14.03.1997

Europas Rassisten

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Europas Rassisten

GERADE fünfzig Jahre sind seit der Niederlage des Nationalsozialismus ins Land gegangen, doch die alten Ideen finden schon wieder Zulauf.

Man erinnere sich etwa an die Analysen, die nach der Europawahl vom 17. Juni 1984 den Durchbruch des Front National herunterspielten, obwohl mehr als zwei Millionen Franzosen für die Liste „Europa der Vaterländer“ von Jean-Marie Le Pen gestimmt hatten. Zahlreiche Artikel erklärten dennoch den Erfolg des Front National für kurzlebig: Es handle sich um einen falschen Alarm, schließlich seien die Franzosen und ihre Republik gefeit gegen diese Krankheit. Wer würde heute, nach der ungebrochenen Erfolgsserie Le Pens und seiner Partei, solche Behauptungen zu wiederholen wagen?

Frankreich ist nicht das einzige Land Europas, in dem die wirtschaftliche und soziale Krise der achtziger und neunziger Jahre im Verein mit der allgemeinen konservativen Trendwende zu einer Stärkung der faschistoiden Rechtsextremisten geführt hat. Zu Recht betont Rinke van den Brink: „Die rechtsextremistischen Parteien von heute haben keine Ähnlichkeit mehr mit den halblegalen Splittergruppen in der Gründungsphase [in der Nachkriegszeit]. Sie sind selbstsicher und vom künftigen Erfolg ihrer Ideen überzeugt.“1

Die kürzlich erschienenen Bücher von Rinke van den Brink, Jos Vander Velpen2 und Manuel Abramowicz3 über die rechtsextremistischen Parteien in einigen Ländern Europas vermitteln sowohl Spezialisten als auch Lesern ohne Vorkenntnisse einen genaueren Überblick über diese Gruppierungen und ihren Einfluß.

So werden ihre Propaganda-, Agitations- und Aktionsformen erläutert, ihre Differenzen und internen Kämpfe sowie ihre Bemühungen um einen Zusammenschluß auf europäischer Ebene zu dem, was Rinke van den Brink „die Internationale des Hasses“ nennt.

Dabei werden sowohl die Besonderheiten in den einzelnen Ländern angeführt als auch die Gemeinsamkeiten zwischen allen Gruppierungen. Wie Jos Vander Velpen zeigt, sieht sich in Frankreich etwa Le Pen mit seinem Front National als legitimer Erbe des Antisemiten Edouard Drumont, des faschistischen Schriftstellers Robert Brasillach, von Marschall Pétain und von Jacques Doriots Legion französischer Freiwilliger, die in Wehrmachtsuniform gegen Rußland kämpften.

Für Rinke van den Brink ist Le Pen „vom politischen Parkett Frankreichs nicht mehr wegzudenken“. Doch entgegen den Behauptungen einiger, der Vorsitzende des Front National habe „sich zügeln und ein wenig zurückstecken müssen“4 , hat Le Pen seine rassistischen Kreuzzüge stetig verschärft. Rinke van den Brink weist darauf hin, daß „das antijüdische Ressentiment innerhalb des Front National zwar nicht so häufig geäußert wird wie der Groll auf die Araber. Doch ist es deswegen noch nicht weniger ausgeprägt.“ Zum Beweis zitiert er dazu folgende neuere Äußerung von Le Pen: „Ich glaube an die Ungleichheit der Rassen, das ist doch klar.“

Der Erfolg des Wahlbündnisses zwischen der Rechten und der extremen Rechten in Italien im Mai 1994, der Silvio Berlusconi die Regierungsbildung ermöglichte, hat in ganz Europa Beunruhigung ausgelöst. Er war im wesentlichen der tiefen Enttäuschung der Italiener über die Bilanz der Jahre unter christdemokratisch- sozialistischen Regierungen geschuldet. Die Mitte-rechts-Parteien wurden so zum Wegbereiter der Erben des Mussolini-Faschismus, die dann eine Zeitlang fünf Minister und zwölf Staatssekretäre stellen konnten. Fini, der Chef des ehemaligen Movimento Sociale Italiano (MSI) und späteren Alleanza Nazionale, sollte in dieser Zeit erklären: „Wir sind weder Faschisten noch Antifaschisten, noch Neofaschisten. Wir sind Postfaschisten.“

BELGIEN, dieses kleine Land mit zehn Millionen Einwohnern, ist für den Forscher ein wunderbares Versuchslabor in Sachen Rechtsradikalismus. Zu den üblichen internen Ideologiestreitigkeiten gesellt sich hier die Spaltung in Flamen und Wallonen. „Wallonische Räuber, die Scheidung muß her!“ tönt Franck Vanhecke, der Vorsitzende des Vlaams Blok, ein Verfechter der Teilung des Landes. Und weiter: „Wer unseren Wohlstand und unsere Arbeitsplätze stiehlt, wer uns absichtlich sabotiert, wer auf unsere Kosten lebt und anschließend in die Hand beißt, die ihm zu essen gibt, der hat keinen Anspruch mehr auf unsere Solidarität.“ Gleichzeitig führt der Vlaams Blok mit ebenso großem Enthusiasmus eine rassistische Kampagne gegen die 780000 Ausländer (Marokkaner, Türken, Afrikaner), die in Belgien leben.

Das Buch von Manuel Abramowicz beschäftigt sich ausschließlich mit der extremen Rechten im französischsprachigen Belgien. Es handelt sich, wie er schreibt, um „ein Nachschlagewerk, eine pädagogische Schrift und um einen Aufruf zum Kampf mit dem Ziel, der extremen Rechten das Wasser abzugraben“. Er will nachweisen, daß der belgische Front National „die Vergangenheit leugnet, um sie desto leichter zu rehabilitieren“; daß die extreme Rechte „der Demokratie einen schleichenden Übergang zu politischen Begriffen aufdrängt, die von ihr besetzt sind“, wie zum Beispiel den Übergang von „Rassismus“ zu „Ethnodifferentialismus“ oder von „überlegener Rasse“ zu „Belgier zuerst!“.

FÜNFZIG Jahre nach der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus gibt es im vereinigten Deutschland, der sehr vorsichtigen Schätzung des Verfassungsschutzes zufolge, die Jos Vander Velpen zitiert, 82 rechtsextremistische Organisationen mit insgesamt 42700 Sympathisanten. Nicht eingerechnet sind dabei die Republikaner, die keiner polizeilichen Überwachung unterliegen, aber einen heftigen Krieg gegen die Ausländer führen. Für das Jahr 1992 führt dieselbe Quelle 2584 rassistische Übergriffe auf, die 17 Personen das Leben kosteten. Der Fall der Mauer am 9. November 1989 verhalf der neuen Rechten in Deutschland zu Auftrieb. Als theoretische Ziehväter dieser neuen Bewegung führt Jos Vander Velpen Ernst Nolte und Rainer Zitelmann an. In diesem Umfeld scheint es Bemühungen zu geben, die extreme Rechte und die konservativ-nationalistischen Flügel der traditionellen Rechtsparteien zu einer einzigen radikalen Bewegung zusammenzufassen.

In Österreich hat Jörg Haider die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) zur wichtigsten Partei der extremen Rechten in Europa gemacht – er kann auf mehr als eine Million Wähler zählen. Er pflegt eine Atmosphäre heftigen Fremdenhasses und geniert sich nicht, die ehemaligen Mitglieder der Waffen-SS als „anständige Leute“ zu bezeichnen, „die Charakterstärke zeigen und den Mumm haben, ihren Überzeugungen bis heute treu zu bleiben, selbst wenn sie damit gegen den Strom schwimmen müssen“.

JOSEPH ALGAZY

dt. Martin v. Koppenfels

Fußnoten: 1 Rinke van den Brink, „L'internationale de la haine, paroles d'extrême droite, Belgique, France, Italie“, Brüssel (Editions Luc Pire), in Zusammenarbeit mit ASBL Vent du Nord, Vent du Sud in Lüttich, 1996, 284 Seiten. 2 Jos Vander Velpen, „Horizons noirs; l'extrême droite en Europe“, aus dem Niederländischen von Karel Vermeyen, Editions EPO u. J. Vander Velpen, Bruxelles; Le Temps des cerises, Pantin, 1996, 246 Seiten. 3 Manuel Abramowicz, „Les Rats noirs, l'extrême droite en Belgique francophone“, Brüssel (Editions Luc Pire), 240 Seiten. 4 Eric Roussel, „Le Cas Le Pen, les nouvelles droites en France“, Paris (J.-C. Lattès) 1985, S. 112.

Le Monde diplomatique vom 14.03.1997, von JOSEPH ALGAZY