12.09.1997

Immer weniger Arbeit für immer mehr Frauen

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Immer weniger Arbeit für immer mehr Frauen

EIN kürzlich veröffentlichter Bericht der Europäischen Kommission bringt die Bestätigung: Ungeachtet aller Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter, aller Reden über „flexible Arbeitszeit“ und aller Aufforderungen zu einem Rückzug in den Haushalt wächst der Anteil der Frauen auf dem Arbeitsmarkt, wo sie nach wie vor großenteils die untergeordneten Positionen besetzen. Denn während der Anteil der Frauen an der arbeitsfähigen Bevölkerung immer weiter wächst, werden sie mehr noch als die Männer zu Opfern der generellen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und in der Folge auch der stillschweigend hingenommenen Verarmung.

Von MARGARET MARUANI *

Zwanzig Jahre nach Beginn der Krise auf dem Arbeitsmarkt steigt die Zahl der berufstätigen Frauen allen Prognosen zum Trotz weiter. Der gleichbleibende, unvermindert anhaltende und immer weitere Bereiche erfassende Charakter dieser Entwicklung wirkt jedoch auf viele beunruhigend, denn die Verringerung der Arbeitszeit wird in der europäischen Wirtschaft zu einem immer dringlicheren Gebot.

Ausgerechnet jetzt, da es nur gerecht erscheint, jenes selten gewordene Gut, zu dem die Arbeit geworden ist, zu teilen, kommen die Frauen und beanspruchen noch mehr davon. In einer Zeit, wo es zum guten Ton gehört, das Ende der Arbeitsgesellschaft zu verkünden1 , mutet die steigende Beschäftigung von Frauen geradezu wie eine Herausforderung an. Die Entschlossenheit, mit der die Frauen auf den Arbeitsmarkt drängen, erscheint nicht nur als der Lage nicht angemessen, sondern als grundlegend illegitim, oder, genauer gesagt, weniger legitim als bei den Männern. Dieser „kleine Unterschied“ zeigt klar die Grenzen eines Rechts auf Arbeit, das nicht für alle gilt, die Grenzen zwischen dem, was für die Männer selbstverständlich ist und für die Frauen nur in Maßen gilt.

Die Frauen haben das Recht auf Arbeit in den letzten zwanzig Jahren niemals durchsetzen können, weder auf symbolischer noch auf politischer oder ideologischer Ebene. Seitdem die weitverbreitete Arbeitslosigkeit zu einem Dauerphänomen geworden ist, stößt man wieder auf gewisse Stereotypen über den „freiwilligen Verzicht“ der Frauen auf Arbeit. Das hat die Frauen jedoch nicht vom Arbeitsmarkt vertrieben. Allerdings zahlen sie für ihre Widerspenstigkeit einen hohen Preis: Die Beschäftigungskrise hat die Arbeitsbedingungen für Frauen wesentlich verschlechtert. Zwar nimmt die Zahl der beschäftigten Frauen zu, doch geschieht dies unter der permanenten Bedrohung durch Arbeitslosigkeit und ungleiche Behandlung.

An der Wende zum dritten Jahrtausend nimmt die Erwerbstätigkeit bei den Frauen unaufhaltsam zu: Gegenwärtig stehen in Frankreich fast 11,5 Millionen Frauen im Berufsleben gegenüber 6,5 Millionen im Jahre 1960. Dabei handelt es sich um kein ausschließlich französisches Phänomen. In den Nachbarländern ist die Lage ähnlich. Die Frauenerwerbstätigkeit hat über die Jahre langsam, aber kontinuierlich zugenommen, während sich die männliche Erwerbstätigkeit durch Stagnation beziehungsweise Rückgang auszeichnet. Zwischen 1965 und 1992 ist die Zahl der erwerbstätigen Männer leicht zurückgegangen, nämlich von 83 auf 81 Millionen. Im selben Zeitraum hat die Zahl der berufstätigen Frauen hingegen stark zugenommen, von 40 Millionen im Jahr 1965 auf 54 Millionen im Jahr 1992.2

In den sechziger Jahren betrug der Anteil der Frauen an der erwerbstätigen Bevölkerung nur 30 Prozent; 1994 lag er bereits bei über 42 Prozent.3 Die für die achtziger Jahre charakteristische Krise des Arbeitsmarkts hat also die Wiederherstellung des Geschlechtergleichgewichts auf dem Arbeitsmarkt nicht berührt, die seit vierzig Jahren im Gange ist. Übrigens ist es das erste Mal in der Geschichte der Lohnarbeit, daß die Frauen in einer Krisenzeit auf dem Arbeitsmarkt an Terrain gewinnen.

Diese Entwicklung setzt sich fort trotz Arbeitslosigkeit, aber auch um den Preis der Arbeitslosigkeit. Hat die Krise auch die Frauen nicht aus dem Berufsleben gefegt, so hat sie doch in bestimmten Bereichen zu verstärkter Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung geführt, die sich verfestigen und die weitgehend hingenommen werden. Zugleich wurde die Idee der beruflichen Gleichstellung der Frauen auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben.

Weibliche Teilzeitheere

FÜR die Zukunft stellt sich mithin nicht, wie man lange Zeit meinen konnte, die Frage einer „Rückkehr an den häuslichen Herd“. Wenn zwanzig Jahre der Krise den Trend der steigenden Frauenerwerbstätigkeit nicht brechen konnten, so wird die künftige Entwicklung schwerlich zurück ins Heim verlaufen.

Natürlich verfallen Technokraten und Politiker jeder Couleur immer wieder gerne in die Vorstellung, daß „sie“ sich gegen Zahlung gewisser Beihilfen oder versteckter Mutterschaftsgelder aus dem Arbeitsleben zurückziehen und den Männern ihren Arbeitsplatz abtreten könnten. Aber um welche Arbeitsplätze handelt es sich dabei eigentlich? Werden die arbeitslosen Männer die Frauen in den traditionellen Berufen „ersetzen“, als Krankenschwestern, Sekretärinnen, Kassiererinnen, Putzfrauen? Und was muß man den Frauen bieten, damit sie ihren Beruf aufgeben?

Die allgemeine Arbeitslosigkeit wirkt sich mit besonderer Härte auf die Arbeitsbedingungen der Frauen aus. Die Frauen funktionieren nicht – oder nicht mehr – als „Reservearmee“. Die Diskussionen über die „Rückkehr an den häuslichen Herd“ haben eine stark symbolische Funktion: Sie sollen alle Arten von Ungleichheit und Diskriminierung legitimieren. Die Behauptung, die Frauen könnten sich ohne viel Aufhebens vom Arbeitsmarkt zurückziehen, bedeutet lediglich, daß ihre Rechte immer noch nicht verbürgt sind, daß sie immer noch den Erfordernissen des Augenblicks unterworfen sind. Und daß Frauenarbeitslosigkeit weniger schwer wiegt als Männerarbeitslosigkeit.

Doch ist die Frauenarbeitslosigkeit massiver, tiefgreifender und struktureller als jene der Männer, und es zeigt sich, daß in den beiden letzten Jahrzehnten hinsichtlich der Arbeitslosigkeit ein harter Kern weiblicher Überrepräsentanz entstanden ist. In Frankreich machen Frauen nur 45 Prozent der berufstätigen Bevölkerung, aber mehr als die Hälfte aller Arbeitslosen (51 Prozent) aus. Den Untersuchungen des staatlichen Instituts für Statistik und Wirtschaftsforschung (Insee) zufolge betrug die Gesamtarbeitslosenrate 1996 12,1 Prozent (10,4 Prozent Männer, 14,2 Prozent Frauen). Diese Überrepräsentation der Frauen findet man in allen Altersstufen und Berufskategorien, allerdings ist sie bei den unter 25jährigen besonders ausgeprägt.

In Frankreich, so die Studie, hat ein Viertel der arbeitsfähigen Jugendlichen keinen Job. Dabei vergißt man zumeist, hinzuzufügen, daß die Arbeitslosenrate der unter 25jährigen bei den Männern 22 Prozent, bei den Frauen aber 32 Prozent beträgt. Die Verteilung nach beruflichen Kategorien weist ebenfalls große Unterschiede auf: 5 Prozent Arbeitslosigkeit bei den Führungskräften, 16 Prozent bei den Angestellten und bis zu 21 Prozent bei den Arbeitern. Dabei handelt es sich keineswegs um neue Erkenntnisse, doch sind sie nach wie vor erstaunlich wenig verbreitet: Wer weist in der gesellschaftspolitischen Diskussion schon darauf hin, daß es sich bei der Jugendarbeitslosigkeit um ein vorwiegend weibliches Problem handelt und daß im Vergleich mit den Führungskräften dreimal so viele Angestellte und viermal so viele Arbeiter davon betroffen sind?

Dieses Schweigen ist um so bemerkenswerter, als in der Diskussion über die Arbeitslosigkeit im allgemeinen durchaus nach Kategorien differenziert wird: Man spricht von Jugendarbeitslosigkeit, von Akademikerarbeitslosigkeit, von Arbeitslosigkeit bei den Minderqualifizierten, bei den über 40jährigen etc. Doch verdeckt diese Einteilung nach Altersklassen oder Ausbildung ein ganz simples Phänomen: Die Selektivität der Arbeitslosigkeit spiegelt die geradezu klassischen sozialen Ungleichheiten wider – jene des Geschlechts und jene der sozialen Klasse.

Offensichtlich gibt es also „Toleranzschwellen“ der Arbeitslosigkeit, die auf impliziten sozialen Kriterien beruhen. Und auch hier stößt man auf die Frage nach dem Recht auf Arbeit, auf die Frage nach dem legitimen Anspruch auf eine Beschäftigung. Wenn der besonders starke Anteil der Frauenarbeitslosigkeit hier nicht zutage tritt, so nicht aus Unwissenheit, Auslassung oder Desinteresse. Dieses Schweigen verweist auf ein tieferliegendes soziales Problem: auf die gesellschaftliche Akzeptanz4 der weiblichen Arbeitslosigkeit. Nicht nur in Frankreich sind Frauen unter den Arbeitslosen überrepräsentiert. Dies gilt für die Gesamtheit der Länder der Europäischen Union5 : 1994 waren 10,2 Prozent der Männer und 13 Prozent der Frauen arbeitslos.

Hinzu kommt noch eine weitere, weniger bekannte, doch nicht weniger verbreitete Ungleichheit: Frauen erhalten weniger Arbeitslosengeld als Männer. In der Europäischen Union bekommt jeder zweite männliche Arbeitslose Arbeitslosengeld, jedoch nur jede dritte arbeitslose Frau.

Arbeitslos zu sein heißt nicht allein, keine Arbeit zu haben, sondern auch, einer Kategorie anzugehören, die Anspruch auf einen Arbeitsplatz hat und die man auch als solche erfaßt. Das Fehlen einer Beschäftigung kann die verschiedensten Formen annehmen, von den entmutigten Arbeitslosen bis hin zur erzwungenen Untätigkeit; die entsprechenden Grauzonen am Rande des Arbeitsmarkts werden weitgehend von Frauen besetzt. Arbeitslose Frauen ohne Arbeitslosenunterstützung, entmutigte Frauen, die erst gar keine Arbeit mehr suchen, Frauen, die unfreiwillig an den Herd zurückverbannt wurden: die Wege sind unterschiedlich, die statistischen Bezeichnungen vielfältig, doch führen alle zum gleichen Ergebnis – zur Bildung von Armutsnischen an den Rändern der Arbeitslosigkeit, die um so weniger sichtbar sind, als sie durch das Raster der herkömmlichen Arbeitslosenstatistiken fallen.

Die Konsequenz dieser Situation ist, daß die Unterbeschäftigung und die Zahl ungesicherter Arbeitsplätze seit Beginn der achtziger Jahre explosionsartig gestiegen sind. Der Begriff der Arbeitslosigkeit bedeutet nicht nur die Abwesenheit von Beschäftigung für eine wachsende Zahl von Menschen. Er bedeutet auch ein wirksames Druckmittel auf die Arbeitsbedingungen all jener, die eine Beschäftigung haben. Unter diesen Prämissen haben sich sowohl die Unterbeschäftigung als auch unterschiedliche Formen ungesicherter Arbeitsverhältnisse etabliert, wie sie seit Mitte der siebziger Jahre praktiziert werden (Leiharbeit, zeitlich beschränkte Arbeitsverträge, Praktika).

1996 gab es laut Insee 1,5 Millionen Unterbeschäftigte, das heißt 1,5 Millionen Menschen, die gerne mehr Wochenstunden arbeiten würden. Nun ist die Unterbeschäftigung genauso wie die Arbeitslosigkeit stark selektiv. Bei der Teilzeitarbeit etwa betrifft sie vorwiegend die Frauen, die in Frankreich fast 85 Prozent der Teilzeitkräfte stellen. Innerhalb der Europäischen Union variiert dieser Anteil zwischen 76 und 90 Prozent. Doch ist im Unterschied zur Mehrzahl der Nachbarstaaten die Teilzeitarbeit in Frankreich ein relativ neues Phänomen, das erst mit Beginn der achtziger Jahre stark anwuchs. Damals gab es etwa 1,5 Millionen Teilzeitbeschäftigte gegenüber 3,5 Millionen heute. Die Teilzeitarbeit ist also in Frankreich keine Ursache für die steigende Frauenerwerbstätigkeit.

In den sechziger Jahren traten die Frauen noch mit einem Vollzeitjob in den Arbeitsmarkt ein. Die Teilzeitarbeit ist erst in den achtziger Jahren aufgekommen, unter dem Druck der Krise des Arbeitsmarkts und gezielter politischer Anreize. Die steigende Teilzeitarbeit war eine logische Folge der Arbeitslosigkeit. Teilzeitarbeit ist ein typisches Symptom für Krisenzeiten. Doch wird sie immer noch als Wundermittel hingestellt – als „Versöhnung des Familienlebens mit dem Berufsleben“ oder als ideale Form der Flexibilität: weil die Frauen es schließlich selbst wollen ... Welche Frauen? Zu welchen Bedingungen? Zu welchem Lohn? Mit welchen Arbeitszeiten?

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Putzfrauen, Verkäuferinnen, Kassiererinnen, Kindergärtnerinnen, Angestellte: Wie viele von ihnen arbeiten gegenwärtig zu aufgesplitteten Arbeitszeiten und zu einem Monatsgehalt, das eher die Bezeichnung Beihilfe verdient? Im Laufe der Jahre hat sich die Teilzeitarbeit in eine Form der Unterbeschäftigung verwandelt, die den Frauen vorbehalten bleibt.6 Dies hat zugleich einen Prozeß verdeckter Verarmung in Gang gesetzt. Verdeckt deshalb, weil das Nachdenken über Teilzeitarbeit überdeckt wird durch die gegenwärtigen Debatten über gleitende Arbeitszeit, die freie Verfügung über die Zeit und über die Verringerung der Arbeitszeit.

In den Diskussionen über die Teilzeitarbeit ist viel von der Frage der Zeit die Rede, die Lohnfrage aber wird unterschlagen. Wer von Teilzeitarbeit spricht, meint damit automatisch auch Teilgehalt. Unterbeschäftigung führt damit zwangsläufig zu Unterbezahlung. Dank der Teilzeitarbeit arbeiten in Frankreich Hunderttausende Frauen für einen Lohn, der unter dem gesetzlich fixierten Mindestlohn (SMIC) liegt. Doch schweigen sich die Statistiken darüber aus: Es ist nicht bekannt, wie viele Frauen zu einem Gehalt arbeiten, das unter dem Existenzminimum liegt. Die meisten in den letzten fünfzehn Jahren geschaffenen Teilzeitjobs gibt es in den minderqualifizierten und unterbezahlten weiblichen Berufen. Ein SMIC für Teilzeitarbeit entspricht in Frankreich der Sozialhilfe (RMI).

Daß die Statistiken dazu nichts besagen, ist nicht nur ein harmloses Versäumnis. Dadurch wird ein soziales Phänomen überspielt, das man sich ungern eingesteht, das jedoch gerne angeführt wird, sowie die Rede auf die Vereinigten Staaten kommt: die Entstehung einer neuen sozialen Klasse – der working poor, Menschen, die weder arbeitslos noch marginalisiert sind oder Sozialhilfe beziehen, die aber dennoch nicht imstande sind, mit ihrer Arbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Fast wie durch Zufall handelt es sich zumeist um Frauen.

Wir leben heute in einer Arbeitslosigkeits-Gesellschaft. Aber nicht nur die gegenwärtig erfaßten 3,5 Millionen Beschäftigungslosen lasten auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosigkeit funktioniert als permanente Erpressung, sie erzeugt Furcht vor Entlassung, Lohndruck, Druck auf Arbeitszeit und -rhythmus. Diese allgemeine Erpressung hat die Entschlossenheit der Frauen, einen Platz im Berufsleben einzunehmen, nicht brechen können. Doch hat sie dazu geführt, daß die Armut verstärkt Frauen betrifft.

dt. Andrea Marenzeller

* Soziologin am CNRS.

Fußnoten: 1 Vgl. z. B. das Buch von Dominique Meda, „Le Travail, une valeur en voie de disparition“, Paris (Aubier) 1995. 2 „L'emploi en Europe 1993“, Kommission der Europäischen Gemeinschaft, Brüssel. 3 Eurostat, „Enquête sur les forces de travail“, Luxemburg 1994. 4 Teresa Torns, „Chômages“, in „La place des femmes, les enjeux de l'identité et de l'égalité au regard des sciences sociales“, Paris (La Découverte) 1995. 5 Vgl. Annie Gauvin, „Le sur-chômage féminin à la lumière des comparaisons internationales“, Les Cahiers du Mage, Paris, CNRS-Iresco, Paris, Nr. 3/4, 1995. 6 Vgl. Margaret Maruani und Chantal Nicole, „Au labeur des dames“, Paris (Syros) 1989.

Le Monde diplomatique vom 12.09.1997, von MARGARET MARUANI