Die Presse im Würgegriff
Von HAMED IBRAHIMI
IN manchen Ländern, in Algerien, in Bosnien oder auch in der Türkei, werden Journalisten einzeln umgebracht, während man in Ländern wie Tunesien der ganzen Zunft zum Erstickungstod verhilft.“1
Es gibt eine ganze Reihe von Methoden, um eine Zeitung mundtot zu machen oder Journalisten dafür abzustrafen, daß sie sich nicht genau an die Anweisungen aus dem Regierungspalast oder an die der staatlichen Pressestelle halten: einfache Schikanen, wirtschaftliche bzw. steuerliche Druckmittel oder auch die Anwendung einschlägiger Vorschriften, die genug Möglichkeiten bieten, die freie Ausübung des Journalistenberufs zu behindern.2 Häufig werden Journalisten die Voraussetzungen für die Ausübung ihres Berufs entzogen – Presseausweis, Akkreditierung, Paß oder Telefonanschluß.3
Die Auslandspresse in Tunesien wird streng überwacht; Le Monde diplomatique und Libération etwa durften 1994 und 1995 nicht verkauft werden. Jede Zeitung, die in irgendeiner Form die tunesische Regierung kritisiert, wird beschlagnahmt. Auch Radiosendungen sind in der Vergangenheit von der tunesischen Radio- und Fernsehanstalt RTT häufig gestört oder unterbrochen worden. Zahlreiche ausländische Journalisten wie die Korrespondenten der Nachrichtenagentur Reuter und der BBC, mußten Tunesien verlassen, weil man sie unter Druck gesetzt oder ausgewiesen hat. Dem Korrespondenten von AFP in Tunis haben die Behörden im Dezember 1994 sogar eine „regelrechte Falle“ gestellt, „indem man ihn in einen gänzlich inszenierten Skandal um die Vergewaltigung einer Studentin verwickelte“4 . Kein Wunder, daß inzwischen Angst und Selbstzensur bei den Auslandskorrespondenten vorherrschen, so daß über politisch beeinflußte Gerichtsverfahren, über Hungerstreiks und Todesfälle von Gefangenen, die der islamistischen Bewegung angehören, häufig nicht mehr berichtet wird.
In den Organen der tunesischen Presse herrscht heute fast vollständige Einstimmigkeit – überall dominiert die Stimme der Macht. Die letzten Gegenstimmen wurden Anfang der neunziger Jahre zum Schweigen gebracht: Le Maghreb, ein unabhängiges Blatt, und al-Fadschr (Der Aufbruch), eine Zeitung der islamistischen Bewegung En Nahda, mußten ihr Erscheinen einstellen.5
Man darf nicht vergessen, daß Tunesien in den siebziger Jahren das erste Land im Maghreb war, in dem es eine unabhängige Presse gab. Der tunesische Journalistenverband (AJT) galt als von der Staatsmacht weitgehend unabhängig – eine Ausnahme in der arabischen Welt. 1981 wagte es die Organisation sogar, eine öffentliche Diskussion über die Pressefreiheit in Gang zu bringen, an der sich auch der Islamistenführer Scheich Raschid Ghannuschi und Muhammad Muada, der damalige Vorsitzende des Mouvement des démocrates socialistes (MDS), beteiligten6 . Inzwischen hat der Journalistenverband jede Eigenständigkeit verloren.
Im November 1993 unterstützte die gesamte tunesische Presse die Wiederwahl Ben Alis zum Staatspräsidenten. So etwas hatte es während der langen Regierungszeit Burgibas nie gegeben: Der „Oberste Kämpfer“ hatte immer nur die Zeitungen benutzt, die seiner Partei nahestanden – L'Action und das arabischsprachige Blatt al-Amal –, um sich mit seinen politischen Gegnern auseinanderzusetzen. Heute dagegen sind es nicht die beiden Tageszeitungen der Regierungspartei – Le Renouveau und Hourrijat (Freiheit) –, die die politischen Gegner des Präsidenten in den Schmutz ziehen, sondern die privaten Presseerzeugnisse. Ob sie im Gefängnis sitzen, ins Exil gegangen sind oder sich „unter Auflagen“ in Freiheit befinden – die Feinde des Präsidenten werden grundsätzlich als „Triebtäter“ oder „Agenten im Sold fremder Mächte“ hingestellt. Sogar der ehemalige Ministerpräsident Hedi Bakusch und der frühere Bildungsminister Muhammad Scharfi, die den Machthabern treue Dienste geleistet haben, sind ins Kreuzfeuer jener Medien geraten, die der algerische Journalist Umar Belhuschet als eine „gegängelte Presse“ bezeichnet, „die jede Substanz verloren hat, weil sie vor den entscheidenden Fragen der Gesellschaft die Augen verschließt“7 .
Eine der Anweisungen an die Presse etwa besagt, daß alle Aktivitäten und Stellungnahmen der Tunesischen Liga für Menschenrechte (LTDH) nicht zur Kenntnis genommen werden dürfen. Gleichwohl ist man sofort bereit, Krokodilstränen über den beklagenswerten Umgang mit den Menschenrechten zu vergießen – wenn es zum Beispiel um Marokko geht, dessen Beziehungen zu Tunesien heftig schwanken.
Im Mai 1996 hat der Internationale Verband der Zeitungsverleger (AMJ, früher FIEJ) den Verband der tunesischen Zeitungsverleger (ATDJ) mit der Begründung ausgeschlossen, er habe nichts dagegen unternommen, daß sich die Situation der Presse in Tunesien laufend verschlechtert hat. Im September 1996 äußerte der AMJ sogar die Absicht, zusammen mit fünf anderen Organisationen, die sich für die Pressefreiheit einsetzen, eine Untersuchung der Lage in Tunesien durchzuführen. Die Regierung in Tunis reagierte darauf mit einer Erklärung ihres Amts für Auslandsbeziehungen (ATCE), das eigens dafür geschaffen wurde, das Image der Machthaber in den westlichen Hauptstädten sowie im Internet8 in ein günstiges Licht zu rücken. Die geplante Untersuchung, hieß es dort, sei „weder berechtigt noch angebracht...“.
Edgar Peinelt