11.04.1997

Drogen als Vorwand zur Aufrüstung

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Drogen als Vorwand zur Aufrüstung

Von ANDRÉ LINARD *

ZUSAMMENSTÖSSE zwischen Armee und Guerilla oder die Aktionen der Drogenmafia fordern in Kolumbien weit weniger Opfer als die Repressionen gegen die armen Bevölkerungsschichten. In diesem schmutzigen Krieg, der gegen die Errichtung einer Demokratie geführt wird, die diese Bezeichnung verdient, spielen paramilitärische Gruppen eine entscheidende Rolle.1 Unter Beteiligung ehemaliger Offiziere greifen solche Milizen (die häufig mit dem Drogenhandel in Verbindung stehen) nicht nur die Guerilla an, sondern auch ihre vermeintlichen Sympathisanten: Bauern, die im Streit mit Großgrundbesitzern liegen, Gewerkschafter, Aktivisten sozialer Bewegungen, aber auch die legalen politischen Parteien, die als „innere Feinde“ gelten.2

Die Organisation Human Rights Watch hat vor kurzem mit einem Bericht für Aufsehen gesorgt3 , in dem darauf hingewiesen wird, daß die militärische Unterstützung aus den USA – Kriegsgerät, Munition, Ausbildung und Logistik –, offiziell für den Kampf gegen die Drogenmafia bestimmt, gegen „Aufständische“ zum Einsatz kommt, gegen die „Subversion“ – zwei sehr weitgefaßte Begriffe in Kolumbien. Weiter machte Human Rights Watch darauf aufmerksam, daß die Militärhilfe die Aktivitäten paramilitärischer Gruppen begünstigt, die mit den offiziellen Sicherheitskräften in enger Verbindung stehen. Die dritte Enthüllung ist noch viel ärgerlicher für die Vereinigten Staaten, denn die Menschenrechtsorganisation kann Dokumente dafür vorlegen, daß Washington von der tatsächlichen Verwendung der Hilfsleistungen wußte oder von ihr hätte wissen können, daß jedoch die naheliegendsten Überprüfungen nicht durchgeführt wurden.

Bereits 1983 hatte Staatsanwalt Jiménez Gómez in einem Bericht die Beteiligung von Polizisten und Militärs an den Todesschwadronen nachgewiesen. Sechs Jahre später wurden derartige Verbindungen per Dekret offiziell verboten. Doch die Militärs hielten hartnäckig an dieser Praxis fest, mit dem Argument, daß paramilitärische Kommandos bei der Drogenbekämpfung effektiver seien.

Trotz der fragwürdigen Methoden dieser Gruppen hofften die USA wohl, mit ihnen das geringere Übel in Kauf zu nehmen. Doch bei genauerem Hinsehen hätten sie beispielsweise den Inhalt der Anweisung 200-05/91 des Verteidigungsministers aus dem Jahr 1991 entdecken können. Der Text geht nicht auf die Drogenthematik ein, sieht aber vor, daß die verschiedenen Armeekorps „zivile und militärische“ Verbindungsnetze aufbauen, jedoch „öffentliche Kontakte und Zusammenarbeit vermeiden“ sollen.

Human Rights Watch bestätigt, daß Armee und Todesschwadronen nicht nur gegen die Guerillas, sondern, mittels Bespitzelung, Drohungen und Mordanschlägen, in erster Linie gegen Oppositionspolitiker, Gewerkschaften, Bürgerinitiativen etc. vorgehen. Der Bericht belegt, daß Pentagon und CIA ihre Hilfe fortsetzen und sich mit offiziellen Dementis zufriedengegeben haben, obwohl ihnen diese Zusammenhänge bekannt sind. Colonel Roach, ehemaliger amerikanischer Militärattaché in Bogotá, äußerte gegenüber Human Rights Watch: „Wir wußten aus kolumbianischen Berichten, daß Militärs und Paramilitärs weiterhin zusammenarbeiteten. (...) Die Vereinigten Staaten suchen nach der bestmöglichen Vorgehensweise, aber wenn die Hilfe nicht den Kämpfenden zufließen kann, muß man eben andere Wege finden."

Offiziell ging es immer darum, den Kampf gegen die Drogenmafia zu unterstützen. Doch wenn auch keine einzige Armee-Einheit ausschließlich mit dieser Aufgabe betraut ist, so beteiligen sich doch alle an der Aufstandsbekämpfung.

Die Beziehungen zwischen den USA und Kolumbien sind nicht einfach. Einerseits kann Washington den Kontakt zur Regierung in Bogotá, von der sie ein Auslieferungsabkommen erwartet, nicht völlig einfrieren. Doch die politische Führung ist so sehr mit den Kartellen verstrickt, daß sie nur dann gegen diese vorgeht, wenn sie dazu gezwungen wird. So wurde 1995 ein vom kolumbianischen Senat bereits verabschiedetes Amnestiegesetz zugunsten von Politikern, die in den Drogenhandel verwickelt waren, auf Druck Washingtons im Parlament abgelehnt.4 Wenige Monate später wurde Kolumbien wegen seiner laxen Drogenbekämpfung von der Liste der möglichen Kandidaten für amerikanische Hilfeleistungen gestrichen. Schließlich verabschiedete das Parlament in Bogotá angesichts drohender Wirtschaftssanktionen im Dezember 1996 ein rückwirkendes Gesetz, das die Beschlagnahme des Besitzes von Drogenhändlern erlaubt, auch wenn kein Strafverfahren gegen sie eingeleitet wurde.

Die kolumbianischen Behörden waren sich über die politischen Auswirkungen des Berichts von Human Rights Watch völlig im klaren und traten deshalb die Flucht nach vorn an. Wie in solchen Fällen üblich, wurde die Menschenrechtsorganisation beschuldigt, sich mit ihrer Informationspolitik am subversiven Kampf zu beteiligen. Den Dementis der kolumbianischen Regierung widersprach allerdings Oberst a. D. Carlos Alfonso Velásquez. Er erklärte öffentlich, daß die Armee sich nicht in erster Linie mit der Drogenmafia, sondern mit der „Subversion“ beschäftige, woraufhin er prompt in den Ruhestand versetzt wurde. Es gibt noch ein weiteres, diesmal implizites Dementi: Zwei Gesetze sind verabschiedet worden, die eindeutig als Reaktionen auf den Bericht „Columbia's Killer Networks“ zu verstehen sind. Das erste ist oben bereits erwähnt worden; das zweite ist ein Gesetz, das die verantwortlichen Militärs verpflichtet, die Anführer paramilitärischer Gruppen zu denunzieren.

Gewiß, die Verabschiedung derartiger Gesetze ist an sich schon ein Fortschritt. Doch die Verflechtungen zwischen Behörden und Illegalen wecken Zweifel an dem Willen und der Fähigkeit, ihnen auch zur Durchsetzung zu verhelfen – selbst wenn der kolumbianische Botschafter in Brüssel, um Spannungen mit der Europäischen Union zu vermeiden, Ende 1996 sein Amt niederlegen mußte. Er war Aktionär eines Familienunternehmens, das sich die Ländereien von Kleinbauern einverleiben wollte und sich zu deren gewaltsamer Vertreibung paramilitärischer Gruppen bedient hatte.

Nach Protestveranstaltungen von NGOs erfolgte im Oktober eine Verurteilung Kolumbiens durch das europäische Parlament; vierzehn Tage später nahm der Botschafter seinen Hut. Ein Zeichen dafür, daß politischer Druck sich auszahlt. Jedenfalls auf symbolischer Ebene, denn vor Ort setzen die Paramilitärs ihr Werk fort.

dt. Miriam Lang

* Journalist

Fußnoten: 1 Dem Bericht zufolge, den der Sonderberichterstatter der UNO im Februar 1990 der UNO-Menschenrechtskommission vorgelegt hat, operierten damals 140 paramilitärische Gruppen in Kolumbien, in enger Zusammenarbeit mit Armee und Polizei. 2 Von Januar 1988 bis Juni 1994 gab es 25211 politische Morde, zu denen 31385 dubiose Todesfälle hinzugerechnet werden müssen; das bedeutet also 56596 Opfer in einem Zeitraum von sechs Jahren. (Bericht „Gerechtigkeit und Frieden“, 1995). Seit ihrer Gründung 1985 verzeichnet die Unión Patriótica (UP), eine von ehemaligen Guerilleros und der Kommunistischen Partei gegründete Linkspartei, über 2000 ermordete Anhänger. 3 Human Rights Watch/Americas: „Columbias Killer Networks: The Military-Paramilitary Partnership and the United States“, New York 1996, 103 Seiten mit Anhang. 4 Marcel Niedergang: „La gangrène des narcodollars en Colombie atteint des proportions insoupçonnées“, Le Monde, 17. Januar 1996.

Le Monde diplomatique vom 11.04.1997, von ANDRÉ LINARD