11.04.1997

Vatikanische Worte zur Werbung

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Vatikanische Worte zur Werbung

Von FRANÇOIS BRUNE *

ENDE Februar: Während sich die Gemüter der französischen Katholiken über das Filmplakat zu „Larry Flint“ erhitzen, auf dem ein „Pornograph“ in der Pose des Gekreuzigten gezeigt wird1 – ein durchaus typisches Beispiel für die Provokationen und Anmaßungen moderner Werbekampagnen –, würdigt ein jüngstes Dokument des Vatikan die gesellschaftliche Bedeutung der Werbung: Sie gehöre „notwendig zum Funktionieren der modernen Marktwirtschaft, die heute in vielen Teilen der Welt entweder besteht oder im Entstehen begriffen ist“, heißt es dort, und man müsse „die Vorstellung überwinden“, daß sie ein Übel sei.2

Das ist nicht der einzige offensichtliche Widerspruch. Einige Zeitungen – etwa die katholische Wochenzeitung La Croix – begrüßen das „Ethik in der Werbung“ betitelte Dokument als Zeichen einer offeneren Haltung der Kirche gegenüber der Werbebranche, andere Medien – etwa Le Monde – betonen dagegen die scharfe Kritik, die darin enthalten sei.3

Was ist davon zu halten? Zunächst darf man einmal mehr an dem Bild der Wirklichkeit zweifeln, das uns die Medien vermitteln. Doch es stellt sich die Frage, ob nicht die Einlassungen der Kirche zum Thema Werbung durch ihre Zweideutigkeit den gegensätzlichen Interpretationen Vorschub geleistet haben.

„Ethik in der Werbung“ kommt als klassischer Besinnungsaufsatz daher, gegliedert in drei Abschnitte: 1. Der Nutzen der Werbung, 2. Der von der Werbung angerichtete Schaden, 3. Einige ethische und moralische Prinzipien. Nachdem das Für und Wider des Problems abgewägt wurde, werden abschließend die Prinzipien formuliert, denen eine Werbung zu folgen hätte, die der Achtung der Menschenwürde verpflichtet ist: Man appelliert an die „Verantwortung“ der Werbefachleute und setzt darauf, daß diese „ethisch verantwortbare Praktiken“ garantieren – insgesamt also ein recht sachlicher und bedächtiger Umgang mit dem Problem.

Der symmetrische Aufbau verstärkt den Eindruck der Objektivität: Nacheinander werden in vier Bereichen – Wirtschaft, Politik, Kultur sowie Moral und Religion – die Vorzüge und Nachteile der Werbung gegeneinander abgewogen. Hier einige Auszüge:

Argumente für die Werbung. Sie sei unverzichtbar für das Funktionieren der modernen Marktwirtschaft, helfe den Konsumenten, kluge Kaufentscheidungen zu treffen, kurbele den wirtschaftlichen Fortschritt an und schaffe somit Arbeitsplätze. Politisch könne sie einen Beitrag zur Demokratie leisten, und in kultureller Hinsicht könne sie „mehr Licht in manches Leben bringen und mitunter seien Anzeigen auch „Beispiele der Volkskunst“. Mehr noch: „Wegen ihres Einflusses auf die Medien, die für die Einnahmen von ihr abhängig sind, haben die Werbemanager Gelegenheit, positiven Einfluß auf Entscheidungen bezüglich des Inhalts der Medien auszuüben.“ Und was die Religion angeht, so gehört für die Kirche „zu einer umfassenden Pastoralplanung heute unbedingt die Beteiligung an medienbezogenen Aktivitäten, einschließlich der Werbung.“ Tatsächlich ist hier von Pastoralplanung die Rede!

Argumente gegen die Werbung. Allzu oft sei die Werbung tatsächlich ein Werkzeug des „Phänomens des Konsumismus“, sie fördere einen Lebensstil, der „auf das Haben und nicht auf das Sein“ ausgerichtet sei. Doch noch ernster sei ein solcher Mißbrauch, wenn konsumorienterite Verhaltensweisen und Werte von den Massenmedien und der Werbung an Entwicklungsländer vermittelt werden, wo sie die sozialen und wirtschaftlichen Probleme verschlimmern und die Armen schädigen.“ Im politischen Bereich appelliere die Werbung oft an die niedrigen Instinkte statt an ein fundiertes Gerechtigkeitsgefühl und den Sinn für das Wohl aller“, und auf der kulturellen Ebene könne sie einen zersetzenden Einfluß haben: „Medienleute können auch versucht sein, die erzieherischen und sozialen Bedürfnisse bestimmter Publikumsgruppen – die ganz Jungen, die ganz Alten, die Armen – zu ignorieren.“ Sie verhöhne und verletze religiöse Werte und Vorstellungen und untergrabe dort, wo sie „Gewalt und Pornographie“ verherrliche, die Moral.

MAN muß festhalten, daß die Kritik an der Werbung in der Veröffentlichung mehr Raum einnimmt als die Schilderung ihrer Vorzüge. Vor allem die Einleitung wendet sich gegen das Scheinargument, die Werbung sei nichts als das Abbild der Gesellschaft: Klar und deutlich wird hier konstatiert, daß die soziokulturelle Wirklichkeit in der Werbung nur verzerrt und ausschnitthaft wiedergegeben wird. Auch die Gefahr, die hieraus resultiert, wird benannt: der Werbung wohne „eine mächtige, alles durchdringende Kraft inne, die Einstellungen und Verhaltensweisen der heutigen Welt zu prägen vermag“.

Aus diesen deutlichen Worten mag sich erklären, daß manche Medien die Veröffentlichung vor allem als eine scharfe Attacke gegen die Werbeagenturen interpretiert haben – ganz im Sinne der Kritiker der Branche. Leider muß man aber feststellen, daß die Argumente, die in der Schrift gegeneinander aufgeboten werden, sich wechselseitig ausschließen: Die Werbung wird ob ihrer Auswüchse kritisiert und gleichzeitig prinzipiell, so wie sie heute ist, gutgeheißen – in jener Form also, die zu den geschilderten Auswüchsen führt.

Es genügt, die beiden Kapitelüberschriften nebeneinander zu halten, die den zentralen Abschnitt des Textes gliedern: „Der Nutzen der Werbung“ / „Der von der Werbung angerichtete Schaden“. Werbung ist also grundsätzlich gut oder zumindest wertneutral, doch es gibt auch Schäden, die sie anzurichten vermag, Mißbräuche gewissermaßen: „Die Werbung ist nicht an sich gut oder an sich schlecht. Sie ist ein Werkzeug, ein Instrument, das zu etwas Gutem oder etwas Schlechtem benutzt werden kann.“

Daß in der Schrift oft undifferenziert der allgemeine Begriff „Werbung“ gebraucht wird, ist allerdings eine unzulässige Vermengung zweier durchaus verschiedener Aspekte. Natürlich besteht die Werbung aus einzelnen wirkungsvollen Erzeugnisse (Plakate, Werbespots, Kampagnen), die man mehr oder weniger „ästhetisch“, „verlogen“ oder „unmoralisch“ finden kann. Aber Werbung ist heute zugleich auch ein ganzes System, eine wirtschaftliche und soziale Institution, die (durch das Geld, wie in der Marktwirtschaft so üblich) die Macht innehat, mittels eines unablässigen Propagandafeldzugs unsere Vorstellungen und Verhaltensweisen zu gestalten, wie wir auch in diesem Dokument nachlesen können.

INDEM die Autoren von der Annahme, daß die Werbung als einzelnes Erzeugnis relativ harmlos sei, mehr oder minder wissentlich zu einer Rechtfertigung des gesamten Werbesystems und dessen Vormachtstellung übergehen, öffnen sie einer gefährlichen Naivität Tür und Tor:

1. Wer die Werbung mit dem Hinweis verteidigt, sie leiste einen grundlegenden Beitrag zur modernen Marktwirtschaft, der unterstellt, daß gegen diese alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringende Marktwirtschaft selbst nichts weiter einzuwenden ist. Auf diese Weise wird der Fakt der Globalisierung und des Freihandels ohne eingehendere Untersuchung als rechtens angesehen.

2. Wer den stabilisierenden Beitrag der Werbung zum „Konsumismus“ und den „verheerenden“ Einfluß der von ihr produzierten Vorbilder als Mißbräuche kritisiert, der verschließt die Augen vor den grundsätzlichen Zielen der Marktwirtschaft. Die heutige Werbung ist der unverhüllte Ausdruck der Konsumideologie – hier handelt es sich nicht um ein Abdriften, sondern um eine immanente Entwicklung. Eine moralische Kritik, die von den Zwecken nichts wissen will, denen die Werbung dient (jenen Gesetzen des Profits, von denen an anderer Stelle die Rede ist), gelangt über frommes Wunschdenken nicht hinaus. Wie sonst soll man folgende Anforderung an die Werbemanager verstehen: „Ein Gewissen, das empfänglich ist für ihre Verpflichtung, nicht nur den Interessen derer zu dienen, die Arbeit für sie in Auftrag geben und finanzieren (...)“ Das aber ist doch ihr Job!? Und wie kann man sich mit der Werbung einverstanden erklären und sich gleichzeitig darüber erregen, daß die Menschen manipuliert werden, ohne daß sie sich dessen völlig bewußt sind? Schließlich würde die Werbung deutlich an Wirkung verlieren, wenn ihre Adressaten wüßten, daß und wie sie beeinflußt werden.

3. An keiner Stelle widerspricht das vatikanische Dokument schließlich dem enormen Machtgefälle zwischen den Bürgern einerseits und den Machern in den Spitzenpositionen von Medien und Werbeagenturen andererseits. Die folgenden Zitate zeigen, daß man die Manipulationsmöglichkeiten konstatiert und moralische Bedenken formuliert, an diesem Mißverhältnis aber grundsätzlich keinen Anstoß nimmt: „Die Medien, bemühen sich, den Werbemanagern ein Publikum zu liefern (...). Diese wirtschaftliche Abhängigkeit der Medien und die Macht, die sie Werbemanagern in die Hand gibt, bringt für beide ernste Verantwortlichkeiten mit sich.“ Wie wahr! Nur ist diese Macht so gewaltig, daß sie tagtäglich mit den ethisch verbürgten „Werten“ umspringen kann, wie es ihr beliebt: Sie verharmlost sie, spannt sie für ihre Zwecke ein, tut ihnen Gewalt an, vereinnahmt sie und lenkt sie in falsche Bahnen – was zählt, ist eben das Geschäft. Dem ist mit moralischen Argumenten nicht beizukommen, man sollte einfach feststellen, daß dieser Machteinfluß grundsätzlich pervers ist.

VIELLEICHT muß man es so sehen: Daß die Kirche sich nicht dazu durchringen kann, sich mit dieser Macht anzulegen, mag damit zu tun haben, daß sie in aller Unschuld hofft, es könnte dabei auch für sie etwas herausspringen. John P. Foley, Vorsitzender des Pontifikalrates, ist der Ansicht, daß auch Jesus Werbung betrieben habe, und er wünscht sich, daß die Kirche lernen möge, im Vorfeld der Bekehrung besser von den Mitteln der Werbung Gebrauch zu machen4 .

dt. Edgar Peinelt

* Autor von „Les médias pensent comme moi!“, Paris (L‘Harmattan) 1997.

Fußnoten: 1 Siehe die heftigen Anwürfe des Vorsitzenden der französischen Bischofskonferenz, Mgr. Billé, gegen dieses Filmplakat in La Croix, 21. Februar 1997. 2 „Ethik in der Werbung“, Vatikanstadt, 22. Februar 1997. 3 Während die Zeitung La Croix unter dem Titel „Rom lobt die Werbung“ die positiven Äußerungen des Vatikan in den Vordergrund rückt, hebt Henri Tincq in Le Monde (27. Februar 1997) die Kritik des Vatikan an den „verheerenden Auswirkungen der Werbung“ hervor. 4 La Croix, 27. Februar 1997.

Le Monde diplomatique vom 11.04.1997, von FRANÇOIS BRUNE