14.02.1997

PRIVATE RATING-AGENTUREN EVALUIEREN DIE STAATEN DER GANZEN WELT

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PRIVATE RATING-AGENTUREN EVALUIEREN DIE STAATEN DER GANZEN WELT

■ Liberale Musterknaben und designierte Sitzenbleiber

WEIL auch in der internationalen Finanzwelt der Horror vacui ein ehernes Gesetz ist, konnten einige private Rating-Agenturen in das gegenwärtig von den Staaten ermöglichte Machtvakuum aufrücken. Begünstigt durch eine unaufhörlich wachsende Flut von Neuerungen, bewerten sie die Kreditwürdigkeit aller Marktteilnehmer, sowohl der Unternehmen wie auch der Staaten. Eine schlechte Zensur kann teuer werden, über eine gute läßt sich verhandeln... Aber dies ist kein unabwendbares Verhängnis: Wirtschaftswissenschaftler zeigen Mittel und Wege, wie die Staaten ihre Autonomie zurückgewinnen können und wie man Sand ins Räderwerk der Finanzwelt streuen könnte. Doch ihre Vorschläge treffen auf eine Mauer des Schweigens.

Von IBRAHIM WARDE *

„Der Kalte Krieg ist zu Ende, und es gibt zwei Supermächte: die Vereinigten Staaten und die Agentur Moody's.“ Thomas Friedman schreibt in der New York Times die Leitartikel zum Thema Außenpolitik. Seinen Satz erläutert er so: Die Vereinigten Staaten können einen Gegner mit militärischen Mitteln vernichten, Moody's, die Agentur zur Bewertung von Kreditwürdigkeit, kann einem Land finanziell die Luft abschnüren, indem sie ihm eine „schlechte Zensur“ ausstellt.

Vor gar nicht langer Zeit beschränkte sich die Macht der Rating-Agenturen noch auf den Bereich der Unternehmen und der Gebietskörperschaften, bei denen sie die Wertpapieremissionen bewerteten. Die Noten zwischen AAA und D ergeben sich aus einer Analyse der Zahlungsfähigkeit des Kreditnehmers. Das magische, weil selten vergebene dreifache A erhalten nur die Kreditnehmer, deren Zahlungssicherheit über jeden Zweifel erhaben ist. Je geringer die Wahrscheinlichkeit für eine Rückzahlung, desto schlechter die Benotung. Das dreifache B entspricht der Note „ausreichend“ und bedeutet, daß man gerade noch zu der Kategorie investment grade gehört: Ein vorsichtiger Investor kann dieses Risiko noch eingehen. Alles, was darunter liegt, gehört in die Kategorie speculative grade; sie empfiehlt sich nur für waghalsige Investoren, die bereit sind, ein höheres Risiko in Erwartung einer erhöhten Rendite einzugehen. Die Note D für nicht getilgte Schuldverschreibungen (Obligationen) stellt in diesem Bewertungssystem den finanzpolitischen Nullpunkt dar.

Mit einer guten Zensur kann man die billigsten Kredite bekommen. Je schlechter die Zensur, um so höher die Zinssätze, weil Investoren dann eine Risikoprämie verlangen. Schlecht oder überhaupt nicht benotete Obligationen werden als „verdorbene“ Obligationen (junk bonds) bezeichnet, auch wenn ihre Anbieter lieber von „hoch rentablen Obligationen“ (high yield bonds) sprechen. Die Bewertungsprozedur ist genau festgelegt: Der Kunde legt seine Unterlagen vor, dann kommt ein Team von Prüfern, geht seine Konten Punkt für Punkt durch und erstellt einen internen Bericht für das Komitee, das die Note festlegt.

Für bestimmte Arten von Unternehmen ist ein gutes rating lebenswichtig. Eine Bank mit einer schlechten Zensur steht automatisch schlechter da als ihre besser benoteten Konkurrenten, die Kapital zu günstigeren Konditionen bekommen. Das gleiche gilt für eine Versicherung; sofern nämlich die Zensur die Fähigkeit des Unternehmens beziffert, seinen Verpflichtungen gegenüber den Kunden nachzukommen, kann jede Herabstufung das Mißtrauen der Kunden wecken und sich negativ auf den Umsatz auswirken.

Bei den Rating-Agenturen handelt es sich zwar um private Einrichtungen, sie werden aber vom Staat lizenziert und können die Regeln des Finanzpokers bestimmen. Denn zum einen legen die meisten Emittenten Wert auf eine gute Note, zum anderen müssen bestimmte institutionelle Anleger (Versicherungen, Pensionsfonds, Sparkassen) den größten Teil oder sogar die Gesamtheit ihres Kapitals in gut benoteten Wertpapieren anlegen. Darüber hinaus unterliegen Finanzinstitutionen, die gute Noten erhalten haben, oft weniger strengen Reglementierungen. In den Vereinigten Staaten hat die sogenannte „Börsenpolizei“ Securities and Exchange Commission (SEC) sechs Agenturen zugelassen (Standard and Poor's, Moody's, Fitch Investors Services, Duff and Phelps, Thomas Bank Watch, IBCA).1

„Geschenke“ für eine gute Zensur

JEDE Regierung, die hinsichtlich ihrer Finanzplanung von den internationalen Märkten abhängt, ist den Bewertungsagenturen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. So kann es einem Land passieren, daß es von einem Tag auf den anderen schlechter benotet oder „unter Beobachtung“ gestellt wird, was eine eventuelle Rückstufung vorwegnimmt. Auf solche „Warnungen“ erfolgt oft ein politischer Kurswechsel, um die finanziellen Sanktionen der „Märkte“ abzuwenden. Wie nervöse Pennäler lauern die Regierungen auf die Stimmungsschwankungen der Agenturen. Bloße Pressegerüchte von einer möglichen Rückstufung lösten in den letzten Wochen in Argentinien wie in Israel starke Einbrüche an den Börsen und erheblichen politischen Wirbel aus. Zahlreiche Länder machen geltend, daß Praktiken, die außerhalb der angelsächsischen Länder gang und gäbe sind, bei der Bewertung nicht berücksichtigt werden. Dies gilt zum Beispiel für die „Solidarität der Heimat“: In vielen Ländern werden bestimmte Unternehmen, wie zum Beispiel Banken, von ihren Konkurrenten vor dem Konkurs bewahrt. Das gleiche gilt für privilegierte Beziehungen zwischen dem Staat und den öffentlichen Unternehmen: Als die staatlichen Banken in China und die mit ihnen kooperierenden Banken in Hongkong von Moody's zurückgestuft wurden, hat ein Regierungssprecher der Agentur vorgeworfen, entweder „die gegenwärtige Lage in China nicht zu kennen“ oder „Tatsachen absichtlich zu verdrehen“8 .

Die Zahl der benoteten Länder ist 1996 gestiegen, wobei die Bewertungen nicht immer frei von politischen Erwägungen waren. So sind angesichts der von Rußland ausgehenden Unsicherheit die – seit langem erwarteten – Noten für das Land besser ausgefallen, als man vorausgesehen hatte: Ba2 (Moody's) und BB (Standard and Poor's). Zum Vergleich haben Slowenien, die Slowakei, Polen, Ungarn und Tschechien Noten erhalten, die sie in die Kategorie investment grade (Baa3/ BBB und besser) aufrücken lassen, während sich Rumänien, Kasachstan und Litauen in der Kategorie speculative grade (Ba1/BB+ und schlechter) wiederfanden. Anläßlich seiner großen Rückkehr auf den Markt für Staatsobligationen hatte Moskau zwar weitere Reformen und die Rückzahlung seiner letzten Anleihe versprochen, die immerhin noch aus dem Jahre 1917 stammt, aber man kann davon ausgehen, daß die Benotung mit den verschiedenen „Geschenken“ zusammenhing, die westliche Regierungen Boris Jelzin vor und nach seiner Wiederwahl gemacht hatten.9

Die andere Note, auf deren Verkündigung eine längere Zeit der Spannung folgte, war die für Ägypten. Nachdem Moody's angekündigt hatte, daß es die Publikation einer unangeforderten Note vorbereite, beschloß die ägyptische Regierung im September 1996, selbst eine Benotung zu beantragen. Gleichzeitig gab sie bekannt, daß sie nicht die Absicht gehabt habe, Staatsobligationen auszugeben. Die ägyptische Regierung sicherte sich die Dienste der Investmentbanken Goldman Sachs und EFG Hermes, die ihr einen forcierten Intensivkurs verpaßten, und bemühte sich, hinsichtlich der Strukturanpassungen den Forderungen des Internationalen Währungsfonds nachzukommen. Ägypten erhielt schließlich die Note Ba2 und stand damit auf einer Stufe mit Ländern wie Mexiko oder Venezuela und eine Stufe über anderen Schwellenländern wie der Türkei, Brasilien oder Jordanien, aber immer noch hinter Israel, Tunesien oder Bahrain. Nach Ansicht von Wirtschaftsminister Jussuf Butros Ghali ist das „besser als gar keine Note, auch wenn es nicht die Stärke oder das Potential der ägyptischen Wirtschaft widerspiegelt. Ich hoffe, daß man das in den Noten berücksichtigen wird, die wir künftig von anderen Bewertungsagenturen erhalten werden.“10

Die Bewertungsagenturen sind bei denen, die sie beurteilen, sehr auf Transparenz bedacht, sie selbst aber bleiben viel lieber im dunkeln. Ihre unermeßliche Macht und der Mißbrauch, den sie mit ihr treiben, machen eine strengere Kontrolle ihrer Praktiken oder zumindest die Verabschiedung eines Berufskodex nötig. Entsprechende Initiativen werden zwar erwogen, aber an ihrem Erfolg kann man berechtigterweise zweifeln. Faktisch können die Agenturen nur von den Regierungen kontrolliert werden – von denen also, die selbst ihrer strikten Überwachung unterliegen.

dt. Christian Voigt

* Professor an der Universität von Kalifornien in Berkeley. Mitverfasser von „Mythologies américaines“, Paris (Editions du Félin) 1996.

Fußnoten: 1 Zugelassen werden Agenturen, die als „Staatlich anerkannte Organisationen für statistische Bewertung“ (NRSRO: Nationally Recognized Statistical Rating Organizations) eingestuft werden. Fünf von ihnen kommen aus den USA, IBCA ist ein französisch-britisches Unternehmen, das auf die Bewertung von Banken spezialisiert ist. 2 Business Week, 8. April 1996. 3 Financial Times, 10. Juni 1996. 4 Ibrahim Warde, „Orange-citron, les mécomptes d'un comté“, Le Monde diplomatique, Januar 1995. 5 Ibrahim Warde, „Les assises du système bancaire détruites par la déréglementation“, Le Monde diplomatique, Januar 1991. 6 Das „Gesetz“, dem zufolge Staaten grundsätzlich ihre Schulden begleichen, trägt den Namen von Walter Wriston, dem früheren Präsidenten der Citibank. Die internationalen Großbanken haben sich seinerzeit darum gerissen, Kredite an ausländische Regierungen zu vergeben, bis Mexiko 1982 ankündigte, daß es seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen könne. 7 Richard Cantor and Frank Packer, „Determinants and Impacts of Sovereign Credit Ratings“, Economic Policy Review, Federal Reserve Bank of New York, Oktober 1996. 8 Far Eastern Economic Review, 1. August 1996. 9 The Wall Street Journal, 22. November 1996. 10 Financial Times, 23. Oktober 1996.

Le Monde diplomatique vom 14.02.1997, von IBRAHIM WARDE