13.06.1997

Das Kreuz mit der Koedukation

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Das Kreuz mit der Koedukation

IST die Koedukation am Ende eine Sackgasse? Diese Frage wird nun auch in Frankreich immer lauter, nachdem man in den skandinavischen und angelsächsischen Ländern schon seit längerem wieder über die Vorzüge eines nach Geschlechtern getrennten Unterrichts nachdenkt. „Ich bin für die zeitweise Trennung von Mädchen und Jungen im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht und halte es ansonsten mit einer Unterrichtsmethode, die sich auf beide Geschlechter einzustellen vermag“, erklärt Elizabeth Elgan, Historikerin an der Universität Upsala in Schweden.

In den USA machen Studentinnen an Universitäten, an denen nur Frauen zugelassen sind, hochqualifizierte Examina; eine dieser Vorzeigeuniversitäten ist Wellesley, an der unter anderen Hillary Clinton ihr Studium absolvierte. Ein denkwürdiger Vorfall: Am Mills College in Kalifornien protestierten jüngst Studentinnen ganz unterschiedlicher sozialer Herkunft gegen den üblichen Unterricht mit Männern, und das mit Erfolg. „Es ist nicht erstaunlich, daß die jungen Mädchen in den USA solche Forderungen stellen“, sagt Claudine Williams vom CNRS. „Die Atmosphäre an einem großen wissenschaftlichen Institut wie dem MIT ist einfach zerstörerisch für sie. Als ich dort unterrichtet habe, durften sie nicht einmal an außerschulischen Aktivitäten teilnehmen, die dort sehr wichtig sind.“

In Frankreich hat sich die einst im Namen des demokratischen Prinzips verfochtene und nach heftigen Streitereien schließlich eingeführte Koedukation mittlerweile als Katastrophe herausgestellt. Nach dem Zusammenschluß der üblicherweise nach Geschlechtern getrennten Ecoles normales supérieures (ENS) – Fontenay-aux-Roses fusionierte 1981 mit Saint-Cloud, Sèvres mit Rue d'Ulm 1986 – sank die Zahl der Studentinnen in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern rapide. Ohne die „Quote“, die Frauen faktisch an der ENS in Sèvres zugestanden wurde, machen sie in den Fächern Mathematik, Physik und Chemie nicht mehr als 11 Prozent der jährlichen Absolventen aus. Das sind rund 30 Prozent ihres früheren Anteils. Michèle Coquillat1 , die sich damals in der Diskussion gegen eine Zusammenlegung aussprach, wundert sich nicht über diese katastrophale Entwicklung. „Unabhängig vom Schwierigkeitsgrad gehen Jungen und Mädchen nicht auf gleiche Weise an Prüfungen heran, was sehr wohl das Ergebnis beeinflußt. Man erwartet von den Mädchen in diesem Wettbewerb, daß sie sich den männlichen Maßstäben unterwerfen. Konventionen werden ihnen übergestülpt und verhindern, daß Prüfungen gerecht auf beide Geschlechter zugeschnitten werden. In Mathematik zum Beispiel gehen die Jungen fix vor, ohne ihre Schlußfolgerungen zu entwickeln. Die Mädchen dagegen halten sich mit ausführlichen Darlegungen und Begründungen ihrer Schlußfolgerungen auf und verlieren dadurch Zeit.“

Zu einer ähnlichen Diagnose kommt auch Etienne Guyon, die Direktorin der ENS. Sie vermutet, daß Frauen unter den gegenwärtigen Bedingungen bei der Zulassungsprüfung für die Grandes Ecoles generell benachteiligt sind. „1986, zur Zeit der Zusammenlegung, gab es zahlreiche Vorbehalte. Achtung, das gibt eine Katastrophe für die Mädchen, warnten manche. Ich bedaure heute, daß wir nicht die Mädchen-Abteilung beibehalten und gleichzeitig die Jungen-Abteilung auch für Mädchen geöffnet haben. Im Ergebnis wäre das für beide Geschlechter viel besser gewesen.“

Fußnote: 1 Autorin u. a. von „La Poétique du mÛle“, Paris (Gallimard) 1992.

Le Monde diplomatique vom 13.06.1997