16.05.1997

Lobby-Arbeit

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Lobby-Arbeit

Von MARK PERTSCHUK *

BEI den Präsidentschaftswahlen in den USA im November 1996 verbanden sich zwei heiße Eisen der amerikanischen Politik zu einem brennenden Thema: Wahlkampffinanzierung und die Rolle der Tabakproduzenten. Während die Wahlkampffinanzierung (also die Sorge um die Beeinflußbarkeit der gewählten Politiker durch Spenden aus Industrie und Wirtschaft) ein altes Schreckgespenst darstellt, ist es ein neuartiges Phänomen, daß die Tabaklobby so viel Anklang fand.

Die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Demokraten Clinton und dem Republikaner Dole – die sich ansonsten kaum unterschieden – waren besonders heftig, wenn es um die Tabakfrage und die Kontrolle des Schußwaffenbesitzes ging. Die ungeschickten Erklärungen des republikanischen Kandidaten (er glaube nicht, daß der Nikotingenuß einen Gewöhnungseffekt bewirke) verärgerten einen Großteil der Wähler und trugen das Ihrige zu seiner Niederlage bei.

Betrachtet man die Auswirkungen der Tabakgelder auf die US-amerikanische Politik, so findet man Volksvertreter Seite an Seite, die sonst nichts miteinander verbindet: Neben dem ultrarechten republikanischen Senator Jesse Helms, der mehrfach mit dem Rassismus geliebäugelt hat, steht der progressive schwarze Bürgermeister von San Francisco, Willie Brown. Wie diese haben Tausende Kandidaten und Volksvertreter ein offenes Ohr für die Interessen der Zigarettenindustrie, nachdem sie sich zuvor sehr empfänglich für deren Großzügigkeit gezeigt hatten.1

Der Wahlkampf von Robert Dole markiert den Höhepunkt – und die Grenzen – einer uralten Strategie der Zigarettenlobby, die darauf abzielt, mit der Finanzierung von Kandidaten dafür zu sorgen, daß Verordnungen zum Schutz der Gesundheit, die ihrem Einfluß auf die Raucher abträglich sein könnten, unterbleiben. Auf diese Weise haben die Zigarettenhersteller die ultraliberale „Revolution“ der Republikaner gesponsert, und davor eine lange Reihe führender Politiker beider Parteien.

Als sie 1996 den Wahlkampf von Robert Dole und seiner politischen Freunde finanzierten, versprach der republikanische Amtsanwärter für den Fall seines Wahlsieges, den Spitzenfunktionär und Kämpfer gegen den Nikotinmißbrauch, David Kessler, in die Wüste zu schicken, auf Bundesebene die Maßnahmen zur Einschränkung des Zigarettenkonsums abzuschwächen oder ganz zu stoppen2 und die Gelder für Untersuchungen über die Gefahren des Rauchens zu streichen. Für die Tabakindustrie bedeutete also die Wiederwahl Clintons einen Rückschlag.

Um so mehr, als sie bereits Unsummen investiert hatte. So erhielten die Republikaner, die schon 1993 von der Zigarettenlobby 546000 Dollar bekommen hatten, zwei Jahre später fast den fünffachen Betrag (2,4 Millionen Dollar), wobei Philip Morris und RJR Nabisco das meiste beisteuerten.3 Einige der engsten Berater von Robert Dole gehörten höchstpersönlich zum Kreis der Lobbyisten.

In dem Maße, wie das Wissen um die gesundheitlichen Folgen für Raucher und ihre nichtrauchenden Mitmenschen in das allgemeine Bewußtsein vorgedrungen ist, hat sich die direkte Einflußnahme auf die Politik für die Tabakindustrie zu einer Existenzfrage entwickelt. Schon jetzt herrscht auf allen Inlandsflügen amerikanischer Fluggesellschaften Rauchverbot, und die gleiche „Prohibition“ gilt zunehmend auch in öffentlichen Räumen.

Nun ist aber das Tabakgeschäft nach wie vor ein außerordentlich rentabler Wirtschaftszweig. Nicht nur, daß die 45 Millionen amerikanischen Raucher jährlich 50 Milliarden Dollar für ihre Droge ausgeben4 , es winken auch neue, vielfach gewinnträchtige Märkte im Ausland (siehe den Beitrag von Hal Kane). Philip Morris, Hersteller der Marlboro-Zigaretten (und einer Vielzahl anderer Produkte, die nichts mit Tabak zu tun haben), ist in puncto Rentabilität das viertgrößte Unternehmen der Vereinigten Staaten. 1995 wurde ein Gewinn von über 10 Milliarden Dollar eingefahren.

Nachdem die Auseinandersetzung auf wissenschaftlichem Gebiet verloren war – zumal seit die Firma Ligget (1,9 Prozent Marktanteil in den USA) zugegeben hat, daß das Tabakkartell Jugendliche als seine Zielgruppe umwirbt, obwohl ihm die süchtigmachenden Eigenschaften seiner Produkte genau bekannt sind –, hat sich die Zigarettenlobby darauf verlegt, einen Teil ihres immensen Reichtums darauf zu verwenden, politischen Druck auszuüben. Was um so leichter fällt, als die Wahlkampfkosten für Politiker unvermindert in den Himmel wachsen.

Die Gegenwehr der Nichtraucher

IN die Kassen der beiden großen Parteien flossen 1995 4124000 Dollar, und zwischen 1986 und 1995 vergab die Tabakindustrie 20,6 Millionen Dollar an die aus ihrer Sicht aussichtsreichsten Kandidaten.5 Der überwiegende Teil dieser Beträge läuft über politische Aktionskomitees (PACs), die zur Durchsetzung meist nur eines einzigen (oft gesetzgeberischen) Ziels geschaffen werden. Diejenigen PACs, die sich darum kümmern, „die Freiheiten der Raucher zu verteidigen“, verfügen über fast beispiellose Mittel. (Höchstens noch die Schußwaffen-Lobby und die Freunde Israels können auf vergleichbare Gelder zurückgreifen.)6

Von den Zuwendungen profitieren beide Parteien: Ist Jesse Helms der Tabaklobby liebstes Kind (von R. J. Reynolds und Philip Morris wurden Unsummen in das Jesse Helms Center in North Carolina gesteckt), so ist Richard Gephardt, der Führer der demokratischen Minderheit im Repräsentantenhaus, der Kandidat für die Silbermedaille, dicht gefolgt von Newt Gingrich, dem Präsidenten (speaker) derselben Kammer.

Die Investitionen der Tabaklobby haben jedoch nicht nur die Bundespolitik im Auge. In den Staaten, in denen es, wie in North Carolina und Virginia, viele Pflanzer gibt, hat die Tabakindustrie noch immer alle Auseinandersetzungen um die gesundheitlichen Folgen des Zigarettenkonsums fest im Griff. Andernorts mußte das Scheckheft bei den Politikern Überzeugungsarbeit leisten. In Kalifornien beispielsweise haben die Zigarettenproduzenten in zwanzig Jahren 7 7 Millionen Dollar ausgegeben, vor allem um die zum Schutz von Nichtrauchern eingebrachten Referenden (wie die 1988 verabschiedete Gesetzesvorlage 99) zu hintertreiben.7 In Colorado sind allein im Jahre 1994 von der Zigarettenlobby 5,5 Millionen Dollar für eine Kampagne gegen die Erhöhung der Tabaksteuer bereitgestellt worden.8

Diese Strategie hat sich lange Zeit ausgezahlt. Während etliche Staaten, Gemeinden und Regierungsbezirke eine ganze Reihe gesundheitspolitischer Maßnahmen ergriffen, blieb der Kongreß untätig. Außer dem auf Inlandsflügen verfügten Rauchverbot ist auf nationaler Ebene seit Anfang der siebziger Jahre praktisch nichts geschehen. Und selbst was die Bundesstaaten angeht, so verführt der Medienrummel um Städte wie Los Angeles, New York oder San Francisco dazu, die Tragweite von Maßnahmen zu überschätzen, die dort zum Schutz von Nichtrauchern durchgesetzt werden. Tatsächlich ist es der Tabaklobby oft gelungen, von den bundesstaatlichen Parlamenten (so in Pennsylvania und Florida) Gesetzestexte verabschieden zu lassen, die den von den Gemeinden erlassenen Gesundheitsverordnungen die Spitze brechen.

Das schlagendste Beispiel für das inzestuöse Verhältnis zwischen Volksvertretern und Tabaklobby ist zweifellos Kalifornien. Der dortige Gouverneur Pete Wilson (1996 für kurze Zeit republikanischer Präsidentschaftskandidat) hat sich um Philip Morris verdient gemacht. Internen Papieren aus der ihm unterstellten Gesundheitsbehörde zufolge, hat er versucht, die Anwendung der Gesetzesvorlage 99 sowie die Verbreitung einer an Minderjährige gerichteten Antiraucherwerbung zu unterbinden. Nun ist Kalifornien aber nicht North Carolina, sondern mit Sicherheit der Staat, in dem die Ablehnung des Zigarettenkonsums am größten ist. Um seine Geldgeber zufriedenzustellen, mußte der Gouverneur also ein politisches Risiko eingehen.

Die Kungelei zwischen führenden Zigarettenherstellern (darunter Philip Morris) und ultrakonservativen Politikern hat den Demokraten und langjährigen Parlamentspräsidenten von Kalifornien, Willie Brown, nicht im mindestens daran gehindert, mehr Geld von der Tabaklobby einzustreichen als die von ihr am meisten hofierten Volksvertreter in Washington. Von 1976 bis 1995 sind 635000 Dollar in seine Wahlkampfkasse geflossen. Das blieb nicht ohne Wirkung. 1987 unterstützte Brown einen Gesetzesvorschlag, der das Ausmaß der von den Zigarettenherstellern an die Opfer ihrer Produkte gezahlten Entschädigungsleistungen begrenzt hätte. Und 1991 traf er sich in New York mit den Verantwortlichen von Philip Morris, um sie darüber zu beraten, mit welchen gesetzgeberischen Mitteln sich die örtlichen Raucherschutzbestimmungen in Kalifornien blockieren ließen. Eine entsprechende Gesetzesvorlage wurde erarbeitet und im Parlament eingebracht. Nur dank dem Widerstand der Öffentlichkeit blieb der Erfolg aus.

Das Ansehen von Präsident Clinton beruht, was die Bekämpfung des Tabakkonsums betrifft, vor allem auf seiner Unterstützung für Gesundheitsbestimmungen, die von der Food and Drug Administration (FDA), vorgelegt wurden. Nachdem sie die Einstufung von Nikotin als Droge erreicht hat, plant die FDA eine Reihe von Maßnahmen, mit denen die Zigarettenwerbung und der Zugang Minderjähriger zu Tabakprodukten stark eingeschränkt werden sollen. Die betroffene Industrie reagierte mit Angriffen und Schuldzuweisungen gegen diese Maßnahmen und ihren Initiator, den vormaligen Leiter der FDA, David Kessler.

Clinton – für volle Wahlkampfkassen zu vielem bereit – hat es sich nie versagt, Spenden aus den Händen der Zigarettenhersteller anzunehmen. Im Juli 1996 erklärte er übrigens, er würde sie nur dann ablehnen, wenn sie „sich nachteilig auf den eingeschlagenen politischen Kurs auswirken würden“9 . Und als Vizepräsident Al Gore während des Parteitags der Demokraten in Chicago zur besten Sendezeit die bewegende Geschichte seiner an Lungenkrebs verstorbenen Schwester erzählte, erinnerten einige boshaft daran, daß ihr Tod Gore nicht davon abgehalten habe, noch ein paar Jahre lang Tabakgelder anzunehmen. Offenbar aber markieren die Wahlen vom November 1996 den politischen Niedergang dieser Pressure- group. So sahen sich einige Kandidaten sogar dem Vorwurf ausgesetzt, Spenden von Philip Morris und R. J. Reynolds erhalten zu haben. Bei den Senatswahlen haben sieben Kandidaten diese Frage sogar offen angesprochen und damit ein altes Tabu gebrochen. Alle sieben wurden gewählt. Selbst in einem Staat wie Kentucky, der stark von der Tabakproduktion abhängig ist, haben die Wähler einem (demokratischen) Vertreter dieser Lobby seine entschiedenste (republikanische) Widersacherin vorgezogen.

Der Geldbedarf der US-amerikanischen Politik ist heute unersättlicher denn je. Die Gesundheit der Demokratie wie die der Bevölkerung würden es erforderlich machen, daß die gewählten Vertreter ein System reformierten, das ihren Aufstieg ermöglicht hat. Es ist eher unsicher, ob sie sich freiwillig darauf einlassen.

dt. Christian Hansen

* Ehemaliger Leiter des Rates zur Tabakpolitik, Washington.

Fußnoten: 1 Siehe William Greider, „Who Will Tell the People?“, New York (Simon & Schuster) 1992, und Serge Halimi, „La démocratie américaine prise en otage“, Le Monde diplomatique, Juni 1993. 2 Zuletzt der Erlaß, daß vom 28. Februar 1997 an Personen, die jünger aussehen als 27 Jahre, beim Zigarettenkauf ihre Volljährigkeit nachweisen können müssen. 3 Mother Jones, Juni 1996. 4 Vgl. Richard Kluger, „Ashes to Ashes: America's Hundred-Year Cigarette War, the Public Health, and the Unabashed Triumph of Philip Morris“, New York (Alfred Knopf) 1996. 5 „Smoke and Mirrors: Tobacco Industry Political Giving Hits Record $4 Million in Off-Election Year '95; Industry Tops $20 Million in PAC & Soft Money During Past Decade“, Common Cause, Special Report, 14. März 1996. 6 Zu diesen beiden Lobbies siehe Jamil Salmi, „L'Amérique malade des armes à feu“, und Serge Halimi, „Le poids du lobby pro-israélien aux Etats-Unis“, Le Monde diplomatique, April 1992 bzw. August 1989. 7 Mit der Gesetzesvorlage 99 wurde die Tabaksteuer um 25 Cents pro Päckchen erhöht. Dieser Betrag wurde darauf verwandt, mit Werbekampagnen vor den Gefahren des Zigarettenkonsums zu warnen. 8 Siehe Institute for Health Policy Studies, „Shifting Allegiances: Tobacco Industry Political Expenditures in California“, und „Tobacco Industry Political Activity in Colorado“, University of California School of Medicine, April bzw. Mai 1996. 9 „Clinton: Judge Character by Actions, Not Allegations“, The Washington Post, 16. Juli 1996.

Le Monde diplomatique vom 16.05.1997, von MARK PERTSCHUK