11.04.1997

Verbrechen und andere Kleinigkeiten

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Verbrechen und andere Kleinigkeiten

Von MAURICE LEMOINE

EINIGE Wochen nach dem erfolgreichen Putsch des Drogen-Generals Luis Garcia Meza am 17. Juli 1980 in Bolivien stellte die Drug Enforcement Administration (DEA) ihre Tätigkeit in diesem Land ein. Die Regierung der USA stoppte die finanzielle Unterstützung und Zusammenarbeit im Kampf gegen den Kokainschmuggel, „um gegen die Destabilisierung des Demokratisierungsprozesses zu protestieren“. Gleichzeitig bekam die CIA freie Hand, ihre Operationen in Mittelamerika mit Hilfe von Kokain zu finanzieren, das in einem geheimen Labor im bolivianischen Huanchaca produziert wurde.

1986 flog der Skandal auf, nachdem der bolivianische Wissenschaftler Noel Kempf Mercado, der Pilot Juan Cochamanidis und ihr Führer Franklin Parada auf der Reise nach Huanchaca von Drogenhändlern ermordet worden waren. Die DEA, mittlerweile ins Land zurückgekehrt, geriet unter dringenden Verdacht, am Kokainhandel, an der Unterschlagung von Beweismitteln und an der Finanzierung der nicaraguanischen Contras aus den Erlösen der in Huanchaca hergestellten Drogen beteiligt zu sein.1 Später wurde sie für den dreifachen Mord verantwortlich gemacht, weil sie von der Existenz der Kokainfabrik wußte, ihr Wissen aber für sich behielt.

Edmundo Salazar, ein Abgeordneter der Revolutionären Linksfront (FRI), der dazu recherchiert hatte, wollte die Angelegenheit vor den Kongreß bringen, um dort die Ausweisung der DEA-Agenten und der US-Soldaten zu beantragen. Kurz nachdem er diese Anschuldigungen erhoben hatte, wurde er am 10. Oktober 1986 in Santa Cruz ermordet.

Die DEA ist in Lateinamerika allgegenwärtig: In Kolumbien, Bolivien, Peru, in Panama und Mexiko verfügt sie über unzählige Informanten. Seit ihrer Gründung 1973 geht sie mit geheimdienstlichen Methoden vor, zumal sie Agenten der CIA – und deren Know-how – in ihre Führungsebene einbindet2 . „Indem wir als verdeckte Ermittler arbeiten, begehen wir Delikte und werden Teil des Verbrechens“, so der Vorwurf eines ehemaligen Agenten.3 „Dinge, die sich kein König oder Premierminister erlauben könnte, werden niederen Funktionären zugestanden, die entsprechend anfälliger dafür sind, ihre Macht zu mißbrauchen. Nixon mußte wegen der Telefonüberwachung im Watergate-Hochhaus zurücktreten, während die DEA-Agenten in Bolivien Privatgespräche aufzeichnen, ohne daß irgend jemand sie zur Rechenschaft zieht.“

Am 20. August 1992 verabschiedete die Regierung von Jaime Paz Zamora das Dekret 23239, das die Aktivitäten von in Bolivien akkreditierten ausländischen Beamten reglementieren sollte. Die Verordnung wurde niemals wirksam, Paz Zamora und mit ihm seine Partei (Movimiento de Izquierda Revolucionario – MIR) jedoch beschuldigte man, Verbindungen zum Drogenhandel zu unterhalten. Grundlage dafür waren geschickt gestreute Informationen der DEA.

Die in La Paz allmächtige DEA wurde 1988 beschuldigt, am Chapare-Fluß mit sieben verschiedenen chemischen Substanzen experimentiert zu haben, um die Koka-Pflanzungen auszurotten; die Folge ist eine möglicherweise irreparable Zerstörung der Böden und des Ökosystems. Im Januar 1989 empörte sich der Staatssekretär Jorge Alderete, besorgt um die nationale Souveränität: „Die DEA informiert die Regierung nur über das, was ihr paßt, und erzeugt dadurch eine totale Abhängigkeit.“ Am 22. Januar 1993 erhob der Präsident der bolivianischen Menschenrechtskommission, Ernesto Machicao, seinerseits Vorwürfe: „Der Bericht über die Menschenrechtsverletzungen in Bolivien, den das nordamerikanische State Department ausgearbeitet hat, klammert den Bereich der Drogenbekämpfung aus, um die Spezialeinheiten der USA nicht zu belasten. In diesem Bereich werden jedoch die weitaus meisten Menschenrechtsverletzungen begangen, von Beamten der bolivianischen und amerikanischen Drogenbekämpfung.“

Seit 1993 weiß man durch Aussagen zahlreicher Häftlinge aus dem Drogenmilieu, daß die DEA über sogenannte „Folterhäuser“ verfügt, unter anderem auch in Santa Cruz. Der Rechtsanwältin Mabel Lopez zufolge, die die Gefängnisseelsorge leitet, nehmen Agenten der DEA in Santa Cruz bolivianische und ausländische Staatsbürger fest, die sie in Handschellen mit verbundenen Augen in diese Häuser bringen, wo sie dann „mit ausgeklügelten Methoden“ zum Reden gebracht wurden. Für die Festnahmen benutzt die DEA Mietwagen der Firma Rent-A-Car, um nicht identifiziert zu werden4 , und überläßt die Verantwortung für die Operationen einem Latino-Personal, vor allem Puertoricanern.

Im April 1993 verlangte US-Botschafter Richard Bowers für die DEA-Agenten den gleichen Diplomatenstatus wie für Botschaftsangehörige. Das bolivianische Außenministerium lehnte mit dem Hinweis ab, diese Agenten müßten dann ähnliche Vorrechte haben wie Vertreter von Organisationen der internationalen Zusammenarbeit. Glaubt man einem Bericht des Staatssekretärs Mario Soliz, dann hat die bolivianische Regierung im übrigen „keinerlei Handhabe, festzustellen, wie viele Vertreter der DEA sich wirklich in Bolivien aufhalten“5 , weil sie als Touristen einreisen, um dann geheimdienstliche Missionen durchzuführen.

Im Februar 1991, anläßlich des Antidrogen-Gipfels von San Antonio, äußerte der peruanische Präsident Alberto Fujimori die Einschätzung, die USA würden mit einer „Militarisierung“ der Drogenbekämpfung einen ähnlichen Schiffbruch wie in Vietnam riskieren, und beschuldigte die DEA ganz offen der Korruption. Fest steht, daß diese Organisation die ganze Last der Drogenbekämpfung auf die lateinamerikanischen Länder abwälzt. In erster Linie auf die Koka- Bauern – die eigentlichen Opfer der ständigen Repressionen, die mangels politischer Alternativen dem Hungertod ausgesetzt sind6 ; zuweilen auch auf die Drogenhändler, insbesondere in Kolumbien, wo der Kampf gegen die Kartelle tatsächliche Auswirkungen hatte. Doch angesichts eines Jahresbudgets in der Größenordnung von 800 Millionen Dollar ist man fassungslos über die armseligen Ergebnisse der DEA im eigenen Land. Drogenhändler aus den Anden festzunehmen und deren riesige Vermögen zu beschlagnahmen, scheint sie mehr zu interessieren, als den Drogenhandel innerhalb der USA zu zerschlagen oder dort nach „schmutzigen Geldern“ zu fahnden.

Am 5. Februar 1997 wurde in Bogotá die „Clinton- Liste“ publik gemacht, ein Archivdokument der US- Regierung, das 204 Kolumbianer und 155 Unternehmen insbesondere aus Cali und Bogotá verdächtigt.7 Doch in Bogotá fragt man sich: „Wann veröffentlicht jemand eine Liste der Drogenkonsumenten?“

dt. Miriam Lang

Fußnoten: 1 Cedib: „DEA y soberania en Bolivia – cronologia 1986-1994“, Cochabamba, Oktober 1994. Siehe auch Gunter Holzmann, „On dit que j'ai survécu quelquepart au-delà des mers ...“ Paris (La Découverte) 1997, S. 231-246. 2 Über die engen, manchmal widersprüchlichen und sogar gestörten Beziehungen zwischen der DEA und der CIA siehe Michael Levine und Laura Kavanao-Levine, „Blancs comme neige, la drôle de guerre à la cocaine“, Paris (Dagorno) 1996. 3 John Mills, „The Underground Empire“, New York (Doubleday) 1987. 4 Hoy, La Paz, 7. Januar 1994. 5 El Diario, La Paz, 16. Januar 1994. 6 Siehe Maurice Lemoine, „Mit den Leoparden auf der Suche nach Kokaküchen“, Le Monde diplomatique, Oktober 1995. 7 Cambio 16, Madrid, 3. März 1997.

Le Monde diplomatique vom 11.04.1997, von MAURICE LEMOINE