14.02.1997

Imperium Americanum

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Imperium Americanum

Von IGNACIO RAMONET

ES gibt Epochen, in denen ein Staat zur uneingeschränkten Hegemonialmacht wird, weil seine Hauptrivalen besiegt oder zusammengebrochen sind. Seit dem 16. Jahrhundert haben Spanien, Frankreich und England nacheinander eine solche militärische, wirtschaftliche und teilweise auch kulturelle Hegemonie erlangt.

Die Vorherrschaft des Britischen Empire begann mit der Niederlage Napoleons bei Waterloo (1815) und endete erst mit dem deutschen Großmachtstreben, aus dem die beiden Weltkriege resultierten. Diese Kriege haben den alten Kontinent erschöpft und zugleich einen neuen politischen Akteur auf die internationale Bühne gebracht: die Vereinigten Staaten von Amerika. Gemeinsam mit der Sowjetunion bildeten die USA nach 1945 eine Art globales Kondominium, das durch die erbitterte Rivalität des „Kalten Kriegs“ gekennzeichnet war.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion befanden sich die Vereinigten Staaten plötzlich in einer einzigartigen Position: „Eine derart uneingeschränkte Hegemonie hat es in der Geschichte der Menschheit noch nicht gegeben.“1 Nun hängt die Macht eines Imperiums heutzutage nicht mehr allein von seiner geographischen Ausdehnung ab. Sie beruht vielmehr, jenseits rein militärischer Stärke, auf der Kontrolle über die wichtigsten ökonomischen Ressourcen und Finanzströme, über technologische Neuerungen und die verschiedensten (materiellen oder immateriellen) Instrumente der Machtexpansion und -projektion. In diesem Sinne hat sich bislang in der Geschichte keine andere Macht die Erde, ihre Ozeane und ihre Atmosphäre in vergleichbarem Maße untertan zu machen vermocht.

Wirtschaftsaufschwung und veränderte Globalkonstellation haben die USA zum neuen Schulmeister der Welt werden lassen: Sie haben in Haiti für demokratische Verhältnisse gesorgt, sind den Einschüchterungsversuchen Nord-Koreas entgegengetreten, haben ihre militärische Macht in der Straße von Formosa demonstriert, als Taiwan sich einer Bedrohung durch die Chinesen gegenübersah, haben in Dayton eine Regelung des Bosnienkonflikts durchgesetzt und garantieren seitdem durch ihre Truppenpräsenz den örtlichen Frieden; und sie haben mit Ach und Krach die israelisch-palästinensischen Verhandlungen über eine Friedenslösung im Nahen Osten wieder in Gang gebracht.

Seitdem wird in jeder politisch verfahrenen Situation der Ruf nach amerikanischer Vermittlung laut. Zuletzt in Serbien, wo die Opposition die Hilfe Washingtons ersuchte, und sogar in Algerien, wo Ait Ahmad die USA jüngst aufforderte, der Spirale der Gewalt Einhalt zu gebieten.

Ergebnis ist, daß die Vereinigten Staaten zunehmend ihre Züge auf dem globalen Schachbrett (insbesondere in Schwarzafrika) allein an den eigenen Interessen orientieren, ohne sich im geringsten um die Meinung internationaler Organisationen wie der UNO zu kümmern. Völlig eigenmächtig verhängten sie ihre Wirtschaftssanktionen gegen Kuba, Libyen oder den Iran und traten selbstherrlich der Wiederwahl von Butros Ghali zum UN-Generalsekretär entgegen. Erst kürzlich haben sie die legitime Forderung Frankreichs zurückgewiesen, das Oberkommando des Nato-Hauptquartiers Südeuropa einem europäischen Offizier zu übertragen – „In dieser Sache gibt es keinen Verhandlungsspielraum“2 , ließ der neue amerikanische Verteidigungsminister William Cohen verlauten. Aus diesem Hegemoniestreben heraus haben die USA kürzlich für amerikanische Gesetze – wie etwa das Helms-Burton-Gesetz zur Ausweitung des Kuba-Embargos – sogar eine extraterritoriale Geltung beansprucht.

Höchste Priorität für die Supermacht USA hat (angesichts ihrer traditionell negativen Außenhandelsbilanz) immer noch die Eroberung von Weltmarktanteilen. Der Export von Waren und Dienstleistungen ist seit 1987 zu einem Drittel für das amerikanische Wirtschaftswachstum verantwortlich; „vorrangiges Ziel“, so die Außenministerin Madeleine Albright kürzlich, sei, „dafür zu sorgen, daß sich die wirtschaftlichen Interessen der USA auf die ganze Welt erstrecken“3 .

DIE wirkungsvollsten ideologischen Waffen, über die eine solche exportorientierte „Geschäftsdiplomatie“ verfügt, sind die Kino- und Fernsehproduktionen. In der EU ist der Marktanteil amerikanischer Filme zwischen 1985 und 1994 von 56 auf 76 Prozent gestiegen. Und in den 50 landesweit „über den Äther“ ausgestrahlten europäischen Fernsehkanälen – ausgenommen also die Kabelkanäle und Pay-TV – haben amerikanische Produktionen einen Programmanteil von 53 Prozent. In nur zehn Jahren hat sich im audiovisuellen Bereich die europäische Handelsbilanz gegenüber den USA drastisch verschlechtert: Von 1985 bis 1995 sind die Verluste von 0,5 Milliarden auf 4 Milliarden Dollar angewachsen, womit zugleich 250000 Arbeitsplätze verlorengingen.

Eine ähnliche Vorherrschaft der USA gilt für die Bereiche Informationstechnologie, Internet, Luftfahrt- und Ölindustrie usw. Ganz zu schweigen von dem ungeheuren Machtpotential der amerikanischen Pensionsfonds, die auf den internationalen Finanzmärkten die mächtigste strategische Waffe darstellen. Keine Macht der Welt kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt der wirtschaftlichen Offensivkraft der Vereinigten Staaten etwas entgegensetzen.

Doch ist all dies ein Grund, der Welt die eigenen Gesetze aufzuzwingen? Längst zeichnen sich am Horizont – mit China, Indien und der EU – neue Großreiche ab, die jener imperialistischen Selbstherrlichkeit nicht tatenlos zusehen werden. Haben die Vereinigten Staaten wirklich vergessen, daß früher oder später jedes Weltreich zum Untergang verurteilt ist?

Fußnoten: 1 Paul-Marie de la Gorce, „Le dernier Empire“, Paris (Grasset) 1996, S. 16. 2 Le Monde, 24. Januar 1997. 3 The Wall Street Journal Europe, Brüssel, 21. Januar 1997.

Le Monde diplomatique vom 14.02.1997, von IGNACIO RAMONET