Helm auf zur Drogenbekämpfung
AM 13. März dieses Jahres verlangte der US-amerikanische Kongreß Sanktionen gegen Mexiko, weil dem Land vorgeworfen wurde, im Kampf gegen den Drogenhandel zu lax vorzugehen. Die Resolution löste in Mexiko-Stadt heftige Reaktionen aus, wo (wie überall in Lateinamerika) Repressionen seitens der Vereinigten Staaten – dem größten Kokainkonsumenten der Welt – einen unmittelbaren Angriff auf die nationale Souveränität bedeuten. Der Krieg gegen den Drogenhandel scheint die während der achtziger Jahre von Washington angewandte Counter-Insurgency-Doktrin abgelöst zu haben. Dadurch wird der Weg frei für einen neuen, vor allem militärischen Interventionismus der USA.
Von MARIANO AGUIRRE *
Nahezu 80 Prozent des Kokains und 90 Prozent des Marihuanas, die in die USA gelangen, stammen aus Lateinamerika. Produziert wird die Ware in der Andenregion (Bolivien, Peru, Kolumbien) und anschließend durch die Karibikstaaten (aber auch durch Mittelamerika und Mexiko) geschleust – die Drehscheiben der internationalen Mafia, die mit den in der Region tonangebenden kolumbianischen Kartellen zusammenarbeitet.1 Der Erlös aus dem Verkauf der Drogen, die auf US-amerikanisches Gebiet gelangen, beträgt bis zu fünfzig Milliarden Dollar jährlich. Washington betrachtet diesen Drogenhandel als „innere Angelegenheit“ mit sehr weitreichenden sozialen Folgen, da er sich auf die Kriminalität auswirkt.
Um gegen diese Plage vorzugehen, verfolgen die US-Behörden zwei Strategien: Einerseits die Versorgungsquellen ausschalten, indem man die Ernte und die geheimen Labors in Lateinamerika zerstört. Zum anderen den Stoff an den Landesgrenzen, in der Luft und auf hoher See abfangen. „Ziel ist es, den Handel mit illegalen Drogen innerhalb der Vereinigten Staaten einzudämmen, ihren Preis in die Höhe zu treiben, die Dealer in ihren Schlupflöchern aufzuspüren, eventuelle Konsumenten zu entmutigen und drogenabhängigen Menschen aus der Szene herauszuhelfen.“2
Mußte man unbedingt die Armee einschalten, um diese Ziele zu erreichen? In der Vergangenheit hat das Pentagon den Einsatz von Militär gegen Drogenhändler stets abgelehnt. Diese Haltung basiert auf dem Posse Comitatus Act von 1878, demzufolge die Streitkräfte „sich auf keinen Fall in innere Angelegenheiten einmischen“ sollen.
Doch setzte sich die US-Regierung darüber hinweg und beauftragte 1988 die Streitkräfte, dem Drogenhandel ein Ende zu machen; zu diesem Zweck sollten sie Spezialeinheiten bilden, um „sowohl in den USA als auch im Ausland“ gegen Drogenhändler vorzugehen, und ein eigenes Netz für nachrichtendienstliche Tätigkeiten und Informationen aufbauen. 1989 bezog Präsident George Bush die Streitkräfte offiziell in seine National Drug Control Strategy (NDCS) mit ein. Mit Billigung des Kongresses wurden auch Aufgaben wie Überwachung und Aufdeckung von Drogentransfers auf dem Luft- oder Seeweg und die Errichtung eines Netzwerks für Kommunikation, Kontrolle und geheimdienstliche Tätigkeit (C31) den Streitkräften übertragen.3 Mit Satelliten, Radartechnik und Kontrollsystemen, die zur Beobachtung der ehemaligen Sowjetunion und Kubas gedient hatten, überwacht das Pentagon seitdem die Karibik und die Andenregion.
Die Vereinigten Staaten schicken Militärkommandos nach Lateinamerika, die dort Mannschaften ausbilden und mit Techniken zur Vernichtung der Kokapflanzungen vertraut machen. Die CIA, die Drug Enforcement Administration (DEA), das Pentagon, die Küstenwache und das Southern Command sind an der Umsetzung dieser Politik beteiligt.
Präsident Bill Clinton hat bekräftigt, daß „internationale Phänomene wie der Terrorismus, der Drogenhandel, die Umweltzerstörung, die Vernichtung natürlicher Ressourcen, das rasante Bevölkerungswachstum und der Massenandrang von Flüchtlingen eine sowohl kurzfristig wie langfristig angelegte amerikanische Sicherheitspolitik notwendig machen“4 . Zu diesem Zweck führte er strengere Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche ein und forderte außerdem von den lateinamerikanischen Ländern die Auslieferung von Drogenhändlern an die Vereinigten Staaten – ein Punkt, der einen heftigen Streit mit Kolumbien nach sich zog. 1995 unterschrieb Clinton die Presidential Decision Directive (PDD), die die Kontrolle des „internationalen Drogenhandels und des internationalen organisierten Verbrechens“ für die Geheimdienste zur Priorität erhebt.
Clinton hat den Emergency Economic Powers Act dazu benutzt, die Guthaben von Drogenhändlern in den Vereinigten Staaten einzufrieren und ihnen sämtliche finanziellen Transaktionen zu verbieten. Gleichzeitig hat er die Hilfsleistungen zur Drogenbekämpfung verstärkt: Obwohl immer noch völlig unzureichend, machen die Programme, mit deren Hilfe lateinamerikanische Bauern zur Aufgabe des Koka-Anbaus überredet werden sollen, heute immerhin 20 Prozent der amerikanischen Gesamthilfe für die Region aus, während es vor zehn Jahren noch 3 Prozent waren.5
Doch haben diese Maßnahmen bei den Drogenhändlern etwas bewirkt? Mathea Falco, Präsident des Drug Strategies Institute, hält die amerikanische Drogenpolitik sowohl auf nationaler Ebene, wo Repression vor Prävention geht, wie auch auf internationaler Ebene für „eine Serie von Mißerfolgen“.6 Coletta Youngers, Expertin am Forschungszentrum Washington Office on Latin America (Wola) und Autorin des Buches „Clear and Present Dangers“, meint: „Eine konkrete militärische Strategie zur Bekämpfung des Drogenproblems gibt es nicht. Allzu viele Dienststellen auf unterschiedlichsten politischen Ebenen sind in die Angelegenheit verwickelt. Allgemein haben amerikanische Militärs bisher eher gezögert, wenn es darum ging, eine harte Haltung in der Drogenfrage einzunehmen. Lediglich das Southern Command zeigte in dieser Hinsicht großes Engagement, in der Annahme, daß man nur auf diesem Wege Erfolg haben würde.“
Das Southern Command spielt eine entscheidende Rolle in diesem Krieg. Seit den sechziger Jahren wurden von ihm Tausende lateinamerikanische Militärs im Antiguerilla-Kampf ausgebildet. Jetzt hat es erneut eine Aufgabe ganz nach seinem Geschmack gefunden, behandelt also die Drogenfrage unter rein militärischen Gesichtspunkten, ohne sich um die sozioökonomischen Ursachen des Problems zu scheren. Zwar sieht auch Oberstleutnant David G. Bradford, daß andere, unterstützende Aktionen wie zum Beispiel Armutsbekämpfung oder humanitäre Hilfe notwendig sind. Doch er stellt klar: „Wir Militärs möchten an diesen Aktionen nicht beteiligt werden.“7
Nach Vorstellung des Pentagons sollen die US-amerikanischen Militärs die Einsatzkräfte des jeweiligen Landes mit strategischem Know-how und Informationen versorgen, ihnen aber sämtliche Operationen vor Ort selbst überlassen.8 Coletta Youngers zufolge „möchte man vermeiden, daß amerikanische Streitkräfte direkt in Kampfhandlungen eingreifen. Es sind jedoch Gerüchte in Umlauf, daß amerikanische Agenten möglicherweise in Operationen wie die Ermordung des Drogenhändlers Gonzalo Rodriguez Gacha in Kolumbien verwickelt waren. Das ist sehr schwierig zu beweisen, aber wundern würde es mich nicht.“
Es ist ein offenes Geheimnis, daß die US-amerikanischen Spezialeinheiten, die während der achtziger Jahre auf den Antiguerilla-Kampf vorbereitet worden sind, inzwischen Sonderkommandos der lateinamerikanischen Armeen für die Bekämpfung der Drogenmafia ausbilden und trainieren.
Bürger bleiben auf der Strecke
DEN Aussagen des kolumbianischen Polizeichefs José Rosso Serrano zufolge haben die dortigen Streitkräfte 1995 mit Hilfe US-amerikanischer Truppen den Plan „Condor“ und die Operation „Vichada“ auf die Beine gestellt, um die Versorgungswege des Drogenhandels nach Peru und Brasilien abzuschneiden. US- Experten waren es auch, die auf dem Militärstützpunkt von Mirandua ein Radargerät zur Luftraumüberwachung installiert haben.9 Darüber hinaus haben im April 1996 US-amerikanische, peruanische und kolumbianische Spezialeinheiten zur Bekämpfung der Drogenmafia gemeinsame Manöver durchgeführt (Operation „Laser Strike“).
Diese Zusammenarbeit mit US-amerikanischen Militärs ist sehr unpopulär. Als sich beispielsweise 1993 amerikanische Armeeinheiten in der kolumbianischen Region San Andrés in Juanchaco niederließen, um eine Drogenbekämpfungsbasis aufzubauen, verlangten die kolumbianische Presse, der Kongreß und der Staatsrat umgehend und in scharfem Ton von der Regierung César Gavirias, über diese Vorgänge Rechenschaft zu geben.
Könnten die USA diese Infrastruktur nutzen, um wie früher Interventionen imperialistischen Charakters durchzuführen? Professor Robert Matthews von der New Yorker Universität meint: „Es ist heutzutage für die Vereinigten Staaten einfacher, sich bei ihrem Streben nach Hegemonie der finanzpolitischen Kontrollinstrumente zu bedienen, die ihnen zur Verfügung stehen, wie Weltbank, IWF oder BID (Banco Interamericano de Desarollo – Interamerikanische Entwicklungsbank).“10 Immerhin aber verfügt Washington, indem es Informationen anhäuft und beträchtliche Truppenkontingente vor Ort unterhält, schon jetzt über Mittel, die sich bei der Kontrolle des einen oder anderen lateinamerikanischen Landes als sehr nützlich erweisen könnten.
Der amerikanische Krieg gegen die Drogen hat zu einer Reihe perverser Nebeneffekte geführt. Er zwingt die Bauern zu einem Leben in ständiger Angst und hat darüber hinaus mehrmals zur offenen Konfrontation zwischen Bauern und Regierungstruppen der jeweiligen Länder geführt, 1996 in Kolumbien, anläßlich der zwangsweisen Vernichtung der Pflanzungen in der Region Putumayo, oder in Bolivien, in Villa Unión und Mamorecillo.11 Den örtlichen Sicherheitskräften verschafft dies einen willkommenen Vorwand zu Repressalien, zur Einschränkung von Bürgerrechten sowie zur Ausweitung der Korruption.
Das Wola schätzt, daß sich die Politik der USA in doppelter Hinsicht negativ auswirkt: Einerseits leistet die Unterstützung von Polizei und lokalen Streitkräften „Menschenrechtsverletzungen Vorschub und stärkt die Macht der Militärs in den Andenstaaten, denen man gerade erst mühsam ein halbwegs zivilisiertes Verhalten beigebracht hat“. Andererseits „hat es die US-Regierung nicht geschafft, dafür zu sorgen, daß Militär- und Ausbildungshilfe nicht im Endeffekt wieder zur Aufstandsbekämpfung und zu anderen Operationen mißbraucht werden, die notwendig zu Menschenrechtsverletzungen führen“.12
So räumt Washington zum Beispiel ein, daß in Mexiko, wo nach wie vor enge Verbindungen zwischen Drogenmafia und politischen Machthabern bestehen, „Morde durch Todeskommandos der Polizei und illegale Festnahmen ein gravierendes Problem darstellen“13 . Die USA suchten deshalb durchzusetzen, daß mexikanische Militärs die Polizei bei der Drogenbekämpfung ersetzen. Doch diese Maßnahme war nicht unbedingt wirkungsvoll, wie die Verhaftung von General Jesús Gutiérrez Rebollo, dem Chef der Drogenbekämpfung, am 18. Februar 1997 gezeigt hat, dem vorgeworfen wird, mit den Drogenhändlern gemeinsame Sache zu machen.14
Trotz dieser Enthüllungen und obwohl ein Bericht des Government Accounting Office Mexiko beschuldigt, Hubschrauber der USA, die zur Bekämpfung der Drogenmafia bestimmt waren, bei Operationen gegen die Zapatisten in Chiapas eingesetzt zu haben, hat Washington jetzt erneut Hubschrauber und Kanonenboote für den Einsatz in der Drogenbekämpfung im Wert von 30 Millionen Dollar nach Kolumbien geschickt. (Siehe den Artikel von André Linard.)
Die lateinamerikanischen Militärs haben sich der Definition des US Army Field Manual angeschlossen, das den Kampf gegen die Drogen als „War of low intensity“ einstuft 15 . Diese Vorlage, die während der achtziger Jahre entwickelt wurde, entwarf Strategien gegen einen „ungewissen Feind“ in der Übergangsphase zwischen dem Ende des Kalten Krieges und dem Beginn eines neuen Zeitalters.16 Ihr Anlaß ist die Bedrohung der nationalen Sicherheit (sei es durch Drogenhandel oder Guerilla), also fällt sie in die Zuständigkeit der Militärs, denen sie als Legitimationsgrundlage dient, um ihr Arsenal zu modernisieren und ihre Position gegenüber den zivilen Machtinstanzen auszubauen.17
Für die lateinamerikanischen Regierungen ergibt sich hier ein grundsätzliches Dilemma: Sie sollen US-amerikanischen Forderungen nach Zusammenarbeit bei der Drogenbekämpfung und Vernichtung der Koka-Felder entgegenkommen – mit deren Ertrag sich im übrigen auf dem internationalen Markt große Gewinne erzielen ließen –, aber sie haben den betroffenen Bauern keinerlei finanzielle Entschädigung oder wirtschaftliche Alternative anzubieten. Diese Regierungen haben mit Sicherheit mehr zu verlieren als zu gewinnen, wenn sie dem Druck aus Washington nachgeben.
dt. Miriam Lang
* Direktor des Centro de Investigación para la Paz (CIP), Madrid. Wissenschaftler am Transnational Institute, Amsterdam.