15.08.1997

Zwei Stadtviertel – zwei Karrieren

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Zwei Stadtviertel – zwei Karrieren

DAS „Local Community Fact Book“, ein Handbuch über die Chicagoer Stadtteile, gibt folgende Beschreibung zweier benachbarter Communities, die eine (North Lawndale) schwarz, die andere (South Lawndale) hispanisch, beide sehr arm1 : „In der 26. Straße, der Hauptgeschäftsstraße von South Lawndale, sind die zahlreichen Reklameschilder durchweg spanisch. Es gibt viele mexikanische Lokale, von der schäbigsten Kneipe bis zum schicksten Restaurant. Man findet (...) auch das medizinische Zentrum Zatecas, Bäckereien, die unvermeidlichen Waschsalons, Wechselstuben, Banken, Bekleidungsgeschäfte, Juwelierläden und Reisebüros. Weiter im Norden gibt es noch mehr Restaurants und ein kleines Einkaufszentrum. Südlich der 31. Straße ist das Viertel vor allem Gewerbegebiet.“

Wenige Meter weiter ändert sich die Umgebung völlig: „In seinen besten Zeiten basierte die Wirtschaft von North Lawndale auf zwei Riesenfabriken: dem berühmten Hawthorne-Elektrizitätswerk mit 43000 und der Harvester-Fabrik mit 14000 Angestellten, sowie der Weltzentrale von Sears, Roebuck & Co. mit 10000 Beschäftigten. Harvester hat Ende der sechziger Jahre zugemacht, Sears ist 1973 ins Stadtzentrum gezogen und hat nur einen Katalogversand mit 3000 Angestellten zurückgelassen, der 1995 auch wegzog. Die Hawthorne-Zentrale wurde heruntergefahren und 1984 endgültig geschlossen. Den großen Unternehmen (...) folgten kleine Geschäfte, Banken und viele andere Betriebe, die von den Angestellten der Großunternehmen lebten. Der Rückgang des Handelsumsatzes zwischen 1960 und 1970 wird auf 75 Prozent geschätzt. Heute zählt North Lawndale 50 Büros, die Schecks auszahlen2 , 99 Bars und Spirituosenläden, aber nur eine Bank und einen Supermarkt für 50000 Einwohner.“3

E. K.

Fußnoten: 1 In North Lawndale sind 96 Prozent der Bevölkerung schwarz, in South Lawndale 85 Prozent hispanisch. Während der großen Hitze gehörte die Sterblichkeitsziffer von North Lawndale (40 auf 100000) zu den höchsten, die von South Lawndale zu den niedrigsten der Stadt. 2 Hier lassen sich Sozialhilfeempfänger, die sich kein Bankkonto leisten können, gegen eine geringe Gebühr ihre Schecks auszahlen. 3 Loic Wacquant, „The New Urban Color Life“, in Craig Calhoun (Hrsg.), „Social Theory and the Politics of Identity“, Oxford (Basil Blackwell) 1994.

Le Monde diplomatique vom 15.08.1997, von E. K.