14.03.1997

Das kuriose Wettrennen der Entdecker um Patente

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Das kuriose Wettrennen der Entdecker um Patente

IM Gegensatz zur Pharmaindustrie, die von den öffentlichen Stellen genau kontrolliert und auch von der Öffentlichkeit überwacht wird, sind die Genomikfirmen niemandem Rechenschaft schuldig, und manch eine bedient sich zweifelhafter Methoden. So geriet Millenium vor drei Jahren in die Schlagzeilen1 , weil es versuchte, die DNA von Diabetikern und Übergewichtigen, die französische Familien zur Verfügung gestellt hatten, nach Boston zu transferieren. Millenium bemühte sich außerdem um ein Exklusivnutzungsrecht an dieser DNA. Der damalige Premierminister Edouard Balladur mußte eingreifen, um zu verhindern, daß Hand an dieses „nationale Erbe“ gelegt wurde. Diese Affäre führte zu zahlreichen Kommentaren in der Wissenschaftspresse und machte in gewisser Weise auch Rechtsgeschichte, da in der Folge der „Kauf“ von DNA-Banken in den Industrieländern erschwert wurde.

Deswegen wandten sich Millenium und andere start-ups, aber auch Universitätslabors, nach China, das versucht, Gentechnik zu politischen Zwecken einzusetzen. 1996 wurde dort ein eugenisches Gesetz verabschiedet, das es allen Paaren, die Genfehler haben könnten, verbietet, Kinder zu bekommen. Der Exklusivvertrag, der kürzlich von der Akademie der Wissenschaften in Peking mit der französischen Firma Genset geschlossen wurde, war übrigens Anlaß zu scharfer Kritik.2

1995 kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen Myriad und einer Londoner Forschergruppe. Diese hatte ein Gen entdeckt, das eine bestimmte Art von Brustkrebs verursacht, und ihr Forschungsergebnis in Nature veröffentlicht. Als die Forscher ihre Entdeckung patentieren lassen wollten, erlebten sie eine Überraschung: Myriad hatte kurz zuvor ein Patent für dasselbe Gen angemeldet, es aber ein wenig genauer beschrieben. Tatsächlich hatte Myriad so legal wie nur irgend möglich Zugang zu den Grobsequenzen des erforschten Chromosomenabschnitts erhalten, da diese vom – öffentlichen – Human Genome Center in Cambridge ins Internet gesetzt worden waren.

Eine einzige Indiskretion aus der Londoner Forschergruppe über die ungewöhnliche Größe eines Bestandteils dieses Gens hatte Myriad offenbar genügt, das Puzzle zusammenzusetzen und aus den Millionen veröffentlichter Nukleotidbasen jene herauszusuchen, die dem gesuchten Gen entsprachen. Dann mußte es nur noch die Genstruktur beschreiben und die wissenschaftliche Bestätigung durch die Veröffentlichung in Nature abwarten. Der doppelte Patentanspruch auf das BCRA2-Gen, der auf dem früheren Veröffentlichungszeitpunkt des britischen Teams und der früheren Patentanmeldung durch Myriad beruhte, veranlaßte die beiden Teams, sich zu einigen und das Patent gemeinsam anzumelden. Letztlich wurde die Arbeit also fast vollständig von der öffentlichen Forschung durchgeführt, der Gewinn wird jedoch nun mit der start-up- Firma geteilt.

In anderen Fällen aber geht die Konkurrenz mit der universitären Forschung für die Genomikfirmen nicht so gut aus. Im Dezember 1996 verlor Millenium den Kampf gegen ein französisch-englisch- amerikanisches Konsortium um die Entdeckung eines Diabetes-Gens auf dem Chromosom 12. Wenige Tage vor der Veröffentlichung der europäischen Arbeiten startete Millenium eine Desinformationskampagne mit einer falschen Pressekonferenz. Die Zeitschrift Nature kommentierte diese Heldentat ironisch mit der Schlagzeile „Die Geschichte der Nachricht, die keine war.“

Die Hauptgefahr im Zusammenhang mit den Genomikfirmen liegt jedoch anderswo: Sie patentieren systematisch alles, was irgendeinen Wert haben könnte. Wenn dies nicht möglich ist, halten sie ungeheure Mengen genetischer Informationen, die von Wert für die Allgemeinheit sein könnten, so lange zurück, bis günstigere Voraussetzungen für ihre Nutzbarmachung eintreten. Sie brauchen nur lauthals vorgeben, potentiell wichtige Gene „auf der Bank“ zu haben, und schon steigt ihr Börsenkurs.

Die Rechtsvorschriften, die in bester Absicht die Möglichkeit zur Patentierung von Genen einschränken, verkehren sich hier in ihr Gegenteil.4 Die Behörden hatten verhindern wollen, daß Patente auf Gene, deren Funktion noch nicht bekannt war, zu dem alleinigen Zweck angemeldet werden, einen Vorsprung zu wahren und damit bei künftigen Entdeckungen abzukassieren. Ein Forscher, der an einer seltenen und damit für die Industrie uninteressanten Krankheit arbeitet, hätte so keinerlei Aussicht, Zugang zu privaten Genombanken zu bekommen, die das verursachende Gen vielleicht enthalten.

Die Genomikfirmen führen im Patentierungsbereich ständig Neuerungen ein, um damit erklärtermaßen Präzedenzfälle zu schaffen. So meldete Genset am 21. November 1996 ein Patent an, das die potentielle Beteiligung mehrerer Chromosomenabschnitte bei Prostatakrebs betraf, und stützte sich dabei lediglich auf statistische Erhebungen. Damit wollte sie späterere Rechte auf die Patentierung von Genen herleiten, die eine Prädisposition für Prostatakrebs verursachen und eines Tages sicherlich in den patentierten Abschnitten ausfindig gemacht werden.5 Die Ansprüche von Genset sind gefährlich, denn wenn sie anerkannt werden, droht dies ganze Forschungsprogramme zu blockieren oder eine Vielzahl von Prozessen herbeizuführen, zwischen Parteien, die allesamt die Entdeckung von Genen für sich beanspruchen.

P. F. und C. S.

Fußnoten: 1 Vgl. Le Canard enchainé, 9. und 30. März 1994. 2 „Chinese deal sparks eugenic protests“, New Scientist, London, 16. November 1996. 3 „News story that wasn't“, Nature, London, 1996, Nr. 384, S. 389. 4 „Ownership and the human genome“, Nature, London, 1996, Nr. 371, S. 363-364. 5 „Biotechnologie: Genset dépose un brevet“, La Tribune, Paris, 4. Dezember 1996.

Le Monde diplomatique vom 14.03.1997, von P.F. und C.S.