16.05.1997

Die unergiebige Unnachgiebigkeit der USA

zurück

Die unergiebige Unnachgiebigkeit der USA

TROTZ der Krise, die durch die Verwicklung iranischer Führungskräfte in das Mykonos-Attentat in Berlin 1992 ausgebrochen ist, und trotz der darauffolgenden starren Haltung des Iran gegenüber dem Westen scheinen die europäischen Staaten nicht bereit, auf ihre Politik des „kritischen Dialogs“ mit Teheran zu verzichten. Wahr ist allerdings, daß die Bilanz der Strategie der „doppelten Eindämmung“, die die USA gegenüber dem Irak und dem Iran verfolgt, nicht sehr überzeugend ist und auch in den USA auf heftige Kritik stößt. Dies gilt vor allem für die Geschäftswelt, aber auch für bedeutende Persönlichkeiten des politischen Lebens wie Zbigniew Brzezinski und Brent Scowcroft, zwei ehemalige Chefs des Nationalen Sicherheitsrats. In einem kürzlich erschienenen Artikel in Foreign Affairs haben die beiden auf die Sackgasse verwiesen, in die die Washingtoner Golfpolitik geraten ist.

Von PAUL-MARIE DE LA GORCE *

Die Festsetzung der „doppelten Eindämmung“ (double containment) als alleiniger Leitlinie der US-amerikanischen Politik gegenüber dem Irak und dem Iran bedeutete den Bruch mit einer Jahrzehnte alten diplomatischen Tradition. Lange Zeit war man in Washington davon ausgegangen, daß ein starker Iran dazu geeignet sei, den Aufstieg eines arabischen Golfstaats zur Hegemonialmacht in der Region zu verhindern. So waren die Karten verteilt, als der Schah noch herrschte. Zugleich sollte der Irak als Hindernis gegenüber störenden Aktivitäten des Iran dienen. Und genau diese Rolle übernahm Präsident Saddam Hussein, als er den ersten Golfkrieg (1980-1989) auslöste – eben zu dem Zeitpunkt, als die USA und Europa ein Übergreifen der iranischen Revolution auf andere Staaten befürchteten. Diese Schaukelpolitik fand nach dem zweiten Golfkrieg (1990-1991) ein Ende, als der amerikanische Präsident George Bush entschied, die gegen den Irak verhängte Blockade nicht durch eine Annäherung an den Iran auszugleichen. An dieses Prinzip hielt sich auch die Clinton-Regierung.

Eine so grundlegende Abkehr von einer derart bewährten diplomatischen Tradition resultierte natürlich aus neuen Prioritäten in der amerikanischen Politik. Zwar sahen die Vereinigten Staaten in der Etablierung der islamischen Revolution im Iran, in deren Ausbreitung, und vor allem in der Unterstützung der libanesischen Hisbollah nach wie vor eine Gefahr, doch inzwischen war die „Eindämmung“ des Irak genauso wichtig geworden. Es ging darum, die vollständige Zerstörung des irakischen Militärapparats sicherzustellen, Bagdad jede Möglichkeit zu nehmen, erneut zu einem entscheidenden politischen Faktor im Nahen Osten zu werden und damit das strategische Gleichgewicht in der Region erheblich zu stören: Wenn der Irak außer Gefecht gesetzt wurde und die USA ihre militärische Präsenz auf der arabischen Halbinsel verstärkten, würden sich die Nachbarstaaten gegenüber der israelischen Militärmacht in einer dauerhaft geschwächten Position befinden.

Für ein solch beachtliches Ergebnis, das die proisraelischen Kreise in den USA natürlich beabsichtigten, lohnte es sich durchaus, die strenge Blockade gegen den Irak so lange wie möglich aufrechtzuerhalten und zugleich ein wachsames Auge auf den Iran zu haben: So erklärt sich die seither gültige Politik des double containment.

Die Resultate dieser Strategie sind umstritten, und neuerdings wird über eine Neuorientierung diskutiert. Allerdings nicht im Hinblick auf den Irak: Obwohl inzwischen die Resolution 986 des UN- Sicherheitsrats über den Verkauf von „Öl gegen Lebensmittel und Medikamente“ in Kraft ist, die lange Zeit verschoben und von Washington stets hintertrieben worden war, wird das Land auch weiterhin isoliert und geschwächt bleiben – mit all den furchtbaren Folgen für die Bevölkerung.

Ganz anders entwickelt sich das Verhältnis zum Iran. Das Scheitern der amerikanischen Politik ist verbrieft. Kein anderes Land ist den harten Embargobestimmungen gefolgt, die in Washington dekretiert wurden. Wichtigster Abnehmer des iranischen Öls bleibt Japan, und die Volksrepublik China betrachtet Teheran seit langem als seinen wichtigsten Partner im Südwesten des asiatischen Raums. Rußland hat sich dem amerikanischen Druck nicht gebeugt und liefert weiterhin Kernkraftwerke an den Iran. Und die Länder der Europäischen Union wollten ihre bedeutenden Absatzmärkte nicht gefährden und haben selbst nach der Krise, die sich aus der Verwicklung der iranischen Führung in das Mykonos-Attentat von 1992 in Berlin ergab und die immerhin zur Abberufung der Botschafter führte, bislang keine Änderung ihrer Politik ins Auge gefaßt.

Bei ihren traditionellen Verbündeten konnten die USA also keine Unterstützung finden, obwohl sie ihnen durch das D'Amato-Gesetz mit Handelssanktionen drohten. In der Praxis bestand die einzige Wirkung der Embargopolitik darin, daß die amerikanische Industrie den iranischen Markt verlor – von den Handelsbeziehungen einmal abgesehen, die diskret über Drittländer abgewickelt werden. Letztendlich hat die „doppelte Eindämmung“ dem Iran gegenüber weniger funktioniert als gegenüber dem Irak.

Wird diese Politik nun also aufgegeben? In den letzten Monaten ist diese Frage auf mehreren halboffiziellen Tagungen von amerikanischen Experten bereits offen diskutiert worden, und eine Reihe von ihnen empfahl eine neue Strategie. Es ist in Washington kein Geheimnis, daß auch der Staatssekretär im Außenministerium, Robert Pelletreau, bis zu seinem Ausscheiden aus dem Amt eine solche Änderung befürwortete. Neuerdings ist er allerdings zu der Einsicht gelangt, daß es sehr schwierig sein dürfte, an diesem Punkt, der bislang von grundlegender Bedeutung war, einen politischen Kurswechsel vorzunehmen.

Israelische Ungewißheiten

Präsident Clinton wird in jedem Fall auf die öffentliche Meinung Rücksicht nehmen müssen, die, soweit sie in den Zeitungen und Fernsehstationen zum Ausdruck kommt, seit langem in radikal antiiranische Positionen gedrängt wurde. Das Regime in Teheran bietet allerdings auch genug Angriffsfläche: Man denke nur an das abscheuliche Todesurteil gegen den Schriftsteller Salman Rushdie – auch wenn die iranische Regierung jetzt erklärt hat, auf die Ausführung des Verdikts verzichten zu wollen.

Schon vor dem Urteilsspruch in Berlin war das iranische Regime immer wieder als Urheber zahlreicher terroristischer Aktivitäten beschuldigt worden. Man darf nicht vergessen, daß Präsident Clinton sowohl auf der Konferenz in Scharm al- Scheich als auch beim „Gipfel“ von Lyon erfolglos dafür plädiert hat, den Iran namentlich anzuklagen.1 In der amerikanischen Öffentlichkeit ist das negative Bild des Iran geprägt durch den Vorwurf des religiösen Fanatismus und durch die autoritären und gewaltsamen Methoden, die das soziale Leben des Landes bestimmen. Diese Vorstellung läßt sich ebensowenig einfach ändern wie die Haltung der Abgeordneten im Kongreß. Eine neue Politik der Vereinigten Staaten gegenüber dem Iran würde also nicht ohne weiteres akzeptiert, sie könnte allenfalls verdeckt und allmählich eingeführt und müßte von der iranischen Regierung durch Gesten des guten Willens unterstützt werden. In jedem Fall wäre ein solcher Kurswechsel problematisch.

Außerdem sieht die amerikanische Außenpolitik nach wie vor den Iran als Gegenspieler im gesamten südwestasiatischen Raum. Auch wenn es nicht offen ausgesprochen wird, so deutet doch alles darauf hin, daß die USA vor allem den Einfluß Rußlands in Zentralasien auf Dauer und möglichst endgültig zurückdrängen wollen. Eindeutig ist hingegen, daß sie den Einflüssen aus Teheran durch eine Unterstützung der Türkei entgegentreten. Diese offenbar langfristige Bindung, die trotz aller Probleme mit der politischen Ausrichtung von Ministerpräsident Erbakan Bestand hat, soll die Ausbreitung der iranischen Revolution in diesem Teil der Welt verhindern.

Die gleichen Befürchtungen bestimmen die Politik der Vereinigten Staaten auch gegenüber den anderen Nachbarländern des Iran. Deutlichstes Beispiel hierfür ist die Unterstützung der afghanischen Taliban in Pakistan, die Washington auch in der Absicht einer schrittweisen Annäherung an Turkmenistan gewährte.2 Wie bekannt, besteht der eigentliche Beweggrund darin, die gewaltigen turkmenischen Ressourcen an Erdgas, und in geringerem Maße auch an Erdöl, durch das von den Taliban beherrschte afghanische Territorium nach Pakistan zu exportieren und damit das konkurrierende Projekt einer Pipeline zum Scheitern zu bringen, die durch den Iran zum Indischen Ozean führen soll.

Hier steht eine Menge auf dem Spiel, wirtschaftlich, strategisch und politisch. Die USA haben sich bereits weitgehend engagiert, sowohl auf diplomatischer wie auf geheimdienstlicher Ebene, sie haben diskrete, aber direkte Militärhilfe geleistet, und eine Reihe amerikanischer Firmen sind bereits vor Ort tätig. Nichts scheint sie von diesem Projekt abbringen zu können – weder die Schwierigkeiten im Umgang mit den Taliban noch eine mögliche Annäherung an Teheran, die sich aus dem Scheitern der „doppelten Eindämmung“ ergeben könnte.

Im übrigen sieht man in Washington den Iran nach wie vor als ein gefährliches Vorbild für die islamistischen Oppositionsbewegungen, dessen Einfluß akuten Anlaß zur Besorgnis gibt. Das gilt für den Konflikt zwischen Israel und seinen traditionellen Gegnern, in dem der Iran durch seinen Einfluß auf die libanesische Hisbollah und andere islamistische Bewegungen in den Anrainerstaaten eine gewisse Rolle spielt; das gilt ebenso für den Sudan, dessen Regierung nach amerikanischer Ansicht so stark in terroristische Aktivitäten verwickelt ist, daß Washington dort offen alle Oppositionskräfte unterstützt. Das gilt auch für die Länder der Arabischen Halbinsel – der Anschlag von Dahran zum Beispiel wird inzwischen einem Mitglied der iranischen Führung zugeschrieben, das die Attentäter, Aktivisten der saudischen Hisbollah, finanziert haben soll. Den USA erscheint also die iranische Außenpolitik insgesamt als bedrohlich.

Dennoch wird die Strategie der „doppelten Eindämmung“ in den führenden Kreisen der amerikanischen Wirtschaft offen kritisiert. Deren Einfluß könnte um so größer sein, als die Clinton-Regierung in der zweiten Amtsperiode keine Wiederwahl zu erwarten hat und darum vielleicht eher für Vorschläge offen ist, wie man die amerikanischen Interessen in einem Land wieder zur Geltung bringen könnte, in dem sie praktisch nicht mehr vertreten werden. Jedenfalls scheint die Zeit günstig für einen Kurswechsel, auch wenn man ihn gegen den Widerstand großer Teile der Presse und des Repräsentantenhauses durchsetzen müßte.

Mehr oder minder offen geht also die Diskussion um eine Ablösung der Strategie der „doppelten Eindämmung“ weiter, und dabei spielt auch die israelische Politik eine Rolle.3 Der frühere israelische Ministerpräsident Schimon Peres war bekanntlich so besessen von der Vorstellung, daß der Hauptfeind in Teheran zu finden sei, daß er das iranische Regime als Urheber fast aller terroristischen Aktivitäten in der Region ansah.

Nach dem Amtsantritt von Benjamin Netanjahu stellte sich dagegen die Frage, ob der Likud sich auf seine traditionelle Position besinnen würde, der zufolge Israel noch lange Zeit mit der Feindschaft seiner arabischen Nachbarn zu rechnen hat und darum „Gegenallianzen“ eingehen muß. Zu diesen Bündnispartnern zählte fast immer die Türkei, auch durch den Vertrag über militärische Zusammenarbeit, der im vergangenen Jahr geschlossen wurde, ebenso jedoch der Iran, solange der Schah regierte. Nach wie vor gehört es zum Standardrepertoire der israelischen Diplomatie, auf die „iranische Gefahr“ zu verweisen, aber das Thema ist wieder in der Diskussion.

Unterdessen fühlen sich die Anhänger der Eindämmungs-Doktrin durch die Krise zwischen dem Iran und der Europäischen Union, die sich nach dem Urteil eines Berliner Gerichts im Verfahren um den Anschlag auf das Restaurant Mykonos entwickelt hat, in ihrer Überzeugung bestärkt. Nur wenige Stunden nach dem Bekanntwerden des Richterspruchs verfügte die deutsche Regierung die Abberufung ihres Botschafters aus Teheran, und mit Ausnahme Griechenlands trafen die übrigen europäischen Regierungen unmittelbar danach die gleiche Entscheidung. Daraus wird klar, daß die Reaktion Deutschlands zuvor diskutiert, festgelegt und erwartet worden ist, und die USA aktiv eingreifen konnten.

Das Ergebnis erfüllt langgehegte Wünsche in Washington: Endlich haben die europäischen Staaten von sich aus den „kritischen Dialog“ mit dem iranischen Regime beendet, der als begleitende Maßnahme zu den erfolgreichen und zunehmenden Wirtschaftsbeziehungen geführt worden war. Den politischen Führungsetagen in Europa ist diese Entwicklung offenbar nicht sehr angenehm: Vor allem in Frankreich beeilten sich diverse offizielle Sprecher zu versichern, daß sich an den Handels- und Finanzbeziehungen zum Iran nichts ändern werde. Ihre amerikanischen Kollegen erklärten dagegen sofort ihre Zustimmung zur Abberufung der Botschafter und gaben der Hoffnung Ausdruck, daß nun auch Wirtschaftssanktionen eingeleitet würden.

Angesichts der jüngsten Entwicklungen ist nicht zu erwarten, daß die amerikanische Regierung ihre Doktrin der „doppelten Eindämmung“ aufgeben wird. Aber demnächst gibt es im Iran Präsidentschaftswahlen, und sobald sich abzeichnet, welchen Kurs der Nachfolger von Ali Akbar Rafsandschani einschlägt, werden die Dinge in neuem Licht erscheinen.

dt. Edgar Peinelt

* Journalist, von ihm erschien zuletzt „Dernier Empire“, Paris (Grasset) 1996.

Fußnoten: 1 Siehe Paul-Marie de la Gorce, „Derrière la croisade de M. Clinton“, Manière de voir, Nr. 33, Februar 1997. 2 Siehe Olivier Roy, „Afghanistan: Die Taliban als Wächter der Scharia und der Pipeline“, Le Monde diplomatique, November 1996. 3 Siehe Alain Gresh, „Entre Washington et Israäl, une alliance sans failles“, Le Monde diplomatique, Juli 1993, sowie vom selben Autor „USA: Weltmacht mit beschränkter Haftung“, Le Monde diplomatique, Juli 1996.

Le Monde diplomatique vom 16.05.1997, von PAUL-MARIE DE LA GORCE