11.04.1997

Neue Waffen für die Folterer

zurück

Neue Waffen für die Folterer

DER Bericht über neue Foltermethoden mit Hilfe von Elektroschockwaffen, den amnesty international im März dieses Jahres veröffentlicht hat, ist weithin unbeachtet geblieben. Darin werden nicht nur die Folterer angeklagt, sondern auch die Firmen, die solche Apparate liefern. Sie produzieren immer „leistungsfähigere“ Geräte mit gesteigerter Lähmungswirkung, die auch immer weitere Verbreitung finden. Die Ursprungsländer sind überwiegend die demokratischen Industriestaaten, etwa die USA, Frankreich und Deutschland. Im folgenden sind die wichtigsten Passagen des Amnesty-Berichts1 wiedergegeben.

Moderne Lähmungswaffen, die elektrische Stromstöße austeilen, setzen sich immer stärker als die dominierende Technologie der Folterspezialisten durch. [...] So sollen die Folterer häufig solche Elektroschockwaffen bevorzugen, weil sie weniger nachweisbare Spuren an den Körpern der Opfer hinterlassen.

Das bestätigt auch die Aussage von „Roberto“, einem fünfzigjährigen Universitätsprofessor aus Zaire, der vier Wochen lang in Untersuchungshaft gehalten und gefoltert wurde, als er 1991 versuchte, ein Friedensforum zu organisieren. Nachdem er zunächst mit Knüppeln geschlagen worden sei, habe ein Polizeioffizier die Bemerkung fallenlassen: „Das wird Narben geben, und dann haben wir amnesty international auf dem Hals.“ Daraufhin beschlossen die Polizisten, Elektroschocks anzuwenden, eine Foltermethode, von der „Roberto“ sagt: „Diese Art Waffe – man kann sie wirklich nur als etwas Entsetzliches und Unmoralisches bezeichnen. Die Hersteller dieser Folterwerkzeuge haben sie nie an sich selbst erprobt, sie wissen nicht, welche Schmerzen sie hervorrufen.“

[...] Seit 1990 hat amnesty international Fälle von Folter durch Stromstöße in 50 Ländern erfaßt, in 18 Ländern wurden dabei moderne tragbare Elektroschockgeräte, etwa Viehtreiberstöcke, benutzt. Weltweit sind amnesty international über hundert Firmen bekannt, die solche Apparate anbieten. Es handelt sich um eine florierende Branche, in der auf sorgfältige Tests häufig verzichtet wird. Daß ein großer Teil der „Kundschaft“ die Geräte einsetzt, um Männer, Frauen und Kinder zu foltern, ist ein offenes Geheimnis. Dennoch ist ihr Verkauf in vielen Ländern – etwa in den USA, aus denen die meisten dieser Produkte kommen – erlaubt. Einige Länder, so Frankreich, haben sich an ihrer Verbreitung sogar aktiv beteiligt.

Gegen die Folter mit elektrischen Geräten wie Viehtreiberstöcken setzt sich amnesty international schon seit Jahren ein, aber inzwischen gibt es zahlreiche moderne Hochspannungswaffen, die speziell für die Anwendung bei Menschen entwickelt wurden. Anders als Viehtreiberstöcke, die bei Menschen bewegungshindernd wirken und einen örtlich begrenzten Schmerz verursachen, sind die kampfunfähig machenden Waffen dafür ausgelegt, innerhalb von Sekunden oder Sekundenbruchteilen heftige Schmerzen auszulösen und vorübergehend eine völlige Lähmung herbeizuführen.

Welcher Art die Qualen sind, hat Mediha Curabaz beschrieben. Die 25jährige Krankenschwester wurde 1991 in der türkischen Stadt Adana verhaftet und im Polizeihauptquartier von Mitgliedern der politischen Polizei gefoltert: „Sie stießen mir einen Elektroschlagstock in die Vagina, es waren Schmerzen wie von einem Bohrgerät. [...] Bevor ich völlig das Bewußtsein verlor, zwangen sie mich, verschiedene Papiere zu unterschreiben.“

Amnesty ruft alle betroffenen Regierungen auf, den Export von Elektroschockwaffen in Länder zu verbieten, von denen bekannt ist, daß es dort regelmäßig zu Folterungen und Mißhandlungen kommt. [...] Außerdem fordert die Organisation die Hersteller und Vertreiber dieser Waffen auf, sie nicht in Länder zu exportieren, in denen nach wie vor Foltermethoden gebräuchlich sind.

Nach Meinung von amnesty international machen sich die Hersteller und Vertreiber mitschuldig an der Verwendung ihrer Produkte zu Folterzwecken, wenn sie diese Waffen, in Kenntnis der Umstände, an Empfänger liefern, die sie mißbrauchen. „Wenn diese Waffen tatsächlich nur der Aufrechterhaltung der Ordnung im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen dienen“, heißt es in dem Bericht, „und wenn sie nicht zu aggressiven Zwecken eingesetzt werden, dann sollen die Hersteller dies nachweisen. Und wenn für die sachgerechte Benutzung der Geräte eine Unterweisung nötig ist, soll der Nachweis geführt werden, daß alle Empfänger eine solche Schulung erhalten haben, auch wenn es sich um Kunden im Ausland handelt. Wenn die Waffen ins Ausland geliefert werden, soll man Garantien verlangen, daß sie nicht zu Mißhandlungen eingesetzt werden.“

Elektroschockpistolen und -schlagstöcke. Untersuchungen des kriminaltechnischen Dienstes des britischen Innenministeriums haben 1990 gezeigt, daß bereits die frühen Modelle der Elektroschockpistolen, die mit wesentlich niedrigeren Spannungen arbeiteten, einen stechenden Schmerz hervorriefen, deutliche Lähmungserscheinungen bewirkten und durch die Auslösung von Herzrhythmusstörungen sogar tödlich sein konnten. Einer der Hersteller wirbt für sein neuestes Modell mit dem Hinweis, es schalte sich nach fünfzehn Sekunden Betriebsdauer automatisch ab. Neuere Arbeiten belegen jedoch, daß bereits eine Entladung von drei bis fünf Sekunden Dauer eine Person fünfzehn Minuten lang bewegungsunfähig machen kann [...]

Elektroschockschilde. Als 1995 Harry Landis, ein Wärter in einem texanischen Gefängnis, den Tod fand, nachdem er versehentlich seinen Elektroschockschild aktiviert hatte, wurde das Modell von einem Fachmann getestet. Der Ingenieur kam zu dem Schluß: „In der Betriebsanleitung des Herstellers heißt es, der Schild sei ungefährlich, selbst für Personen mit Herzkrankheiten. Es wurden jedoch keine Tests an Menschen durchgeführt, sondern nur an Tieren – und zwar an betäubten Tieren.“

Lähmungspistolen (Taser guns). In einigen amerikanischen Bundesstaaten werden Geräte eingesetzt, die zwei Pfeile mit Widerhaken abschießen. Die Reichweite dieser Waffe beträgt etwa zehn Meter, und sobald sich die Projektile, die durch einen Draht mit dem Schußapparat verbunden bleiben, in den Körper des Opfers gebohrt haben, kann ein Stromstoß ausgelöst werden. Ein Gerichtsmediziner hat dazu 1991 folgendes festgestellt: „Die sechzehn Todesfälle, die in Los Angeles im Zusammenhang mit der Anwendung von taser guns auftraten, begründen Zweifel an der Behauptung, diese Waffe sei nicht tödlich. [...] Nach meiner Ansicht hat die Waffe in wenigstens neun Fällen zum Ableben beigetragen.“

Elektroschockgürtel. Zwei amerikanische Hersteller vertreiben Gürtel, an denen durch Fernbedienung Stromstöße ausgelöst werden können. Dieses kleine „technische Wunderwerk“ kann acht Sekunden lang eine Spannung von 50000 Volt erzeugen – der Träger des Gürtels ist danach bewegungsunfähig, verliert die Kontrolle über Blase und Darm und erleidet Schwellungen auf der Haut. Als besonderer Vorzug des Gürtels gilt es, daß er, bei „plötzlichen Bewegungen und Wutanfällen“, aus einem Abstand von 300 Metern oder mehr ausgelöst werden kann.

Herstellung und Vertrieb von Elektroschockwaffen. Nach Angaben von amnesty international sind Waffen dieses Typs seit 1990 von über hundert Firmen auf den Markt gebracht worden, die ihren Sitz in den industrialisierten Ländern haben – in Südafrika, in Deutschland, in China, in den Vereinigten Staaten, in Frankreich, in Israel und in Taiwan. Amerikanische Hersteller machen dabei fast die Hälfte aus. Immer häufiger werden die Waffen per Katalog verkauft oder auf Verkaufsmessen gezeigt: So sind Elektroschlagstöcke aus taiwanesischer Produktion in Schanghai angeboten worden, brasilianische Schlagstöcke waren in Washington zu sehen, chinesische und russische in Paris, französische in Berlin, südafrikanische in Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten.

[...] Eine Reihe von Regierungen haben den Gebrauch dieser Waffen jedoch untersagt, weil ihr Einsatz das Risiko birgt, unnötige Leiden zu verursachen, schwere Verletzungen zuzufügen, oder gar zum Tode führen kann. [...] In einigen Ländern, so in Großbritannien, scheint sich dieses Verbot allerdings nicht auf den Handel mit Drittländern zu erstrecken. Britische Firmen haben zugegeben, daß sie mit Hilfe „südafrikanischer Partner“ Waffen über Zypern und Schanghai nach China verkauft haben und daß sie planen, über „Drittländer“ auch nach Zaire und in den Libanon zu liefern.

Obwohl die Wirkungen dieser Waffen bekannt sind, zeigen die Regierungen der meisten Herstellerländer wenig Neigung, die Bestimmungen zu verschärfen, die den Export in Länder regeln, wo sich die Ordnungskräfte schwerer Mißhandlungen schuldig gemacht haben. Von der US- amerikanischen Regierung wurde die Ausfuhr von Elektroschockpistolen nach Saudi-Arabien genehmigt, ebenso der Export von Elektroschockschilden nach Mexiko und von Elekroschockpistolen nach Venezuela. Eine französische Firma hat zugegeben, solche Waffen in Länder Nordafrikas geliefert zu haben, und ein namhafter deutscher Hersteller verschickt Kataloge in arabisch und russisch. Chinesische Firmen versuchen, auf dem asiatischen und europäischen Markt Fuß zu fassen, und taiwanesische Produzenten exportieren in die USA, nach Südafrika und in asiatische Länder. Einer der chinesischen Hersteller hat in diesem Zusammenhang geäußert, Osteuropa sei „ein bedeutender Wachstumsmarkt“. [...]

dt. Edgar Peinelt

Fußnote: 1 Es handelt sich um Auszüge aus der Zusammenfassung des Berichts, den die französische Sektion von amnesty unter dem Titel „Les nouvelles technologies au service des tortionnaires“ herausgegeben hat. Eine eigenständige deutsche Zusammenfassung liegt unter dem Titel „Waffen für die Folterer“ vor (ai, Sektion der Bundesrepublik Deutschland, Arbeitskreis Rüstung und Menschenrechte, 53111 Bonn, Heerstr. 178). Der vollständige Bericht ist unter dem Titel „Arming the Torturers : Electro-shock Torture and the Spread of Stun Technology“ erschienen (ai, International Secretariat, 1 Easton St., London WC1X 8DJ).

Le Monde diplomatique vom 11.04.1997