14.02.1997

Die Tobin-Steuer - ein wenig Sand im Getriebe

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Die Tobin-Steuer - ein wenig Sand im Getriebe

Von IBRAHIM WARDE

ALS die Welt im Jahre 1972 von Währungsturbulenzen heimgesucht wurde, schlug der Wirtschaftswissenschaftler James Tobin auf einer Konferenz an der Princeton University vor, den Devisenhandel zu besteuern, damit die Regierungen ihre Autonomie bei volkswirtschaftlichen Entscheidungen zurückgewinnen könnten. Die Idee hatte keinerlei Konsequenzen, aber wie das Ungeheuer von Loch Ness taucht die „Tobin-Steuer“ von Zeit zu Zeit immer wieder auf: So 1992 und 1993 im Zusammenhang mit den europäischen Währungskrisen und Ende 1994, als in Mexiko der Peso-Kurs ins Bodenlose fiel. 1994 brachte Präsident Mitterrand die Idee beim Sozialgipfel von Kopenhagen wieder auf den Tisch, und auch 1995 wurde sie beim G-7-Treffen in Halifax in den Kulissen besprochen. Doch Überlegungen in dieser Richtung wurden jedesmal schnell wieder fallengelassen. Das traurige Schicksal dieser Steuer war es offenbar, als prinzipiell „idealistisch“ und „wirklichkeitsfremd“ abqualifiziert zu werden.

Im Oktober 1995 begann eine Expertengruppe die erste große Untersuchung zur „Tobin-Steuer“. Dabei wurden der bisherige Wissensstand über Kapitalbewegungen ebenso berücksichtigt wie die Erfahrungen, die einige Länder bei der Kontrolle von Kapitalbewegungen gemacht hatten. Einige der bekanntesten Experten für internationale Finanzsysteme – unter ihnen die Professoren Peter Kenen von der Universität Princeton und Jeffrey Frankel und Barry Eichengreen von der Universität Berkeley – analysierten die Auswirkungen einer solchen Steuer auf die Geldströme und die Währungspolitik in den einzelnen Ländern. Insbesondere ging es um die Frage, ob eine solche Steuer die Kapitalbewegungen stabilisieren, eine größere Autonomie in der Wirtschaftspolitik erlauben und bedeutende Einnahmen erschließen könne. Eine Aufsatzsammlung zu diesem Thema ist im Juli 1996 im Verlag der Universität Oxford erschienen.1

Überraschenderweise waren außer einigen wenigen Skeptikern alle der Ansicht, daß die Tobin-Steuer vielversprechende Möglichkeiten biete. Trotz vereinzelter Vorbehalte kamen die meisten Experten zu dem Schluß, daß die Tobin- Steuer ernsthaft in Erwägung gezogen oder zumindest genauer untersucht werden sollte. Als eine keineswegs „wirklichkeitsfremde“ Möglichkeit fand sie seitdem die Unterstützung von so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Jacques Delors, dem ehemaligen Präsidenten der Europäischen Kommission, von Butros Butros-Ghali, dem ehemaligen Generalsekretär der UNO, und von Barber Conable, dem ehemaligen Präsidenten der Weltbank. Dennoch wird die Publikation totgeschwiegen. Die akademische Ökonomenzunft schenkt ihr keine Beachtung. Regierungsvertreter, die sich an dem Vorhaben beteiligt haben, werden gebeten, sich nicht dazu zu äußern. Seitdem der Konferenzband erschienen ist, hat im angelsächsischen Sprachbereich keine Zeitung, nicht einmal eine Wirtschaftszeitung, ein Wort darüber verloren.

Langfristig, das sind zehn Minuten

NATÜRLICH ist James Tobin als Wirtschaftswissenschaftler nicht à la mode. Allen Widerständen zum Trotz ist er bekennender Keynesianer und befürwortet inmitten der konservativen Revolution ein aktives Eingreifen des Staates in Wirtschaftsabläufe. Während die Anhänger der „neuen klassischen Volkswirtschaft“ die Globalisierung im Finanzbereich beschleunigen und ausgabenfreudigen Regierungen den Geldhahn abdrehen wollen2 , möchte er die Autonomie der Staaten wiederhergestellt sehen. Seine Interessenschwerpunkte, insbesondere seine Arbeiten über das Verhältnis zwischen dem Finanzsektor und der realwirtschaftlichen Dimension einer Volkswirtschaft, für die er 1981 den Wirtschaftsnobelpreis erhalten hatte, wirken altmodisch in einer Zeit, in der es zum guten Ton gehört, die „Effizienz des Marktes“ zu feiern. Und wenn er die negativen Seiten der Spekulation anprangert und vorschlägt, „ein wenig Sand“ in das allzugut geölte Getriebe der Finanzwirtschaft zu streuen, reagieren die Gralshüter der economic correctness mit schierem Entsetzen.3

Es gibt jedoch einige instruktive Zahlen: Nach Angaben der Bank für internationalen Zahlungsausgleich hat der Devisenhandel 1995 einen Umfang von 1300 Milliarden Dollar pro Tag erreicht (gegenüber 18 Milliarden zu Beginn der siebziger Jahre). Zum Vergleich: Die jährlich weltweit umgeschlagenen Güter und Dienstleistungen erreichen einen Wert von 4300 Milliarden Dollar. Darüber hinaus finden bei 80 Prozent der Devisengeschäfte die Hin-und-her-Transaktionen innerhalb von höchstens sieben Tagen statt, in den meisten Fällen sogar noch am gleichen Tag. In London, dem wichtigsten Devisenhandelsplatz der Welt, stehen vier Fünftel aller Transaktionen nicht mehr in direktem Zusammenhang mit Handelsbewegungen oder Investitionen.

Angesichts dieser Fakten basieren die Einwände gegen die Tobin-Steuer auf theoretischen Annahmen, die von der Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler auch dann stur verteidigt werden, wenn sie damit in Widerspruch zur Realität geraten. So lautete etwa unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems die – auf die Thesen des Monetaristen Milton Friedman gestützte – Lehrmeinung, das System der freien Wechselkurse würde Spekulanten entmutigen, weil die Kurse angeblich automatisch die grundlegende „Statik“ der zugehörigen Volkswirtschaften widerspiegele. Seitdem das Gegenteil eingetreten ist, wird jetzt ein anderes Axiom angeführt: Die Spekulanten repräsentierten nichts als den Willen des Marktes, der per definitionem vernunftgemäß und effizient entscheide. Nach James Tobin beeinflussen die Spekulanten den Markt dagegen auf völlig eigenmächtige und hochgradig destabilisierende Weise. Der Coup von George Soros, der 1992 bei einer Spekulation gegen das britische Pfund an einem Tag eine Milliarde Dollar gewinnen konnte, zeigt hinreichend, daß die Spekulanten sich bereichern und gleichzeitig den Markt destabilisieren können.4

James Tobin interessiert nicht nur die Unterscheidung zwischen Real- und Finanzwirtschaft, sondern auch der Unterschied zwischen kurzfristig und langfristig. Mit Vorliebe zitiert er folgenden Ausspruch eines Devisenhändlers: „Langfristig heißt für mich in den nächsten zehn Minuten.“ Aber für die Realität können sich die Theoretiker nicht begeistern, denen insofern auch ein wesentlicher Aspekt der Tobin-Steuer entgehen muß: Sie will nicht die internationalen Austauschbeziehungen einschränken, wohl aber kurzfristige Spekulationsgeschäfte steuerlich belasten. Würde man die täglichen Transaktionen auf dem Devisenmarkt mit jeweils 0,2 Prozent versteuern, würden sich die Kosten (bei 240 Börsentagen) auf 48 Prozent pro Jahr summieren. Eine solche Steuer würde aber den realen Handel und die langfristigen Investitionen kaum spürbar beeinflussen.

Das Argument, wonach jede Behinderung der freien Kapitalzirkulation zu Ungleichgewichten und einer Schwächung der nationalen Volkswirtschaften führen würde, wird durch anderslautende Erfahrungen widerlegt. So hat etwa Chile durch eine Reihe von Maßnahmen gegen kurzfristige Geldbewegungen eine größere Geldstabilität und mehr langfristige Investitionen erreicht als jene Länder Lateinamerikas, die eine völlig unbeschränkte Kapitalzirkulation zugelassen haben. Diese Länder waren dem zwar reichlich fließenden, aber äußerst wetterwendigen Kapital auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Zum Beispiel hat Mexiko, das Anfang 1995 urplötzlich vom besten zum schlechtesten Schüler der Märkte geworden war, die Auswirkungen der gewaltigen Geldströme in aller Härte zu spüren bekommen. Allen Wohlstandsversprechungen zum Trotz ist der Lebensstandard des überwiegenden Teils der Bevölkerung spürbar gesunken. „Das Beispiel Mexikos, das heute unter den grausamen Strafen für steuer-, und währungspolitische Vergehen leidet, die es nicht begangen hat, müßte ausreichen, um mit der Vorstellung von der Allwissenheit der Märkte aufzuräumen“, schreibt James Tobin.

Insgesamt gesehen würde sich die Tobin-Steuer stabilisierend auf den Geldmarkt auswirken, indem sie Kursschwankungen verringert und den Regierungen eine größere Autonomie verschafft. Zu regeln blieben nur die praktischen Modalitäten: Wie hoch soll der Steuersatz sein? Welche Transaktionen sollen besteuert werden? Wie soll man die Steuer erheben? Wie sollen die Einnahmen aufgeteilt werden? Welche Ausnahmen müssen vorgesehen werden? Wie können Betrug und Steuerflucht verhindert werden?

Der Steuersatz muß hoch genug sein, um die von der Steuer erhofften Wirkungen zu erzielen, und niedrig genug, um keine Panik auszulösen und keinen Anreiz zur Steuerhinterziehung zu bieten. Denkbar ist ein Steuersatz zwischen 0,25 und 0,15 (oder sogar 0,05) Prozent. Besteuert würden einfache Transaktionen sowie der auf Devisengeschäfte bezogene Derivathandel – Swaps, Optionen und Termingeschäfte. Bei einem Steuersatz von 0,25 Prozent schlügen die jährlichen Einnahmen mit etwa 290 Milliarden Dollar zu Buche, bei einem Satz von 0,1 Prozent lägen sie bei 166 Milliarden, und selbst bei einem Steuersatz von nur 0,05 Prozent bei rund 100 Milliarden Dollar. Natürlich bleiben diese Zahlen vorerst Spekulation, denn der Gesamtumfang der Geldgeschäfte würde schrumpfen. Die Frage ist nur, in welchem Ausmaß.

Fußnoten: 1 Mahbub ul-Haq, Inge Kaul, Isabelle Grunberg, „The Tobin Tax: Coping with Financial Volatility“, Oxford (Oxford University Press) 1996. 2 François Chesnais (Hrsg.), „La Mondialisation financière: Genèse, coût et enjeux“, Paris (Syros) 1996. 3 Ibrahim Warde: „Die Tyrannei des ,ökonomisch Korrekten‘, Le Monde diplomatique, Mai 1995. 4 Ibrahim Warde, „Chaos monétaire et enjeux politiques“, Le Monde diplomatique, Oktober 1992.

Le Monde diplomatique vom 14.02.1997, von IBRAHIM WARDE