzen?

Von SERGE HALIMI

Offiziell heißt es kurz und bündig: „In den Vereinigten Staaten gibt es praktisch keine Arbeitslosigkeit mehr.“ Die Studie des Internationalen Währungsfonds, die sich mit den USA beschäftigt, zieht es vor, dieser frohen Botschaft den unschuldigen Tenor einer vermeintlich offenen Frage zu verleihen: „Ist die Arbeitslosigkeit umkehrbar?“ Und die europäischen Journalisten, die noch ein halbes Jahr zuvor die „Angst der US-amerikanischen Mittelklasse“ entdeckt hatten, der Umstrukturierung in der Industrie zum Opfer zu fallen, geraten plötzlich in Verzückung, weil „die Beschäftigungsmaschine auf vollen Touren läuft“. Kurzum, auch wenn alles läuft wie gewünscht, bleibt die Schlußfolgerung doch immer dieselbe: Will Europa die Krise überwinden, muß es über den Atlantik blicken.

Diese Forderung wird um so nachdrücklicher und häufiger ausgesprochen, je geringer die Bereitschaft ist, ihr zu entsprechen. In Frankreich zum Beispiel ermuntert die tägliche Erfahrung der um sich greifenden Beschäftigungsunsicherheit kaum dazu, den Weg zu mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt entschlossener zu beschreiten. Das amerikanische Modell verlockt um so weniger1 , als die goldenen Worte, in denen es gepriesen wird, jedem als Remake einer zwölf Jahre alten Rhetorik in den Ohren klingen.

Vor zwölf Jahren war Ronald Reagan soeben wiedergewählt worden. Amerika war „wieder da“, es hatte seinen Rhythmus gefunden, neue Arbeitsplätze schossen wie Pilze aus dem Boden. Eines Tages kam dann das böse Erwachen. Arbeitsplätze gab es wohl, aber was für welche, und um welchen Preis? Wie stand es um das Arbeitsrecht, wie hoch war die Zahl unsicherer Arbeitsplätze, welchen Zustrom erhielten Randgruppen?2 Wollten die Verfechter der Flexibilität auf amerikanische Art die Widerspenstigen überzeugen, so mußten sie solche Einwände schon im Vorfeld entkräften. Und das haben sie getan! Wer ihnen zuhört, der möchte glauben, die Clinton-Jahre hätten nicht Millionen schlecht bezahlter Jobs, sondern gute, sichere, überdurchschnittlich dotierte Arbeitsplätze geschaffen.

An dieser Stelle gilt es zwei Prämissen zu bedenken. Zum einen werden Statistiken gerne von jenen manipuliert beziehungsweise mißbraucht, die die Summe der verschiedenartigen, vor allem regional unterschiedlichen Gegebenheiten, aus denen sich die Beschäftigungssituation in den Vereinigten Staaten zusammensetzt, in einem einzigen, unumstößlichen Satz zusammenfassen wollen. Vor acht Monaten wies Frank Levy, Wirtschaftsprofessor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), auf das Offenkundige hin: „Hinsichtlich der Situation des US-amerikanischen Arbeitnehmers gibt es nichts, was sich durch eine sorgfältige Auswahl der Daten und die Zusammenstellung bestimmter Fakten nicht ,beweisen‘ ließe.“3 Wir wollen hier nur drei Beispiele nennen. Wie sinnvoll ist ein Vergleich der Zahlen der in Europa und in den Vereinigten Staaten geschaffenen Arbeitsplätze, wenn dabei nicht berücksichtigt wird, daß die US- amerikanische Bevölkerung im letzten Jahr fünfmal schneller gewachsen ist als die der Europäischen Union?4

Zweites Beispiel: Jene, die für das amerikanische Modell Propaganda machen, lassen sich nicht gern vorhalten, daß der durchschnittliche Stundenlohn in den USA erheblich gesunken ist (seit 1973 um 13 Prozent), sondern argumentieren lieber mit dem leichten Anstieg des durchschnittlichen Familieneinkommens (4 Prozent). Aber auch hier trügt die Statistik. Wenn zur Einkommenssicherung der Familien immer mehr Familienmitglieder arbeiten gehen müssen, kann das nur heißen, daß die Bezahlung der Arbeit schlechter geworden ist. Ist umgekehrt die Durchschnittsfamilie kleiner geworden, dann könnte die Aufrechterhaltung des Familieneinkommens eine Steigerung des Lebensstandards bedeuten. Gleich viel Geld in einer Familie, in der mehr Familienmitglieder arbeiten (oder einzelne länger arbeiten), heißt weniger Geld. Gleich viel Geld in einer Familie, die weniger Mitglieder umfaßt, heißt mehr Geld.

Drittes Beispiel: Um der Realität in Amerika besser gerecht zu werden, wie es hieß, empfahl kürzlich ein Ausschuß unter dem Vorsitz des ehemaligen Wirtschaftsberaters von Präsident George Bush, Michael Boskin, die Vorausschätzung der jährlichen Inflationsrate um 1,1 Prozent nach unten zu korrigieren. Hinter der scheinbar technischen Maßnahme verbirgt sich eine Reform, die darauf hinauslaufen würde, die bevorstehende Anpassung der Grundrenten deutlich niedriger zu veranschlagen (sie werden anhand der Preissteigerungsraten indexiert); das gleiche gilt für jene betrieblichen Tarifverträge, die eine flexible Gestaltung der Löhne und Gehälter zulassen (ihr Anteil liegt bei 20 Prozent). Rückblickend ließe sich dann auch behaupten, das Goldene Zeitalter sei in Amerika nie zu Ende gegangen. Die in allen Statistiken ausgewiesene Stagnation des durchschnittlichen Lebensstandards in den siebziger und achtziger Jahren wäre dann nämlich nur die Folge einer „Übertreibung“ bei den Inflationsraten gewesen.5 Eine solche „Entdeckung“, darauf kann man wetten, spräche sich auf der anderen Seite des Atlantiks sofort herum. Ihre logische Folge wäre ein erneutes Drehen an der sozialen Schraube – die späte Strafe für eine bis dahin ungeahnte Verschwendung.

Rätselhaftes Durchschnittseinkommen

DIE andere Prämisse ist allgemeiner und grundlegender zugleich. Sie hat mit dem Gebrauch beziehungsweise Mißbrauch von „Durchschnittswerten“ zu tun – besonders in den USA. Denn was bedeutet eine Erhöhung des Durchschnittseinkommens in einem Land, in dem die Löhne beziehungsweise Gehälter und die Einkommen immer weiter auseinanderklaffen, in dem das Verhältnis der Jahresverdienste von Arbeitern und Arbeitgebern 1975 1:41 und 1994 1:187 betrug und der Mindeststundenlohn von 1979 bis 1994 um 25 Prozent sank, während 20 Prozent der reichsten Familien sich 97 Prozent der aus dem Wirtschaftswachstum resultierenden Profite teilten?6 Für den flüchtigen Leser oder Journalisten mag das „Durchschnittseinkommen“ dasselbe sein wie das Medianeinkommen. In den USA ist das Durchschnittseinkommen der Familien (die Summe der Einkommen geteilt durch die Anzahl der Haushalte) relativ hoch (48165 Dollar im Jahr), das Medianeinkommen (das Einkommen, bei dem die Grenzlinie zwischen der besserverdienenden und der schlechterverdienenden Hälfte der Haushalte verläuft) aber keineswegs (35536 Dollar im Jahr). Tatsächlich verfügt die US-amerikanische Durchschnittsfamilie über ein Medianeinkommen. Davon muß sie auch Universitätsgebühren und Versicherungsbeiträge bestreiten, um die sie kein Europäer beneiden würde.7

Wie sieht es unter diesen Prämissen nun wirklich mit der „Stellenbeschaffungsmaschine“ aus? Seit 1980 hat die US-amerikanische Wirtschaft netto 27 Millionen Arbeitsplätze geschaffen, 11 Millionen davon seit dem Ende der letzten Rezession im März 1991. Auch wenn diese Zahlen vor dem Hintergrund des Bevölkerungswachstums des Landes und der Entlohnung betrachtet werden müssen, die mit diesen „neuen“ Arbeitsplätzen verbunden ist (auch die Pharaonen schufen viele neue Arbeitsplätze, als sie mit dem Bau der Pyramiden begannen), sind sie fraglos beeindruckend. Es sei allerdings darauf hingewiesen, daß die US- amerikanische Wirtschaft schon zwischen 1976 und 1980, während der so verschrienen Präsidentschaft Jimmy Carters, pro Jahr netto für 2800000 neue Stellen sorgte, im Verhältnis also sehr viel mehr als in den letzten vier Jahren.

Aber nicht nur die Zahl der neuen Arbeitsplätze wollen uns die Beweihräucherer des „amerikanischen Modells“ vorhalten. Auch von ihrer Qualität sollen wir jetzt überzeugt werden. Daher erklärte die OECD: „Die neuen Arbeitsplätze siedeln sich hauptsächlich in den bestbezahlten Tätigkeitsbereichen an.“8 Und im April 1996 sorgte ein Kommuniqué des OECD- Wirtschaftsrates für Aufsehen, das verlauten ließ: „Zwei Drittel der neuen Arbeitsplätze wurden in Tätigkeitsbereichen und Industriezweigen geschaffen, die mehr als die medianen Löhne und Gehälter zahlen.“ Wie umnebelt von der guten Nachricht, machten zahlreiche Journalisten daraus sogleich: „Mehr als zwei Drittel der neuen Arbeitsplätze bieten eine überdurchschnittliche Bezahlung.“ Der Unterschied zwischen beiden Formulierungen fällt kaum auf. Aber er ist fundamental.

Das Weiße Haus, das nicht von „durchschnittlichen“, sondern von „medianen“ Löhnen und Gehältern sprach, hütete sich vor der Behauptung, zwei Drittel der neugeschaffenen Arbeitsplätze würden besser bezahlt. Es erklärte lediglich, sie seien in Tätigkeitsbereichen oder Industriezweigen angesiedelt, in denen die durchschnittliche Bezahlung über diesen medianen Löhnen und Gehältern liege. Diese umständliche Formulierung war keineswegs zufällig gewählt. Jedes ihrer Worte, ihrer Adjektive, ihr ganzes semantisches Geflecht hatte einen Sinn. So kann ein neuer Arbeitsplatz – etwa der eines Laufburschen – eine schlechtere Bezahlung bieten als der mediane Lohn und zugleich doch in einem „Tätigkeitsbereich oder Industriezweig“ angesiedelt sein, der (wie etwa das Bankgewerbe) im Durchschnitt mehr bezahlt. Umgekehrt kann jemand – was jedoch selten vorkommt – mehr verdienen als ein medianes Gehalt und dabei in einem Sektor arbeiten, in dem im Schnitt weniger bezahlt wird.

Privilegierte Laufburschen

ALLES in allem verwandelt die Statistik der OECD-Wirtschaftswissenschaftler den Laufburschen von Goldman Sachs in einen Privilegierten und den Chef von Burger King in einen Verdammten der Erde. Lester Thurow, Wirtschaftswissenschaftler am MIT, erinnerten diese Zahlenspiele offenbar an die großen Manipulationen der Reagan-Ära; jedenfalls reagierte er mit der Feststellung, die Äußerungen des Weißen Hauses seien „wahrscheinlich zutreffend, aber irrelevant. Jeder Tätigkeitsbereich umfaßt ein breites Spektrum von Gehältern. Und die neuen Arbeitsplätze wurden am unteren Ende der Verdienstskala der jeweiligen Tätigkeitsbereiche geschaffen.“9

Lester Thurow vermutet dies mehr, als daß er es sicher weiß. Denn so detailliert die Statistiken des Arbeitsministeriums auch sein mögen, sie ermöglichen keine Unterscheidung zwischen dem Lohn- und Gehaltsniveau des „neuen“ und dem des „alten“ Arbeitsplatzes. Sparte für Sparte weisen sie die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen aus und geben das durchschnittliche oder mediane Gehalt jeder Berufsgruppe an. Daraus ziehen die Wirtschaftswissenschaftler dann ihre Schlüsse.

Zwar haben wir gesehen, daß das Verdienstniveau innerhalb der jeweiligen Berufe im Einzelfall sehr unterschiedlich

sein kann. Dies gilt aber im Schnitt auch für Unterschiede zwischen Berufsgruppen, die zum selben Wirtschaftszweig gehören. Von 1983 bis 1994 erzielte der Bereich Managerial and Professional specialty (leitende Angestellte und Freiberufler) zwar mit 10300000 neuen Arbeitsplätzen einen Zuwachs von 43,8 Prozent. Welche Schlüsse über die Gehälter aber lassen sich daraus ziehen, wenn diese Gruppe mit ihrer so hochtrabenden Bezeichnung Finanzberater und Motelbetreiber, Grundschullehrer und Pfarrer, Sozialarbeiter und Athleten zusammenbringt? In einem anderen Teilbereich, Technical, sales, and administrative support (technische, gewerbliche und Verwaltungsbedienstete) entstanden 6100000 Arbeitsplätze, ein Zuwachs von 22 Prozent. Aber auch dieser Bereich umfaßt wiederum so unterschiedliche Berufsgruppen wie Piloten, Kassierer, Stenotypisten, Techniker, Laufburschen und Laboranten. Nicht anders ist es bei den sogenannten Dienstleistungen (Service occupations), die einen Zuwachs von 21 Prozent verzeichnen: Der schlecht bezahlte Kellner gehört ebenso in diese Kategorie wie der gut bezahlte Polizist.10

Was das neue Eldorado der Computerelektronik, der Software und des Internet betrifft, so wird man abwarten müssen. Jedenfalls beschäftigen die unmittelbar mit der „digitalen Revolution“ verbundenen Berufe (computer and data processing services) insgesamt kaum mehr als eine Million Erwerbstätige; das sind weniger, als die Belegschaften der drei Billigkaufhausketten Wal-Mart, K-mart und Sears umfassen. Wer nach einem Beschäftigungspotential mit explosivem Wachstum Ausschau hält, würde bei Manpower daher eher fündig als bei Microsoft.11 In den letzten fünfzehn Jahren haben sich die Beschäftigtenzahlen von Zeitarbeitsfirmen – der Frauenanteil liegt bei 72 Prozent – tatsächlich mehr als verfünffacht. Die Computerbranche hat seit 1990 nur knapp 300000, der Zeitarbeitsbereich dagegen 800000 Arbeitsplätze „geschaffen“.12 Dies ist allerdings ein sehr relativer Begriff: Oft werden Stellen von Vollzeitbeschäftigten mit Zeitarbeitskräften besetzt; sie sind flexibler, können leichter gekündigt werden und kosten viel weniger.

Auf der Grundlage der Zahlen des Arbeitsministeriums startete die New York Times eine Umfrage. Aus der Befragung von Inhabern neuer Arbeitsplätze folgerte die Tageszeitung, daß 1995 55 Prozent dieser Stellen unterdurchschnittlich bezahlt wurden. Dabei ist das Verhältnis zweifellos nicht mehr so katastrophal wie in vergangenen Jahren: 1992 galt dies für 78 Prozent der neuen Arbeitsplätze.13 Doch der Arbeitskräftemangel in bestimmten Regionen und Branchen hätte zu einer neuerlichen Lohnerhöhung führen müssen. Wer die derzeitigen Zahlen positiv bewertet, bekräftigt also die derzeit gängige Vorstellung, nach der auch in Zeiten relativ sicheren Wachstums, in denen Wall Street in zwei Jahren um 80 Prozent zugelegt hat, die Lohntüte zugunsten der Arbeitsplatzsicherheit dünner bleiben muß. Wie dem auch sei – 45 Prozent sind jedenfalls nicht „mehr als zwei Drittel“.

In die berühmten „10 Millionen neuen Arbeitsplätze“ gehen auch die 3 Millionen Stellen ein, die jedes Jahr wegfallen. Bei den Löhnen und Gehältern werden sie jedoch oft vergessen. Es steht fest, daß 73 Prozent der zwischen 1993 und 1995 Entlassenen im Februar 1996 wieder Arbeit hatten. Um welchen Preis? Knapp 35 Prozent von ihnen konnten von sich behaupten, auf dem gleichen oder einem höheren Verdienstniveau beschäftigt zu werden.14 Ist dieses Thema, letztes Jahr noch in aller Munde, plötzlich nicht mehr von Interesse?

James Sweeney, Chef der Gewerkschaft AFL-CIO, spricht deutliche Worte: „In den letzten Jahren haben die Amerikaner wie Pferde geschuftet und sind wie Hunde behandelt worden.“ Dies mag wohl stimmen, doch besagt diese Einschätzung auch, daß Arbeit vorhanden ist. Nur die Löhne und Gehälter stimmen nicht. Die 7900000 US-Amerikaner, die mehrere Jobs gleichzeitig haben, wollen damit nicht etwa die Zeit totschlagen. Die Arbeiter, die im Jahresdurchschnitt 360 Stunden mehr als ihre französischen und 430 Stunden mehr als ihre deutschen Kollegen arbeiten, hätten sicher nichts gegen mehr als nur zwei Wochen Urlaub im Jahr einzuwenden.

Kaum Arbeitslosenunterstützung, unsichere Renten, Krankenversicherung nur für wenige und steigende Durchschnittsarbeitszeit – auch das ist die US-amerikanische „Beschäftigungsmaschine“. Aber so sehr ihre „Flexibilität“ als leuchtendes Beispiel hingestellt wird, so rasch lassen sich einige ihrer Hauptbestandteile in wenigen Worten erledigen. Seit 1992 hat sich das Handelsdefizit verdoppelt, der Dollar ist gesunken, und die Verschuldung der Haushalte erreicht Rekordhöhen. Warum werden nicht diese Aspekte des Modells stärker herausgestellt, die in einem so krassen Gegensatz zu der vom Vertrag von Maastricht eingeleiteten Deflationspolitik stehen?

dt. Sabine Scheidemann

Fußnoten: 1 Eine Umfrage ergab, daß die französische Öffentlichkeit das US-amerikanische Gesellschaftsmodell merklich geringer schätzte als zuvor, obwohl sie in einer Zeit durchgeführt wurde, als die Medien die Beschäftigungslage in den Vereinigten Staaten ständig in den Himmel hoben. Vgl. Le Monde, 5. November 1996. 2 Vgl. Loic Wacquant, „La généralisation de l'insécurité salariale en Amérique“, Actes de la Recherche en sciences sociales, Paris, Dezember 1996. 3 Vgl. Steven Pearlstein, „Are We Better Off or Not?“, The Washington Post National Weekly Edition, 13. Mai 1996. 4 Seit zehn Jahren liegt das Bevölkerungswachstum im Jahresdurchschnitt in den Vereinigten Staaten bei 1 Prozent, in Frankreich bei 0,5 Prozent, in Japan bei 0,4 Prozent, in Großbritannien und Belgien bei 0,3 Prozent, in Spanien und Dänemark bei 0,2 Prozent, in Irland bei 0,1 Prozent, in Italien bei Null, und in Portugal hat die Bevölkerung jährlich um 0,1 Prozent abgenommen. In den Vereinigten Staaten ist die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter von 1992 bis zum ersten Vierteljahr 1996 von 192 Millionen auf 200,3 Millionen angewachsen („Wirtschaftsstudien der OECD, Vereinigte Staaten“, 1996, OECD, Paris, Übersicht C, S. 248). 5 Durch diese statistische Korrektur ließe sich behaupten, der reale Stundenlohn sei von 1973 bis 1995 um 13 Prozent gestiegen und nicht etwa um 13 Prozent gesunken. Das mittlere Familieneinkommen hätte dann im gleichen Zeitraum um 36 Prozent zugenommen und nicht nur um 4. (Vgl. Michael Boskin, „Prisoners of Faulty Statistics“, The Wall Street Journal Europe, Brüssel, 6./7. Dezember 1996). 6 The New York Times, „The Downsizing of America“, New York (Times Books) 1996. Selbst in ihrer begeisterten Zustandsanalyse der US-amerikanischen Wirtschaft muß die OECD zugeben, daß „seit Ende der sechziger Jahre die Einkommen von 80 Prozent der Familien zugunsten der 5 Prozent Spitzeneinkommen geschrumpft sind.“ („Wirtschaftsstudien der OECD, Vereinigte Staaten“, 1996, op. cit., S. 103). 7 Vgl. Serge Halimi, „Wenn zum Schein gefochten wird“, Le Monde diplomatique, Februar 1996. 8 „Wirtschaftsstudien der OECD, Vereinigte Staaten“, op. cit., S. 96. 9 Lester Thurow, „Falling wages, Failing Policy“, Dollars and Sense, Somerville, September/Oktober 1996. 10 Vgl. zu diesen Angaben US Bureau of Labor Statistics, in „The American Almanach 1995-1996. Statistical Abstract of the United States“, Washington, Tabelle 649, S. 411-413. 11 Manpower hat 767000 Beschäftigte, Microsoft 20500. 12 1982 400000, 1990 1300000 und 1995 2100000 Arbeitsplätze; in „Wirtschaftsstudien der OECD“, op. cit., S. 98. Siehe auch Laura McClure, „Temporary work in the New US Economy“, Multinational Monitor, Washington, November 1996. 13 „The New Jobs: A Growing Number Are Good Ones“, The New York Times, 21. Juli 1996. 14 Vgl. The Downsizing of America, op. cit. Siehe auch „Despite Drop, Layoff Rate Remains High“, The New York Times, 23. August 1996.

Le Monde diplomatique vom 17.01.1997, von SERGE HALIMI