13.06.1997

Tierhandel oder „nachhaltige Nutzung“

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Tierhandel oder „nachhaltige Nutzung“

VOM 9. bis 20. Juni konferieren Delegierte der 136 Staaten, die das Washingtoner Artenschutzübereinkommen (Cites) ratifiziert haben, in Simbabwe über die Zukunft zahlreicher Tierarten und entscheiden über Fortsetzung, Lockerung oder Aufhebung der Handelsverbote. Bei diversen Tierarten wächst der Druck zugunsten einer Wiederaufnahme des internationalen Handels, obwohl diese sich noch nicht einmal von den Massakern der Vergangenheit erholt haben.

Von ALAIN ZECCHINI *

Im August und September 1996 beschlagnahmte die britische Polizei in London 127 Rhinozeros-Hörner. Es war der größte derartige Fang aller Zeiten in Großbritannien und einer der wichtigsten weltweit.1 Die meisten dieser Hörner stammten vom Weißen Rhinozeros, einer Tierart, gegen deren internationales Handelsverbot sich Südafrika bei der letzten Konferenz des Washingtoner Artenschutzübereinkommens (Cites) 1994 erfolgreich zur Wehr gesetzt hatte, und zwar vorgeblich „mit dem Ziel, den internationalen Verkauf lebender Tiere an akzeptable Empfänger zu ermöglichen sowie den Handel mit Jagdtrophäen zu genehmigen“. Zwar behauptet Südafrika, es habe diesen Handel unter Kontrolle, doch seit einigen Jahren hat das Wildern nach dieser Tierart deutlich zugenommen. In den südafrikanischen Nationalparks und Reservaten wurden zwischen 1990 und 1995 (trotz Verbot) insgesamt 71 Weiße Nashörner erlegt.

Die zehnte Cites-Konferenz vom 9. bis 20. Juni dieses Jahres in Harare (Simbabwe) hat einen neuen, wesentlich bedenklicheren Vorschlag Pretorias zu erörtern. Er betrifft die Genehmigung, Tierorgane sowie daraus hergestellte Erzeugnisse zu verkaufen. Im Klartext handelt es sich hauptsächlich um Horn, für das es nach wie vor weltweit eine erhebliche Nachfrage gibt, vor allem aus fernöstlichen Ländern.2 Die Nullquote, die die Konferenzvorlage enthält, ist reine Augenwischerei und entspricht dem üblichen Prozedere: Sie ist der erste Schritt, um die nächste Konferenz vorzubereiten, auf der dann umfangreichere Quoten beantragt werden.

Das Beispiel des Nashorns verdeutlicht, welche großen Probleme auf der Konferenz in Harare zur Debatte stehen: Kann, darf, beziehungsweise soll man wildlebende Arten, die als bedroht gelten, „nachhaltig“ nutzen? Unter ihnen sind die afrikanischen Elefanten gewissermaßen die Bäume, vor denen man den Wald nicht mehr sieht. Botswana, Simbabwe und Namibia fordern die (begrenzte, kontrollierte) Wiederaufnahme des internationalen Handels mit dieser Tierart; unterstützt werden sie dabei von rund zehn weiteren Ländern Afrikas sowie mehreren westlichen und asiatischen Nationen, darunter Japan. Die 4000 Handwerker und Betriebe der japanischen Elfenbeinverarbeitung haben das 1989 im Rahmen der Cites verabschiedete internationale Handelsverbot ohnehin nie akzeptiert, das gleichwohl die Ausrottung dieser Tierart verhindert hat.

Eine Wiederzulassung des Handels – die wie alle nicht verfahrenstechnischen Entscheidungen mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden kann – käme zweifellos auch jenen Ländern zupaß, die seit Jahren in Erwartung einer prospektiven Vermarktung große Elfenbeinvorräte angelegt haben (in Afrika existieren derzeit mindestens 600 Tonnen).

Die weiteren geplanten Herabstufungen – die Umlistung einzelner Tierarten von Anhang I des Cites (allgemeines Handelsverbot) in Anhang II (kontrollierter Handel) – betreffen auf Vorschlag Norwegens und Japans drei große Meeressäuger: den Brydewal, den Grauwal und den Zwergwal, außerdem die Bisonbestände in Kanada, den Bengalischen Waran und den Gelben Waran (Bangladesch will Ausfuhrquoten für 100000 bis 250000 Häute für die Zeit bis 1999 erreichen) sowie die Kubanische Meeresschildkröte.

Die vorgesehenen Umlistungen in umgekehrter Richtung, also die Heraufstufung vom begrenzten Schutz des Anhang II zum absoluten Schutz des Anhang I, betreffen die Population der Braunbären in Europa und Asien sowie den Sundaochsen (Banteng) und den Asiatischen Büffel, die beide als außerordentlich bedroht gelten, und dazu mehrere Amphibienarten und eine große Zahl Vogelarten. Das Schicksal anderer extrem gefährdeter Arten – insbesondere der Salanganen, einer asiatischen Schwalbenart, des Roten Thunfisches, der Seepferdchen oder der Haie – soll dagegen in Harare offiziell nicht verhandelt werden.3 Insgesamt werden 75 Arten zur Neuaufnahme in Anhang I bzw. Anhang II vorgeschlagen; zusätzlich stehen 21 Arten auf der Liste der Arten, für die eine Herabstufung von Anhang I nach Anhang II beantragt wird.

Die Verfechter einer „nachhaltigen“ Nutzung beziehungsweise eines grundsätzlichen Schutzes streiten sich erbittert über die Notwendigkeit und Wirksamkeit des Handelsverbots. Erstere meinen, der beste Weg, die Zukunft dieser Tierarten zu sichern, bestehe darin, ihnen einen Geldwert beizumessen, was natürlich den Handel voraussetzt. Letztere betonen, die liberale Logik der Marktwirtschaft führe unweigerlich zu einer völligen Ausschöpfung der Ressource und damit früher oder später zur Ausrottung der betreffenden Arten.

Artenschutz ist kein „Öko-Kolonialismus“

IN den letzten Jahren sind die Stimmen derer, die für die „nachhaltige“ Nutzung eintreten, immer lauter geworden, denn vor allem in Abnehmerländern des Ostens, aber auch im Westen ist die Nachfrage stetig gestiegen. Die „Erzeugerländer“ wiederum, allen voran die afrikanischen, sehen im Schutz der Fauna meistens ein Opfer zum Nachteil der Bevölkerung: „Würden die Einwohner der Industrieländer sich für das Überleben von Walen, Pandabären oder Braunbären stark machen, wenn dies auf Kosten ihrer eigenen Existenz, ihrer Renten und der Ausbildung ihrer Kinder ginge?“ fragt Kay Muir, Wirtschaftswissenschaftlerin an der Universität von Simbabwe. Kann man hier von „Öko-Kolonialismus“4 sprechen, wie es gelegentlich genannt wird?

Zunächst sei festgestellt, daß die Länder ihre Fauna zwar als Ressource betrachten, von der sie finanzielle Einkünfte erwarten können, daß jedoch die Gemeinschaften vor Ort im allgemeinen nur einen ganz geringen Teil davon erhalten und sich zu Recht betrogen fühlen. Außerdem ist die Lage in Asien nicht dieselbe wie in Afrika. Insbesondere im südlichen Afrika gibt es immer mehr private Unternehmer, die eingesehen haben, wie interessant eine Umstellung von Viehzucht auf Hege der Wildfauna ist, die bis zu fünf Mal höhere Erträge abwirft. Zumal ja nach den Cites- Kriterien der zwischenstaatliche Handel mit lebenden Tieren der in den Anhängen aufgeführten Arten frei ist.

Südafrika, das vor circa zehn Jahren drei große private Wildschutzgebiete hatte, besitzt heute fünfundzwanzig große sowie mehrere hundert kleinere Schutzgebiete. Beim Verkauf von Wildtieren lassen sich in diesen Ländern hohe Preise erzielen, wobei die mit dem Schutz beauftragte Verwaltung eine aktive Rolle spielt (1996 wurde ein Durchschnittspreis von 12130 US-Dollar für Weiße und von 46660 Dollar für Schwarze Nashörner des Natal Park Board gezahlt).

Aber es gibt einen weiteren Interessengegensatz: Was haben die Massai in Kenia oder die Bengalen in Nordindien, deren Ernten immer wieder von Elefanten verwüstet werden, mit den Unternehmern gemein, die zwar im Busch sitzen, aber permanent mit der Börse in Johannesburg in Verbindung stehen? Keine günstigen Zeiten offensichtlich „für die vom Fortschritt Ausgegrenzten“, denen zuweilen – in düsterer Analogie zum Schicksal der Tierarten – eine schlechte Zukunft vorausgesagt wird: Denn die Projekte zur Ansiedlung weißer südafrikanischer Farmer in Mosambik und Angola haben in jüngster Zeit die Kleineigentümer und Landwirte in ländliche townships getrieben, nachdem man zuvor die fruchtbarsten ihrer Böden enteignet hatte.5

Einige der „Erzeugerländer“, die sich gegen das generelle Verbot nach Liste I (und für einen kontrollierten Handel nach Liste II) stark machen, argumentieren, die Verkaufserlöse würden benötigt, um die hohen Kosten für den Unterhalt der Arten aufbringen zu können. Das sind jedoch ausgerechnet die Länder (vor allem im südlichen Afrika), die ohnehin den größten Gewinn mit den Tieren machen. Die Einkünfte aus der Elefantenjagd in Simbabwe (0,35 US-Dollar pro Hektar jährlich) wiegen die Baumschäden, die diese Tiere verursachen, bei weitem auf (0,15 US-Dollar pro Hektar jährlich).6 In der Demokratischen Republik Kongo (dem früheren Zaire) bringt der Garamba-Park täglich 50 US-Dollar pro Tourist ein, was den Monatsgehältern von zehn Wächtern entspricht.

Die Herabstufung von Anhang I auf II sei, so betonen die Befürworter, nur für „überzählige“ Tierpopulationen vorgesehen. Man müsse jedoch die Gesamtbestände einer Art berücksichtigen, um ihre langfristigen Überlebenschancen einzuschätzen. Die Populationen afrikanischer Elefanten bestehen aus 286000 Tieren (dazu kommen weitere 293000, die als „möglich“, „wahrscheinlich“ oder „hypothetisch“ gelten). Die fünf verschiedenen Nashornarten werden auf knapp 12400 Tiere geschätzt, von denen die meisten (7500) in Südafrika leben. Das erklärt, warum die Südafrikaner sie unbedingt rentabler verwerten wollen. Eine Freigabe des Angebots kann aber auf lange Sicht nur die Nachfrage steigern. Und die Verbrechersyndikate wie auch am Schmuggel beteiligte Regierungen haben sich schon immer über die internationalen Vorschriften hinweggesetzt. Zwar ist Handel in begrenztem Umfang möglich (wenn man einmal von allen anderen wichtigen Faktoren wie den Auswirkungen einer Nutzung auf die Biologie und die Artenethologie absieht), doch müssen dabei die kodifizierten Regeln unbedingt eingehalten werden. Doch genau dies ist höchst ungewiß.

„Der Handel mit Tieren und Pflanzen in Indien läßt sich nicht kontrollieren. Elfenbein, Rhinozeros-Hörner und Leopardenfelle sind problemlos erhältlich. Die verantwortlichen Stellen sind, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, in keiner Weise imstande, die Rechtsvorschriften zum Schutz der Natur, der Umwelt und der Wälder durchzusetzen“7 , stellt die Environmental Investigation Agency (EIA) fest. In Afrika wurde das im September 1994 von Kenia, Südafrika, Swasiland, Tansania, Uganda und Sambia unterzeichnete Abkommen von Lusaka zur Bekämpfung des illegalen Handels mit Pflanzen und Tieren bis heute nicht wirkungsvoll in die Tat umgesetzt. Offenbar zählen viele Länder ihre Tierarten nicht zu ihrem wichtigen Erbe.

Auch wenn die finanziellen Sachzwänge unzweifelhaft ein gewaltiges Problem darstellen, muß man sich nicht zwangsläufig rigoros für eine der beiden Pole der Formel „Use it or lose it“ schlagen – also die Wildfauna entweder aufgeben oder sie als res nullius, als Produkt betrachten. Die jüngste Rote Liste der International Union of Conservation of Nature (IUCN) überraschte mit dem Umfang ihrer Festlegungen: 5025 Tierarten sind weltweit in Gefahr, 11 Prozent der Vögel, 20 Prozent der Reptilien, 25 Prozent der Amphibien, 25 Prozent der Säugetiere und 34 Prozent der Fische. „Sie zeigt ganz deutlich“, erklärte der Staatssekretär im US-amerikanischen Innenministerium, Bruce Babbitt, „daß es zu einer weltweiten Katastrophe kommen wird, wenn nicht alle Nationen nachdrücklich gemeinsam reagieren.“ Werden die 136 Delegationen in Harare diesen Appell vernehmen und gemeinsame Lösungen finden?

dt. Sabine Scheidemann

* Journalist

Fußnoten: 1 Bulletin Traffic, Bd. 16, Nr. 3, Cambridge, Großbritannien, März 1997. 2 Vgl. Alain Zecchini, „Lukrativer Handel mit wilden Tieren“, Le Monde diplomatique, September 1996. 3 Nur sehr wenige Meerestiere werden im Rahmen von Cites geschützt. Lediglich fünf Seefischarten sind in den Anhängen enthalten. 4 The Wall Street Journal, New York, 7. Januar 1997. 5 Vgl. Michel Chossudovsky, „Auslaufmodell Apartheid wird zum Exportschlager“, Le Monde diplomatique, April 1997. 6 Vgl. B. M. Campbell u. a., „Elephant damage and safari hunting in Pterocarpus angolensis woodland in northwestern Matabeland, Zimbabwe“, African Journal of Ecology, Band 34, Nairobi, Kenia, Dezember 1996. 7 „The political wilderness – Indias tiger crisis“, EIA, London und Washington 1996. 8 The Washington Post, 4. Oktober 1996.

Le Monde diplomatique vom 13.06.1997, von ALAIN ZECCHINI