14.03.1997

Positiv handeln statt zu klagen

zurück

Positiv handeln statt zu klagen

DIE Frauen haben noch einen langen Weg vor sich. Auf der ganzen Welt sitzen nur in fünf Parlamenten mehr als 30 Prozent Abgeordnete des „anderen Geschlechts“. Und diese Situation wird eher schlechter als besser: Vor neun Jahren waren 14,8 Prozent der Abgeordneten Frauen, heute sind es nur noch 11,7 Prozent – so die Bestandsaufnahme anläßlich der Internationalen Konferenz zur Gleichstellung von Männern und Frauen in der Politik, die letzten Monat auf Initiative der Interparlamentarischen Union in Neu-Delhi stattfand. Die Behauptung, es sei erniedrigend für Frauen, auf Förderungsmaßnahmen angewiesen zu sein, verkennt das eigentliche Problem – die faktische Ungleichheit. Da die „Aufforderung zur Berücksichtigung“ der Gleichwertigkeit der Geschlechter zu nichts geführt hat, ist es nunmehr wohl an der Zeit, massiven Druck auszuüben.

Von CHRISTINE DELPHY *

Die Zahlen sind bekannt: Das französische Parlament besteht zu 94 Prozent aus Männern. Schlimmer noch, dieser Anteil ist seit fünfzig Jahren unverändert. Angesichts dessen hat sich in Frankreich eine breite Bewegung für die Geschlechterparität in der Politik entwickelt. Ihr Ziel: die gewählten Versammlungen sollen zur Hälfte aus Frauen bestehen. Nach einer Umfrage aus dem letzten Jahr sind 70 Prozent der Bevölkerung, Männer und Frauen zusammengenommen, ebenso empört wie die Feministinnen, daß sich das eine Geschlecht die Repräsentation des Staates derart unter den Nagel reißt.

Es muß etwas geschehen, aber was? Das Lager der Paritätsidee ist der Meinung, nur die Einführung des Prinzips „eins zu eins“ per Gesetz oder per Verfassungsänderung könne eine allmähliche Veränderung der Situation herbeiführen.1 Diese weltweit einzigartige Strategie ist das Produkt einer spezifisch französischen Geschichte: 1982 annullierte der Verfassungsrat mit einem Urteil das Gesetz über die Quotenregelung in den politischen Parteien, mit dem er sich aus eigener Initiative befaßt hatte.2 Das bedeutete einen plötzlichen Stopp für die „positive Diskriminierung“ – eine Maßnahme, die sich überall sonst im Kampf gegen die Diskriminierung von Frauen bzw. in Nordamerika auch von ethnischen Minderheiten durchgesetzt hatte. Einige Verfechterinnen der Paritätsforderung beschlossen daraufhin, das Urteil des Verfassungsrates zu umgehen, indem sie eine Verfassungsänderung beantragten.

Die Sturheit der Regierungsinstanzen führte damit zu einer absurden Situation: Um etwas durchzusetzen, was in anderen Ländern sogar ohne ein neues Gesetz zu erreichen war, mußte in Frankreich die Verfassung geändert werden!

Die Paritätsforderung löste zwar feindliche Reaktionen aus, aber die Gründe dafür waren sehr unterschiedlich, wenn nicht sogar diametral entgegengesetzt. Die rechte Opposition verschanzte sich hinter einem abstrakten Universalismus, den die Feministinnen, aber auch die Schwarzen in den USA bereits eingehend kritisiert hatten. Diese Doktrin ermöglicht in der Tat die Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen – oder macht sie sogar, wie manche Analysen behaupten, zwingend erforderlich. Der abstrakte Universalismus geht implizit vom Prototyp eines weißen und männlichen Staatsbürgers aus.

Die Feministinnen bezeichnen diese Auffassung zu Recht als falschen Universalismus. Ihre Kritik von links strebt einen echten Universalismus an, geht aber davon aus, daß es diesen noch nicht gibt. Dieser Ansatz geht einher mit einer Kritik der sogenannten formalen Gleichheitskriterien. Diesen wird heute der Begriff der substantiellen Gleichheit entgegengesetzt, die nur mittels positiver Diskriminierung zu verwirklichen sei.

Solche Art des „positiven Handelns“, dessen Grundsätze in der 1983 von Frankreich ratifizierten Konvention zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen niedergelegt sind, wird in vielen westlichen Ländern praktiziert, vornehmlich in den skandinavischen Ländern und in Nordamerika. Diese Philosophie unterscheidet sich ebenso sehr von dem französischen republikanischen Konzept wie von dem der Paritätsverfechterinnen.

Im Gegensatz zur Auffassung der Gerichte und der republikanischen Universalisten in Frankreich geht sie von einer Grundvoraussetzung aus: Die Frauen (aber auch die Schwarzen und so weiter) sind unterdrückt. Dies ist eine Grundprämisse, denn man kann nicht etwas bekämpfen, dessen Existenz man nicht anerkennt. Beide Ansätze, das positive Handeln wie die Paritätsforderung, führen die Machtunterschiede – und um die geht es letzten Endes – zwischen Männern und Frauen, Schwarzen und Weißen auf die historische Unterdrückung der einen durch die anderen zurück. Da diese Ungleichheiten von der Gesellschaft verursacht sind, liegt es an ihr, sie auch wieder abzuschaffen.

Aber die Paritätsforderung zielt auf die Herstellung eines Gleichgewichts zwischen zwei Gruppen (Männern und Frauen), als wären sie verschiedene Subspezies – ein aus der differentiellen Psychologie bekannter Denkansatz. Das Prinzip des positiven Handelns betrachtet dagegen die Geschlechtszugehörigkeit vor allem als Genus3 , der nur als Vorwand für eine hierarchische Aufteilung dient, die gesellschaftliche Bedeutung der Geschlechtszugehörigkeit also eher unterbelichtet. Während die Verfechterinnen der Geschlechterparität die Dualität4 der menschlichen Spezies in der Verfassung kodifizieren wollen, will die Philosophie des positiven Handelns gerade deren Einheitlichkeit geltend machen und verwirklichen.

Deshalb bedeuten die Quoten, die das Hauptinstrument der positiven Diskriminierung darstellen, nicht das gleiche wie das „eins zu eins“ der Paritätsforderung. Aus dieser Perspektive wären die Frauen, wenn es keine Diskriminierung gäbe, im Parlament und anderswo in annähernd dem gleichen Verhältnis vertreten wie in der Bevölkerung. Mit dieser Überlegung knüpft das Konzept der positiven Diskriminierung lediglich an die Meinung des „kleinen Mannes“ an, die bereits von Statistik und Soziologie zur Methode erhoben wurde: „Es ist schließlich kein Zufall, wenn ...“ Wenn Frauen 50 Prozent des Lehrkörpers an höheren Schulen und 10 Prozent der ordentlichen Professoren darstellen, und zwar Jahr für Jahr und Generation für Generation, so kann das kein Zufall sein. Doch in Frankreich muß eine Frau, die ihre Diskriminierung beweisen will, bei einer Beförderung, Zulassungsprüfung oder Einstellung ausdrücklich aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit gescheitert sein. Da kein Arbeitgeber es riskiert, den unzulässigen Grund für seine Ablehnung so naiv kundzutun, ist es unmöglich, nach französischem Recht eine Diskriminierung zu beweisen.

Verträge auf geduldigem Papier

DAS Konzept des positiven Handelns bewertet und definiert Diskriminierung und Gleichheit anders als die Gerichte. Es ist ergebnisorientiert und versucht, bestimmte gesetzwidrige Momente der unterschiedlichen Behandlung aktiv zu beseitigen oder zu korrigieren. Daß der Anteil von Frauen und Männern in Macht-, Prestige- oder Autoritätspositionen statistisch anomal ist, wird als Indiz für eine aktuelle oder vergangene Benachteiligung von Frauen gesehen. Der Begriff „positives Handeln“ bezeichnet ein aktives Vorgehen, das vom Positiven ausgeht statt vom Negativen, und negativem Handeln zum Nachteil von Frauen entgegenwirken will.

Das positive Handeln verzichtet auf die Idee formaler Gleichheit, die sie nicht etwa als unzureichend, sondern als wirkungslos, als magisches Denken oder gar als pervers ansieht. Für wirkungslos, weil die formale Gleichheit keine Gleichheit hervorbringen könne, da sie die Ungleichheit nicht zur Kenntnis nehme. Für magisches Denken, weil die formale Gleichheit darin bestehe, sich nicht etwa um Gleichheit zu bemühen, sondern so zu tun, als wären die Menschen schon gleich. Und für pervers, weil sie der ideale Rahmen ist, um Ungleichheit zu reproduzieren, indem man sie leugnet. Kurz, das positive Handeln ist Ausdruck einer universalistischen Philosophie, die sich jedoch im Gegensatz zum falschen Universalismus nicht damit begnügt, von der Prämisse der Gleichheit aller Menschen auszugehen, sondern diese erst realisieren will.

Das positive Handeln taucht als Grundsatz in allen von Frankreich unterzeichneten internationalen Verträgen auf, unter anderem auch in der Frauenkonvention der UNO. Es ist auch in der Lex Roudy5 enthalten, die jedoch nur auf dem Papier steht, weil die positive Diskriminierung nie umgesetzt worden ist.6 Dabei setzt es keinerlei Verfassungsänderung, ja nicht einmal ein Gesetz voraus. Allerdings kommt seine Anwendung teuer. In den Ländern, die es angenommen haben – in Nordamerika und in Skandinavien – wurden nationale oder föderale Komitees zur Förderung der Chancengleichheit und örtliche Komitees in Regionen, Städten, Verwaltungen und Universitäten eingerichtet.

Diese Einrichtungen sollen Stellenbesetzungen und Beförderungen überwachen, die Verwaltungen daran erinnern, daß Diskriminierung verboten ist, Beschwerden entgegennehmen und prüfen, vermittelnd eingreifen, wo es möglich ist, und wo nicht, den beschwerdeführenden Frauen juristischen Beistand leisten, aber auch Sanktionen empfehlen (zum Beispiel Universitäten, die diskriminieren, Forschungsaufträge aus öffentlichen Mitteln zu verweigern). Und schließlich zahlenmäßig erfaßbare Ziele setzen – die Quoten –, weil diese das einzige objektive Kriterium darstellen, das eine Bewertung der institutionellen Bemühungen möglich macht. Die Quoten sind – auf der Ebene einer bestimmten Institution – lediglich die Umsetzung des Versprechens konkreter Ergebnisse, zu denen sich die Unterzeichnerstaaten der UNO-Frauenkonvention grundsätzlich verpflichtet haben.7

Die Konzeption des positiven Handelns ist kein Allheilmittel, doch nur mit ihrer Hilfe haben die Schwedinnen den Einzug ins Parlament geschafft. Selbst eine massive Präsenz von Frauen in der Politik wäre noch kein Wundermittel. Deshalb muß das positive Handeln in allen Bereichen des Lebens angewandt werden: am Arbeitsplatz, in der Universität etc.

Nach dem Stopp durch das Quotierungsverbot 1982 hat Frankreich inzwischen die Frauenkonvention der Vereinten Nationen ratifiziert. Da internationale Verträge nationales Recht brechen, sollte Frankreich sich also dem Prinzip des positiven Handelns nicht länger widersetzen können. Und diese Konvention weist ausdrücklich darauf hin, daß positive Diskriminierung nicht einfach – wie der Verfassungsrat befunden hatte – mit Diskriminierung gleichzusetzen ist. Zahlreiche Frauen (und Männer) halten die – implizit oder explizit – differentialistische Philosophie der Geschlechterparität für inakzeptabel. Doch sie wollen durch deren Ablehnung auch nicht zur Verteidigung eines ebenso unannehmbaren Status quo beitragen. Insofern verweist das positive Handeln auf einen dritten Weg. Dieser erfordert einen Kampf um die längst fällige Anwendung der Frauenkonvention der Vereinten Nationen und der internationalen Konventionen allgemein.

dt. Sigrid Vagt

*Soziologin

Fußnoten: 1 Siehe Nouvelles questions féministes, Paris 1994, Nr. 4: „La parité pour“ und 1995, Nr. 2: „La parité contre“; sowie Cahiers du Geddisst, 1996, Nr. 17, „Principes et enjeux de la parité“. 2 Dieses Gesetz sah vor, daß die Wahllisten für die Kommunalwahlen nicht mehr als 75 Prozent an Kandidaten eines Geschlechts enthalten dürften. 3 Christine Delphy, „Penser le genre: quels problèmes?“, in: Marie-Claude Hurtig et al., „Sexe et genre“, Paris (Presses du CNRS) 1991. 4 Bericht der Gleichstellungskommission über die Beachtung der Gleichstellung, Februar 1997. 5 Das Gesetz von 1983 über die berufliche Gleichstellung, die sogenannte „Lex Roudy“, enthält den Grundsatz und theoretisch auch die Mittel für die Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Rahmen der Erwerbsarbeit. 6 Annie Junter-Loiseau, „La loi française relative à l'égalité professionelle: au-delà des apparences“, Nouvelles questions féministes, „L'État français contre l'égalité des sexes“, 1995, Nr. 1. 7 Rebecca Cook, „Human Rights and Women: National and International Perspectives“, Philadelphia (University of Pennsylvania Press) 1994.

Le Monde diplomatique vom 14.03.1997, von CHRISTINE DELPHY