14.02.1997

Mit dem Heiligen Vater die kubanische Revolution retten

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Mit dem Heiligen Vater die kubanische Revolution retten

NACHDEM das US-Handelsembargo die wirtschaftliche Situation Kubas deutlich beeinträchtigt hat, verschlimmert nun das kürzlich in Washington verabschiedete Helms-Burton-Gesetz die Lage – zumal die Europäer im wesentlichen auf die amerikanische Zermürbungspolitik gegen das Fidel-Castro-Regime einzuschwenken scheinen. Paradoxerweise versucht Havanna seine Isolation ausgerechnet über eine Annäherung an den Vatikan und die örtliche katholische Kirche zu durchbrechen. Bleibt die Frage, ob eine solche Entspannung, deren Folgen noch kaum abzuschätzen sind, die notwendige politische Öffnung des Landes begünstigt und eine Verbesserung der Lebensbedingungen für die Bevölkerung mit sich bringt?

Von unserer Korrespondentin JANETTE HABEL *

Das Embargo aufheben? „Unsinn!“ Ein amerikanischer Diplomat, der ungenannt bleiben möchte, präzisiert: „Wir haben zwei Trümpfe für Verhandlungen in der Hand: Guantánamo und das Embargo. Wenn wir das Embargo aufheben, wird sich das Regime wirtschaftlich erholen – ohne daß es zu einer politischen Öffnung kommt. Im übrigen besteht gar keine Möglichkeit, das Helms-Burton-Gesetz rückgängig zu machen.“ In der Tat kann US-Präsident Bill Clinton, nachdem die amerikanische Exekutive ihre Vorrechte in Sachen Kuba-Politik abgetreten hat, dieses Gesetz nicht ohne Zustimmung der Legislative ändern. Demselben Diplomaten zufolge soll in den kommenden Wochen ein „Aktionsplan für den Übergang in Kuba ausgearbeitet werden“, der am Cuban Liberty and Democratic Solidarity Act of 1996 ausgerichtet ist – so lautet die offizielle Bezeichnung für das Helms- Burton-Gesetz, das in Miami gemeinhin Bacardi-Gesetz1 genannt wird.

Dieses Gesetz ist ein regelrechtes politisches Manifest. Es legt den dauerhaften Fortbestand der Wirtschaftssanktionen fest, bis eine demokratisch gewählte Regierung oder eine Übergangsregierung zur Demokratie an der Macht ist, „in der weder Fidel Castro noch Raúl Castro vertreten sein darf“ (Abschnitt 205a). Obendrein schreibt es vor, daß diese Regierung „einen eindeutig marktwirtschaftlichen Kurs einzuschlagen hat, dem das Recht auf Eigentum und seiner privaten Nutznießung zugrunde liegt“. Ferner muß sie „die Besitztümer, die nach 1959 von der kubanischen Regierung verstaatlicht wurden, den Bürgern oder US-amerikanischen Unternehmen zurückerstatten oder sie entschädigen“ (Abschnitt 206).

Die Paragraphen III und IV dieses Gesetzes haben heftige Reaktionen unter all jenen westlichen Staaten ausgelöst, die Handelsbeziehungen mit Kuba unterhalten. Paragraph III ermöglicht es Bürgern oder Firmen der Vereinigten Staaten, die Alteigentümer „beschlagnahmten Eigentums“ sind, ausländische Firmen vor US- amerikanischen Gerichten zu verklagen, die dieses Eigentum wirtschaftlich nutzen oder von ihm profitieren. Paragraph IV erlaubt es den Behörden, den Leitern und Anteilseignern dieser Firmen sowie ihren Familienangehörigen die Einreise in die Vereinigten Staaten zu untersagen. Dieses Einreiseverbot ist gegenüber leitenden Angestellten der kanadischen Firma Sherrit International und des mexikanischen Konzerns Grupo Domos bereits durchgesetzt worden – ein Verstoß gegen die Bestimmungen des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens Nafta. Demnächst dürften wegen dieses Paragraphen noch mehr Visa widerrufen werden.

Was den Paragraphen III anbelangt, so war seine Anwendung vom amerikanischen Präsidenten am 15. Juli 1996 um sechs Monate verschoben worden. Diese Frist wurde am 3. Januar 1997 ein weiteres Mal verlängert.2 Tatsächlich hat der Europabesuch des US-amerikanischen Sondergesandten Stuart Eizenstat bewirkt, daß den Forderungen aus Washington Folge geleistet wird: Die europäische Zusammenarbeit mit Kuba unterliegt künftig der Bedingung, daß sich „die Menschenrechtssituation verbessert“. Nachdem die Europäische Union bislang die Verletzungen des internationalen Rechts durch die Vereinigten Staaten sowie deren Hegemonieansprüche kritisiert hatte, hat sie sich nun der Washingtoner Linie angeschlossen. „Da mußte viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, aber wir sind glücklich“, erklärt der amerikanische Diplomat.

Die Klage, die die Europäer bei der Welthandelsorganisation (WTO) eingereicht haben, die Verabschiedung von spiegelbildlich auf Helms-Burton bezogenen Gesetzen3 , die dessen Auswirkungen neutralisieren sollen, sowie die zahlreichen Verurteilungen auf internationaler Ebene – all das hat die fünfzehn EU-Mitgliedsstaaten nicht davon abgehalten, eine „gemeinsame Position“ einzunehmen, die auf eine Initiative der spanischen Regierung zurückgeht. Diese hatte ihren Partnern am 14. November 1996 einen an den amerikanischen Positionen ausgerichteten Text vorgelegt. Die Anwendung von Kooperationsverfahren, die im Maastrichter Vertrag in bezug auf die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) vorgesehen sind, hat es möglich gemacht, daß dieses gemeinsame europäische Positionspapier ohne Debatte in einer Rekordzeit beschlossen wurde – bereits drei Wochen nachdem die Regierung von José Maria Aznar ihren Vorschlag unterbreitet hatte. Die guten Verbindungen, die Aznar zum Chef der einflußreichen kubanisch- amerikanischen Stiftung in Miami, Jorge Más Canosa, unterhält, erklären sicherlich die Kursänderung Spaniens, dessen Investoren bislang von den US-amerikanischen Sanktionen verschont geblieben sind. Auch wenn die Europäische Union bestreitet, „Veränderungen durch Druckmittel“ herbeiführen zu wollen, hat sie 1996 ihre Finanzhilfe für Havanna um knapp ein Drittel gekürzt – eine Kürzung, die sich in erster Linie auf die humanitäre Hilfe auswirkt.4

Doch wie soll man dieses Einlenken der Europäer interpretieren, insbesondere das der französischen Diplomatie, die seit langem die „Ineffizienz des Embargos“ kritisiert und die „Hegemonieansprüche“ Washingtons“ angeprangert hat? Die Möglichkeit eines „Repressionswettlaufs“, wie Jacques Chirac sie anläßlich des G-7-Treffens in Lyon heraufbeschwor, ebenso wie die drohende Ausweitung des Handelskrieges sowie die Interessendifferenzen innerhalb der fünfzehn EU-Mitgliedsstaaten – all diese Aspekte erklären das europäische Einlenken gegenüber dem US-amerikanischen Vorstoß. Denn das Helms-Burton-Gesetz hat Schule gemacht. Das D'Amato-Kennedy-Gesetz etwa sieht ebenfalls finanzielle Sanktionen gegenüber ausländischen Erdölunternehmen vor, die im Iran oder in Libyen mehr als 40 Millionen US-Dollar im Petrochemiesektor investieren. Dennoch haben sich die deutschen Industrieansiedlungen im Iran kontinuierlich vermehrt. Die Vereinigten Staaten haben sich einerseits zu mehr Flexibilität gegenüber Teheran bereit erklärt, forderten aber im Gegenzug zunächst von Spanien, dann von der gesamten EU, daß „jegliche Wirtschaftshilfe für Kuba an harte Bedingungen zu knüpfen“ sei.

Ein eigenartiger Kompromiß. Das Castro-Regime stellt für die USA keinerlei Bedrohung mehr dar, während „der Iran und Libyen im Verdacht stehen, Terroristen auszubilden, die US-Bürger im Ausland ermordet haben“, stellt ein Politologe fest. Doch Kuba liegt keine 200 Kilometer vor der US-amerikanischen Küste, bleibt also den geopolitischen Interessen Washingtons unterworfen.

Die europäisch-amerikanische Annäherung findet ausgerechnet zu einem Zeitpunkt statt, nachdem Kuba 1996 eine gewisse wirtschaftliche Konsolidierung erfahren hat. Alle Beobachter sind sich in der Einschätzung einig, daß der drohende Zusammenbruch aufgehalten werden konnte. Nach sechsjähriger Krise hat sich die Situation auf makroökonomischer Ebene verbessert. Für Daniel Patat, den Wirtschaftsberater der französischen Botschaft, ist diese wirtschaftliche Erholung „unbestreitbar, doch sehr fragil, da sie wegen fehlender finanzieller Mittel gefährdet ist“. Seiner Ansicht nach ist die Besserung darauf zurückzuführen, daß vorrangig devisenträchtige Wirtschaftsbereiche entwickelt wurden (die anderen Sektoren liegen weiterhin im argen). Auch wurde die Nutzung interner Ressourcen optimiert, der öffentliche Bereich umstrukturiert, und die ausländischen Investitionen zeigten Wirkung – dank eines Zentralismus, der „es ermöglicht hat, die Ressourcen des Landes im Dienst einer Kriegsökonomie zu mobilisieren“.

Der steile Aufschwung der Tourismusbranche und angeschlossener Bereiche ist nicht zu übersehen und belebt verschiedene Wirtschaftstätigkeiten: Das Kunsthandwerk hat sich entwickelt, die paladares (kleine Privatrestaurants) sind voll, Kubaner vermieten ihre Wohnungen und Autos an Durchreisende. Die Zuckerrohrernte konnte gesteigert werden – allerdings innerhalb gewisser Grenzen –, die Produktion von Nickel, Tabak oder Zitrusfrüchten wurde ebenfalls erhöht. Diese Verbesserungen sind allerdings insofern prekär, als sie auf der Grundlage kurzfristiger Kredite zustande kamen, die zu Wucherzinsen gewährt wurden.

Die Insel hat keinen Zugang zu Darlehen internationaler Institutionen wie Weltbank oder Internationaler Währungsfonds, und die Verteuerung der Kredite aufgrund politischer Risiken ist eine der perversesten Auswirkungen des Helms- Burton-Gesetzes. „Die Bankiers schließen die Schalter, das Gesetz ist ein regelrechter Knebel“, meint Jean-Raphaäl Dufour, französischer Botschafter in Havanna.

Die Tätigkeit der Banken kommt dort, wo sie der Projektfinanzierung in der Zuckerproduktion oder im Tourismus auf ehemals US-amerikanischen Besitztümern dient, tatsächlich einer Art „illegalem Geschäft“ gleich. Zu diesen finanziellen Zwängen und den horrenden Zinssätzen gesellen sich 10 Milliarden Dollar Auslandsschulden. Der drohende finanzielle Kollaps stellt eine der größten Gefahren dar. „Die Staatskassen sind leer“, sagt ein französischer Geschäftsmann. Trotz dieser Umstände haben die bereits ansässigen ausländischen Unternehmen nicht die Flucht ergriffen. Vielmehr arrangieren sie sich unter Anwendung zahlreicher Tricks mit der Situation, um dem langen Arm des US-amerikanischen Gesetzgebers zu entgehen. Manche entfernen die Firmenlogos, um nicht mehr unter ihrem eigentlichen Namen aufzutreten. Ein paar große Industrielle mieten über das ganze Jahr Zimmer im Hotel Cohiba an: Da es erst vor kurzem erbaut wurde, ist das Hotel über den Verdacht erhaben, jemals „beschlagnahmt“ worden zu sein. Andere lassen sich auf einen offenen Konflikt ein, so z.B. der Konzern Pernod-Ricard (der auf dem Weltmarkt den „Havana Club“-Rum vertreibt, den ehemaligen Bacardi), der vom Bacardi-Konzern, der weltweit größten Spirituosenmarke, angegriffen wird. „Wir führen überall Prozesse, es ist ein regelrechter Wirtschaftskrieg“, konstatiert Noäl Adrian, Direktor von Pernod-Ricard in Havanna.

Das Helms-Burton-Gesetz ist ein Damoklesschwert, dessen Drohung allein schon abschreckend wirkt. Die Gesetzgeber müssen, angesichts des vorauseilenden Gehorsams der Unternehmen, erst gar nicht zum Strafregister greifen.

Neben der Bedrohung durch äußere Zwänge steht die Regierung von Fidel Castro noch vor einer ganz anderen Herausforderung: Die ökonomischen Anstrengungen werden einer Bevölkerung aufgebürdet, die dieser Last mit der Zeit immer überdrüssiger wird. Die Einschränkungen im Zusammenhang mit den Anstrengungen bei der Mobilisierung der Ressourcen untergraben die soziale Basis des Regimes. Die erhoffte Verbesserung der alltäglichen Lebensbedingungen ist kaum spürbar: Die Stromausfälle sind deutlich seltener geworden, doch könnten die gestiegenen Ölpreise zu einer geringeren Einfuhrquote führen, was eine Wiederkehr der apagones (Stromausfälle) zur Folge hätte. Die Ernährungssituation hat sich dank der Bauernmärkte, die 1994 endlich wieder eingeführt wurden, gebessert, doch der subventionierte Anteil der öffentlichen Nahrungsmittelversorgung (la libreta) schrumpft kontinuierlich, so daß die Familien erheblich mehr Geld für ihre Ernährung aufwenden müssen. Insgesamt konnte der Kaufkraftverlust nicht aufgehalten werden, außer für eine Minderheit. Rentner, die keine Familie haben, leben mit ihrer miserablen, in Pesos ausgezahlten Rente in großer Armut. Die alleinerziehenden Mütter sind am Ende.

Die Bemühungen, den öffentlichen Sektor neu zu strukturieren, sowie die Rationalisierung der staatlichen Verwaltung haben die Arbeitslosigkeit erhöht. Offiziellen Angaben zufolge erreicht sie 8 Prozent, doch manche Wirtschaftsexperten schätzen, daß ein Viertel der aktiven Bevölkerung ohne Arbeit ist – auch wenn es keine Möglichkeit gibt, dies genauer zu beziffern. Arbeitskräfte, die aufgrund von Entlassungen „verfügbar“ sind, erhalten über einen begrenzten Zeitraum eine festgelegte Entschädigung, anschließend werden ihnen Arbeiten in der Landwirtschaft angeboten, wo es an Arbeitskräften mangelt. Viele verweigern sich jedoch. Sie versuchen (auf legalem oder illegalem Weg) im Bereich der Schattenwirtschaft unterzukommen, wo ihnen im Falle ihres Scheiterns Verarmung droht.

„Mit dem Argument, daß sie die Errungenschaften der Revolution verteidigen sollen, verlangt man von den Leuten, darauf zu verzichten“, kommentiert ein Soziologe. Eine Forderung, die um so schlechter ankommt, als die Wiederankurbelung der Wirtschaft soziale Spannungen und große Ungleichheit erzeugt. Dabei ist diese autoritäre Entwicklungspolitik, um erfolgreich zu sein, auf die Zustimmung und aktive Beteiligung der breiten Bevölkerung angewiesen. „Es ist richtig, daß der staatliche Zentralismus sich als ein sehr effizientes Instrument erwiesen hat“, gesteht Patat ein. „Er hat die Mobilisierung und Umverteilung aller Ressourcen ermöglicht. Die Investitionen, die bisher getätigt wurden, waren alle sinnvoll, was getan wurde, ist positiv, und die Kubaner sind nicht unter das Joch des IWF geraten.“ Doch nur mit diesem Mittel werden die Bedürfnisse des Landes auf lange Sicht nicht zu befriedigen sein: Für einen Neuanfang braucht man Investitionen, dafür wiederum mittel- oder langfristige Kredite, doch es werden bereits Darlehen aufgenommen, um allein die Zinsen zu zahlen – und der Großteil der Bevölkerung spürt nicht einmal etwas von den Auswirkungen des Wachstums.

„Unter den Bedingungen, die auf Kuba herrschen, kann der staatliche Zentralismus nicht auf Dauer Wachstum und Vollbeschäftigung garantieren“, stellt ein Wirtschaftswissenschaftler fest. Wenn die Unternehmen in Zukunft rentabel sein und nach den Gesetzen des Marktes funktionieren sollen, muß man seiner Ansicht nach die Gründung kleiner und mittlerer Unternehmen zulassen und damit eine Zunahme der Lohnarbeit ermöglichen. Doch faktisch sind die soziopolitischen Umwälzungen, die durch den Aufschwung (hochbesteuerter) privater Aktivitäten ausgelöst wurden, bereits so groß, daß die Regierung vor dieser Option zurückschreckt, deren Auswirkungen destabilisierend und unpopulär sein könnten.

Wenn die zentralistische Regierung auf ökonomischer Ebene bereits autoritär ist, so ist sie es auf ideologischer und politischer Ebene erst recht. Angesichts der sozialen Krise fürchtet die Regierung, die Situation könne ihrer Kontrolle entgleiten. Jegliche Kritik, jede Ausarbeitung einer von der offiziellen Politik abweichenden Lösung werden ausgeschlossen, selbst wenn sie aus Kreisen der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) kommen. Davon zeugen die Restriktionen, die seit März 1996 gegen die Forscher eines prestigeträchtigen Instituts verhängt worden sind, dem Centro de estudios sobre América (CEA)5 . Die Wissenschaftler dieses in den akademischen Kreisen Nord- wie Lateinamerikas angesehenen Instituts, allesamt Mitglieder der Kommunistischen Partei, setzten sich kritisch mit der ökonomischen Strategie und dem politischen System des Landes auseinander: mit dem Stellenwert des Marktes und des Staates in der Wirtschaft, mit der Rolle der Gewerkschaften angesichts der Ausbreitung von halbstaatlichen Unternehmen und Freihandelszonen, mit den Möglichkeiten einer Ausweitung der Volksbeteiligung und einer Institutionalisierung der Revolution für die Zukunft. Sie hatten in der vom Forschungszentrum herausgegebenen Zeitschrift Cuadernos de Nuestra América verschiedene Beiträge zur Untersuchung der kubanischen Krise veröffentlicht, desgleichen mehrere Bücher, von denen einige inzwischen „unauffindbar“ sind. Andere Veröffentlichungen sind auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Darüber hinaus hatten sie im Februar 1996 gemeinsam mit der spanischen Fundación de investigaciones marxistas (FIM) ein Seminar zum Thema „Linke Alternativen zum Neoliberalismus“ organisiert.6

Nachdem sie auf dem fünften Plenum des Zentralkomitees im März 1996 von Raúl Castro als „fünfte Kolonne“ beschimpft worden waren, mußte das siebenköpfige Leitungsgremium des CEA sieben Monate lang die Wut einer vom Zentralkomitee ernannten Kommission über sich ergehen lassen. Nach einem langwierigen bürokratischen Verfahren wurde die Leitung aufgelöst. Die sieben Mitglieder7 wurden, da sie nicht zur Selbstkritik bereit waren, in andere Forschungszentren versetzt. „Doch wir stehen nach wie vor auf der Seite der Revolution, auch wenn wir an unseren Differenzen festhalten“, sagt einer von ihnen. De facto ist die Zeitschrift seitdem eingestellt, und das CEA ist aufgelöst.

Was, wenn Kuba zusammenbricht?

AUF Nachfrage spielen die Parteiführer die Restriktionen herunter. Ihrer Ansicht nach waren die Maßnahmen gerechtfertigt, weil die Positionen der Wissenschaftler nicht mit denen der PCC übereinstimmten, der das Forschungszentrum angegliedert war. In privaten Gesprächen hört man auch Abfälliges über die Formulierungen Raúl Castros, doch allgemein wird betont, daß die Restriktionen im Vergleich zu den erhobenen Anschuldigungen schließlich moderat ausgefallen seien. Die ehemaligen Leiter des Forschungszentrums sind der Überzeugung, daß gerade die Vielschichtigkeit ihrer kritischen Situationsanalyse (ebenso wie ihr Prestige im Ausland) das Faß zum Überlaufen gebracht haben. Man wollte gegenüber den Intellektuellen und Künstlern ein Exempel statuieren, doch deren Reaktion ist unerwartet heftig ausgefallen. Die nationale Vereinigung der kubanischen Schriftsteller und Künstler (Uneac) hat in einem nichtöffentlichen Brief an die Partei ihre Besorgnis ausgedrückt. Viele lateinamerikanische Intellektuelle haben gegen die Anschuldigungen protestiert – was sicherlich auch dazu beigetragen hat, härtere Sanktionen zu verhindern.

Hinter den Anschuldigungen von Raúl Castro steht unverkennbar die Absicht, Anfechtungen schon im Keim zu ersticken, mit dem Argument, daß eine interne Auseinandersetzung die Partei spalten und folglich die Revolution schwächen würde. Desgleichen zielt die Zensur, die den Wissenschaftlern auferlegt wurde, darauf ab, die Widersprüche in den offiziellen Verlautbarungen zu vertuschen. Denn seit dem Scheitern des sowjetischen „Vorbilds“ gelingt es nicht mehr, die sozialistischen Treuegelübde mit der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Realität auf der Insel in Einklang zu bringen. Die ideologische Normalisierung paßt nur schlecht zu der neuerlichen nationalistischen Emphase, mit der versucht wird, alle Kräfte des Landes – insbesondere die Katholiken – auf eine Verteidigung des Vaterlandes einzuschwören.

Das Verhalten gegenüber der katholischen Kirche steht denn auch im Widerspruch zu der Strenge, die man gegenüber dem CEA walten ließ. Der Empfang Fidel Castros im Vatikan am 19. November 1996 und der für Januar 1998 angekündigte Papstbesuch auf Kuba verlangen nach entsprechender Gegenleistung. Rund vierzig Priester und Nonnen aus dem Ausland sind eingetroffen, um die von den Bischöfen als unzureichend eingeschätzte seelsorgerische Präsenz zu verstärken. Diözesen geben inzwischen eigene Zeitschriften heraus und unterhalten Bildungseinrichtungen für die Bevölkerung, in denen die gesellschaftlichen Probleme im Licht der kirchlichen Soziallehre zur Sprache kommen.

Die kürzlich gegründete Katholische kubanische Pressevereinigung ist ein Zusammenschluß von Redakteuren der verschiedenen katholischen Publikationen des Landes. Ihr Sekretariat setzt sich aus den Herausgebern dreier Zeitschriften zusammen: Amanecer (Diözese Santa Clara), Palabra Nueva (Diözese Havanna), hinter der Bischof Carlos Manuel de Céspedes steht, und Vitral (Diözese Pinar del Rio). Kaum an die Kirchengemeinden verteilt, sind die 7000 Exemplare von Palabra Nueva auch schon vergriffen. In Vitral wird das Verhältnis von Zivilgesellschaft und Staat debattiert – seit dem Zusammenbruch des Realsozialismus ein Modethema in den tertulias8 der Hauptstadt. Auch kann man in den Spalten dieses Blattes eine recht zutreffende kritische Analyse über die Krise des kubanischen Sozialismus finden.9

Die anderen dringenden Forderungen der Kirche – Zugang zu den Medien und Religionsunterricht – glaubt man offensichtlich nicht sofort erfüllen zu müssen. Nach einigem Hin und Her hat die Regierung zugestimmt, daß ein Teil der humanitären Hilfe aus Europa durch die Caritas in den Kirchengemeinden verteilt wird. Damit wird gleichzeitig der Katholizismus aufgewertet, der sich gegenüber den afrokubanischen Religionen in der Minderheit befindet und obendrein noch mit dem Boom der protestantischen Kirchen konfrontiert ist.

In seinem Bemühen um internationale Anerkennung hat Fidel Castro schließlich einen Papstbesuch akzeptiert, der lange hinausgezögert worden war. Nach Ansicht von Bischof Carlos Manuel de Céspedes kann die Kirche durchaus zu einer internationalen Aufwertung des Regimes beitragen. Sie sieht sich in der Rolle einer Vermittlerin, die zur „nationalen Versöhnung“ beiträgt – dank ihrer Beziehungen zu den nordamerikanischen Bischöfen, die mit Ausnahme einiger Prälaten aus Miami das Embargo entschieden kritisiert haben.

Einige Bischöfe betonen immer wieder, wie desillusioniert Johannes Paul II. angesichts der Entwicklung in Polen und in den Ländern Osteuropas sei, und sie heben seine Kritik an Korruption und Drogenhandel, an dem zunehmenden Verfall der Sitten und der Auflösung der Familie sowie seine Verurteilung des ultraliberalen Wirtschaftsmodells hervor. Demgegenüber betonen sie das Interesse des Papstes an Kuba, seinen Wunsch, dort am Dialog mitzuwirken und – nach den Worten von Bischof Tauran, dem Außenminister des Vatikans – dazu beizutragen, „daß zwischen der Kirche und dem kubanischen Staat ein Klima der Religionsfreiheit und des Vertrauens entsteht“.

Nach der Vorstellung der Parteiführer könnte eine wiedererstarkte Kirche dabei helfen, soziale Spannungen aufzufangen. Voy a ver un babalao para que me cambie la vida10 , singt die Gruppe Palmas y Cañas im kubanischen Fernsehen. Angesichts der Enttäuschungen und der durch die Krise hervorgerufenen Unsicherheit „kann die Religion eine brauchbare Ersatzlösung sein. Die revolutionäre Gesellschaft ist ein Gemeinschaftsprojekt, in dem alle, die guten Willens sind, die Möglichkeit und die Pflicht haben, sich zu äußern“, mit diesen Worten schließt ein Artikel in der Zeitschrift des Zentralkomitees der PCC.11

Die kubanische Kirche schätzt, daß es zu Lebzeiten des máximo lider keine tiefgreifenden Veränderungen geben wird. Aus Furcht vor dem Chaos und der Gewalt, die die Rückkehr der Exilanten mit sich bringen könnte, plant sie langfristig und handelt für die Zukunft ihre Autonomie aus. Die Dissidenten aus dem Landesinneren hält Bischof Manuel de Céspedes für nur bedingt glaubwürdig. Von 140 Unterzeichnern des Concilio cubano12 hatten im Juni 1996 bereits 101 Personen ein Ausreisevisum für die USA beantragt.

Was die Streitkräfte angeht, so hebt Bischof Céspedes hervor, daß ihr Einsatz in der Produktion sie seit ihrer Rückkehr aus Angola bei der Bevölkerung beliebter gemacht hat. Die von Raúl Castro geschickt eingeleitete Demobilisierung hat die Eingliederung zahlreicher Militärs in die Landwirtschaft ermöglicht, wo sie häufiger mit der Machete hantieren als mit dem Gewehr. Und oft sind es Offiziere, die die halbstaatlichen Unternehmen leiten.

Natürlich erhoffen sich die katholischen Würdenträger Veränderungen – allerdings ohne Destabilisierung. „Was würden denn die Amerikaner machen, wenn Kuba zusammenbricht?“ fragt Bischof Céspedes. „Pobrecitos!“

dt. Miriam Lang

* Forscherin am Centre de recherches sur l‘Amérique latine et les Caraibes (Crealc) in Aix-en-Provence, Autorin des Buches „Ruptures à Cuba“, Montreuil (Brèche-PEC), 1992.

Fußnoten: 1 Nach dem Namen der Familie Bacardi, die sich mit der Produktion kubanischen Rums einen Namen gemacht hatte. 1959 wurden ihre Besitztümer und Fabriken durch das Castro-Regime verstaatlicht; die dortigen Produkte werden heute unter der Markenbezeichnung „Havana Club“ von Pernod-Ricard vertrieben. 2 Das Gesetz erlaubt es dem US-Präsidenten, den Paragraphen III alle sechs Monate unter bestimmten Bedingungen außer Kraft zu setzen. 3 Es handelt sich um eine Anti-Boykott-Verordnung, die Strafen gegen US-amerikanische Firmen verhängt. 4 1995 belief sich die humanitäre und wirtschaftliche Hilfe der EU auf 30 Millionen Ecu, von denen 26 Millionen auf die humanitäre Hilfe entfielen. 1996 belief sich diese Hilfe nur noch auf 18,7 Millionen Ecu, davon 15 Millionen für humanitäre Zwecke. 5 Janette Habel, „Kuba in der Stunde der großen Reformen“, Le Monde diplomatique, November 1995. 6 Vgl. Alternativas de izquierda al neoliberalismo, FIM, Madrid 1996. 7 Aurelio Alonso, Julio Carranza, Haroldo Dilla, Rafael Hernández, Pedro Monreal, Luis Suárez, Juan Valdés. Auch andere Forscher wie Fernando Martinez Heredia haben ihre Versetzung beantragt. 8 tertulia: Informeller Diskussionszirkel. 9 Siehe José Antonio Quintana de la Cruz, „Sociedad civil, revolución y socialismo“, Vitral, Nr. 14. 10 „Ich besuche einen babalao (Schamane in afrokubanischen Kulten), damit er mein Leben verändere.“ 11 Juana Berges, „Las buenas voluntades pueden y deben sentirse“, Cuba socialista, Nr. 1. 12 Zusammenschluß von Dissidenten, deren landesweites Treffen im Februar 1996 verboten wurde.

Le Monde diplomatique vom 14.02.1997, von JANETTE HABEL