17.01.1997

Globalitäre Regime

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Globalitäre Regime

Von IGNACIO RAMONET

EINPARTEIEN-REGIME, die keine organisierte Opposition duldeten, die die Bürgerrechte der Staatsräson unterwarfen und in denen der politische Machtapparat uneingeschränkt sämtliche Vorgänge der von ihm beherrschten Gesellschaft bestimmte, wurden bislang „totalitäre Regime“ genannt.

Eine andere Art Totalitarismus tritt nun, zur Jahrhundertwende, die Nachfolge dieser Systeme an: „Die globalitären Regime“. Sie gründen sich auf die Dogmen der Globalisierung1 und des Einheitsdenkens und erklären jede andere Wirtschaftspolitik für unzulässig. Die sozialen Rechte der Bürger werden dem Prinzip des freien Wettbewerbs untergeordnet und alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens der Willkür der Finanzmärkte ausgeliefert.

In unseren orientierungslosen Gesellschaften ist dieser neue, mächtige Totalitarismus gar nicht mehr zu übersehen. Bei einer unlängst durchgeführten Meinungsumfrage gaben 64 Prozent der Befragten an, „die eigentliche Macht haben in Frankreich heute die Finanzmärkte“.2 Nachdem im 19. und 20. Jahrhundert die jahrtausendealte Agrarwirtschaft von der industriellen Ökonomie abgelöst worden war, sind wir nun ins Zeitalter der globalen Finanzwirtschaft eingetreten.

Die Globalisierung hat die Inlandsmärkte zerstört, die Grundpfeiler der Nationalstaaten. Dadurch ist der im nationalen Rahmen operierende Kapitalismus weitgehend obsolet geworden, die Bedeutung der öffentlichen Hand hat stark abgenommen. Die Staaten sind nicht mehr in der Lage, sich gegen die Märkte zur Wehr zu setzen. Das Volumen der Währungsreserven der Notenbanken ist lächerlich gering im Vergleich zur finanziellen Schlagkraft der Spekulanten.

Die Staaten verfügen nicht mehr über das Instrumentarium, um die ungeheuren Kapitalbewegungen zu bremsen oder die Märkte in die Schranken zu weisen, wenn sie ihren Interessen und denen ihrer Bürger schaden. Die Regierenden beugen sich mit ihrer Wirtschaftspolitik den allgemeinen Vorgaben von Organisationen wie der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) oder der OECD. In Europa üben die berühmten Maastrichter Konvergenzkriterien eine regelrechte Diktatur über die Politik der Einzelstaaten aus. Die Basis der Demokratie wird dadurch brüchig, das soziale Elend nimmt zu.

Die politisch Verantwortlichen beteuern zwar gern ihren Glauben an die Autonomie des Politischen – „Wir sind nicht hilflos einer Welt ausgeliefert, die uns unterdrückt“, heißt es da zum Beispiel3 –, ihre Bereitschaft zum Widerstand nimmt sich jedoch als Farce aus, wenn sie hinzufügen: „Die internationale Situation zeichnet sich durch die freie Zirkulation von Kapital und Waren aus, das heißt durch Globalisierung.“ Und mit Nachdruck fordern sie die „Anpassung“ an diese Situation. Aber was heißt da Anpassung? Doch nur, daß man bereit ist, die Übermacht der Märkte und, als Politiker, die eigene Ohnmacht hinzunehmen.

GENAU darin besteht die Logik der globalitären Regime. Im Laufe der letzten zwanzig Jahre haben die politisch Verantwortlichen zunehmend Monetarismus, Deregulierung, freien Warenaustausch, ungehinderten Kapitalfluß und massive Privatisierungen gefördert und damit die Verlagerung der Entscheidungskompetenz in Sachen Investitionen, Beschäftigung, Gesundheitswesen, Kultur und Umweltschutz vom öffentlichen auf den privaten Sektor zugelassen. Deshalb sind von den 200 größten Ökonomien der Welt mehr als die Hälfte nicht mehr Staaten, sondern Unternehmen.

Das Phänomen der Multinationalisierung der Wirtschaft hat eine spektakuläre Entwicklung vollzogen: Während in den siebziger Jahren die Zahl der multinationalen Unternehmen einige hundert nicht überstieg, sind es heute mehr als 40000. Und das gesamte Geschäftsvolumen der 200 weltgrößten Unternehmen beträgt mehr als ein Viertel der globalen Wirtschaftstätigkeit. Dabei beschäftigen diese 200 Unternehmen nur 18,8 Millionen Menschen, also nicht einmal 0,75 Prozent der Arbeitskraft auf der Welt. Der Umsatz von General Motors ist höher als das Bruttosozialprodukt (BSP) von Dänemark, der von Ford liegt über dem BSP von Südafrika, und der Umsatz von Toyota übersteigt das BSP von Norwegen. Und dabei bewegen wir uns im Bereich der realen Wirtschaft, die konkrete Waren und Dienstleistungen produziert und austauscht. Zählt man die Hauptakteure der Finanzökonomie hinzu – also die marktbeherrschenden amerikanischen und japanischen Pensionsfonds, deren Umsätze fünfzigmal höher sind als die der realen Wirtschaft –, dann spielen in diesem Kontext Staaten eigentlich keine Rolle mehr.

Immer mehr Länder, die einen Großteil ihrer staatlichen Unternehmen an die Privatwirtschaft verkauft und ihren Markt dereguliert haben, sind in den Besitz der großen multinationalen Firmenkonsortien übergegangen. Diese haben sich in den südlichen Ländern ganzer Wirtschaftszweige bemächtigt. Sie bedienen sich der betreffenden Staaten, um bei den internationalen Organisationen Druck auszuüben und die zur Fortführung ihrer weltweiten Herrschaft günstigsten politischen Entscheidungen zu erwirken.

Ökonomische Globalisierung und Kapitalkonzentration zerstören im Süden wie im Norden den sozialen Zusammenhalt. Wo sie in Erscheinung treten, verstärken sie die wirtschaftliche Ungleichheit, die in dem Maße zunimmt, wie sich die Vorherrschaft der Märkte ungehindert ausbreitet. Aufbegehren und Revolte werden so erneut zur Bürgerpflicht, um diese unannehmbaren globalitären Regime zu bekämpfen. Wäre es nicht an der Zeit, einen neuen Gesellschaftsvertrag auf internationaler Ebene zu fordern?

Fußnoten: 1 Vgl.„Scénarios de la mondialisation“, Manière de voir, Nr.32, November 1996. 2 La Vie, 21. November 1996. 3 „Entretien avec Edouard Balladur“, Le Monde, 18. Dezember 1996.

Le Monde diplomatique vom 17.01.1997, von IGNACIO RAMONET