Neue Wege des Lernens
WIRD man sich als gewöhnlicher Medienwissenschaftler der Tatsache bewußt, daß der Übertragungsmodus die Inhalte verwandelt, so ist der Siegeszug des Telekollegs keine beiläufige Sache. Sie geht sowohl Epistemologen an wie um Fortbildung bemühte Metzger, mit dem Unterschied, daß erstere einen Schritt zulegen müssen, um den Vorsprung der Autodidakten wettzumachen. Die sprichwörtliche Technikallergie der Intellektuellen und die französische Trägheit in Sachen „offene Universität“ sind für sich allein schon zwei Gründe, das jüngste Buch von Jaques Perriault „La Communication du savoir à distance“1 zur Pflichtlektüre zu machen, das bislang einzige Werk, das in französischer Sprache eine vollständige Bestandsaufnahme zu dieser Frage vornimmt.
Der Fernunterricht unserer Väter war – gebunden an das Monopol des geschriebenen Wortes – der Graphosphäre zuzuordnen. Das Telekolleg hingegen gehört zur Videosphäre und ist wahrscheinlich deren zukunftsträchtigster und gesellschaftlich notwendigster Sproß. Aus dem „Reserverad“ für Bildungsgehinderte ist eine öffentliche Dienstleistung in vorderster Front und von ganz neuer Art geworden, da sie eine flexible, jeweils auf Maß zuschneidbare und kontinuierlich lieferbare Pädagogik zuläßt. Die „Industrie des Wissens“ könnte den hausgestrickten Weiterbildungsversuchen neues Ansehen verschaffen. Ein interaktives Tutorensystem zeichnet sich ab, ebenso wie horizontaler Wissenstransfer und gegenseitiger Austausch. In computergestützter Variante würde der Unterricht des zweiten Bildungsweges zur erstrangigen Chance für die Bürger als neue Tauschpartner des Wissens. Wenn – und nur wenn – sich die Denkweise der Geschäftemacher bis dahin nicht dieses Werkzeugs bemächtigt, indem sie den Lernenden zum Kunden und das Medium zum Instrument des Profits macht, ist es keineswegs utopisch, darin für die republikanische Schule eine Quelle der Erneuerung und keine Ursache des Erstickens zu sehen.
RÉGIS DEBRAY