14.02.1997

Schafft zwei, drei, viele Belgien!

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Schafft zwei, drei, viele Belgien!

MIT dem Manifest „Choisir l'avenir“ (Entscheidung für die Zukunft) sind jüngst in Belgien vier Intellektuelle an die Öffentlichkeit getreten. Sie wenden sich dabei bewußt an den Norden wie an den Süden des Bundesstaates und stellen drei Optionen zur Debatte: erstens den Erhalt des derzeitigen Bundesstaates, zweitens eine Konföderation nach flämischen Vorstellungen, drittens die separatistische Lösung. Rund hundert Wissenschaftler der verschiedenen frankophonen Universitäten haben das Manifest mitunterzeichnet – ein seltenes Ereignis im öffentlichen Leben Belgiens. Zwei Jahre vor dem entscheidenden Termin 1999 ist die Debatte über die Zukunft Belgiens in ein neues Stadium getreten: die Revue générale widmete ihr das Januar-Heft, und im März erscheint ein Buch zum Manifest.

Von BERNARD REMICHE *

Der belgische Historiker Henri Pirenne beginnt seine „Histoire de la Belgique des origines à nos jours“1 mit einer Einschränkung: „Alle Triebkräfte, mit denen man die Entstehung eines Staates begründet, sind hier nicht vorhanden. Vergeblich wird man nach einer geographischen, einer ethnischen oder einer politischen Einheit suchen. Belgien ist eine Region ohne natürliche Grenzen, in der zwei Sprachen gesprochen werden und die sich seit dem Vertrag von Verdun zwischen Frankreich und Deutschland erstreckt. (...) Seit dem 10. Jahrhundert war dieses Land in meist zweisprachige Fürstentümer aufgesplittert. Zur weiteren Verwirrung trug die Aufteilung der kirchlichen und politischen Verwaltungsbezirke bei, die niemals deckungsgleich waren, so daß ein Landstrich ohne Rücksicht auf die Identität seiner Bewohner dem germanischen Erzbistum Köln, ein anderer dem romanischen Erzbistum Reims zugeschlagen wurde.“

Das erklärt in knappen Worten die politische Situation im heutigen Belgien. Dieser Staat entstand 1830/31 als „Betriebsunfall der Geschichte“, aus der Abspaltung der südlichen Provinzen der Niederlande. Oder, wie es der ehemalige belgische Minister Lucien Outers ausdrückte: „Holländer wollten wir nicht sein, Franzosen ließ man uns nicht werden, da sind wir eben Belgier geworden.“2

Im 19. Jahrhundert wurde das Land im Norden wie im Süden von einem frankophonen Bürgertum beherrscht. Gleichwohl war man bestrebt, in der gesamten Bevölkerung ein Einheitsgefühl zu verbreiten. Erst in unserem Jahrhundert vollzog sich im Gefolge der flämischen kulturellen Emanzipationsbewegung und der föderalistischen Vorstellungen, wie sie in den Streiks im Winter 1960/61 in einem Teil Walloniens laut wurden, die Umwandlung Belgiens von einem zentralistischen Einheitsstaat zu einem föderativen Staatsgebilde. Heute fragt man sich, ob die jüngste Reform von 1993 der Endpunkt ist (wie dies die Mehrheit der Frankophonen hofft, die im Parlament für die Reform gestimmt haben) oder lediglich eine Etappe, wie es die Mehrheit der Flamen sieht.

Zwar sind die Vorstellungen über das Konföderationsmodell der Flamen noch sehr unpräzise, doch im Endeffekt laufen sie auf den Austritt aus dem belgischen Bundesstaat hinaus, wobei man nur einige gemeinsame Strukturen erhalten will, die den Flamen Einfluß und Mitspracherechte in der besonderen Region Brüssel erhalten. Sozialversicherungswesen, Außenhandel, Entwicklungshilfe, Wissenschaftspolitik, Schienenverkehr wie auch Telekommunikation sollen der Zentralregierung entzogen werden. Zudem soll das Modell die Steuerhoheit der Regionen stärken, während die Sprachprivilegien der Frankophonen in den Gemeinden mit Sonderstatus abgeschafft werden sollen. Darüber hinaus hat das flämische Parlament im Sommer gefordert, die Zahl der belgischen Stimmen im Europarat zu splitten, so daß Flandern mit drei und die frankophonen Gebiete mit zwei Stimmen vertreten wären.

Im Auftrag der flämischen Regierung arbeitet das Regionalparlament seit März an einem Forderungskatalog, der eine homogene Gemeinschaft der Flamen absichern und die Befugnisse der Zentralregierung abbauen soll.

Aber neben all diesen weitreichenden Autonomiebestrebungen geht es auch darum, einen Rest an gemeinsamer Kompetenz für den Bundesstaat zu definieren. Justiz, Außenpolitik oder Verteidigung sind Bereiche, in denen eine gemeinsame föderalistische Struktur durchaus gerechtfertigt erscheint. Im Manifest „Entscheidung für die Zukunft“ heißt es allerdings: „Das Kriterium der funktionalen Notwendigkeit reicht allein nicht aus, um Völker zusammenzuschließen, wenn sie nicht von einem gemeinsamen politischen Willen und gemeinsamen Zielen getragen sind. (...) Wenn man eine Trennung der Sozialversicherung und eine ,Regionalisierung‘ des öffentlichen Verkehrs ins Auge faßt, warum sollte dann das Justizwesen ein zwingendes gemeinsames Interesse bleiben, zumal allgemein bekannt ist, wie sehr die Meinungen im Norden und Süden in der Frage der Amnestie oder der weichen Drogen auseinanderklaffen? Wie sollte sich in einer Konföderation spontan eine einheitliche Vorstellung über die Afrika- oder Europapolitik herstellen, (...) wenn schon im bestehenden Bundesstaat der Konsens über solche Fragen nur mühsam herzustellen ist?“

Eine Minderheit eingefleischte Nationalisten würde ganz auf Brüssel verzichten, um dafür Autonomie für Flandern zu erlangen und den „wallonischen Ballast“ loszuwerden. Die Mehrheit hofft noch, wenn man Brüssel schon nicht komplett „zurückerobern“ kann, könne man wenigstens seine Abhängigkeit von den Flamen verstärken, indem man die hier lebenden Flamen zu einer der am besten geschützten Minderheiten der Welt macht3 und die Hauptstadt der Aufsicht der konföderativen Ebene unterstellt, so daß sich Brüssel, im Unterschied zu den beiden anderen Regionen, nicht selbst verwalten kann.

Die „flämische Autonomiebewegung“ profitiert von einer Legitimitätskrise des Staates. Im Zuge der letzten Reform haben die Regionen Parlamente erhalten, die durch allgemeine Wahlen zustandekommen und denen die regionalen Regierungen rechenschaftspflichtig sind. Diese neue, von der Bevölkerung legitimierte Macht wird in Wallonien als Ergänzung zum Bundesstaat gesehen, dagegen in Flandern häufig als dessen Gegenspieler verstanden. Was würde also bei einem Konflikt zwischen beiden Ebenen geschehen? Würde dann nicht die Überzeugung von der Legitimität der flämischen Nation über das föderalistische System triumphieren, das man als Frucht einer binationalen Koexistenz empfindet?

Der Nationalismus hat in Flandern eine lange Tradition; er regte sich erstmals bereits vor mehr als 150 Jahren. Doch inzwischen hat er sich gewandelt: War er früher defensiv, aus einer realen Unterdrückung der Flamen innerhalb des belgischen Staates entsprungen, so entwickelte er sich in den letzten Jahrzehnten zu einem Nationalismus der Betuchten, dem Ausdruck eines reichen, dominanten Flandern – nach dem Vorbild der italienischen Lega Lombarda. Als die flämischen Politiker vor einigen Jahren den einhelligen Schlachtruf „Keinen flämischen Franc für die wallonische Hüttenindustrie!“ erhoben, demonstrierten sie damit nur die Engstirnigkeit ihres Nationalismus: Schließlich war die flämische Hüttenindustrie wie die gesamte Industrialisierung Flanderns nur möglich dank des einstigen wallonischen Reichtums. Und wenn die Flamen heute aus der Sozialversicherung aussteigen wollen, vergessen sie, daß zu Beginn der fünfziger Jahre mehr als 85 Prozent der Arbeitslosen Flamen waren, während der überwiegende Teil der Leistungen aus Wallonien stammte.

„Die nationale Bewegung der Flamen kann nur überleben, wenn sie stets neue Forderungen aufstellt“, hieß es bereits 1966 in einer vertraulichen Note der Sozial-christlichen Partei (PSC). Sie sei „total in dem Sinne, daß kein Bereich des intellektuellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens in den programmatischen Zielen ausgespart bleibt. Sie entspringt der Überzeugung, daß das Vaterland kein anderes als Flandern ist.“ Nicht jeder Flame, vor allem unter den Jugendlichen, läßt sich von diesem Nationalismus blenden. Aber sieht man von Umfrageergebnissen und vereinzelten Bekundungen ab, ist bislang keine ernstzunehmende und geschlossene Gegenbewegung auszumachen. Das ist genau der Punkt, an dem sich die Frage nach der Zukunft Belgiens stellt.

Wie reagieren die Frankophonen auf die Bestrebungen der Flamen, Flandern quasi zu einem eigenen Staat zu machen? Seit Beginn des Reformprozesses in den sechziger Jahren hat sich die Haltung der frankophonen Parteien geändert. Anfangs reagierten die traditionellen Gruppierungen auf die nur als „Sprachforderungen“ wahrgenommenen flämischen Bestrebungen mit Zugeständnissen: Um eine Vereinbarung zu ermöglichen, die als endgültig dargestellt wurde, verzichtete man auf Prinzipien und Regeln, an denen man eigentlich hatte festhalten wollen.4 Der geschlossen auftretenden flämischen Bewegung standen damals disparate frankophone Kräfte gegenüber, die lediglich das „(reiche) Belgien ihrer Vorväter“ erhalten wollten.

Bei den Verhandlungen über das Abkommen von Egmont im Jahre 1977 diskutierte man erstmals von Gemeinschaft zu Gemeinschaft: das Ergebnis war am Ende die umfassende Vereinbarung über eine tiefgreifende Reform des Staates. Doch deren Realisierung wurde bedauerlicherweise im Oktober 1978 vom damaligen Premierminister Leo Tindemans unter dem Druck radikaler flämischer Kreise und mit Zustimmung König Baudouins verhindert. Damit war die letzte Chance auf eine ausgewogene Lösung zwischen den beiden Kräften in Belgien vertan.

Seither folgte eine Reform auf die andere; die Flamen kamen mit immer neuen Forderungen, denen die Frankophonen angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Situation in Wallonien nur defensiv begegnen konnten. Aus Angst vor der Zukunft gaben sie einem Großteil der flämischen Ansprüche nach, verteidigten jedoch den Erhalt der Regionen Wallonien und Brüssel und beharrten auf dem sprachlichen Sonderstatus für die Gemeinden entlang der Sprachgrenze.

Wie wird es weitergehen? Der entscheidende Termin ist 1999. Das Jahr, in dem die Europäische Währungsunion (auch für Belgien) in Kraft tritt, bringt dreifache Wahlen: auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene. Im selben Jahr tritt auch das Gesetz über die Finanzierung der Gemeinschaften und Regionen in Kraft.

Das Verhältniswahlrecht und das Fehlen national agierender Parteien werden unvermeidlich dazu führen, daß die Regierungsbildung zur Verhandlungssache zwischen dem Norden und dem Süden des Landes wird. Und vermutlich wird das gemeinsame programmatische Auftreten der flämischen Gruppierungen dazu führen, daß der Bundesstaat immer mehr von seinen Kompetenzen einbüßt. In den Augen der frankophonen Parteien sind jedoch folgende Forderungen nicht akzeptabel: Trennung der Sozialversicherung, haushaltspolitische Unabhängigkeit, Einschränkung der Rechte der Französischsprachigen in den Randgebieten sowie ein Ausbau der Vorteile für die flämische Minderheit in Brüssel. Folglich werden die Frankophonen diese Forderungen entweder rundweg ablehnen oder aber ihrerseits Forderungen erheben, die für die Flamen tabu sind, zum Beispiel den Verlauf der Sprachgrenze neu festzusetzen.

Schrei vom Nordostkap

DIE Situation scheint verfahren, es sei denn, die Mehrheit der Frankophonen sähe sich so sehr unter Druck, daß sie auf die flämischen Vorstellungen von einer Konföderation einschwenken würde. Wenn dagegen die flämischen Parteien auf hartnäckige frankophone Verhandlungspartner stoßen, könnten sie sich vielleicht zu Verhandlungen über eine verbesserte Organisation der bundesstaatlichen Ebene bereitfinden, ohne sich damit auf ein Autonomie-Modell einzulassen, das diese zentrale Ebene insgesamt gefährden würde.

Wie aber sähe eine Abspaltung Flanderns aus? Sollten die Frankophonen die von den flämischen Parteien geforderten Reformen ablehnen, könnte daran die Regierungsbildung in Belgien scheitern. Bestärkt durch ihre demokratische Legitimierung könnten dann die rasch gebildete flämische Regierung sowie das flämische Parlament Schritte unternehmen, die der belgischen Verfassung widersprechen beziehungsweise einen Verfassungsbruch darstellen. Es sind nicht die unbedeutendsten Vertreter der flämischen Elite, die eine solche Möglichkeit bereits ins Auge fassen. Dann käme es allerdings zu einer Volksabstimmung, in der die flämische, die französischsprachige und die deutschsprachige Bevölkerung über ihre zukünftige Verfassungsstruktur abstimmen könnten. Doch direkte Demokratie gilt in der politischen Kultur Belgiens als suspekt. Folglich würde eine Volksabstimmung wahrscheinlich abgelehnt. Und damit wäre der Weg frei zu Verhandlungen über die Modalitäten einer Abspaltung Flanderns.

„Im Falle einer Abspaltung Flanderns“, heißt es in dem Manifest, „kann die französischsprachige Bevölkerung in Brüssel und in Wallonien ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Beide Regionen können dann in einem Referendum über ihre Zukunft entscheiden: Entweder sie trennen sich, oder sie bilden gemeinsam eine Konföderation oder eine Föderation (die Rückkehr zu einem Einheitsstaat ist unwahrscheinlich). Ein föderatives Staatsgebilde würde ihnen die Möglichkeit bieten, Solidarität zu demonstrieren ohne Autonomie einzubüßen.“5 „Rest- Belgien“ würde dann zum Bundesstaat Wallonien-Brüssel.

Sollte das Land in dieser Weise auseinanderbrechen, zöge dies unweigerlich eine Überprüfung der derzeit gültigen innerstaatlichen Regionalgrenzen nach sich. In dem Maße nämlich, in dem sie zu Staatsgrenzen werden, bedürften sie – den Vorstellungen eines demokratischen Systems gemäß – einer Einbeziehung der betroffenen Bevölkerung. Zahlreiche Gemeinden an der Peripherie von Brüssel und entlang der Sprachgrenze würden sich zweifellos für den Bundesstaat Wallonien-Brüssel entscheiden.6 Bleibt zu hoffen, daß sich die Europäische Union, auch wenn sie sich nicht in die Krise in Belgien einmischen sollte, im Falle einer Sezession darüber wacht, daß die Entscheidung der Menschen in den Grenzgebieten respektiert und die Minderheiten, wo auch immer sie leben, geschützt werden.

Für die Zukunft dieses neuen Belgien existieren mehrere Optionen. Sie reichen vom Erhalt eines solchen Zwei-Regionen- Staates Wallonien-Brüssel innerhalb der bestehenden Grenzen über eine Konföderation mit dem Großherzogtum Luxemburg bis hin zu einem Anschluß an Frankreich. Das frankophone Belgien wird sich natürlicherweise eher an jenes Land annähern, mit dem es nicht nur die Sprache, sondern auch die Kultur und zahlreiche Werte teilt. So könnte eines Tages Frankreich jenen „Schrei vom nordnordöstlichsten Kap Frankreichs“7 vernehmen, von dem der Dichter Marcel Thiry sprach. Zwar fassen derzeit nur sehr wenige frankophone Belgier eine Anbindung an Frankreich ins Auge, und man kann sich kaum vorstellen, daß die Provinzen zu französischen Departements werden. Doch mit der Zeit könnte eine solche Idee in Form eines Sonderstatus für die Regionen an Boden gewinnen.

Eine Sezession Flanderns und ein Untergang des belgischen Staates – das klingt eher nach einem Katastrophenszenario. Dabei erscheint manchen der jüngste „weiße Marsch“ vom Oktober 1996, der Flamen ebenso wie Frankophone mobilisierte, als Beweis dafür, daß Belgien noch eine lange Zukunft vor sich hat. Die aktuelle Volksbewegung könnte bewirken, daß sich die Öffentlichkeit von der Idee der Auflösung des belgischen Staates abwendet. Voraussetzung dafür wäre, daß Flandern seine Präferenz für ein Belgien zweier Nationen unmißverständlich zum Ausdruck bringt. Dazu müßte es der Versuchung widerstehen, das wirtschaftlich bedrängte Wallonien fallen zu lassen, und zugleich bedenken, daß in Brüssel eine frankophone Mehrheit herrscht. Wird die historische flämische Bewegung zugleich mit diesem Jahrhundert ein Ende finden? „Leider kann man einen fahrenden Zug nicht aufhalten“, erklärte Vincent Henderick vor kurzem in La Libre Belgique8 ...

dt. Erika Mursa

* Professor an der Juristischen Fakultät der Universität Löwen, Generalsekretär der Internationalen Vereinigung für Wirtschaftsrecht.

Fußnoten: 1 Henri Pirenne, „Histoire de la Belgique des origines à nos jours“, Brüssel (La Renaissance du livre) 1972. 2 Lucien Outers, „Le Divorce belge“, Paris (Editions de Minuit) 1968. 3 Dank der Maßnahmen zum Schutz der flämischen Minderheit in Brüssel (sie stellt 10 von 75 Abgeordneten im Regionalparlament) ist ein flämischer Abgeordneter in einer Person parlamentarische Gruppe, Vorsitzender der Gruppe und Regionalminister; er verfügt bei vielen Entscheidungen über ein Vetorecht. 4 Dies betraf die freie Wahl der Sprache, die Entscheidungsmöglichkeit der Bevölkerung, zu welcher Region sie gehören wollen u .a. m. 5 Den Traum, daß Brüssel den Status einer freien und europäischen Stadt erhält, weist das Manifest „Entscheidung für die Zukunft“ zurück: „die Idee eines ,europäischen‘ Status für Brüssel stellt die Beziehung zwischen der Gastgeberstadt Brüssel und den Gast-Institutionen völlig auf den Kopf. Anstatt daß das Gastgeberland den Gast-Institutionen Privilegien und Immunität gewährt und ihnen eine öffentliche und städtische Infrastruktur zur Verfügung stellt, würde in Umkehrung der Verhältnisse von den Gast-Institutionen erwartet, daß diese die Oberherrschaft sowie die Finanzierung der Brüsseler Region übernähmen. Dies käme wohl eher einer Aufforderung an die Kommission und den Europarat gleich, sich einen anderen Standort zu suchen, denn eine solche Aufgabe kann sich kein Mitgliedsland wünschen.“ Die Idee eines völlig unabhängigen Staates Brüssel ist ihrerseits gänzlich ein Hirngespinst. 6 Immerhin stellen die frankophonen „Minderheiten“ in den Gemeinden mit Sonderstatus in der Brüsseler Peripherie in fünf von sechs Kommunen mehr als 55 Prozent der Einwohner, in manchen liegen sie sogar bei mehr als 70 Prozent. 7 Marcel Thiry, „Lettre du cap“, gefolgt von „D'autres tons“, Brüssel (Éditions André De Rache) 1977. 8 La Libre Belgique, Brüssel, 6. Januar 1997

Le Monde diplomatique vom 14.02.1997, von BERNARD REMICHE