Slowakischer Alleingang
AM 23. und 24. Mai entscheidet die Slowakei als erstes Land in Mittel- und Osteuropa per Volksentscheid über den Nato-Beitritt. Das mutet paradox an, denn die Vereinigten Staaten scheinen die Möglichkeit eines Beitritts auszuschließen; für den Westen bleibt Bratislava in politischer wie ökonomischer Hinsicht der Taugenichts der Region. Wenn Premierminister Vladimir Mečiar das Referendum dennoch durchführt, so aus innenpolitischen Erwägungen. Das sagt zwar einiges über die Verwirrung aus, die in dem kleinen Land herrscht, und doch hat die Slowakei das negative Bild, das häufig von ihr gezeichnet wird, nicht verdient.
Von unserem Korrespondenten KAREL BARTAK *
Vier Jahre nach dem Auseinanderbrechen der Tschechoslowakei ist die Slowakei ein Land, das sich betrogen fühlt. Trotz unerwartet guter ökonomischer Ergebnisse hat sich im Westen ein so schlechtes Bild von diesem schönen bergigen Land festgesetzt, daß sein Nato-Beitritt und sogar seine EU-Anwartschaft in Frage gestellt werden. Belgien, das den Slowaken seine Anerkennung für ihren militärischen Beitrag in West-Slawonien ausgesprochen hat1 , bleibt das einzige westliche Land, das für die Slowakei eintritt. Diese Isolierung – in vielem ein Ergebnis der eigenwilligen Politik von Vladimir Mečiar – bringt die Gesellschaft nicht etwa gegen den Premier auf, sondern verwandelt sie vielmehr in eine „belagerte Festung“: Verletzter Stolz schürt den Nationalismus. Kurz, Europa ist nicht frei von Verantwortung für eine Situation, die es nicht müde wird anzuprangern.
Sind sich Bonn, Paris oder London überhaupt bewußt, wie sehr es einem Volk an politischer Erfahrung mangeln muß, das erst seit vier Jahren souverän ist?2 Die Slowakei ist ein Land, das noch vor siebzig Jahren so gut wie keine Bildungselite hatte, und die Führungskräfte, die unter dem Kommunismus ausgebildet wurden, blieben häufig in Prag. Der Minderwertigkeitskomplex gegenüber den Deutschen, Ungarn und Tschechen paart sich mit einem übersteigerten Selbstwertgefühl. „Die politische Klasse ist von diesem Minderwertigkeitsgefühl durchdrungen. Sollten die Nato- und die EU-Aufnahme scheitern, so wäre das nicht nur eine Katastrophe für die Slowakei, sondern auch für ihre Nachbarn“, meint ein Diplomat, Vertreter eines Anrainerstaats, in Bratislava.
Die Aufspaltung der Tschechoslowakei 1993 war von dem Tschechen Václav Klaus ebenso betrieben worden wie von dem Slowaken Vladimir Mečiar (beide Ministerpräsidenten sind noch im Amt), doch wurde der Bruch mit der Vergangenheit seither in Bratislava weniger radikal vollzogen als in Prag.3 Unter dem alten Regime hatten die Slowaken den tschechischen Lebensstandard erreicht, sie waren in den föderalen Organen gut vertreten und besaßen eine gewisse Autonomie. So machte die „samtene Revolution“ hier kaum Schule, ein Austausch der politischen Kräfte fand nicht wirklich statt. Vielmehr nahm die junge Republik jeden mit offenen Armen auf, der es irgendwie verstand, die Staatsmaschinerie zum Laufen zu bringen.4
Vladimir Mečiar, kleiner Jurist mit großer rhetorischer Begabung, tauchte 1992 genau im richtigen Augenblick auf, um diesen merkwürdigen Transformationsprozeß zu verkörpern. Er ist ein Aufsteiger und versteht es, sich der politischen Klasse anzuschließen und eine solide Macht aufzubauen, die nicht auf eine Vision, aber auf handfeste Interessen gegründet ist. Als ehemaliger Boxer neigt er zur Personalisierung von Konflikten – man denke nur an seine Gegnerschaft zu dem Präsidenten Michal Kováč.5 Zweimal wurde Mečiar aus dem Amt gejagt, zweimal kehrte er, vom Votum seiner Landsleute gerufen, triumphal zurück – manch ein ausländischer Beobachter erblickte darin den Beweis für die „Unreife“ der Slowaken. „Mečiarismus“, das ist die Kunst, rund ein Drittel der Bevölkerung stets hinter sich zu bringen, um ungestört die Macht gebrauchen und mißbrauchen zu können. Dem Premierminister gelingt es immer wieder, die Öffentlichkeit von seiner Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit zu überzeugen. Die Wahlen von 1994 überstand er allerdings nur deshalb ungeschoren, weil er – in Ermangelung „moderater“ Koalitionspartner – ein Bündnis mit den Extremisten des linken wie des rechten Lagers einging: mit der Arbeitervereinigung (ZRS) und mit der Slowakischen Nationalpartei (SNS).
Für Eduard Kukan, Chef der rechtsgerichteten Demokratischen Union und ehemaliger Außenminister, ist Mečiar „ein außergewöhnliches politisches Phänomen. Die Zeit arbeitet allmählich gegen ihn, aber er bleibt ein überaus geschickter Demagoge, der mit großem Scharfsinn die Stimmung der Menge erfaßt und dementsprechend reagiert. Man mag über seine Dummheiten lachen, aber eins muß man ihm zugestehen: Auf dem Terrain der Macht bleibt er unschlagbar.“ Sein Geheimnis? Marian Leško, Journalist und Verfasser eines Buches über den Ministerpräsidenten, meint es entdeckt zu haben: „Bestimmte Politiker verstehen es nicht zu lügen; andere sind unfähig, ehrlich zu sein. Mečiar aber sieht gar keinen Unterschied zwischen Lüge und Wahrheit.“
Im Lauf der Jahre hat der Premier seine Bewegung für eine Demokratische Slowakei (HZDS) einer Säuberung unterzogen. Seine einstigen engen Verbündeten Milan Kňažko, Józef Moravčik und Eduard Kukan – alle drei waren Außenminister der Regierung Mečiar – stehen heute an der Spitze der sogenannten demokratischen Opposition. Was die Präsidentin der Slowakischen Gesellschaft für Außenpolitik, Magda Vasaryova, zu dem ironischen Kommentar veranlaßt: „Mečiar braucht einen bloß zu verstoßen, und schon wird er zum Demokraten.“ Da das politische Leben sich ganz und gar um die Freundschaften und Feindschaften des „Chefs“ zentriert, hat es noch kaum Gestalt gewonnen. „Anders als in den Nachbarländern sind bei uns auch die maßgeblichen Formationen Gebilde, die der Zufall schuf und die kein klares politisches Profil haben“, fährt Magda Vasaryova fort. „Die Mehrzahl der Politiker bei uns entspricht nicht dem, was sich in Europa als Norm herausgebildet hat. Vielleicht ist es in einer Generation soweit.“
Hört man sich die Auflistung von Mečiars Untaten an, so wird deutlich, daß mehr die Form irritiert, als der Inhalt. Die Opposition attackiert den Premier zwar wegen rücksichtsloser Alleingänge oder undurchsichtiger Privatisierungen, bei denen sie leer ausgeht, doch bescheinigt sie ihm zugleich, daß die Regierung alles in allem den Pluralismus respektiere. Hieraus erklärt sich auch, weshalb die Warnrufe aus Westeuropa in der Slowakei mit gemischten Gefühlen aufgenommen werden: Diejenigen, die sich ihrer im Kampf gegen Mečiar bedienen, stören sich dennoch an deren verallgemeinerndem Tenor: „Wer das ,Land von Mečiar‘ als ein einziges autokratisches Gebilde darstellt, der vergißt die öffentliche Auseinandersetzung, die bei uns stattfindet und in der es um den Rechtsstaat geht. Die Opposition hat gute Chancen, die Wahlen von 1998 zu gewinnen. Mečiar ist nur eine Seite der Slowakei“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der rechtskonservativen Christlich-Demokratischen Bewegung (KDH), Vladimir Palko. Und die Stellungnahme von Präsident Kováč im Oktober vergangenen Jahres vor dem Nato-Rat sagt nichts anderes: „Die Probleme, die Zweifel an unserer Staatsführung aufkommen lassen, sind uns durchaus bekannt. Wir betrachten sie als ein vorübergehendes Phänomen. Eine Einladung an die Slowakei, im Rahmen der ersten Gruppe (...) zu verhandeln, würde zu einem politischen Klima beitragen, das der Festigung der Demokratie zuträglich ist.“
Haben die westlichen Regierungskreise den slowakischen Staatschef verstanden? Falls das Atlantische Bündnis eine Aufnahme der Slowakei ablehnt, würde dies bei der Mehrheit wie bei der Opposition einem antieuropäischen, rückwärtsgewandten, ja paranoischen Geist Vorschub leisten. Schon im voraus hat der Premierminister diesen neuerlichen Affront, wenn er denn erfolgt, auf dem Konto der „globalen Entente zwischen Rußland und den Vereinigten Staaten“ verbucht. Damit handelte er sich nicht nur einen formellen Protest aus Washington ein, sondern einmal mehr den Vorwurf der Opposition, ein „Lügner“6 zu sein. Legt dies nicht die Frage nahe, ob das Referendum am 23. und 24. Mai vielleicht gerade deshalb durchgeführt wird, damit die Slowaken den Nato-Beitritt ablehnen? Um so mehr, als die zentrale Frage der Mitgliedschaft von zwei weiteren „Zusatzfragen“ begleitet wird, die so formuliert sind, daß de facto ein Nein suggeriert wird: Soll die Slowakei die Aufstellung von Nuklearwaffen und die Einrichtung von Militärstützpunkten akzeptieren? Dabei ist diese Möglichkeit für die neuen Mitglieder von der Nato ausdrücklich ausgeschlossen worden. Politische Beobachter in Bratislava erwarten, daß Premierminister Mečiar seine Landsleute dazu aufrufen wird, mit Nein zu stimmen, wodurch er wieder einmal jede Verantwortung von sich weisen könnte.
Diese Möglichkeit erfreut die beiden kleinen Koalitionspartner, denn ungeachtet des Regierungsprogramms kämpfen sie offen gegen den Nato-Beitritt und ebenso, wenn auch verhaltener, gegen eine EU-Mitgliedschaft. „Eine Organisation, die geschaffen wurde, um der kommunistischen Hemisphäre etwas entgegenzustellen, hat nach dem Untergang des kommunistischen Blocks ihre Daseinsberechtigung verloren“, erklärt Jan Slota, Präsident der SNS, der in diesem Punkt die Linken der ZRS auf seiner Seite weiß. Die slowakische Öffentlichkeit verfolgt unterdessen ratlos eine Debatte, bei der für sie verborgen bleibt, worum es in Wirklichkeit geht. Laut Umfragen sind 27 Prozent der Slowaken für eine Nato-Mitgliedschaft, 19 Prozent dagegen, und ein Drittel ist unentschieden – paradoxerweise sieht das Verhältnis in Tschechien ganz ähnlich aus (28 Prozent dafür, 21 Prozent dagegen, 25 Prozent unentschieden), wo alle großen politischen Parteien sich für den Beitritt zum Atlantischen Bündnis aussprechen, das seinerseits diesen Beitritt auch wünscht.7
Anders als Prag, Warschau oder Budapest erweckt Bratislava nicht den Eindruck wirtschaftlichen Aufschwungs. Von dem restaurierten kleinen Altstadtkern abgesehen, dominiert in der eher häßlichen Hauptstadt noch das „sozialistische“ Erbe: heruntergekommene Mietskasernen, matschige Brachflächen und alte Busse mit keuchenden Motoren, die dicke Abgasschwaden ausstoßen. Auch Baustellen gibt es kaum, sieht man von ein paar Bankgebäuden und dem riesigen Bau des Nationaltheaters ab, der freilich noch zu kommunistischen Zeiten begonnen wurde. Die Geschäfte allerdings sind voller Waren, ebensowenig mangelt es an schreiender Werbung, und unter den Autos, die sich bereits in ersten Staus aneinanderreihen, findet man viele Neuwagen ausländischer Fabrikate – Zeichen für einen neuen Reichtum und für die Senkung der Importsteuer im Jahr 1996: eine Maßnahme, die im übrigen mitverantwortlich ist für das beunruhigende Handelsdefizit.
Im Gegensatz zu ihren Nachbarn konnte die Slowakei nur sehr wenig ausländische Investitionen anlocken: 808 Millionen Dollar seit 1990.8 Das Land flößt offenbar nicht genug Vertrauen ein. Die Europäische Kommission erteilt Bratislava regelmäßig den Rat, Richtlinien einzuführen für Wettbewerb, Konkurs und Prokura, um den slowakischen Markt attraktiver zu machen. Ebenso appelliert sie, den Prozeß der Privatisierung transparenter zu gestalten. Worauf die Regierung in Bratislava kontert, ihr gehe es darum, die ausländischen Haifische nicht ins Land zu lassen.
Kritik aus Brüssel
SIE mögen uns nicht, weil wir uns geweigert haben, alles zu verkaufen. Aber leben die Ungarn denn besser, nachdem sie ihr Land ausverkauft haben?“ fragt Jana Černa, Beraterin des Premierministers, die mit Staatssekretär Peter Stanek die slowakische Außenpolitik wesentlich bestimmt. Dieser propagiert einen „dritten Weg“: Er lehnt es ab, „blindlings ein liberales Modell zu importieren, das Millionen von Arbeitslosen produziert, und den Ratschlägen des IWF zu folgen, dessen Erfolgsquote überall auf der Welt sehr gering ist“. Beide halten sie das Kriterium, wieviel Prozent an ausländischem Kapital investiert wird, für „oberflächlich“ und sind überzeugt, daß die Westeuropäer sich nur auf die Filetstücke des Geschäfts stürzen, weshalb es für die Weitsicht der slowakischen Regierung spreche, daß sie dem Sirenengesang nicht erliegt: Es sei im nationalen Interesse, wenn sie sich weigere, die „strategischen“ Unternehmen zu veräußern.
Dabei wurde die „Privatisierung nach slowakischer Art“ durchaus zügig vorangetrieben: 1996 machte der private Bereich bereits 76,8 Prozent des Bruttosozialprodukts aus. Wobei sämtliche Medien heftig kritisieren, daß die Betriebe an Leute aus dem Dunstkreis der politischen Macht gingen, und das zu extrem niedrigen Preisen. Jüngstes Beispiel ist die petrochemische Fabrik Nafta Gbely, ein gesundes Unternehmen, das zu einem Schleuderpreis an eine Strohfirma abgegeben wurde, hinter der sich Personen aus dem inneren Kreis der Staatsführung verbergen sollen. Was natürlich den Groll der Opposition hervorgerufen hat. „Sie haben es abgelehnt, sich mit dem HZDS an der Regierung zu beteiligen, also sind sie auch von der Verteilung der Reichtümer ausgeschlossen“, kommentiert ein hoher Beamter, der anonym bleiben möchte. Štefan Gavornik, Präsident des Nationalen Eigentumsfonds, sagt, er werde niemals ein Buch über die Privatisierung schreiben, denn wenn er es täte, wäre er „tot, bevor ich das erste Kapitel abgeschlossen habe“9 . Gebranntes Kind scheut das Feuer: Eben weil sie weitere Machenschaften befürchtete, hat die Opposition mit Hilfe der ZRS die Privatisierung der großen Banken erst einmal bis zum Jahre 2003 blockiert – obwohl die OECD, deren Mitglied die Slowakei in diesem Sommer werden möchte, eben diese Privatisierung verlangt.
Auch Experten können sich täuschen. Was die slowakische Wirtschaft betrifft, die im wesentlichen auf der Schwerindustrie basiert und sehr stark in die Länder des früheren Comecon eingebunden ist, so sahen die Prognosen das Schlimmste voraus. Jedoch, nach einer kurzen Phase der Rezession wächst die Wirtschaft wieder, und zwar schneller als in den Nachbarländern: 1994 um 5, 1995 um 7,6 und im letzten Jahr um 6,9 Prozent.10 Wenn die Slowakei 1997 ein Wirtschaftswachstum von 5 Prozent erreicht, wäre sie das erste Land in der Region, das sein Niveau aus der Zeit vor 1989 wieder erreicht hätte. Die Inflation, die 1993 25 Prozent betrug, ist erneut gesunken – auf 5,4 Prozent im letzten Jahr, und die Löhne sind, obwohl 1996 um 7,2 Prozent angehoben, die niedrigsten in der Region.
Glaubt man Brigitta Schmögnerova, ehemalige Wirtschaftsministerin und Mitglied der Partei der Demokratischen Linken (SDL), so leben heute 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung schlechter als vor zehn Jahren. Die scharfen Einschnitte im Sozialhaushalt treffen um so härter, als in bestimmten Landesteilen einer von fünf Menschen im erwerbsfähigen Alter arbeitslos ist. Wenn es so weitergehe, schließt Brigitta Schmögnerova, „verliert der Sozialpopulismus der Regierung bald seine Anziehungskraft. Dann können wir mit den ersten sozialen Unruhen rechnen.“
Die Reduzierung der Waffenproduktion um 90 Prozent hat die Wirtschaft nachhaltig erschüttert. Die Ökonomie ist in hohem Maße angewiesen auf den Export von Halbfertigprodukten mit geringem Mehrwert (Stahl, Metalle, chemische Produkte, Papier, Zellulose, Holz), was sie wiederum stark abhängig macht von Konjunkturschwankungen im Westen, aber auch von der Preispolitik ihrer – überwiegend russischen – Rohstoff-Zulieferer. Das slowakische Zahlungsbilanzdefizit (1,9 Milliarden Dollar im Jahre 1996), hervorgerufen durch den steigenden Verbrauch importierter Waren, hat seinen Ursprung in diesem Handel mit Rußland. Die knappen Reserven der Zentralbank können dieses Defizit nicht lange auffangen, was zu einem weiteren Anwachsen der Auslandsschuld führen wird.
Die Lösungen, die die slowakische Regierung zu finden sucht, entsprechen nicht den Wünschen in Brüssel. Ende März ließ EU-Kommissar Leon Brittan verlautbaren, daß er ein eventuelles Freihandelsabkommen mit Rußland verurteile – welches jedoch Außenminister Pavol Hamžik zufolge gar nicht zur Debatte steht. Hier und da hört man, die russische Mafia infiltriere die slowakische Wirtschaft und fordere die Politiker auf, sich den Argumenten Moskaus gegen die Nato-Osterweiterung anzuschließen. „Aber die ganze Welt will mit den Russen Handel treiben“, empört sich Jana Černa. „Alle bemühen sich eifrig, diesen Markt zu besetzen, aber wir, wir haben unsere alten Positionen geräumt. Die Polen und die Tschechen haben uns den Rang abgelaufen. Und trotzdem zeigt man mit dem Finger auf uns.“
Ein weiterer Zankapfel sind die protektionistischen Maßnahmen, die gegen massive Importe von subventionierten EU- Produkten vorbereitet werden. „Alles, was wir verlangen, ist ein gerechtes Abkommen, insbesondere die Abschaffung jener Klauseln, die unsere Exporte auf den westeuropäischen Markt verhindern“, sagt Jana Černa. „Andernfalls werden wir gezwungen sein, die hohen Importzölle, die wir auf Betreiben der EU-Kommission abgeschafft haben, wieder einzuführen.“
Diplomatisch nicht eben geschickt stellt die slowakische Regierung die Realitäten des Landes den Brüsseler Dogmen entgegen. Sie weigert sich, die kleinen und mittleren Unternehmen auf Kosten der großen zu begünstigen: „Wir ziehen es vor, uns nicht von transnationalen Konzernen beherrschen zu lassen, sondern unsere eigenen Großkomplexe zu schaffen, die Partner und nicht Beute des Westens sein werden“, unterstreicht Staatssekretär Stanek. Desgleichen gibt man in Bratislava die Idee nicht auf, daß dem Staat eine Rolle in der Gestaltung der Wirtschaft zufalle. So wird die Freigabe gewisser Preise (Energie, Mieten) abgelehnt, und statt Hilfen zur Unternehmensgründung entwickelt man lieber ein ehrgeiziges Infrastrukturprogramm (Autobahnen, Gaspipelines). Diese Haltung verstößt selbstverständlich gegen den Geist des Liberalismus, wie er in der Europäischen Union vorherrscht.
Der Weg, den die Slowakei zu finden versucht, ist um so mehr ein besonderer und eigener, als sie gleichzeitig mit dem Übergang von einem System zum anderen auch einen Staat aufbauen muß. Freilich sind ihre grundlegenden Probleme kaum anders als die ihrer Nachbarn. Mitunter sind die Lösungen, die die slowakische Führung ins Auge faßt, unlogisch, ja absurd, und immer wenn Bratislava übers Ziel hinausschießt, rückt das Land wie kein anderes der Nato- und EU-Anwärter ins Licht der internationalen Aufmerksamkeit. Was ist es, das die westlichen Politiker so sehr irritiert? Mečiars autoritärer Führungsstil oder seine Aufmüpfigkeit? Gewiß würden sie das Ende seiner politischen Karriere ebenso enthusiastisch begrüßen wie jenes von Ion Iliescu in Rumänien. Vorläufig jedenfalls haben sie sich nicht gescheut, die Slowakei noch hinter Rumänien einzustufen und mit Albanien auf eine Stufe zu stellen.11
dt. Eveline Passet
* Journalist, Brüssel.