Afrikanischer Fisch für hungrige Europäer
EIN typisches Beispiel für die Fischereiabkommen, die von der Europäischen Union mit den Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifik (AKP) geschlossen worden sind, ist der Vertrag mit Senegal. Die Vereinbarungen – die in Straßburg wie in Dakar nicht unumstritten sind – sollen über den rein wirtschaftlichen Aspekt hinaus zur Entwicklung des Landes beitragen. Wem die dafür bereitgestellten Gelder letztlich nützen, wird sich in der Praxis zeigen, im Gegenzug werden jedenfalls Fangquoten genehmigt, die zur Gefährdung der Fischbestände und damit der Nahrungsmittelversorgung in den Erzeugerländern führen und die wirtschaftliche Stabilität in den Branchen bedrohen, die vom Fischfang abhängen.
Von PIERRE GILLET *
„Nach dem thioff wollen die Europäer jetzt auch noch unseren yaboy“, protestiert die senegalesische Presse.1 In der Tat ist thioff, Fisch erster Güteklasse, nunmehr in senegalesischen Gewässern unauffindbar: Es bleiben nur noch kleine Sardinen, yaboy. Von den „Verarbeiterinnen“ unter freiem Himmel geräuchert, waren sie vornehmlich auf afrikanischen Märkten gehandelt worden – Protein für die Armen. Jetzt werden die yaboy nach Europa verschifft, ausgerechnet als Folge der Verträge von Lomé, die doch als Abkommen zur Entwicklungszusammenarbeit gelten.
Seit nunmehr 20 Jahren unterzeichnen die Brüsseler Beamten mit den westafrikanischen Regierungen Protokolle über den Zugriff auf Fischbestände, damit die im überausgebeuteten Nordatlantik zu zahlreichen europäischen Fischereiflotten2 neue Fanggründe finden können.
Bis 1988 war es für die Senegalesen fast eine Routineangelegenheit: Alle zwei Jahre schlossen beide Parteien nach Verhandlungen bei der EU-Generaldirektion für Fischerei in Brüssel ein Abkommen und organisierten dessen Durchführung. Die jeweils sechs Monate später erfolgende Zustimmung der Parlamente wartete man nicht ab, ein etwas unseriöses Vorgehen, das sich jedoch mit dem angeblich „kommerziellen“ Charakter der Vereinbarungen rechtfertigen ließ: Europa erwirbt „Fischfangkapazitäten“ – gemessen in Bruttorregistertonnen3 –, dafür erhält Senegal eine bedeutende finanzielle Kompensation in guten, harten Ecu. Wie die achtzehn anderen AKP-Länder, die Fischereiabkommen mit Europa unterzeichnet haben, braucht Senegal für seine Auslandsimporte Devisen, und die Regierung, deren Verhandlungsgeschick gefürchtet ist, hat keine Hemmungen, maritime Ressourcen zu verschachern, die für die Bevölkerung lebenswichtig sind. Für Dakar ist die Höhe der finanziellen Kompensationen im übrigen ein innenpolitischer Trumpf: Gerne vergleicht man das, was Senegal bekommen hat, mit dem, was Mauretanien oder Marokko herausschlagen konnten.
Seit der Schaffung von Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ)4 verfügen die Küstenländer innerhalb einer Zone von 200 Seemeilen (320 Kilometer) uneingeschränkt über ihre Meeresressourcen, sind aber dazu angehalten, über die Freigabe von Beständen zu verhandeln, die sie nicht selbst ausbeuten können. Im Fall von Senegal ist es genau das, was die traditionellen Fischer ergrimmt: Zuerst hat die Regierung „verhandelt“ und die Krabbenbestände zerstört, den Thunfisch und die Tiefseefische erheblich reduziert, und jetzt verkaufen die Minister, was für sie in jeder Hinsicht „kleine Fische“ sind. Für die gesamte Region bilden diese Fische jedoch ein Grundnahrungsmittel, die 35000 kleinen Fischer Senegals und die winzige industrielle Fischereiflotte in Dakar leben davon.
Einen weiteren Grund zur Unzufriedenheit bietet die Verwendung der Ausgleichszahlungen. Daß dem Forschungszentrum für Ozeanographie in Dakar- Thiaroye (CRODT) Unterstützung gewährt wird, stößt kaum auf Kritik, doch die Fischereibranche möchte auch einen Teil vom Kuchen abhaben. 1994 war es dem Verband der Kleinfischer (CNPS) in letzter Minute gelungen, an der Regierungsdelegation beteiligt zu werden, die in Brüssel den neuen Vertrag aushandelte: Daraufhin wurde dann eine symbolische Summe für die Kleinfischerei bereitgestellt (und im übrigen auf sehr seltsame Weise verteilt).
Heute geht die gesamte Berufssparte gegen den neuen Vertrag auf die Barrikaden, der ab dem 1. Mai 1997 für vier Jahre gelten soll. „Uns kommt es so vor, als ob jetzt das Familiensilber verkauft werden soll“, meint Arouna Diagne, der Präsident des CNPS. Er erkennt den Vertrag „schlicht und einfach“ nicht an. Auch die senegalesische Vereinigung der Reeder und Fischverarbeiter (Gaipes) „ist eingeschnappt“5 und die Direktion der Fénagie/ Pêche6 , die der Regierung nahesteht, zeigt sich immerhin „überrascht und entsetzt von der Regierungsentscheidung, die restlichen Meeresressourcen des Landes auszuverkaufen“. Ebenso wie der CNPS kündigt sie eine Kampagne an, um „eine Katastrophe für unser Land, aber auch für die ganze Region [zu verhindern], denn wir sind es, die die Märkte mancher Nachbarländer wie Mali und Burkina Faso beliefern“7 .
Der senegalesische Minister Alassane Dialy Ndiaye ist anderer Meinung. Für ihn handelt es sich um ein gutes Abkommen. Da sind nicht nur der jährliche finanzielle Ausgleich von etwa 7,8 Milliarden CFA- Franc, der Verkauf von Lizenzen an europäische Schiffe und die zusätzlichen Gelder, die im Rahmen des achten europäischen Entwicklungsfonds zur Verfügung stehen, sondern auch die Klauseln zur „biologischen Ruhepause der Arten und zum maximalen Fangvolumen“8 , die den Schutz der Meeresressourcen sichern.
Natürlich finden diese Klauseln Zustimmung bei den Meeresforschern des CRODT, die von einer „gefährlichen Überausbeutung“ der Fischbestände in senegalesischen Gewässern sprechen9 . Doch für die Fischer gibt es nur eine Lösung: die seit 1990 vom damaligen Fischereiminister Mbaye Diouf empfohlene „Nulloption“. „In dem Maße, wie sich die nationale Fischerei entwickelt, müssen die dem Ausland gebotenen Möglichkeiten reduziert werden“, erklärte er damals.10 Die senegalesischen Fischer hoffen, daß das senegalesische Parlament oder das Europaparlament die Ratifizierung des Vertrags verweigern.
In Straßburg errang das Fischereiabkommen mit Senegal 1992 Berühmtheit. Zum ersten Mal wagte in diesem Jahr ein Berichterstatter, der niederländische Abgeordnete Herman Verbeek, die Nichtratifizierung zu empfehlen. Seine Kollegen folgten dem Vorschlag nicht und gaben damit dem damaligen Fischereikommissar, dem Spanier Manuel Marin, recht. Daß die spanischen Abgeordneten aller Parteien stets eine gemeinsame Front bilden, wenn es gilt, Fischereiabkommen zu verteidigen, hat seinen Grund: 30 Prozent aller europäischen Fischer sind Spanier. So wurden zum Beispiel Tausende von ihnen arbeitslos, als die Verhandlungen um ein Fischereiabkommen mit Marokko festgefahren waren.11
Der Europäische Rechnungshof wiederum fordert in seinem Bericht von 1993 mehr Klarheit über die Nutzung der ausgegebenen Gelder und die Vorteile, die die europäischen Reeder der Industrieflotten daraus ziehen. Denn immerhin geht es dabei um fast ein Drittel des Budgets der EG-Fischereipolitik.
Subventionierte Plünderer
DIE Ratifizierung des Abkommens zwischen Europa und Senegal von 1994 war also keine einfache Formalität: Der Fischereikommission wurde ein umfassender Bericht abverlangt.12
Der Berichterstatter Peter Crampton stellte fest, daß einige Länder, wie Marokko und Mauretanien, die Abkommen nicht weiterführen wollen. Andere, wie Namibia, haben sie von Anfang an abgelehnt. In einer Analyse des globalen Kontexts unterstrich er die Inkohärenz der europäischen Politik in Westafrika. Er schrieb: Die Abkommen „tragen weder zur Entwicklung der einheimischen Fischereiindustrie bei, noch begünstigen sie einen lokalen oder regionalen wirtschaftlichen Aufschwung“. Daher entstehen „wirtschaftliches Ungleichgewicht, Konflikte um den Zugang zu den Ressourcen und die notgedrungene Auswanderung der Fischereiarbeiter. All dies widerspricht der grundlegenden Politik der Europäischen Union, die der gemeinsamen Sicherheit und der Entwicklung von Drittländern dienen soll.“
Zudem, betont Crampton, kann man nicht von „schlicht und einfach kommerziellen“ Vereinbarungen sprechen, wenn ein finanzieller Ausgleich gezahlt wird: „Im Grunde finanziert die Europäische Union die Zugangskosten. Die Reeder zahlen lediglich einen geringen Betrag für eine Fischereilizenz. Es handelt sich folglich um Subventionierung der Hochseefischerei“. Peter Crampton bedauert, daß das Parlament erst befragt wird, wenn die wesentlichen Entscheidungen bereits getroffen sind, und kritisiert den „Mangel an Demokratie“, insbesondere in bezug auf den Löwenanteil des EU-Fischereibudgets und die den Verhandlungen zugrundeliegenden Prinzipien.
In Wahrheit sind die Leitlinien der Europapolitik fünfzehn Jahre alt, während die technischen und sozialen Bedingungen in der Fischerei sich seither stark verändert haben. Man kann den Beamten der für Fischerei zuständigen Generaldirektion 14 der Europäischen Kommission nicht vorwerfen, daß sie die Richtlinien befolgen, die ihnen der Ministerrat vorgegeben hat. Doch warum haben sie sich trotz wiederholter Anfragen bisher immer geweigert, dem Parlament Berichte zu den realen Auswirkungen der Fischereiabkommen auf die Bestände und auf die Lebensbedingungen der Bevölkerungen der betroffenen Länder sowie zur Nutzung der bewilligten Gelder vorzulegen? Ist der Kommission das alles egal?
Andere Änderungsanträge stammen aus den AKP-Ländern, die eine größere Stimmigkeit zwischen den Fischereiabkommen und der Politik der Entwicklungszusammenarbeit fordern. Nach Meinung der Arbeitsgruppe Fischerei der paritätischen Mitgliederversammlung AKP- Europäische Union muß die traditionelle Fischerei, die den internationalen kommerziellen Konkurrenten besonders schutzlos ausgeliefert ist, unterstützt werden. Außerdem müssen die AKP-Länder bei der Verwaltung und Nutzung ihrer Ressourcen gestärkt werden. Die Arbeitsgruppe stellt fest, daß die jetzigen Fischereiabkommen „im wesentlichen die Bedürfnisse der europäischen Fischereiflotte und der Märkte innerhalb der EU befriedigen“. Die AKP-Staaten werden aufgefordert, ihre Meeresressourcen besser zu nutzen, und Europa wird nochmals aufgefordert, seine Einfuhrbestimmungen13 flexibler zu gestalten.
Die europäischen regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs) betrachten die Abkommen als ausgesprochen schädlich, da sie die Nahrungsmittelversorgung und die soziale Stabilität von Ländern wie Senegal bedrohen.14 Die NGOs fordern die Erarbeitung von Richtlinien für gerechte Fischereiabkommen, angelehnt an den von der Welternährungsorganisation 1995 ausgearbeiteten Leitfaden für verantwortungsbewußte Fischerei.
Angesichts all dieser Forderungen nach grundlegenden Veränderungen des Rahmens der Fischereiabkommen hat die niederländische EU-Präsidentschaft einige Vorschläge vorgelegt. Jetzt ist also der Fischereiministerrat der Europäischen Union am Zug. Es bleibt die Frage, ob die Minister den Mut aufbringen, der EU- Kommissarin Emma Bonino zu folgen. Diese nämlich hat erklärt, sie teile „die Position derjenigen, die es als Folge der Abkommen der sogenannten ersten Generation15 bezeichnen, daß Fischbestände geplündert wurden – wie in Senegal und Guinea –, weil im allgemeinen keinerlei Kontrollen durchgeführt wurden“.16 Wenn man die Fischgründe auf lange Sicht erhalten will, wird es höchste Zeit, diesen fatalen Mechanismus zu stoppen.
dt. Christiane Kayser
* Ingenieur, Mitarbeiter von International Collective Support of Fishworkers (ICSF), Brüssel.