11.04.1997

Lügen und Diamanten in Angola

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Lügen und Diamanten in Angola

Von AUGUSTA CONCHIGLIA *

DER Krieg in Angola ist vorbei, doch der Friede ist noch weit. Ob es um die „nationale Versöhnung“ geht oder um das Inkrafttreten der Abkommen von Lusaka, die im November 1994 unterzeichnet wurden – es bleibt die Frage: Was wird aus Jonas Savimbi, Chef der Unita, der „Nationalen Union für die totale Unabhängigkeit Angolas“. Seit dreißig Jahren führt diese Oppositionsbewegung einen rücksichtslosen Kampf um die Macht.1 Auf Anraten der Amerikaner hatte die Regierung in Luanda nach dem Vorbild des südafrikanischen Übergangs Savimbi eines der beiden Vizepräsidentschaftsämter angetragen.2 Nach einem Jahr des Zauderns hat er im August 1996 abgelehnt.

Verärgert beschloß die Regierung, ihm lediglich „protokollarische“ Privilegien, verbunden mit Garantien für Sicherheit und Immunität zuzugestehen, und weigert sich, ihm die Rolle des „Oppositionsführers“ mit entsprechenden konstitutionellen Befugnissen zu gewähren. Die Bildung der Regierung der nationalen Einheit und Versöhnung (GURN), mit vier Ministern und sieben Vizeministern der Unita, ist seit Dezember 1996 zweimal aufgeschoben worden; ein neuer Versuch schien – trotz angedrohter UNO-Sanktionen – im März schon wieder gefährdet.

Savimbis Ansprüche zu erfüllen ist ohne Zweifel eine schwierige Aufgabe. Aber es liegt nicht allein am Fehlen der besagten Übereinkunft über den „Sonderstatus“ für den Präsidenten der Unita, vielmehr versäumt es die einstige Rebellenbewegung, die aus dem Friedensabkommen erwachsenen Verpflichtungen zu erfüllen, und versucht alles, um einer Durchführung des Abkommens Hindernisse in den Weg zu legen oder gar die Bedingungen des Abkommens zu ändern.

Im Mai 1991 durfte man noch hoffen, das unter dem Patronat von Portugal, Rußland und den Vereinigten Staaten zustande gekommene Abkommen von Bicesse werde dem Bürgerkrieg ein Ende setzen, der das Land seit der Erlangung der Unabhängigkeit im Jahre 1975 verwüstete. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, die in diesem Abkommen vorgesehen waren, fanden am 29. und 30. September 1992 statt. Aus diesen Wahlen ging die Volksbewegung zur Befreiung Angolas (MPLA) mit 53,7 Prozent der Stimmen gegen 34,1 Prozent der Stimmen für die Unita als Sieger hervor. Bei den Präsidentschaftswahlen erhielt Eduardo Dos Santos 49,5 Prozent der Stimmen, Jonas Savimbi 40 Prozent. Ein zweiter Durchgang wurde annulliert. Der Grund dafür: Krieg. Die Unita, die trotz der Niederlage auf einer Stufe mit dem Wahlsieger an einer „Übergangsregierung“ beteiligt sein wollte, weigerte sich unter Mißachtung des demokratischen Votums, einzulenken, und nahm statt dessen die Kampfhandlungen wieder auf. Zwar verurteilte die UNO-Resolution 864 die Bewegung wegen der Rückkehr zum bewaffneten Kampf, doch ein neuer Friedensvertrag ließ bis zum 20. November 1994, der Unterzeichnung des Abkommens von Lusaka, auf sich warten.3

Jonas Savimbi hat zwar seither eine Reihe von Übereinkünften vor allem im Bereich militärischer Fragen, die nach Lusaka geschlossen wurden, widerrufen können, doch ist er mit seinem Hauptanliegen nicht weiter vorangekommen: Der festgefügte Rahmen, auf dem die Vereinbarungen beruhen, bleibt bestehen.

Der UNO-Unterhändler Alioune Blondin Beye aus Mali hat den Schein der Versöhnlichkeit gewahrt, doch den Kurs dabei unverändert beibehalten und klargemacht, daß jeder Versuch einer Neuverhandlung der grundlegenden Fragen nutzlos ist. Die UNO ihrerseits sah sich außerstande, für eine Einhaltung der Termine zu sorgen (laut Terminplanung sollte die Regierung der nationalen Einheit und Versöhnung im Mai 1995 ihr Amt antreten). Die Vereinigten Staaten stellten sich ebenfalls auf die Seite der „Legalität“, verkörpert durch das Protokoll von Lusaka, doch mangelt es an Bereitschaft, den Schützling aus der Zeit des Kalten Krieges schärfer unter Druck zu setzen.

Der Chef der Unita hat sich mehrmals dagegen aufgelehnt, daß im Rahmen der Vereinbarungen nur seine Bewegung zum Abzug und zur Entwaffnung der eigenen Truppen gezwungen sei. Das widerspreche den Abkommen von Bicesse, denen zufolge beide Armeen auf gleicher Stufe stünden und die gleichen Verpflichtungen hätten. Auch hat er versucht, eine Interpretation durchzusetzen, derzufolge die MPLA nach Erlöschen des legalen Parlamentsmandats am 20. November 1996 die ihr durch den Wahlsieg übertragene Legalität verloren habe. Unter diesen Bedingungen sei, so Savimbis Meinung, allein eine gemeinsam aus MPLA und Unita zusammengesetzte Regierung, unter Umständen mit Einbezug anderer politischer Gruppierungen, imstande, das Land bis zu den Neuwahlen zu führen. Die UNO schließt sich dieser Interpretation nicht an. Sie betrachtet die vergangenen vier Jahre als Ausnahmephase und meint, das Parlament könne seine Funktion erst dann wahrnehmen, wenn die 70 Abgeordneten der Unita darin vertreten seien.

Man hat aus den Erfahrungen des Jahres 1992 gelernt. Bevor sie grünes Licht für Neuwahlen geben, wollen sich die Vereinten Nationen erst einmal vergewissern, daß in allen von der Unita besetzten Gebieten, die 40 Prozent des Landes ausmachen, die staatlichen Behörden tatsächlich wieder eingesetzt sind, daß der Personen- und Warenverkehr ohne Einschränkungen vonstatten geht, und vor allem, daß die Bildung der Nationalarmee vollzogen ist. (Die bewaffneten Streitkräfte von Angola, FAA, sind auf 90000 Mann geplant, von denen die Unita 26300 stellen soll.) Die 100000 überzähligen Soldaten, davon fast 40000 aus der Unita, sollen vorher demobilisiert werden.

Fürs erste haben sich Savimbis Winkelzüge lähmend auf die auch finanziell engagierten Garantiemächte der Friedensverträge ausgewirkt, die die Rückführung von zwei Millionen Vertriebenen, die Rückkehr von 200000 Flüchtlingen und den Aufbau von Projekten zur Wiedereingliederung der demobilisierten Soldaten vorsahen. Das Programm zur „kommunalen Rehabilitation“, im September 1995 in Anwesenheit von Präsident Dos Santos und Jonas Savimbi in Brüssel vorgelegt und mit dem Versprechen von fast einer Milliarde Dollar gutgeheißen, liegt wegen Geldmangel auf Eis.4

„Sobald die Straßensperren beseitigt und Bewegungsfreiheit und Sicherheit der Personen garantiert sind, werden die Geldgeber ihr Versprechen erfüllen“, meint der stellvertretende Sprecher des UN-Entwicklungsprogramms in Luanda, Balima. Laut Bericht des UNO-Generalsekretärs vom 7. Februar 1997 unterhält die Unita 75 Kontrollposten und die FAA 50. Alle hätten längst beseitigt werden müssen. Weitere Hindernisse für den freien Verkehr sind der erneute Anstieg des Bandenwesens sowie die Millionen von Tretminen, die noch im Boden des Landes vergraben sind – laut Angaben des Roten Kreuzes ist Angola nach Kambodscha das am stärksten verminte Land der Welt. Für ihre Mission in Angola, Unavem III, hat die UNO eine Rekordzahl von 6500 Mitarbeitern entsandt, die bis September wieder abgezogen werden. Im letzten Dezember hat die UNO die Kasernierung und Entwaffnung der Truppen der Unita für abgeschlossen erklärt und damit den Weg für den politischen Teil der Verträge freigegeben, doch wurden angesichts der geringen Zahl der abgelieferten Waffen5 und der „großen Zahl der Deserteure“ (18605 Deserteure auf 70336 Soldaten und Angehörige der Polizei der Unita) „Vorbehalte“ laut.

Dieses vom Sicherheitsrat als „beunruhigend“ eingestufte Phänomen hat im Laufe der letzten Wochen noch an Brisanz gewonnen: Nahezu 32000 ehemalige Soldaten der Unita hatten bis zum 18. Februar 1997 die UNO-Lager wieder verlassen. Wenn man die 7342 Minderjährigen hinzuzählt, die Unavem III erfaßt hat und die teilweise bereits demobilisiert sind, stellt sich die Frage, ob sich die Spezialeinheiten der Unita, die etliche Trainingslager der südafrikanischen Armee in Namibia und Zaire durchlaufen haben, wirklich in den Lagern der UNO befinden.

Zur allgemeinen Beunruhigung trägt bei, daß die Unita in letzter Minute vor der Integration in die angolanischen Streitkräfte – von den 18000 bisher ausgewählten Unita-Soldaten sind bisher nur 6000 tatsächlich in die Nationalarmee eingegliedert – 300 Offiziere zusätzlich auf die Personalliste setzte, die nie ein UNO- Lager durchlaufen hatten. Woher kamen sie? Diese Fakten sprechen wie manches andere für die These, daß eine Geheimarmee der Unita existiert, die sich teilweise auf der Seite der Armee von General Mobutu im Osten Zaires befindet. Gleichzeitig gewährt die Regierung von Luanda, die immer ein gestörtes Verhältnis zu Mobutu hatte, der Rebellenbewegung in Zaire diskrete Unterstützung.

Personalausweis mit Rassenvermerk

SCHON jetzt ist gewiß, daß die Reinstallierung staatlicher Behörden in den von der Unita kontrollierten Regionen – mit Kosten von schätzungsweise 54 Millionen Dollar – die Tragfähigkeit der Friedensverträge auf eine harte Probe stellen wird. Insbesondere gilt das für jene Regionen, in denen die Bewegung ihren stärksten ethnischen Rückhalt hat. Das sind die Hochplateaus im Zentrum des Landes und das Gebiet von Uige und Lunda Norte, nahe der Grenze zu Zaire – Regionen, in die Unavem nie ein Vorstoß gelungen ist.

Im Lunda-Norte-Gebiet beutet die Unita die Diamantenminen von Luzamba und Kuango aus, die sie militärisch besetzt hielt, als sich private Unternehmen dort niederließen. Jonas Savimbi macht keinen Hehl aus seiner Absicht, auch nach Amtsantritt der Regierung der nationalen Einheit und Versöhnung diese Bergwerke weiter auszubeuten, denn die Einkünfte daraus sind für die Unita „eine Frage des Überlebens“6 . Britischen Quellen zufolge haben sie der Unita seit 1993 einen Ertrag von insgesamt 2,1 Milliarden Dollar beschert.7 Dank dieser Einnahmen ist es Savimbi gelungen, die wachsende Isolierung zu durchbrechen und den Sanktionen, die der Sicherheitsrat der UNO im letzten September wiedereinführte, die Stirn zu bieten.

Die Wiederherstellung der staatlichen Autorität in diesen Regionen wird langwierig und kompliziert sein, insbesondere da einzelne Lobbies in Luanda ein Interesse daran haben könnten, daß ein Teil der Diamantenregion ihren derzeitigen Status als Niemandsland behält. Zahlreiche Städte im Inland sind ganz oder teilweise zerstört. Zwei Jahre nach Ende der Auseinandersetzungen wird Huambo, ehemals das zweitgrößte Industriezentrum des Landes, immer noch nur wenige Stunden am Tag mit Strom versorgt. Die Lage hat sich seit 1992 derart verschlimmert, daß, wie Lopo do Nascimento, Generalsekretär der MPLA, bemerkt, eine große Zahl von Angolanern „die Demokratie für die Verschlechterung der Lebensverhältnisse der Mehrheit der Bevölkerung verantwortlich macht“8 . Einem Bericht der Weltbank zufolge war 1993 das Pro- Kopf-Einkommen in Angola auf 410 Dolar gesunken (im Vergleich zu 970 Dollar im Jahre 1990). Das Land mit der zweitgrößten Erdölproduktion in Afrika südlich der Sahara gehört damit zur Gruppe der ärmsten Länder des Kontinents.

Kaum noch jemand glaubt daran, daß die Bildung der Regierung der nationalen Einheit und Versöhnung Veränderungen für den Alltag der Angolaner bringen wird. Viele sind allerdings trotzdem der Meinung, daß sie einen Schritt hin zu einer Konsolidierung des Friedens bedeutet und die Bedingungen dafür schaffen könnte, daß die demokratischen Kräfte sich organisieren und durchsetzen. Zur Zeit sind sie zu schwach, um den wachsenden Rassismus einzudämmen.9

Letztere Tendenz hat auch vor der derzeit regierenden MPLA nicht haltgemacht. Im Mai 1996 stimmte die Mehrheit der Abgeordneten der MPLA – jene Partei, die einst universalistische Ziele auf ihren Fahnen trug – für eine Ergänzung des Gesetzes über den neuen Personalausweis, die besagt, daß dieses Dokument in Zukunft auch einen Vermerk über die Rasse des Inhabers tragen solle. In einem kulturell und ethnisch so gemischten Land könnte das schwerwiegende Konsequenzen haben. Die Unita, die ihren Kampf um die Macht gerne als Revolte gegen die Mischlinge und „assimilierten Schwarzen“ nach kolonialem Vorbild tarnt10 , kann eine solche Entscheidung nur begrüßen – und ihr im gegebenen Moment zur Durchsetzung verhelfen.

dt. Esther Kinsky

* Journalistin

Fußnoten: 1 Das Bündnis von Savimbi mit der portugiesischen Kolonialregierung und den Südafrikanern zur Zeit der Apartheid wird in der Angola-Beilage der Monde diplomatique vom Oktober 1986 sowie in den folgenden Büchern von William Minter dargestellt: „Operation Timber. Pages from the Savimbi Dossier“, Trenton, NJ (Africa World Press) 1988, und „Apartheid's Contras“, Johannesburg (Witwatersrand University Press) 1994. 2 1994 wurde Frederik de Klerk, dem Vorsitzenden der größten Oppositionspartei, das Amt eines Vizepräsidenten übertragen. Zweiter Vizepräsident wurde Thabo Mbeki, die Nummer zwei im ANC. 3 vgl. Victoria Brittain und Kevin Watkins: „Impossible reconciliation en Angola et au Mozambique“, Le Monde diplomatique, Februar 1994, und Victoria Brittain „Les défis de l'après-guerre en Angola“, Le Monde diplomatique, Oktober 1995. 4 Im vergangenen Dezember beliefen sich die Gesamtausgaben für Wiederaufbauprojekte nur auf 42,6 Millionen Dollar, die Lebenmittelhilfe auf 181 Millionen. 5 37375 Einzel- und Kollektivwaffen wurden bei Unavem III abgegeben. 40 Prozent davon waren nicht im Gebrauch. 6 Interview im Figaro, Paris 15. April 1996. 7 Angola Peace Monitor, 16. Dezember 1996. 8 Interview in Visao, 30. Mai 1996. Zur wirtschaftlichen Verschlechterung siehe Victoria Brittain, „Les défis de l'après-guerre en Angola“, a. a. O. 9 In Folha oito, einer der angesehensten unabhängigen Publikationen, wird die Rasse der zitierten Personen immer in Klammern angegeben. 10 Diese These wird von Atsutsé Agbobli aufgestellt in „Des épines sur le chemin de Luanda“, Africa International, Paris, Februar 1997.

Le Monde diplomatique vom 11.04.1997, von AUGUSTA CONCHIGLIA