11.07.1997

Europas Bundesbank

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Europas Bundesbank

Von IGNACIO RAMONET

DREI Männer dominieren die Europäische Union: Helmut Kohl, Theo Waigel und Hans Tietmeyer. Zwar haben sie gelegentlich ihre Meinungsverschiedenheiten, aber in allen wesentlichen Fragen stehen sie fest zusammen – wie Fundamentalisten, wenn es um die harte Währung, wie Extremisten, wenn es um die Konvergenzkriterien und wie Absolutisten, wenn es um die Stabilität geht.

Im Einvernehmen mit ebenso eifrigen und fanatischen lokalen Handlangern (etwa dem Gouverneur der französischen Notenbank, Jean-Claude Trichet) diktieren sie ihre Bedingungen und zwingen ganz Europa unter das ideologische Joch, das die Wirtschaft lähmt und soviel Arbeitslosigkeit, soviel soziales Leiden und menschliches Unglück bewirkt.

Seit 1979 versucht die Bundesbank, die Mark anstelle des Ecu zur eigentlich tragenden Säule des europäischen Währungssystems (EWS) zu machen. Bei der Wiedervereinigung 1990 kam dies die Europäer teuer zu stehen, weil sie nicht wagten, was eigentlich notwendig gewesen wäre – das Ausscheiden der Mark aus dem EWS zu fordern. In der Folge gingen die Zinsen steil nach oben, und die nationalen Volkswirtschaften, vor allem die französische, gerieten in die Klemme. Als das EWS geschaffen wurde, gab es 7 Millionen Arbeitslose. Heute sind es 20 Millionen.

Die neurotische Blockierung der Deutschen in allem, was die Währung und die Zentralbank betrifft, geht auf historische Traumata zurück: Zum einen auf die große Inflation 1921-1923 und, etwas weniger bekannt, auf die Entscheidung Hitlers, den Direktor der Reichsbank, Hans Luther, abzusetzen, weil er eine antiinflationäre Politik vertrat und sich weigerte, die Kosten eines Plans zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu übernehmen. An seine Stelle trat Hjalmar Schacht, der bereit war, ein umfangreiches Programm von großen Bauvorhaben zu finanzieren.1

Mit dem Argument, zu Hitlers Zeiten habe die Politik sich immer gegen die Wirtschaftsfachleute durchgesetzt, machen Theo Waigel und Hans Tietmeyer nun die ökonomischen Sachzwänge zum Gegenstand kultischer Verehrung – wobei sie den Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie geflissentlich übersehen. Nicht genug, daß sie den Europäern die Konvergenzkriterien als Aufnahmebedingung zur Einheitswährung aufgezwungen haben – von ihnen stammt auch die Idee des Stabilitätspakts, mit dem die südlichen Länder diszipliniert werden sollen. Das Ergebnis: „Das gemeinsame Europa wirkt wie einer jener Supertanker, bei denen eine automatische Steuerung den Kapitän ersetzt. Das Schiff bleibt auf seinem Kurs, doch jeder hat das undeutliche Gefühl, daß das Ziel aus den Augen geraten ist und die Riffe näher rücken. Dennoch wagt niemand, von Bord zu gehen oder selbst das Steuer zu ergreifen, um den Kurs zu wechseln.“2

Man hätte denken können, daß nach den jüngsten Wahlergebnissen in mehreren Ländern, besonders in Großbritannien und Frankreich, endlich ein Kurswechsel möglich sein würde. Die Erklärungen des neuen französischen Premierministers Lionel Jospin während seiner Wahlkampagne sowie auf dem deutsch-französischen Gipfel in Poitiers am vergangenen 13. Juni gaben den Millionen Opfern des von der Bundesbank aufgezwungenen Wirtschaftsmodells die Hoffnung, daß die Zeit für einen Wandel gekommen ist.

Doch die Hoffnung wurde bald enttäuscht. Der Versuch, den institutionellen Rahmen neu zu definieren, ist auf dem europäischen Gipfel Mitte Juni in Amsterdam gescheitert. Offenbar ist das Trio Kohl-Waigel-Tietmeyer stärker als alle Führungskräfte der Fünfzehn zusammen, und die europäischen Sozialdemokraten sind nicht bereit, Lionel Jospin in Sachen Arbeitsmarktpolitik zu folgen. Schlimmer noch: Die meisten – von den Holländern bis zu den Briten – fürchten in erster Linie die Entscheidungen der Märkte und schwören auf das ultraliberale Rezept der Flexibilisierung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.3

Daß der Entwurf für das Memorandum zur Beschäftigungspolitik4 nicht nur von Deutschland, sondern auch von allen „linken“ Regierungen abgelehnt wurde, zeigt, wie groß ihr Interesse am Problem der Arbeitslosigkeit in Wirklichkeit ist. Denn die vorgeschlagenen Maßnahmen waren alles andere als revolutionär.

In Amsterdam hat Jospin erfahren müssen, wie wenig Macht er besitzt, die Dinge zu ändern. Was er erreicht hat, war gerade genug, um das Gesicht zu wahren. Zum einen wurden Haushaltsvorgaben festgelegt, deren Nichteinhaltung hohe Geldstrafen nach sich zieht. Zur Beschäftigungspolitik erfolgten jedoch nur vage Absichtserklärungen, die niemanden stören und mit denen sich schließlich auch die französische Regierung abspeisen ließ. Dabei hätte es trotz der Erpressungsversuche der Medienimperien mit der Unterschrift keine Eile gehabt, denn der Stabilitätspakt tritt ohnehin im günstigsten Fall ab dem Jahr 2000 in Kraft. Jospin hätte etwa erklären können: „Wir werden im Herbst unterschreiben, nach dem berühmten Beschäftigungsgipfel – wenn dessen Ergebnisse uns überzeugen.“ Das wäre die von Millionen Europäern erwartete Gelegenheit zu einem radikalen Umschwung gewesen.

IM Grunde geht es einmal mehr um die Frage: Was für ein Europa wollen wir? Der offiziellen Doktrin zufolge, die von der Bundesbank verbreitet wird, gibt die Einheitswährung, der Euro, den Fünfzehn ein machtvolles Steuerungsinstrument in die Hand. Hier werden die Faktoren der Evolutionstheorie umgekehrt: Das Organ (die Währung) soll die Funktion (die politische Einheit Europas) erzeugen!

Das Ganze ist ein großer Schwindel: Denn diejenigen, die heuchlerisch mehr Staat für Europa fordern, fordern gleichzeitig immer weniger Nationalstaat. Und was die künftige Regierung dieses Euro-Europas angeht, so gibt es sie bereits: es ist die zukünftige Zentralbank. Sie folgt dem Muster der Bundesbank und hat, wie diese, ihren Sitz in Frankfurt am Main. Wenn zugleich die nationalen Volkswirtschaften nicht mehr investieren und keine Arbeitsplätze mehr schaffen, führt das geradewegs in die soziale Katastrophe.

Fußnoten: 1 Vgl. La Repubblica, 19. Juni 1997. 2 Jean-Michel Quatrepoint, „L'Europe d'hier ou de demain“, La Lettre A, Paris, 19. Juni 1997. 3 Vgl. Bernard Cassen, „Der französische Weg zum Konvergenzdiktat“, Le Monde diplomatique, Mai 1997. 4 Le Monde, 21. Juni 1997.

Le Monde diplomatique vom 11.07.1997, von IGNACIO RAMONET