12.09.1997

Alarm im Nahen Osten

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Alarm im Nahen Osten

WENN der Angriff der Hisbollah auf Kirjat Schmoneh mehr Opfer gefordert hätte, schreibt der israelische Journalist Zeev Schiff, „hätten die Israelis ihre Politik der Zurückhaltung aufgegeben und zu einem Gegenschlag ausgeholt. Israel wäre dadurch in eine unkontrollierbare Auseinandersetzung geraten.“1 Der Nahe Osten hat sich erneut in ein Pulverfaß verwandelt, das beim kleinsten Funken in die Luft zu gehen droht: ein Attentat in Israel, ein Zusammenstoß mit Folgen im Westjordanland, eine Militäroperation gegen den Libanon oder sogar gegen Syrien.

Vergessen sind die Hoffungen, die der Handschlag Jitzhak Rabins mit Jassir Arafat am 13. September 1993 geweckt hatte. Obwohl die israelisch-palästinensische Prinzipienerklärung in ihrer Unbestimmtheit Ausdruck für das bestehende Kräfteverhältnis war, zeichnete sich damals doch ein Weg zum Frieden ab. Von Verzögerungen bis zu Rückschritten, von Oslo I bis Oslo II haben die Verantwortlichen in Israel alles genutzt, um aus dem virtuellen palästinensischen Staat ein reales Bantustan zu machen. Die Bombenanschläge, die die palästinensische Führung nicht verhindern konnte, haben es Israel erlaubt, den palästinensischen Gebieten wirtschaftlich die Luft abzuschnüren und die Bevölkerung zu erniedrigen. Kein Wunder, daß sich die Unterstützung für die Attentate in den letzen Monaten verdoppelt hat. Auf der anderen Seite haben die traumatischen Erfahrungen des Terrorismus die Wahl Netanjahus begünstigt.

Der nun will die Abkommen von Oslo aushöhlen, vor allem durch eine Beschleunigung der Siedlungstätigkeit. Er hat nicht nur, wie seine Vorgänger, den Ausbau bestehender Siedlungen fortgesetzt, sondern auch die Gründung neuer vorangetrieben, angefangen bei Har Homa an den Grenzen Jerusalems. Netanjahu jagt dem alten Traum von der Eroberung Palästinas nach und will die Entstehung eines unabhängigen und lebensfähigen palästinensischen Staates verhindern, wie an dem Plan „Allon plus“ abzulesen ist (siehe Seiten 16 und 17).

Warum duldet Präsident Clinton dies alles? Um die proisraelische Lobby nicht zu verprellen, auf der ein Teil der Wahlchancen des Vizepräsidenten Albert Gore beruht? Bedarf es erst einer neuen Intifada, die die Stabilität der ganzen Region bedroht, bis er Einhalt gebietet? In ihrer ersten größeren Stellungnahme zu Problemen des Nahen Ostens hat Madeleine Albright am 6. August 1997 jedenfalls, im Gleichklang mit Tel Aviv, die Sicherheit (der Israelis) als Voraussetzung für ein neuerliches Klima des Vertrauens bezeichnet. Die endgültigen Verhandlungen hätten nur dann Sinn, wenn sie darauf abzielten, Land gegen Frieden zu tauschen und einen unabhängigen palästinensischen Staat zu gründen.

Bleibt die Hoffnung, daß es noch nicht zu spät ist. Das Scheitern des Osloer Abkommens hat inzwischen selbst die Idee von einem Frieden diskreditiert. Das Leben der Palästinenser war noch nie so schwierig wie jetzt. Auf israelischer Seite hat es seit September 1993 mehr Tote gegeben als während der Intifada. Beide Seiten scheinen die Konfrontation inzwischen für unausweichlich zu halten. In solch einer Sitution entscheidet gewöhnlich die Gewalt. Welchen Preis die in den letzten fünfzig Jahren gefordert hat, ist bekannt.

Fußnote: 1 Ha'aretz, 22. August 1997.

Le Monde diplomatique vom 12.09.1997