Kampf um jeden Fußbreit
Von JOSEPH ALGAZY *
DER Kampf um den Boden findet nicht nur in Ost-Jerusalem, im Westjordanland und im Gazastreifen statt, er wird nach wie vor auch in Israel selbst geführt. Wer annimmt, daß fünfzig Jahre nach seiner Gründung der jüdische Staat und seine großen Parteien die arabischen Staatsbürger auf einer Ebene der Gleichberechtigung behandeln, sieht sich getäuscht. Chaim Oron, Abgeordneter der Meretz-Partei, kommt zu dem Schluß: „Der Kampf um jeden Fußbreit Boden geht nicht nur weiter, er verschärft sich – sogar innerhalb des israelischen Staatsgebiets.“
Diese bittere Erfahrung haben kürzlich auch die Beduinen in al-Waqili, einem Dorf in der Negev-Wüste, machen müssen: Sie wurden von der zuständigen Behörde – dem Israelischen Amt für Bodenverwaltung – aufgefordert, das Land zu verlassen, auf dem sie seit Generationen leben. Die Bewohner wurden vor Gericht zitiert, und man drohte ihnen an, sie zu vertreiben und ihre Häuser zu zerstören.1 Erst kürzlich hat ein Gericht auf Antrag des israelischen Bodenamts mehrere Hundert Beduinen vom Stamm der Asasmeh, die im Gebiet von Ramat Hovav leben, per Gerichtsbeschluß aufgefordert, innerhalb von sechs Monaten ihre Wohnorte zu verlassen. Dabei waren sie dort 1953 vom Militärgouvernat angesiedelt worden, das sie zuvor aus anderen Gebieten vertrieben hatte. Lebad Abu Afasch, einer der Stammesführer der Asasmeh, bezeichnet die erneute Ausweisungsverfügung als „Zwangsumsiedelung“.
Seit Gründung des jüdischen Staates haben die Araber in Israel immer wieder solches Unrecht erdulden müssen. Von 1948 bis heute ist ihnen der überwiegende Teil ihres Grundbesitzes in Galiläa durch Enteignung genommen worden, in den nördlichen und südlichen „Dreiecken“ der Landesmitte (wo die arabischen Gemeinschaften besonders zahlreich sind), aber auch im Negev. Israel hat dazu ein ganzes Arsenal von Bestimmungen geschaffen, die zur „Legalisierung“ solcher Enteignungen dienen. Eine Proletarisierung der überwiegend bäuerlichen Bevölkerung war die Folge: Zwar haben die arabischen Dörfer insgesamt ihren ländlichen Charakter bewahrt, doch die meisten Einwohner sind inzwischen Lohnarbeiter in der Stadt.
Der „Tag des Bodens“, der am 30. März eines jeden Jahres feierlich begangen wird, ist der symbolische Ausdruck des Widerstands gegen die massiven Enteignungen arabischen Bodens in Galiläa. An diesem Tag wurden 1976 bei der Zerschlagung einer Demonstration sechs Palästinenser getötet und viele verletzt. Aber auch im Negev hat der Staat viele hunderttausend Dunum2 Land an sich gerissen – genaue Zahlen sind nicht bekannt – und wiederholt die Beduinen vertrieben; diese sind überdies Opfer von Maßnahmen geworden, bei denen es vorgeblich um die Feststellung des Eigentums an rund 700000 Dunum geht. Man nimmt ihnen nicht nur ihr Land, sondern verweigert ihnen auch die Genehmigung, Unterkünfte zu bauen. Bei Zuwiderhandlung drohen ihnen hohe Bußgelder, und sie werden gezwungen, die „illegalen“ Häuser zu zerstören. Tatsächlich ist die Hälfte der 80000 Beduinen des Negev in sieben Siedlungsreservaten zusammengefaßt worden.
Von den 22,2 Millionen Dunum, die das Staatsgebiet ausmachen, befinden sich 92 Prozent in israelischer Hand: entweder im Besitz des Staates (14,6 Millionen) oder des Jüdischen Nationalfonds (hebr. Keren Kajemet, 2,4 Millionen), oder des Amts für Entwicklung (2,6 Millionen), das die Verfügung über das Land (und den übrigen Besitz) der palästinensischen Flüchtlinge hat, die als „abwesend“ gelten. Seit 1961 ist für die Gesamtheit dieser Territorien (19,6 Millionen Dunum) eine einzige Behörde zuständig, das Israelische Amt für Bodenverwaltung. In privater Hand befinden sich nur 1,3 Millionen Dunum, der Rechtsstatus der übrigen Gebiete ist noch offen.
Diese besondere Situation – daß 92 Prozent des Bodens entweder dem Staat oder halbstaatlichen zionistischen Organisationen gehören – hat eine sehr wichtige Folge: Die Mehrheit der Israelis, sowohl auf dem Land (in Kibbuz-Kollektiven oder Moschaw-Kooperativen) als auch in den Städten, lebt auf Grund, der vom Staat, dem Jüdischen Nationalfonds oder dem Amt für Entwicklung gepachtet ist – für eine (verlängerbare) Periode von 99 Jahren. Jede Veränderung der Besitzverhältnisse bedarf der formellen Zustimmung durch die Bodenverwaltung. So ist der größte Teil des Bodens „nationalisiert“, aber nicht im sozialistischen, sondern im zionistischen Sinn: Es geht darum, das Recht des „jüdischen Volkes“ auf das Land Israel (Eretz Israel) zu bekräftigen.
Im übrigen hat der Staat Israel eine umfassende Neuorientierung seiner Bodenpolitik eingeleitet, ein langfristiges Vorhaben, das erst in einigen Jahren abgeschlossen sein dürfte. Manchen scheint indessen der Zeitpunkt gekommen, Grundstücke einfach zu privatisieren. So hat der Journalist Gideon Reicher kürzlich darauf hingewiesen, daß Infrastrukturminister Scharon „den größten Teil des Staatslands, vor allem in der Zentralregion des Landes, an jene verkaufen will, die derzeit Pachtverträge mit dem Jüdischen Nationalfonds haben (also fast die Hälfte der israelischen Bevölkerung)“. Der Nationalfonds, so heißt es in dem Artikel weiter, widersetze sich einer Privatisierung, weil damit „die jüdische Existenz in Palästina gefährdet wird. Die jüdischen Eigentümer privater Grundstücke könnten diese an Nichtjuden verkaufen und damit eine Bedrohung für den Zionismus schaffen.“3
In einem Punkt sind sich alle einig: Den „Fremden“ muß untersagt werden, Land zu kaufen, ob aus privater oder öffentlicher Hand. Und nach den Festlegungen der Kommission, die von Scharon eingesetzt wurde, um die Politik des Bodenverwaltungsamts neu zu gestalten, gilt als Fremder jeder, der nicht Bürger Israels ist und nach dem Rückkehrergesetz auch nicht das Recht hat, es zu werden.4 Juden dagegen können, selbst wenn sie Bürger eines anderen Staates sind, in Israel Land kaufen und bereits vor einer Übersiedlung Neueinwanderer (oleh hadach) werden und dadurch die Staatsbürgerschaft erwerben.
Nicht nur das Eigentum, auch die Nutzung des Bodens ist ein jüdisches Vorrecht. Jeder Pachtvertrag, den eine Einzelperson oder eine Institution mit dem Nationalfonds abschließt, enthält das Verbot, die Nutzungsrechte an Nichtjuden zu übertragen, selbst wenn es sich um Bürger Israels handelt. Nach dem Gesetz können die arabischen Mitbürger nicht Mitglied in einem Kibbuz, einem Moschaw oder in einer gemeinschaftlichen Siedlung werden.
Vor kurzem kam es in Lod zu Übergriffen jüdischer Bewohner gegen einen Nachbarn, ebenfalls ein Jude, weil dieser seine Villa an eine arabische Familie israelischer Staatsangehörigkeit verkauft hatte. Da er sich nicht einschüchtern ließ, verklagten sie ihn, unter Berufung auf den Pachtvertrag mit dem Jüdischen Nationalfonds.5 Das Urteil steht noch aus.
Inzwischen bilden die Araber, die nach der Vertreibung von 1948-1949 in Israel geblieben waren, zusammen mit ihren Nachkommen fast ein Fünftel der Bevölkerung des Landes. Theoretisch sind sie Staatsbürger mit allen Rechten, aber an der Bodenfrage zeigt sich in symbolischer Deutlichkeit, welchen Diskriminierungen sie noch immer ausgesetzt sind.
dt. Edgar Peinelt
* Journalist bei der Tageszeitung Ha‘aretz, Tel Aviv.