17.01.1997

Linke Cineasten und postmoderne Realisten

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Linke Cineasten und postmoderne Realisten

Im koreanischen Film haben sich zwei Gruppen von Filmemachern herausgebildet: Eine neorealistische nouvelle vague, die die Ungerechtigkeiten der Gesellschaft aufzeigt, und die postmoderne Generation, die die Desillusionierung einer Generation auf die Leinwand bringen und sich gleichzeitig auf dem internationalen Markt einen Platz erkämpfen will.

Von GÖNUL DÖNMEZ-COLIN *

MITTE der sechziger Jahre erlebte Korea eine Phase beschleunigter Industrialisierung, die auf Niedriglohnpolitik und Stellenabbau basierte. Jeon Tae Il, ein junger Arbeiter aus einer Textilfabrik, beging damals Selbstmord, indem er sich öffentlich verbrannte – in der Hand eine Ausgabe des Arbeitsrechts, aus Protest gegen das Fehlen einer entsprechenden Gesetzgebung in seinem Land. Dieses Ereignis wurde zum Auslöser für ein Wiedererstarken der Arbeiterbewegung und brachte auch die Intellektuellen dazu, sich über den Wert des Lebens Gedanken zu machen.

Park Kwang Su gilt als der bekannteste Vertreter einer neuen Cineasten-Bewegung der achtziger Jahre, die häufig als „nouvelle vague“ bezeichnet wird. Sein neuer Film, „Der Funke“, bezieht sich auf die Arbeiterbewegung der sechziger Jahre. Erzählt werden die damaligen Ereignisse aus dem Blickwinkel eines politisch engagierten Intellektuellen der siebziger Jahre. Dieser Aktivist befindet sich in der Zeit der „Notverordnungen“ auf der Flucht vor der Polizei und versucht, ein Buch über das Leben von Jeon Tae Il aufzutreiben. Seine Freundin, eine Arbeiterin, ist verhaftet worden, weil sie versucht hat, eine Gewerkschaft zu gründen. Tatsächlich wurden in den düsteren Zeiten der von Park Chong Hui eingeführten Yusin-Verfassung1 Gewerkschaften, Universitäten und Medien vom koreanischen CIA überwacht. Die studentischen Anti- Yusin-Demonstrationen, die sich ebenfalls auf den Kampf von Jeon Tae Il beriefen, wurden – wie jede andere Form von Opposition oder Dissidenz auch – massiv unterdrückt.

Drei Zeitebenen gliedern dieses ausdrucksvolle und auffallend schöne Werk. Der Kampf des Hauptdarstellers darum, der Verhaftung zu entgehen und seine politischen Aktivitäten im Untergrund weiterführen zu können, ist in Farbe gefilmt. Die Geschichte von Jeon Tae Il wurde in Schwarzweiß dazwischengeschnitten – sie fließt in dem Maße ein, wie sie im Geist des Hauptdarstellers allmählich Gestalt annimmt. Die erste und letzte Einstellung des Films sind der Gegenwart gewidmet, um den Zuschauer darauf hinzuweisen, daß derlei Ereignisse nicht bloß der Vergangenheit angehören.

Die Lockerung der Zensur

ICH wende mich an ein Publikum von jungen Koreanern, um sie an die Übel zu erinnern, die die Industrialisierung mit sich gebracht hat“, sagt Park Kwang Su. „Der Materialismus der koreanischen Gesellschaft findet seine Entsprechung in der Vernachlässigung spiritueller Werte. Die Umwälzungen, die in der ehemaligen UdSSR und in den Ländern des Ostens vonstatten gegangen sind, haben unsere Gesellschaft tief erschüttert. Viele haben vergessen, daß es überhaupt Dissidenten gegeben hat, die für Demokratie und Menschenrechte gekämpft haben. Auch wenn wir heute in einem liberaleren System leben, so ist dennoch auch die zivile Regierung äußerst repressiv. Die wichtigste Einschränkung betrifft das Arbeitsrecht, das immer noch aus den Zeiten der Militärregierung stammt und pluralistische Organisationen verbietet.“

Die Generation von Park Kwang Su ist in der Nachkriegszeit aufgewachsen. Eine Zeit, die von Entwicklung, schneller Industrialisierung und einer massiven Urbanisierung des Landes geprägt war, während gleichzeitig neue Wertvorstellungen entstanden. Diese Studentengeneration der siebziger Jahre stand im Mittelpunkt der politischen Bewegungen, die das Jahrzehnt erschütterten. Sie hat den Zorn der Arbeiter miterlebt, die Verhaftungen, Folterungen und das Massaker von Kwangju im Jahr 1980. Als Park 1982 das Seoul Film Collective mitbegründete, nimmt sich die gerade entstehende Bewegung unabhängiger koreanischer Regisseure vor, engagierte Filme im Geist der Minjung-Philosophie zu drehen.2 Einige der besten zeitgenössischen koreanischen Filmemacher gehören dieser Generation an.

Nach der Olympiade von Seoul und der neuen Verfassung von 1988, die sich die Regierung von Präsident No Tae Woo gegeben hatte, lockerte sich die Zensur. No Tae Woo führte das Recht auf künstlerische Freiheit ein und änderte die den Film betreffenden Gesetze dahingehend, daß er alle Regierungsvertreter aus den Zensurkomitees entfernte. Die jungen Regisseure nutzten die Gelegenheit, die Gesellschaft zu analysieren und sie aufzurütteln – insbesondere die Arbeiterklasse. Diese Klasse, die im staatlich kontrollierten Kino nicht vorkam und sich an den Rand einer reichen Gesellschaft gedrängt sah, war seit seinem ersten Film „Chi Isu und Mansu“ (1988) das Lieblingsthema von Park Kwang Su. „Die schwarze Republik“ (1990), sein zweiter Film, lenkte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Massaker von Kwangju. Seine dritte Arbeit, „Die Sterneninsel“ (1994), beschreibt die Hindernisse auf dem Weg zu einer Wiedervereinigung Koreas: Er erzählt die Geschichte ganz normaler Leute auf einer abgelegenen Insel, die Kommunisten und Republikaner 1950 unter sich aufteilten.3

Jang Sun Woo, eine andere herausragende Persönlichkeit der nouvelle vague, war ein politisch aktiver Dramaturg und Anführer der Minjung-Bewegung, bevor er zum Filmemacher wurde. Sein neuester Film, „Ein Blütenblatt“, bringt das Blutbad von Kwangju auf die Leinwand.4 Der Regisseur selbst erklärt, ein kathartisches Ziel erreichen zu wollen: Er möchte die seelischen Verletzungen, an denen die Bewohner von Kwangju seit 1980 leiden, lindern helfen.

Der Zusammenbruch der kommunistischen Regime hat die linken politischen Bewegungen geschwächt, die die Filmszene prägten, als Park Kwang Su und Jang Sun Woo noch am Anfang ihres Schaffens standen. Seit 1993 ist nicht nur eine zivile Regierung an der Macht, auch die Wirtschaft boomt, vor allem in der Automobil- und Elektroindustrie, die weltweite Bedeutung erlangt haben. Die neue Losung lautet: Postmoderne. Eines der meistgelesenen Bücher der letzten Jahre trägt den Titel „Mit dreißig Jahren ist die Party vorbei“. Der Verfasser Choi Jung Mee, ein zum Dichter konvertierter ehemaliger Aktivist, stellt die These auf, daß durch den Tod des Dichters Reverend Kim Nam Ju (1994), den bevorstehenden Tod des Chefs der Vereinigungskirche, Reverend Mun, und vor allem durch den Tod des Präsidenten Nordkoreas, Kim Il Sung, ein Kapitel der koreanischen Geschichte zu Ende geht.5

Rücksicht auf die Konventionen

AUF dem ersten internationalen Filmfest von Pusan6 sind neben „Der Funke“ und „Ein Blütenblatt“ auch Filme der jüngeren Generation gezeigt worden. Auf der Suche nach Handlungsmustern, die den neuen soziokulturellen Gegebenheiten besser entsprechen, experimentieren die jungen Regisseure mit neuen Themen und Genres. „Jungle Story“ von Kim Hong Jun beispielsweise handelt von der koreanischen Rockmusik, die im Mittelpunkt des kulturellen Aufbruchs der neunziger Jahre steht. „Zerbrochene Äste“ von Park Joe Ho geht auf Probleme ein, die durch den Zusammenbruch der Familienstruktur entstehen, und setzt die Frage der Homosexualität auf die Tagesordnung. „Ein brennendes Dach“ (1995) von Lee Min Jong, eine schwarze Komödie über häusliche Gewalt, beleuchtet das Leben einer einfachen Frau in einem Neubaublock. „Der Tag, an dem ein Schwein in den Brunnen fiel“ von Hong Sang Soo handelt vom Alltagsleben einer desillusionierten Generation – mit dem Brunnen, in dem das Schwein ertrinkt, ist das Seoul von 1996 gemeint.

Die Beziehung dieser Regisseure zu ihrer Zeit ist alles andere als konfliktbeladen, was sie grundlegend von denen der nouvelle vague unterscheidet. Der aktuelle Trend überschreitet die Grenzen des Konventionellen nicht. Auch der realistische Film tritt immer mehr in den Hintergrund, da die neuen Filmschaffenden hin- und hergerissen sind zwischen der nouvelle vague der achtziger Jahre und der Kultur der Konsumgesellschaft. Als Jugendliche haben sie vielleicht die gesellschaftlichen Unruhen jener Jahre miterlebt, doch heute arbeiten sie im kulturellen Kontext der Postmoderne. Ihr Publikum gehört zur McDonald's-Generation mit ihrer Vorliebe für Hollywood.

Seit 1987 wird der koreanische Kinomarkt von US-amerikanischen Kinogiganten wie United International Pictures (UIP) beherrscht – importierte Filme stellen 80 Prozent des Marktes. Konzerne wie Daewoo, Samsung oder Hyundai interessieren sich seit neuestem für die Filmindustrie. Sie bemühen sich um einen Ausbau des Videomarktes, wollen ausländische Filme importieren, einheimische Filme produzieren und die Vertriebsnetze ausweiten. Das plötzliche Interesse dieser großen Unternehmen hat mehrere Gründe: Die Förderung durch die Regierung, radikale Umwälzungen im Medienbereich, die Vielzahl verfügbarer Satelliten, die Öffnung des Marktes und schließlich ein erheblicher Kapitalbedarf. Sie könnten die koreanische Filmindustrie wettbewerbsfähiger machen. Doch steht zu befürchten, daß sie dann zum bloßen Handlanger der US-amerikanischen Giganten verkümmert.

Die Produktion von „Der Funke“ von Park Kwang Su wurde durch die Spenden von fast acht Millionen Menschen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Schichten ermöglicht, die auf eine Kampagne der Gesellschaft zum Gedenken an Jeon Tae Il reagiert hatten. Paradoxerweise fungierte ausgerechnet einer jener koreanischen Konzerne als Koproduzent, die zur schnellen Industrialisierung des Landes beigetragen haben.

Dennoch interessiert sich das Kapital gewöhnlich mehr für leichte, romantische Komödien, die den Publikumserfolg garantieren. Die grundlegende Frage ist, wie man profitorientierte Konzerne für koreanische Qualitätsproduktionen interessieren kann, deren Rentabilität durchaus nicht garantiert werden kann – mit dem sicher in weiter Ferne liegenden Ziel, sich damit eine Nische auf dem internationalen Markt zu schaffen.7

dt. Miriam Lang

* Journalistin

Fußnoten: 1 Am 17. Oktober 1972 führte Park Chong Hui die Yusin-Verfassung ein („Yusin“ bedeutet „Die Erneuerung“). Er proklamierte das Ende des Ausnahmezustands, schaffte alle demokratischen Rechte ab und hob die bürgerlichen Freiheiten auf. 2 „In Beziehung auf die unterdrückten Massen“. Ursprünglich wurde dieses Konzept unter der japanischen Besatzung angewandt, doch in den achtziger Jahren wurde die Verwendung des Begriffes populär. Weitere Informationen über die Minjung-Bewegung im Film finden sich in „Korean Cinema and the New Realism: Text and Context“, von Isold Standish, in „Colonialism and Nationalism in Asian Cinema“, Indiana University Press (Wimal Dissanayake) 1994, S. 65-89. 3 Der Film kam in Frankreich 1994 heraus. Siehe „Destination inconnue“ von Jean-Michel Frodon, Le Monde, 15. Dezember 1994. 4 Philippe Pons, „Le film sur le massacre de Kwangju replonge la Corée dans ses années de plomb“, Le Monde, 7. Dezember 1995. 5 Yi Hyo-in, Lee Jung-ha (Hrsg.), „Korean New Wave: Retrospectives from 1980 to 1995“. Pusan International Film, Pusan. 6 Das Filmfest von Pusan fand statt vom 13. bis zum 21. September 1996. 7 Siehe auch Adriano Apra (Hrsg.), „Le cinéma coréen“, Paris (Éditions du Centre Georges Pompidou) 1993, und Antoine Coppola, „Le cinema sud-coréen du confucianisme à l'avant-garde“, Paris (L'Harmattan) 1996.

Le Monde diplomatique vom 17.01.1997, von GÖNUL DÖNMEZ-COLIN