11.04.1997

Die Renteneinkommen von morgen werden an der Börse gehandelt

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Die Renteneinkommen von morgen werden an der Börse gehandelt

WENIGE Wochen vor ihrem voraussichtlichen Ende hat die Regierung von John Major soeben die totale Privatisierung der Rentensysteme für britische Beamte vorgeschlagen. Soweit ist man in Frankreich noch nicht, aber das Gesetz zur Schaffung von renditeorientierten Pensionskassen tut einen Schritt in diese Richtung. Was den Bürgern bislang tunlichst verschwiegen wurde ist die Tatsache, daß diese Kassen keineswegs die Stabilität und das Niveau der Pensionen sicherstellen, da sie im wesentlichen von einer günstigen Marktsituation, der maximalen Ausbeutung der Erwerbstätigen und von erschlichenen Wertschöpfungen in den sogenannten Schwellenländern abhängen. Auf diese Weise nimmt das internationale Kapital seine eigenen Arbeitnehmer als Geiseln.

Von FRANÇOIS CHESNAIS *

Pensionskassen, wie sie in einigen Ländern schon existieren und in Frankreich soeben durch das im Februar verabschiedete Gesetz (loi Thomas) geschaffen wurden, verfolgen nur dem Anschein nach die Absicht, die Zukunft der Ruhestandsbezüge sicherzustellen. Ihr eigentliches Ziel besteht darin, die Wertschöpfung, die aus der Produktionstätigkeit im weiteren Sinne resultiert, zunehmend zugunsten der Besitzer von Kapitalvermögen umzuverteilen.1

Kommt es zur Kapitalbildung auf der Basis von individuellen Sparbeträgen, die von den Gehaltsempfängern in die Pensionskasse eines Betriebes oder Industriezweiges (einen „Fonds“, wie es in der angelsächsischen Terminologie heißt) eingezahlt werden, hängt das Rentenniveau nicht von dem auf dem Gehaltsstreifen ausgewiesenen Beitrag ab. Es ist auch nicht an die Entwicklung der Gehälter oder Preise gekoppelt. Es ist vielmehr einerseits davon abhängig, was der Arbeitnehmer selbst während der guten und schlechten Tage seines Arbeitslebens hat ansparen können – und damit abhängig von seiner Lebensarbeitszeit und der Art der Arbeitsverträge, in deren „Genuß“ er gekommen ist –, und andererseits von dem „Erfolg“, mit dem der Rentenfonds seine Ersparnisse im Laufe der Zeit vermehren konnte.

Dieser Erfolg aber ist eher abhängig von der Leistungsfähigkeit der Mechanismen des nationalen und internationalen Kapitalmarkts, auf dem die Anlagen plaziert werden, als von der eigentlichen Kompetenz der Fondsverwalter. Diese Mechanismen sind insofern „sozial“, als sie das Vermögen einer Gesellschaft unter Individuen umverteilen, die unterschiedlichen Berufsgruppen und Nationalitäten angehören. Aber diese Umverteilung vollzieht sich über die Finanzmärkte und im Namen von Prinzipien, die nichts mehr mit einer Art von Solidarität gemein haben, wie sie innerhalb der Arbeiterschaft praktiziert wurde.

Die Beträge, die von den Gehaltsempfängern an die Pensionskassen ihrer Betriebe oder Industriezweige abgeführt werden – und die auch durch Zuzahlungen der Arbeitgeber (“abondements“) aufgestockt werden können – fließen in einen Fonds. Im deutschen Modell diente dieser Fonds lange Zeit dazu, die Rückstellungen in den Konzernbilanzen zu erhöhen und dadurch die Investitionsfähigkeit des Konzerns durch Eigenfinanzierung zu stärken.2 Diesen Ansatz hat der Flügel des französischen Arbeitgeberverbandes (Conseil National des Patrons Français, CNPF), der am deutlichsten die Großindustrie repräsentiert, bis 1994 gegen die Banken und Versicherungen verteidigt. Diese machten sich ihrerseits für das angelsächsische Modell stark, das schließlich mit der loi Thomas die Oberhand behalten hat. Die Sparbeträge der Gehaltsempfänger werden hiernach einem Finanzexperten anvertraut, der die Aufgabe hat, die in seinen Händen angesammelten Beträge zu vermehren, also ihre Erträge zu steigern, indem er sie auf möglichst rentablen und sicheren Märkten anlegt.

Die Verwaltung des Fonds kann von den Industrie- oder Bankkonzernen „intern“ abgewickelt werden. Sie erfordert eine entsprechende Kompetenz und wird seit den Betrugsaffären der achtziger Jahre – eine der aufsehenerregendsten war der Fall Maxwell3 – selbst in Großbritannien immer strenger kontrolliert. Deswegen verlagert man diese Fonds zunehmend nach außen, das heißt, man vertraut sie einem Spezialinstitut an – etwa einem der großen Pensionskassenverwalter, die zur Zeit in New York oder in London oder auch in Tokio Dutzende von betrieblichen Pensionskassen zentral verwalten. Die Arbeitgeber erwarten von diesen Verwaltern ein besonderes Maß an „Effizienz“ und „Produktivität“, denn die meisten der privaten Systeme fordern den Arbeitgebern nur dann Zuzahlungen ab, wenn die Performance der „Fonds“ auf den Märkten schwach ausfällt. Die – sehr hohen – Kommissionen der Fondsverwalter werden ebenfalls nach den Erträgen der Anlagen bemessen.

Die Verwalter bevorzugen zwei Typen von Anlagen, und zwar in einem Mischungsverhältnis, das von Land zu Land und von Fonds zu Fonds verschieden ist. Das sind in erster Linie Anlagen in Form von öffentlichen Anleihen und Obligationspapieren, wie sie weltweit als Staatsanleihen insbesondere von den Industrieländern emittiert werden. In der ersten Hälfte der neunziger Jahre setzten sich die Vermögenswerte der amerikanischen Fonds zu 20 bis 25 Prozent und die der britischen Fonds zu ungefähr 15 Prozent aus diesen Papieren zusammen.4 Die Liberalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte und die sich daraus ergebende Globalisierung des Kapitals führten sodann zu einer entsprechenden Internationalisierung der von diesen Fonds gehaltenen Wertpapiere. Der öffentliche Rentenmarkt ist die aktivste und am stärksten international orientierte Abteilung der Pariser Börse, aber auch anderer Finanzplätze. Bei großen monatlichen Schwankungen befanden sich im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts (siehe untenstehenden Artikel) zwischen 20 und 40 Prozent der öffentlichen Schuldtitel Frankreichs in den Händen ausländischer Pensionsfonds.

Die zweite bedeutende Anlageform sind Portefeuilles von Aktien, die an den wichtigsten Börsen notiert werden. Sie machen zwar den überwiegenden Teil der Aktiva aus, liefern aber nicht notwendigerweise auch einen entsprechenden Teil der regelmäßigen Erträge. Bei den US- amerikanischen Pensionsfonds sind 45 bis 50 Prozent der Aktiva in dieser Anlageform gebunden, bei den britischen Pensionsfonds sogar bis zu 65 Prozent. Experten schätzen, daß etwa ein Drittel der Aktienumsätze an der New Yorker Wall Street wie auch in der Londoner City von den Pensionsfonds getätigt werden.

Im Fall der öffentlichen Anleihen beruhen die Kapitalströme, die in die Pensionsfonds fließen – und diesen die Auszahlung der in Aussicht gestellten Ruhestandsbezüge ermöglichen – auf dem Transfer von Einkünften, die erst besteuert werden, bevor sie in Gestalt des staatlichen Zinsendienstes ihre privaten Ersparnisse erhöhen. Diese Einkünfte entstehen aus wirtschaftlicher Tätigkeit, besonders in Form von Gehaltszahlungen. Aus ihnen werden durch direkte und indirekte Besteuerung Summen abgeschöpft, die zu einem Teil den Finanzmärkten zufließen, die ihrerseits aber nur einen Bruchteil davon an die Nutznießer der privaten Pensionsfonds zurückverteilen.

Bei den Aktien ergibt sich die Rendite der Spargelder aus den Dividendenzahlungen der Gesellschaften und den Börsennotierungen der Papiere – sie ist somit in beiden Fällen von der Höhe der Unternehmensgewinne abhängig – sowie aus den Kauf- und Verkaufsoperationen von Aktienwerten, mit denen sich, wenn sie erfolgreich verlaufen, ein häufig sehr erheblicher Wertzuwachs erzielen läßt. Das Wunder der Brotvermehrung gibt es allerdings nicht. Die Spartätigkeit selbst schafft keine Wertzuwächse und ermöglicht als solche noch nicht das Aufbringen der vollen Rentenzahlungen. Das „Sparen“ ist lediglich dann „fruchtbar“, wenn es Kapitalströme abpumpt, die anderweitig im nationalen oder internationalen Wirtschaftssystem entstehen.5

Als die Fondsverwalter in Vorahnung des bevorstehenden Börsenkrachs ihre Positionen an den Renten- und Aktienmärkten in Mexiko auflösten und so den Einbruch beschleunigten, „haben sie nur ihren Job getan“, wie sie sich ausdrückten. Indem sie so agieren, sind sie zum festen Bestandteil wirtschaftlicher Mechanismen geworden, die ein System der Kapitalakkumulation begründen, das zwangsläufig in einer wirtschaftlichen „Horrorwelt“6 enden muß. Indem sie darüber hinaus gegen die Währungen spekulieren, machen sie bei Geschäften mit, die wieder einmal bestätigen, wie sehr die Staaten aufgrund ihrer Verschuldung von den Kapitalmärkten beherrscht werden. Denn die können jederzeit die Regierungen zur Räson bringen, wenn sie die Bedürfnisse der großen „Weltmarktakteure“ nicht hinreichend berücksichtigen.

Die Pensionsfonds spielen also eine Doppelrolle. Einerseits resultieren sie aus dem Beitragsaufkommen, das auf die Gehälter und Bezüge bezogen ist, und verfolgen das klar definierte Ziel, den Arbeitnehmern nach ihrem Ausscheiden aus dem Berufsleben eine angemessene und stabile Rente zu garantieren. Andererseits gehören diese Fonds, sobald die akkumulierten Beitragszahlungen eine gewisse Schwelle überschreiten, zur Kategorie von Finanzinstitutionen, die – ohne Banken zu sein – ihre Aufgabe darin sehen, hohe Geldkapitalsummen mit maximaler Rendite arbeiten zu lassen, ohne dabei ihre Liquidität zu gefährden. Die wirtschaftliche Rolle solcher Fonds ist eine grundlegend andere, und die früheren Beitragszahler wie auch ein Teil der Haushalte, die ihre Ersparnisse in Investmentfonds und andere kollektive Anlagefonds eingebracht haben, werden auf diese Weise gewissermaßen zu Geiseln des Kapitals.

Börsenkrach läßt Renten abstürzen

NUN liegt die natürliche Bestimmung dieser Bevölkerungsschichten keineswegs darin, ihr Schicksal an die Geschicke des stark zentralisierten, monopolistischen und ausbeuterischen Finanzkapitals zu binden. Aber über die renditeorientierten Pensionsfonds ist das Niveau ihrer Renten jetzt unmittelbar an die Erträge von Anleihen und Aktien gekoppelt. Ihre Interessen geraten dadurch in Konflikt mit den Interessen anderer Bevölkerungsschichten und sogar mit denen der Gesellschaft insgesamt. Ohne positive Realzinssätze und einen regelmäßigen „strukturellen“ Zufluß von Ressourcen, die über die Finanzierung der öffentlichen Schulden in aller Welt angezapft werden, wären die angelsächsischen Fonds nicht imstande, ihren Mitgliedern die Renten auszuzahlen.

Die Aktienerträge als der andere Hauptbestandteil der Rentenfonds-Portefeuilles sind ein direktes Ergebnis der Effizienz, mit der man die Leitlinien der „corporate governance“7 in den Industriekonzernen umsetzt, die an der Börse gehandelt werden. In den Vereinigten Staaten und in Großbritannien ist es dem Finanzkapital gelungen, das Rentenniveau der ehemaligen Arbeitnehmer von der Unerbittlichkeit abhängig zu machen, mit der ihre im Erwerbsleben stehenden Genossen ausgebeutet werden.

Darin besteht der ungeheure politische Vorteil dieses Systems für das Kapital – ein weiteres Exemplar seiner „Schönheiten“, um mit Marx zu sprechen. Diese nur wenig erforschte Gemeinsamkeit zwischen den USA und Großbritannien könnte dazu beitragen, bestimmte Facetten der inneren und internationalen Entwicklung zu erhellen, die beide Länder in den letzten Jahre durchlaufen haben.

Die Verfechter einer „agnostischen“ Indifferenz gegenüber den gesellschaftlichen Grundlagen und politischen Konsequenzen der unterschiedlichen Modelle behaupten, letztlich sei nur die Leistungsfähigkeit eines Modells entscheidend. Im Umlagemodell finanzieren die Beiträge der Erwerbstätigen die Renten der Ruheständler. Die Überlebensfähigkeit dieses Modells beruht auf zwei Parametern: der Alterspyramide und dem Beschäftigungsniveau der Gehaltsempfänger.

Im Renditemodell ist die Gewährleistung der Rentenzahlungen an drei Bedingungen geknüpft:

– Die Kapitalmärkte müssen die Regierungen daraufhin überwachen, daß sie ihren Schuldendienst regelmäßig erfüllen und die entsprechende Zahlungsfähigkeit der Länder langfristig außer Zweifel steht.

– Es darf zu keinem Börsenkrach, ja nicht einmal zu einer durchgreifenden Wertbereinigung von spekulativen bubbles auf den Finanzmärkten kommen.

– Es müssen politische und wirtschaftliche Voraussetzungen zur Konsolidierung und Neugründung von sicheren und leistungsfähigen Finanzplätzen außerhalb der OECD geschaffen werden.

Als besondere Schwachstelle gilt der zweite Punkt. Die Besorgnis eines Teils der amerikanischen Verantwortlichen, unter ihnen der Präsident der Federal Reserve, angesichts des aktuellen Kursniveaus an der Wall-Street-Börse ist nur zu gut bekannt. Alan Greenspan steckt der Börsenkrach von 1987 noch in den Knochen; unvergessen blieb ihm auch die Panik, die sich zusammenbraute, als der Dow Jones am 17. Juli 1996 an einem Tag um 3 Prozent fiel und sich der eineinhalb Monate zuvor begonnene Indexrückgang auf 6 Prozent summierte. Seither hat sich der Markt gefangen, und der Dow Jones hat beispiellose Höhen erklommen, was allerdings die Besorgnis der Experten im gleichen Maße wachsen läßt.

Durch Umstrukturierungen und sogenanntes „downsizing“, also Abspecken der Belegschaften in Verbindung mit einer streng restriktiven Gehaltspolitik ist es den institutionellen Anlegern im Rahmen der „corporate governance“ gelungen, die Aktienrendite seit Beginn der neunziger Jahre im Rhythmus von jährlich 13 Prozent zu steigern. Zwar hat im Verlauf der vergangenen drei Jahre das amerikanische Wirtschaftswachstum das europäische und japanische übertroffen; indessen bleibt zu bedenken, daß es im Schnitt seit 1991 lediglich 1,9 Prozent erreicht hat, während es mehr als 3 Prozent sein müßten, um eine derartige Hausse der Erträge zu rechtfertigen.

Der Wert der Börsenpapiere bleibt nur dann gesichert, wenn es den Händlern gelingt, die gemeinsamen Erwartungen aufrechtzuerhalten, auf denen die Notierungen basieren, die allerdings immer zu einem bestimmten Teil eine fiktive Grundlage haben. Doch früher oder später werden diese Fiktionen obsolet und es kommt zu „Korrekturen“. Dann brechen für die Aktionäre und vor allem für Vermögensverwalter – aufgrund ihrer sehr hohen Verantwortung – stürmische Zeiten an. Die dadurch ausgelöste Panik kann sich innerhalb weniger Stunden zu einem Börsenkrach wie im Oktober 1987 entwickeln: Der Dow Jones verlor damals an einem einzigen Börsentag 22,6 Prozent und wäre ohne massive Geldzufuhr seitens der Federal Reserve total abgerutscht.

Die Folgen eines so umfassenden Kursverfalls wären heute von ganz anderem Gewicht. Seit März 1991 ist der – bestenfalls auf Börsenkonventionen beruhende, schlimmstenfalls rein fiktive – Nominalwert der von Privatpersonen (direkt oder mittelbar über Pensionskassen und kollektive Anleger) gehaltenen Finanzanlagen um 5500 Milliarden Dollar gewachsen, das heißt um einen Betrag, der so hoch ist wie die Gesamtsumme der in den 25 vorangegangenen Jahren angesammelten persönlichen Ersparnisse.8 Selbst ein noch so harmloser Börseneinbruch hätte zur Folge, daß innerhalb weniger Tage Millionen und Abermillionen Rentner ihre Altersbezüge zu wesentliche Teilen oder gar komplett einbüßen und folglich in die Armut abstürzen würden. Das hätte unmittelbare Auswirkungen für den privaten Verbrauch und damit auch für die Produktion und den Arbeitsmarkt. Ein solcher Börsenkrach hätte für einen großen Teil der Mittelschicht so radikale Konsequenzen, daß sie innerhalb ihrer Lebenszeit nicht mehr reparabel wären. Zehn oder fünfzehn Jahre vor ihrer Pensionierung wären die über Pensionsfonds Versicherten (selbst wenn sie ihren Job behalten) nicht mehr in der Lage, eine ausreichende Altersversorgung anzusparen.

Langfristig ist die Tragfähigkeit der privaten Pensionssysteme – damit sind wir bei der dritten Voraussetzung – von der Voraussetzung abhängig, daß sichere und leistungsfähige Finanzplätze auch außerhalb des Gebiets der hochentwickelten OECD-Länder konsolidiert oder neu geschaffen werden. In den angelsächsischen Analysen zur Globalisierung der Finanzen wird dies ganz offen ausgesprochen. Ein McKinsey-Bericht von 1994 über den internationalen Kapitalmarkt untersucht in seiner Einleitung die Frage des Alters und der Gesundheit der Bevölkerung der Industrieländer. Selbst wenn sich alle 29 OECD-Länder (wie es die Analyse selbstverständlich empfiehlt) für die privaten Pensionssysteme aussprechen und entsprechend ihre Sozialausgaben und Defizite reduzieren würden, bliebe offen, wie den Rentnern zukünftig regelmäßige Bezüge garantiert werden könnten, denn diese würden vom „reibungslosen Funktionieren“ des internationalen Kapitalmarkts abhängen.

Hilferding und Lenin könnten recht behalten

Nach Ansicht von McKinsey können dabei „die großen Institutionen Hilfestellung leisten, was vor allem für die Pensionsfonds und genossenschaftlichen Investmentfonds gilt, die auf dem internationalen Kapitalmarkt agieren und rund um die Welt Renditen erwirtschaften“. Eine interkontinentale Diversifizierung der Investitionstätigkeit wird um so unverzichtbarer sein, als nach dem McKinsey-Bericht mit sinkenden Anlagerenditen in den hochentwickelten Ländern zu rechnen ist. Damit müßten zwangsläufig die Anlagemöglichkeiten mit hohen Erträgen in den Entwicklungsländern wahrgenommen werden. Vom Ausgang der diversen Szenarien für die Verfügbarkeit und den Transfer finanzieller Ressourcen auf globaler Ebene „wird es abhängen, ob den Rentnern aus den Renditen ihrer Ersparnisse ein ausreichender Lebensunterhalt erwachsen kann oder nicht“10 .

Die internationale Diversifizierung der Portefeuilles auch jenseits der OECD-Zone ist bereits in den neunziger Jahren angelaufen, wurde dann aber abrupt gestoppt, als die mexikanische Schuldenkrise ausbrach und zu einem Börsenkrach führte. Ende 1992 waren von den Guthaben der Pensionfonds noch weniger als 0,2 Prozent auf den Finanzmärkten der „Schwellenländer“ angelegt. Schon 1993 lagen die Anteile der britischen und amerikanischen Fonds bei 2,0 beziehungsweise 0,7 Prozent. In einer auf Sachverständigengutachten gestützten Analyse hat die OECD diese Tendenzen bis zur Jahrtausendwende hochgerechnet. Danach könnte sich das Gesamtvolumen der Anlagen von Pensionsfonds auf den Finanzmärkten der Schwellenländer von 12 Milliarden Dollar im Jahre 1992 auf 353 Milliarden im Jahr 2000 erhöhen. Das wäre eine Steigerung von 2900 Prozent innerhalb von acht Jahren, wobei 95 Prozent dieser Gelder nach Asien und Lateinamerika fließen würden.11

Die vom Internationalen Währungsfond ergriffenen Maßnahmen zur verschärften Kontrolle dieser“emerging markets“ lassen zwar die Befürchtung erkennen, daß hier erneut eine Finanzkrise großen Ausmaßes ausbrechen könnte. Sie müssen aber auch vor dem Hintergrund gesehen werden, daß es die Rückübertragung stabiler Gewinne zu organisieren gilt, nachdem die globalen Anleger gerade an diesen Finanzplätzen zunehmend Staatsanleihen oder Aktienpapiere gekauft haben. Wir erleben also schlicht eine – sich demokratisch gebärdende – Neuauflage des altbekannten „Rentierstaates“, den schon Hobson und Veblen, und erst recht Hilferding und Lenin, zu Beginn des Jahrhunderts analysiert und mitsamt seinen weitreichenden politischen Konsequenzen dargestellt haben. Viele dieser Analysen haben auch an der Schwelle des 20. Jahrhunderts nichts von ihrer Aktualität eingebüßt.

dt. Margrethe Schmeer

* Wirtschaftswissenschaftler, Verfasser von „La mondialisation du capital“, Paris (Syros) 1994 und Herausgeber von „La mondialisation financière: génèse, coûts et enjeux“, Paris (Syros) 1996.

Fußnoten: 1 Vgl. dazu René Passet, „Der große Schwindel mit den Pensionsfonds“, Le Monde diplomatique, März 1997. 2 Zum deutschen Modell, dem heutzutage das angelsächsische Finanzierungsmodell den Wind aus den Segeln nimmt, vgl. Lucy Roberts und Emmanuel Reynaud, „Les régimes de retraite à l'étranger: Etats- Unis, Allemagne, Royaume-Uni“, Paris (Institut de recherches économiques et sociales, IRES) 1992. 3 In dem Bemühen, seine Verluste auszugleichen, hatte der britische Pressezar Robert Maxwell 740 Millionen Pfund aus den Pensionskassen seines Firmenkonzerns abgezogen und damit rund 32000 Rentner um ihre Altersbezüge gebracht. 4 Vgl. hierzu das Standardwerk von Philip Davis, „Pension Funds, Retirement-Income, Security and Capital Markets: an International Perspective“, Oxford (Clarendon Press) 1996. 5 Zu dieser und den folgenden Fragen vgl. François Chesnais in Zusammenarbeit mit Suzanne de Brunhoff, Richard Farinetti, Robert Guttmann, Dominique Plihon, Pierre Salama und Claude Serfati: „La mondialisation financière: génèse, coûts et enjeux“, Paris (Syros) 1996. 6 Vgl. dazu Viviane Forrester, „L'horreur économique“, Paris (Fayard) 1996. 7 Ein Ausdruck, den man annähernd mit „Überwachung der Unternehmensentscheidungen“ wiedergeben kann; er verweist auf die zunehmende und für die Konzernchefs manchmal fatale Intervention der Pensionsfonds in die Führung der Unternehmen, mit dem Ziel einer maximalen Dividendenausschüttung an die Aktionäre. Für einen kurzen Einblick in die unerträglichen Widersprüche, in die sich die amerikanischen Gewerkschaften haben verwickeln lassen, vgl. den Artikel von Sylvie Kauffmann in Le Monde, 4. März 1997. 8 Financial Times, 19. September 1996. 9 McKinsey Global Institute, „The Global Capital Market: Supply, Demand, Pricing and Allocation“, Washington DC 1994. 10 Ebenda. 11 Verweise auf die angeführten Berichte und ein die Projektionen zusammenfassendes Schlußbild finden sich bei Richard Farinetti, „Le rôle des fonds de pension et d'investissement collectifs anglo-saxons dans l'essor de la finance globalisée“, in „La Mondialisation financière“, a. a. O.

Le Monde diplomatique vom 11.04.1997, von FRANÇOIS CHESNAIS