12.09.1997

Das Flickwerk der Autonomie

zurück

Das Flickwerk der Autonomie

Von MICHAEL R. FISCHBACH *

BIS zur Schaffung der palästinensischen Autonomiebehörde 1994 war es den Palästinensern in der jüngeren Geschichte nie gelungen, Hoheitsrechte über ihren Grund und Boden zu erlangen. Nun jedoch sind in den Gebieten, aus denen Israel sich zurückgezogen hat (den Zonen A und B, die etwa 30 Prozent des Westjordanlands und 70 Prozent des Gazastreifens ausmachen), Vertreter palästinensischer Behörden für die Abwicklung von Grundbuchangelegenheiten zuständig. Diese neue Befugnis ist alles andere als nebensächlich, denn die Frage der Verfügungsgewalt über Grund und Boden steht von jeher im Zentrum des israelisch-palästinensischen Konflikts. Seit dem 16. Jahrhundert waren die Palästinenser nicht mehr Herr im eigenen Land. Bis 1917 gehörte der gesamte Nahe Osten zum Osmanischen Reich, dann fiel Palästina, wie andere Gebiete, unter britische Oberhoheit – bis 1948, als der Staat Israel gegründet wurde. Um die Grundlagen für einen solchen Staat zu schaffen, hatte die zionistische Bewegung bereits im letzten Jahrhundert damit begonnen, Grundbesitz in Palästina zu erwerben. Ein entscheidender Grund für den Erfolg der zionistischen Bewegung lag darin, daß die arabischen Einwohner damals nicht begriffen, was sich vor ihren Augen vollzog, und nicht in der Lage waren, bei den Kolonialbehörden ein Verbot dieser Landkäufe zu erwirken. Die neuen Siedler, die nach 1948 kamen, konnten sich bereits als „Eigentümer“ von Teilen Palästinas betrachten (siehe Karte).

Die neue palästinensische „Regierung“ hat bereits einige Lösungen für die Bewältigung der erheblichen Probleme entwickelt, die sich aus der israelischen Besatzung ergeben:

Rechtssicherheit in Grundbesitzfragen. Gleich am Beginn des Krieges von 1967 verfügte die Besatzungsmacht den Abbruch eines Vorhabens, mit dem die jordanischen Behörden seit fünfzehn Jahren beschäftigt waren: Sie hatten Fachleute ins Westjordanland entsandt, um Grundbucheintragungen vorzunehmen und ein verbindliches Bodenrecht zu schaffen. Die israelische Regierung unterband diese Bemühungen und schuf somit eine rechtliche Grauzone, mittels derer sie in Bodenfragen nach Belieben verfahren konnte. Daß Grundstücke, deren Besitzverhältnisse als ungeklärt galten, nicht verkauft werden konnten, wurde zum ernsten Problem, als Israel in den achtziger Jahren alles Land, das nicht im Grundbuch verzeichnet war oder nicht bewirtschaftet wurde, zum „Staatsland“ erklärte – tatsächlich bedeutete dies die Beschlagnahmung von Grundstücken, die zwar faktisch einen Besitzer, aber rechtlich keinen Eigentümer hatten.

Registrierung und Verkauf von Land. Weil das jordanische Recht (das im Westjordanland noch immer in Kraft ist) den Verkauf von nicht registriertem Land verbietet, zogen sich Grundstücksgeschäfte endlos hin. Die Palästinenser versuchten, das Problem zu umgehen, indem sie auf die wikala daurija zurückgriffen, eine Bestimmung im jordanischen Recht, die es ermöglicht, auf die Katastereintragungen zu verzichten, wenn Land durch einen Bevollmächtigten veräußert wird. Ein Makler, der vom Eigentümer mit der Verwaltung eines Grundstücks betraut worden ist, hat dann eine bestimmte Zahl von Jahren Zeit, nach eigenem Gutdünken einen Käufer zu finden. Da die israelische Regierung gegen diese Praxis nicht einschritt, wurde sie vom Sonderfall zur Regel: Sie erlaubte es, Land zu verkaufen, das im Rahmen der normalen Rechtsformen unverkäuflich gewesen wäre – und dabei bot sich auch für Israel die Möglichkeit, auf inoffiziellem Wege durch Mittelsmänner ganze Landstriche aufzukaufen.

Maßnahmen gegen Urkundenfälschung. Besitzurkunden mit dem Stempel „wikala daurija“ wurden mißbräuchlich benutzt oder gefälscht, um dasselbe Grundstück mehrfach verkaufen zu können. Andere benutzten solche Papiere, echte oder gefälschte, um für Palästinenser ein Touristen- oder Studienvisum für die USA zu erlangen, nachdem das amerikanische Konsulat in Jerusalem dafür häufig den Nachweis von Grundbesitz verlangte. Nicht zuletzt wegen gefälschter Urkunden nahmen die Streitigkeiten um Erbansprüche und die Aufteilung von Landbesitz zu, Eigentumstitel wurden vernichtet, andere Akten fielen mysteriösen Bränden und Fällen von Vandalismus zum Opfer, die sich 1984 und 1985 ereigneten. Die israelischen Behörden hingegen unterstützten alle Maßnahmen zum Schutz der Katastereinträge und lagerten einen Teil der Akten sogar in Israel. Sie ließen selbst in Istanbul nach Abschriften von Kaufverträgen aus osmanischer Zeit forschen.

In der von ihr verwalteten Zone verfährt die palästinensische Autonomiebehörde bei der Erfassung des Lands nach der jordanischen Methode. Sie hat auf diese Weise zahlreiche Schwierigkeiten rasch bewältigen können. Die neue Aufsichtsbehörde wird geführt von der Abteilung tapu (ein türkisches Wort, das einen Eigentumstitel bezeichnet), allerdings haben der geringe Etat und vor allem die Personalknappheit zur Folge, daß alles sehr langsam geht und sich die Bearbeitung der Tausende von Fällen, die seit dem israelischen Rückzug erfaßt wurden, auf unbestimmte Zeit verzögert.

Die Autonomiebehörde hat sich daher an Jordanien gewandt, dessen Kataster besser geführt ist. Die jordanischen Behörden übergaben ihr Zehntausende Kopien von Karten und Grundbucheinträgen aus der Zeit vor 1967. Im Mai wurde den Abgesandten Arafats zugesichert, daß einige dieser Dokumente wieder ins Westjordanland überstellt werden sollen. Jordanien ist auch bereit, palästinensische Landvermesser auszubilden.

Weit weniger erfolgreich ist die Autonomiebehörde in der Verhinderung von Landverkäufen an Israelis. Zwar sind die meisten Gebiete von der Besatzungsmacht enteignet worden, doch viele Grundstücke gingen auch direkt an jüdische Käufer. Die Gesellschaft Hemanuta, ein Ableger des Jüdischen Nationalfonds, begann ihre Landkäufe bereits 1971, ab 1979 wurde an private Interessenten weiterverkauft. Hemanuta macht Eigentumsrechte an dem Terrain in der Nähe von Bethlehem geltend, auf dem sich das Flüchtlingslager Dahaische befindet, außerdem hat sie große Gebiete zwischen der Stadt und der jüdischen Siedlung Gilo erworben.1 Es gibt kaum statistische Daten, aber es ist bekannt, daß allein im Zeitraum von 1971 bis 1983 rund 100 Quadratkilometer verkauft wurden – häufig unter mehr als zweifelhaften Umständen. Einige der früheren Eigentümer sind mit Wohneigentum im Westjordanland oder im Ausland entgolten worden, und es ist auch kein Geheimnis, daß manche Geschäfte mit Hilfe von gefälschten Dokumenten zustande kamen. Die Verkäufe gingen sogar nach der Unterzeichnung der Oslo-Verträge weiter: 1996 hat die Firmengruppe Bat-Hen Tschuva, mit Sitz in Tel Aviv, 35 Millionen Dollar daran verdient, daß sie für nichtisraelische Juden Grundstücke im Westjordanland und in Ost-Jerusalem aufkaufte. Überdies hat dieses Unternehmen auf eigene Rechnung – und für astronomische Beträge – Grundstücke in Hebron und Ost-Jerusalem erworben.

Angesichts dieser Fälle befürchten die palästinensischen Behörden, daß die israelische Seite bei den „Endverhandlungen“ über den Status der besetzten Gebiete erneut Anspruch auf jene Grundstücke erheben wird, die von Israelis als Privateigentum erworben wurden. In Anlehnung an das jordanische Recht, das für Landverkauf an Israelis die Todesstrafe vorsieht (zwischen 1973 und 1987 ist von jordanischen Gerichten tatsächlich gegen rund hundert Personen „in Abwesenheit“ dieses Urteil ausgesprochen worden), hat die Autonomiebehörde im Mai 1997 beschlossen, jeden Palästinenser mit dieser Höchststrafe zu bedrohen, der Land an Israelis verkauft – auch in Jerusalem. Bislang sind 22 Palästinenser deswegen verhaftet worden; außerdem wird im Legislativrat über ein Gesetz beraten, das die Verkäufe weiter einschränken soll. Daß im Mai und im Juni drei Männer ermordet wurden, die beschuldigt waren, Grundstücke an Juden verkauft zu haben, hat zu verschärften Spannungen zwischen der palästinensischen Autonomiebehörde und der israelischen Regierung geführt: Israel verdächtigte Mitglieder der Autonomiebehörde, an den Morden beteiligt gewesen zu sein.

dt. Edgar Peinelt

* Dozent für Geschichte an der Randolph Macon University, Ashland (Virgina).

Fußnote: 1 nach Informationen aus einem Artikel in Yedioth Aharonot, zitiert in Summary of World Broadcasts (BBC London), 19. Juni 1997.

Le Monde diplomatique vom 12.09.1997, von MICHAEL R. FISCHBACH