14.03.1997

Marktplatz Internet

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■ Im erbitterten Konkurrenzkampf der großen Kommunikationskonzerne gibt es keine Atempause. Davon zeugt eine Vereinbarung im Bereich der Telekommunikation, die am 15. Februar 1997 in Genf von 28 L

Im erbitterten Konkurrenzkampf der großen Kommunikationskonzerne gibt es keine Atempause. Davon zeugt eine Vereinbarung im Bereich der Telekommunikation, die am 15. Februar 1997 in Genf von 28 Ländern unter der Schirmherrschaft der Welthandelsorganisation (WTO) unterzeichnet wurde. Dieses Abkommen wird insbesondere den großen amerikanischen operators Zugang zu den nationalen Märkten zahlreicher Länder verschaffen. Das französische Unternehmen Générale des eaux, das sich schon im Verlagswesen, im audiovisuellen Bereich, bei Canal +, im Kabel-TV und in den Printmedien eingekauft hat, entwickelt sich seit der Übernahme von Havas zu einem der größten Mobilfunkanbieter. Das entscheidende und weltweit mit erbitterter Härte geführte Tauziehen gilt gegenwärtig jedoch der Kontrolle über jene drei Industriesektoren – Computer, Fernsehen und Telefon – die im Internet miteinander verschmelzen. Der Konzern, der das Internet beherrscht, wird in der Kommunikationswelt von morgen tonangebend sein, mit allen Risiken, die das für die Kultur und die geistige Freiheit der Bürger mit sich bringt.

Von DAN SCHILLER *

DAS altvertraute Fernsehen gewinnt im Cyberspace an Boden. Wird dieser Annäherungs- oder Kollisionskurs dem gesamten World Wide Web (WWW) ein marktwirtschaftliches Modell aufzwingen? Und bedeutet dies unter anderem das Ende jener Interaktivität, die dem Internet in seinen Anfängen beispiellosen Erfolg und den Ruf eines revolutionären Mediums eingebracht hat? Seit einigen Monaten werden diese Fragen von zahlreichen Fachleuten diskutiert, und die renommierte amerikanische Zeitschrift Wired widmet ihnen einen aufsehenerregenden Leitartikel.1

Daß diese Annäherung stattfindet, ist völlig unbestreitbar. Die Hersteller von Fernsehgeräten und Personalcomputern suchen händeringend nach neuen Märkten. Sie sind der Auffassung, daß einerseits TV-Geräte durchaus als Internetterminals dienen können, während andererseits PCs, die auf ihren Bildschirmen Fernsehprogramme empfangen können, künftig nicht mehr nur im computerspezifischen Marktsegment, sondern auch an Normalverbraucher auf dem Markt für elektronische Geräte abgesetzt werden.

Die bevorstehende Fusion dieser Industriebereiche veranlaßt in den Vereinigten Staaten die Software-Produzenten, die Eigner von TV-Kanälen, die großen Pressekonzerne, die Filmproduzenten und Kabelkonzerne zu taktischen Manövern, mit denen sie in dem sich abzeichnenden erbitternden Konkurrenzkampf den besten Start zu erwischen versuchen.

Auf dem riesigen amerikanischen Markt konzentriert sich dieser Konkurrenzkampf auf den Bereich der Standardisierung der digitalen Fernsehgeräte. Die Softwarefirmen haben den ersten Sieg davongetragen und treffen jetzt Vorkehrungen für den – wie es ein Beobachter nennt – „Titanenkampf um die Eroberung der amerikanischen Wohnzimmer“. Die Produzenten von TV-Programmen und die Computerhersteller „wollen ein digitales Gerät entwickeln, das sämtliche Bildquellen verarbeitet“2 . Dieses homerische Duell wird sich sogar noch verstärken, insbesondere weil das Internet in Zukunft mit einer festen Infrastruktur versehen werden muß.

Vermehrt haben sich, oft über den ganzen Erdball hinweg, strategische Allianzen gebildet: Microsoft und DirecTV – eine Tochtergesellschaft der GM's Hughes Corporation, in der AT&T Minderheitsaktionär ist – haben DirecPC lanciert, das mit Hilfe eines Satelliten Fernsehsendungen auf den Computer überträgt. Der Benutzer bezahlt dafür einen Monatsbeitrag in Höhe der Gebühren für einen Kabelanschluß.3 Philips Magnavox und Sony haben Web TV auf den Markt gebracht, einen Decoder für digitale Bild- und Tonübertragungen. Time Warner und andere Großkonzerne der Kommunikationsmedien- und Kabelindustrie schließen gerade Verträge mit Decoderherstellern ab. Fernsehgeräte mit solchen Decodern sollen in Zukunft auch die Internet-Kanäle empfangen können.4

Die Online-Dienste tendieren immer mehr dazu, aus dem Internet ein eher

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passives (push-) als ein aktives (pull-)Medium zu machen. So hat die Interpublic Group, eine größere Werbeholding, einen Kooperationsvertrag mit Ifusion Com für die Entwicklung von Arrive geschlossen, einem System zur Verbreitung von Programmen über das Internet. Genau wie PointCast, Backweb Technologies und Intermind sendet dieses System über das Internet direkt auf den Computermonitor. Eine Vorauswahl von Informationsquellen wird dem Benutzer automatisch zur Verfügung gestellt, so daß er nicht mehr „in der enormen Menge der im WWW verfügbaren Informationen herumsuchen“ muß5 . In einem solchen Umfeld ist es entscheidend, die Kontrolle über die Bildschirme (von Fernsehgeräten wie von Computern) zu erlangen.

Sowohl die Firmen Netscape (die Software für die Navigation im Internet vertreibt) als auch Microsoft, das Riesenunternehmen von Bill Gates, haben es auf diese Bildschirme abgesehen, die ein Beobachter als „Plattform für den Empfang von Internet-Sendungen“6 bezeichnet. Microsoft steht kurz davor, sein Betriebssystem Windows für die Einrichtung von Active Desktop zu nutzen. Einer der über Active Desktop angebotenen Kanäle wird von PointCast betrieben, dessen Online- Dienst für die Übertragung von Nachrichten und Werbung schon 1,7 Millionen Abonnenten gewonnen hat.7 Das Wall Street Journal bezeichnet diese Initiative von Microsoft als „bedeutenden Versuch auf dem Gebiet der Erschließung neuer Anwenderkreise“. Sie ist speziell zugeschnitten auf „neue Konsumenten, die noch keine Online-Verbindung haben“8 . Die Definition dieser „neuen Konsumenten“ bleibt jedoch vage.

Intel, der weltweit größte Produzent von Halbleitern, hat das InterCast-System entwickelt, das es Computern mit Pentium-Mikroprozessoren ermöglicht, Audio- und Videosignale zu empfangen. Auf dem WWW zu surfen und gleichzeitig fernzusehen ist dank InterCast in Zukunft kein Problem mehr; zusätzlich bietet es die Möglichkeit, über ein spezielles Zusatzprogramm eine Verbindung zu Fernsehsendungen aufzubauen. Diese Initiative geht von den großen privaten Fernsehstationen aus, von NBC (General Electric), CNN (Time Warner), MTV (Viacom), und bezeichnenderweise auch von WGBH, dem öffentlichen Fernsehsender von Boston9 .

Mit der gleichen Zielsetzung ist Bob Pitman, der vor ungefähr fünfzehn Jahren MTV gegründet hat, soeben von America Online (AOL), einem der größten Internet-Provider, eingestellt worden. Er ist für „die Imagepflege des Marktführers in Sachen Cyberspace“ zuständig. Die acht Millionen Kunden der AOL sind vielleicht keine große Zahl im Vergleich zu den zigmillionen Internet-Usern, aber sie ergeben eine solide Basis, auf die sich AOL stützen kann, um den Kabelkanälen Konkurrenz zu machen. Möglicherweise ist diese Firma in der Lage, einen Weg zur Verschmelzung von TV-Publikum und Internet-Usern zu finden. Oprah Winfrey, deren Talkshow tagtäglich fünfzehn Millionen Zuschauer vor die Bildschirme lockt, hat es fertiggebracht, daß ein Teil ihres Publikums auch ihr über AOL angebotenes Programm verfolgt.11 Eine der populärsten Web Sites im WWW, „Sportszone“ vom TV Kanal ESPN, hat eine ganz ähnliche Querverbindung zwischen den beiden Medien hergestellt.

Eine nicht minder erbitterte Konkurrenz wird um die Methoden geführt, die am wirksamsten die Aufmerksamkeit der Internet-User wecken, insbesondere für die Werbespots.12 Nielsen, ein Serviceunternehmen zur Auswertung von TV-Einschaltquoten, entwickelt gerade Meßmethoden für Userquoten im Internet – ein schon heute äußerst wettbewerbsträchtiges Aufgabenfeld. Die Web Sites und die Werbefirmen nehmen zunehmend die Dienste von DoubleClick, einer Gesellschaft für Netzwerkanalysen, in Anspruch. Mittels einer Untersuchung von Verhaltensmustern im WWW erarbeitet DoubleClick eine Typologie von Internet- Usern, mit deren Hilfe sie umgehend Werbespots einspeist, die den jeweiligen Benutzerprofilen entsprechen. Seit März 1996 hat DoubleClick die Vorlieben von beinahe zehn Millionen „Internauten“ bestimmen können und schätzt, daß täglich ca. 100000 neue Profilanalysen hinzukommen. Das Internet Advertising Bureau (Vereinigung der im Internet tätigen Werbeagenturen), dessen Ziel es ist, „das eklektizistische WWW in eine Tag und Nacht funktionierende totale Marketingmaschine umzuwandeln“, möchte für diese Werbeunternehmen eine repräsentative Institution aufbauen.13

Joan Voight zufolge, einer Reporterin der AdWeek, wollen die „Werbefachleute den Inhalt von Web Pages gemeinsam mit den Medienkonzernen produzieren“. Die von den Firmen Procter & Gamble und Time Warner koproduzierte Site ParentTime zum Beispiel ist für eine interaktive Beratung der Eltern konzipiert, und um für Zeitschriften wie Parenting und Sports Illustrated for Kids zu werben, die dem Warner Konzern gehören. Procter & Gamble hat neun weitere Sites im WWW, die jeweils für eine der Marken des Konzerns spezifisch sind, Dutzende zusätzlicher Projekte sind geplant. ParentTime ist außerdem ein Pilotversuch über interaktive Programme, die auf das Interesse der von den Agenturen am heißesten umworbenen Verbraucher zielen – die Frauen.14

Die Werbefirmen unternehmen schier unglaubliche Anstrengungen, um die Frauen zur Benutzung des Internet zu bewegen. Ed Meyer, seinerzeit Generaldirektor von Grey Advertising, erläuterte: „Die entscheidende Aufgabe besteht darin, die Frauen dazu zu bewegen, die neuen Technologien anzunehmen und deren Anwendungsmöglichkeiten zu nutzen. Angesichts der Tatsache, daß 70 Prozent der herkömmlichen Werbung Frauen zur Zielgruppe hat, müssen die neuen Medien, um langfristig Erfolg zu haben, unbedingt von den Frauen akzeptiert und genutzt werden.15 Noch vor einigen Jahren waren weniger als 10 Prozent der Internet-User Frauen; seit Sommer 1996 liegt ihr Anteil bei immerhin schon 30 Prozent.16 Bezeichnenderweise ist einer der sechs von Microsoft im Internet gestarteten TV-Kanäle ein Frauenmagazin mit dem Namen „Under-Wire“.17

Allem Anschein zum Trotz wird der Freiraum, den das Internet immer noch darstellt, durch kommerzielle Zwänge zusehends eingeschränkt. Man nähert sich einem Modell, in dem sich die Interaktion von Internetbenutzern unter der Schirmherrschaft einer Produktmarke abspielt. In den von einem Warenanbieter lancierten „echtzeitlichen“ Diskussionsforen werden die „Internauten“ dazu aufgefordert, Mitteilungen über ihre alltägliche und ganz persönliche Verwendung eines bestimmten Produktes – zum Beispiel eines Make-up, eines Getränks oder eines Haushaltsgerätes – auszutauschen. Höchstwahrscheinlich werden sich andere interaktive Bereiche – Theaterstücke, Spiele oder Nachrichten – unter der Aufsicht von Werbeagenturen entwickeln, die sie dann auf jede erdenkliche Art durch Produkterwähnungen oder Werbespots unterbrechen können.

Und die absehbaren Folgen: Einerseits reduzieren die push-Dienste (die den User zur Passivität verleiten) die Nutzung von Internet auf eine passive, dem Fernsehen verwandte Haltung. Andererseits sind die Dynamisierungsversuche des Internet, die den Akzent auf ein aktiveres Engagement des Benutzers legen, durch die Notwendigkeit begrenzt, sich an die Spielregeln der Werbefirmen zu halten.

Der Cyberspace wird kolonisiert

WELCHE weiteren Folgen zieht diese Verbindung von Fernsehen und Computer nach sich, die das Erscheinungsbild des Internet zur Zeit verändert? In erster Linie handelt es sich um den Triumph des Profitdenkens, das nunmehr im Cyberspace Einzug hält. Das Internet wird zu einer Art „vernetztem kommerziellem Fernsehen“.

In dieser Erwartung investiert Microsoft jährlich 400 Millionen Dollar in die Entwicklung von Internetseiten – eine Investition, die sich erst in einigen Jahren auszahlen wird. Ähnlich halten es beispielsweise die Vox Broadcasting Network von Rupert Murdoch oder USA Today, die Zeitung des Gannet-Konzerns. Die Gesamtsumme aller Investitionen, die Kommunikationskonzerne in die Entwicklung von Web Sites gesteckt haben, wird auf zwei Milliarden Dollar geschätzt. Es ist anzunehmen, daß es dem einen oder anderen der involvierten Großkonzerne zu guter Letzt gelingen wird, seine Investitionen zu rentabilisieren. Schwieriger jedoch sind Voraussagen darüber, in welchem Ausmaß sie auf dem aufstrebenden Internetmarkt eine beherrschende Stellung ausüben werden.

Die Anbieter im Internet versuchen in erster Linie, möglichst viele Nutzer zu erreichen und an sich zu binden. Zu diesem Zweck und um ihre Marktanteile zu steigern, gehen sie allen von den push-Diensten bereitgestellten Möglichkeiten nach, schließen haufenweise Exklusivitätsvereinbarungen, huldigen dem Starkult und investieren gleichermaßen in erfolgreiche Programme wie in Computersoftware. Dieser Versuch, die Beziehung zwischen Programmgestaltung und Nutzern zu stabilisieren, hängt seinerseits weitgehend vom Marketingmodell der Werbeagenturen ab. Das Wall Street Journal hat diese gewaltige Umstellung gerade in einer Titelzeile treffend auf den Punkt gebracht: „How Net Is Becoming Like Television To Draw Advertisers“ (Wie das Internet das Fernsehen nachahmt, um Anzeigenkunden anzulocken). Der exponentielle Zuwachs an Sendungen im Internet führt klar vor Augen, daß die Werbefirmen es mit Erfolg ihren eigenen Zielen dienstbar gemacht haben.

Über das Fernsehen lassen sich am effizientesten Verkaufserfolge erzielen; es hat in dieser Funktion schon seit geraumer Zeit das Radio als wichtigstes Medium abgelöst. Die Werbewirtschaft ist sich nicht sicher, ob das Internet eine neue Phase und ein neues Modell der Vermarktung einleiten wird, aber sie will diese Möglichkeit nicht verpassen.

Ed Artzt, der frühere Generaldirektor von Procter & Gamble, hat dies in einer Rede vor der American Association of Advertising Agencies zum Ausdruck gebracht. Er mahnte seine Kollegen, ihre Apathie abzuschütteln und „sich mit aller Kraft der Technologie zu bemächtigen“, um den Zugang von kommerziellen Sponsoren zu den neuen Medien sicherzustellen.18 Fortan stellt sich nicht mehr die Frage, ob Werbung und Marketing das Internet in Beschlag nehmen; es geht nurmehr darum, die gegenwärtige, ein wenig altbackene Aufmachung der Werbung attraktiver und zugkräftiger zu gestalten und „neue, originelle und verbesserte“ Werbestrategien zu ersinnen. Hunter Madsen, Vizepräsident der Marketingabteilung bei Hotwire, mißt dem kontinuierlichen Bemühen um die Erprobung und Umsetzung von weniger standardisierten Produktpräsentationen oder „Markenmodulen“ (brand modules) größte Bedeutung bei wie auch der Einbeziehung von Aspekten der Textgestaltung und Vermarktung (content cobranding).19 Denn die Formen der Werbung und das kommerzielle Sponsoring sind auf Internetebene noch längst nicht gefestigt.

Es geht in erster Linie nicht darum, welche Form die Werbung im Internet letztendlich haben wird. Die Werbewirtschaft hat die Notwendigkeit einer Kolonisierung des Cyberspace proklamiert und will ihn sich ihrem Machtbereich einverleiben. Sie wird diesen aberwitzigen Ehrgeiz nicht aufgeben. Ihr käme es nicht in den Sinn, zu behaupten, die Internetkultur sei elitär oder futuristisch. Aus strukturellen, an die Grundfesten der Wirtschaft gekoppelten Gründen glaubt sie mittlerweile an den weltweiten Erfolg des Internet.

Das vorrangige Ziel der Werbung (unabhängig von ihrem Erfolg oder Mißerfolg in bestimmten Bereichen) entsprach stets dem Bedürfnis aller Industriesektoren, den Verbrauch an die Produktion zu binden.20 Imagepflege, Marketing und Werbung für Konsumgüter waren schon immer die Hilfsmittel einer Wirtschaft, die ein bestimmtes Produktivitätsniveau erreicht hat, so daß die Produktion von Gütern und Dienstleistungen die Fähigkeit der Gesellschaft übersteigt, diesen Überschuß noch aufnehmen zu können. Nicht die pure Lust am Abenteuer lockt die Werbewirtschaft in den Cyberspace. Sie setzt lediglich eine schon am Ende des 19. Jahrhunderts definierte Verkaufsstrategie fort, die sich nacheinander unterschiedlicher Medien (Presse, Kino, Radio, Plakate, Fernsehen) bedient hat. Seit langem ist bewiesen, daß ein Werbesponsor die internen Praktiken und Inhalte eines Mediums sowie dessen Beziehung zum Publikum zutiefst beeinflußt.

Hier geht es nicht um überängstliche ethische Grundsätze oder hinfällige Standards, sondern um eine allgemeine systematische Orientierung. Die Werbeagenturen fordern von den Medien die Gewährleistung einer genauen Zuhörer- beziehungsweise Zuschauermenge. Diese muß darüber hinaus einer Reihe von Kriterien hinsichtlich Zusammensetzung und Eigenschaften genügen. Die Werbetreibenden wollen beispielsweise Frauen zwischen 18 und 49 Jahren oder Männer zwischen 25 und 45 Jahren erreichen. Die push-Dienste bedeuten nichts weiter als die Wiederkehr einer alten Notwendigkeit in neuem Gewand: der Zugriff auf einen festumrissenen, das heißt meßbaren und berechenbaren Personenkreis.

Wenn die Werbewirtschaft einen beträchtlichen Anteil am Umsatz diverser Medien besitzt, kann sie deren tägliche Arbeit beeinflussen, indem sie den Beziehungen zwischen Medien und Publikum bestimmte Forderungen oder Einschränkungen auferlegt. Ihr beherrschender Einfluß bringt es mit sich, daß manchen Programmen, den von ihnen gesetzten Prioritäten und gewissen kreativen Praktiken größere Bedeutung beigemessen wird als anderen. Diese Prinzipien, die künftig auch im Internet den Ton angeben werden, gehorchen den Gesetzen des Marktes und haben nur ein einziges Ziel: Profit.21

Es sieht ganz so aus, als gehörte die Zukunft den „Kräften des Marktes“, dem allmächtigen big business. Läßt sich diese Tendenz nicht durchbrechen, wird das Internet zu einer Kronkolonie der Kommunikationsmultis. Und im „Netz der Netze“ werden dann gesellschaftliche Institutionen wie Kirchen, gemeinnützige Organisationen, Bürgerbewegungen, Bildungseinrichtungen, Museen, Bibliotheken oder Gewerkschaften das Nachsehen haben.

In den Vereinigten Staaten hatte die Frage nach dem Besitz der von der Werbung finanzierten Radiosender einst jahrelang die Gemüter erhitzt22 und hochrangige Politiker, Kirchenführer, Geschäftsleute und gemeinnützige Organisationen gegen die Auswüchse der Marktwirtschaft aufgebracht. Angesichts der gegenwärtigen Vermarktung des Cyberspace herrscht indes Schweigen. Die Medien halten sich bedeckt, und die ernsten Fragen, die die Kommerzialisierung des Internet aufwirft, ernten nur ein müdes Lächeln. Wann beginnen wir uns endlich dafür einzusetzen, daß dieser gerade erst entdeckte Kontinent der Kultur und Demokratie nicht einer skrupellosen Gewinnsucht zum Opfer fällt?

dt. Margrethe Schmeer

* Professor für Kommunikationswissenschaft an der University of California, San Diego.

Fußnoten: 1 Wired, San Francisco, März 1997. Vgl. über diese Zeitschrift Herbert I. Schiller, „Wired: die militanten Vorreiter der digitalen Revolution“ Le Monde diplomatique, November 1996. 2 Mark Lander, „Industries agree on US standards for TV of future“, New York Times, 26. November 1996. Dazu auch Bryan Gruley, „Televison and Computers Makers Reach An Accord on Design of Digital-TV Sets“ Wall Street Journal, Kalifornische Ausgabe, Los Angeles, 26. November 1996, und Joe Brinkley „Defining TV's and Computers for a future of high definition“ New York Times, 2. Dezember 1996. 3 Katherine Stalter, „NBC, intel link to channel TV or PC“, Variety, Los Angeles, 1.-14. Juli 1996. 4 Mark Robichaux, „Time Warner Inc. is expected to order up to $ 450 millions of TV set-top boxes“ Wall Street Journal, 10. Dezember 1996. 5 Stuart Elliot, „Advertising“, New York Times, 20. November 1996. 6 David Bank, „How net is becoming more like television to draw advertisers“, Wall Street Journal, 13. Dezember 1996. 7 David Bank, „Microsoft picks on-line news from PointCast“, Wall Street Journal, 12. Dezember 1996. 8 Wall Street Journal, 9. Dezember 1996. 9 Amy Dunkin, „PC Meets TV: The plot thickens“, Business Week, New York, 23. Dezember 1996. 10 Cathy Taylor, „Welcome! you've got Bob Pittman“, MediaWeek, New York, 2. Dezember 1996. 11 Deidre Donahue, „But some wonder if people are really reading“ USA Today, Arlington (Virginia), 12. Dezember 1996. 12 Jane Greenstein, „Advertisers still trying to get a line on net users“, Los Angeles Times, 2. Dezember 1996 13 Joan Voight, „Beyond the banner“, Wired, Dezember 1996. 14 Jeff Harington, „P&G programming push“, USA Today, 25. November 1996. 15 „InterViews“, Advertising Age, Chicago, 13. März 1996. 16 Andrew Kantor und Michael Neubarth, „Off the charts: the Internet 1996“, Internet World, Westport, Connecticut, Dezember 1996. 17 Don Clark, „Microsoft's on-line services goes to TV format“, op. cit. 18 Matthew P. McAllister, „The Commercialisation of American Culture“, Thousand Oaks (Sage) 1996. 19 Hunter Madsen, „Reclaim the Deadzone“, Wired, San Francisco, Dezember 1996. 20 Dazu Richard Ohrnan, „Selling Culture“, London (Verso) 1996. 21 Für weitere Informationen über die Rolle der Werbung im Fernsehen: Eric Banouw, „The Sponsor“, Oxford University Press 1978. 22 Robert W. McChesney, „Telecommunications, Mass Media and Democracy“, Oxford University Press 1993.

Le Monde diplomatique vom 14.03.1997, von DAN SCHILLER