17.10.1997

Wunder der Statistik und Niederungen des Alltags

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Wunder der Statistik und Niederungen des Alltags

SEIT mehreren Monaten propagieren die internationalen Finanzinstitutionen die Behauptung, der Schwarze Kontinent sei auf dem Weg zum Wohlstand. Eine Welle von Berichten bestätigte in den letzten Wochen diese These und berief sich dabei auf zweifelhafte Statistiken. Da wurden Wachstumsrate und Entwicklung miteinander verwechselt und die Last des Schuldenbergs ignoriert. Diese Manipulation verschleiert die Tatsache, daß die afrikanischen Völker die sichtbaren Opfer der Vertiefung der Ungleichheiten sind.

Von CHRISTIAN DE BRIE

„In Afrika geht es voran.“1 Das weltweite Wachstum verleitet zu „berechtigtem Enthusiasmus“2 , „zum ersten Mal seit einer Generation gibt es ermutigende Anzeichen für Fortschritte“3 . „Hoffnung und tatsächliche Erfolge verändern den Kontinent. (...) Die Veränderungen, die wir erleben, bilden die Grundlagen für Aufschwung und Wohlstand. Sie geben der Zukunftserwartung einen neuen Sinn.“4

Diese Aussagen stammen von Spezialisten: dem Direktor und dem Afrika-Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF), Michel Camdessus und Evangelos A. Calamitsis, sowie von zwei Vizepräsidenten der Weltbank, Callisto Madavo und Jean-Louis Sarbib; sie wurden in den neuesten Berichten der anerkannten Experten der großen internationalen Institutionen bestätigt. Der Bericht des IWF versichert und belegt, daß „die Resultate in Afrika 1996 besonders ermutigend sind“5 , und der Bericht der Weltbank zum Jahr 1997 schlägt vor, „gemeinsam und grenzüberschreitend für das Wohl aller tätig zu werden“, damit „etwa die Hälfte der Bevölkerung der Entwicklungsländer (insbesondere in Schwarzafrika), die noch nicht von der Globalisierung profitiert hat, Nutzen aus der vielbeschworenen Steigerung des internationalen Handels und der Kapitalbewegungen ziehen kann“ und damit auch Afrika wie zuvor Asien ein Wirtschaftswunder erlebt.6 . Bis es soweit ist, kann man, laut dem UNO-Bericht über die menschliche Entwicklung 1997, durch die Bereitstellung der nötigen Mittel „die extreme Armut bis zum Anfang des nächsten Jahrhunderts beseitigen (...), sie muß nunmehr in der Versenkung der Geschichte verschwinden“7 . Solche Töne hatte man seit den Zeiten des ungebrochenen Fortschrittsglaubens nicht mehr gehört.

Dabei glaubten einige noch, das südlich der Sahara gelegene Afrika – Äthiopien, Somalia, Mosambik, Angola, Liberia, Uganda, Ruanda, Burundi, Zaire... – werde seit Jahren von endlosen Bürgerkriegen heimgesucht, mit Hunderttausenden Opfern, in Lager gepferchten Flüchtlingsmassen, verwüsteten Dörfern und ganzen Gebieten unter der Kontrolle der lokalen Kriegsherren. Afrika, dachte man, leide unter dem Vordringen der Wüste und der damit einhergehenden Lebensmittelverknappung, unter Entwaldung und Umweltverschmutzung; Landflucht, Unsicherheit und unhygienische Lebensbedingungen charakterisierten das Leben in den Städten; der Kontinent ersticke unter der Schuldenlast und der Verarmung der Bevölkerungen und der Nationalstaaten. Diese seien immer weniger in der Lage, ein normales Funktionieren der öffentlichen Dienstleistungen zu gewährleisten, die Infrastrukturen zu finanzieren und allen Menschen Zugang zu Ausbildung und menschenwürdigen Lebensbedingungen zu sichern. Es war das Bild von einem Afrika, das sich unaufhaltsam von dem Entwicklungsmodell entfernt, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg und der Entkolonialisierung herausgebildet hatte.

Wirtschaftswissenschaftler, Statistiker und Experten aus zwei Dutzend internationalen Instanzen geben sich jedoch große Mühe, das Gegenteil zu beweisen. Allein bei der Weltbank, die 100 Millionen US-Dollar in Forschung investiert, gibt es fünfhundert Festangestellte und noch einmal so viele unabhängige Experten, die die korrekten Informationen sammeln und die frohe Botschaft verkünden.8 Man braucht nur nachzusehen.

Ein Besuch in Schwarzafrika ist den Umweg wert und hält einige Überraschungen bereit. In dem von der Weltbank veröffentlichten Hochglanzpapierband mit den Entwicklungsstatistiken nehmen sich die Hunderte Tabellen mit aus erster Quelle geschöpften Zahlen wie die Summe des quantifizierbaren Wissens aus. Doch beim zweiten Blick zeigt sich, daß es zu vielen Punkten nur Teilinformationen oder gar keine Belege gibt. Auch zahlreiche angeführte Angaben sind mit Vorsicht zu genießen. Vertrauenswürdige Daten belegen hingegen eher das Gegenteil dessen, was man beweisen wollte.

Zunächst verfügt keines der 48 Länder Schwarzafrikas über vollständige und verläßliche Grundstatistiken. Häufig fehlen einige der wesentlichsten Daten beispielsweise zur Industrie (in Angola, dem Tschad, Eritrea, Guinea, Mosambik, Namibia, Zaire, Sambia, Simbabwe...), oder sie datieren zehn oder mehr Jahre zurück (im Falle von Nigeria, Ruanda, Gabun...). Das gleiche gilt für die landwirtschaftlichen Erhebungen oder die Wasserreserven. Andere Angaben sind so unvollständig, daß man an ihnen Veränderungen, die sich im Lauf der Zeit ergeben, nicht abschätzen kann, etwa der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Versorgung, Trinkwasser oder Abwässersystemen.

Darüber hinaus sind die von anderen internationalen Organisationen gelieferten Daten oft unbedeutend oder wenig glaubhaft. So tauchen zum Beispiel in den Statistiken von 1997 völlig veraltete Angaben auf: „Für drei wesentliche Indikatoren – die Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren, die Nettoeinschulungsrate (der Prozentsatz der Kinder im Grundschulalter, die die Schule besuchen) und der Prozentsatz von untergewichtigen Kindern unter fünf Jahren“ – sind die neuesten international verfügbaren Zahlen zumeist veraltet: Für den Senegal liegen sie ein Jahr zurück, für Nigeria fünf, für Gabun zehn, und für Angola bis zu fünfzehn Jahre. (In 32 Ländern liegt die letzte statistische Erhebung mindestens drei Jahre oder mehr zurück.) „Einige wenige Länder haben zu manchen Indikatoren gar keine Statistiken. Normalerweise basieren die Daten, die über diese Länder veröffentlicht werden, auf Vergleichen mit Nachbarländern mit einem ähnlichem Bruttosozialprodukt pro Einwohner.“9

Auf dieser Grundlage werden dann mehr oder weniger subtile Manipulationen vorgenommen. Das klassische Verfahren, um die Wirklichkeit zu verschleiern, besteht darin, die alten Kriterien durch neue zu ersetzen und dadurch Vergleiche über eine gewisse Zeit hinweg unmöglich zu machen, wenn sie dem offiziellen Diskurs zuwiderlaufen könnten. Gelegentlich werden auch die passenden Vergleichszeiträume ausgewählt, um die eigenen Behauptungen zu belegen. So wurden etwa zwischen 1960 und 1980 in zahlreichen Ländern erkennbare Fortschritte in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung gemacht. Doch da diese Tendenz sich seither verlangsamt hat oder sogar durch die Strukturanpassungsprogramme rückläufig ist, neigt man dazu, lieber mit dem Jahr 1970 zu vergleichen, in dem die Resultate am besten waren, sei es bezüglich der Kindersterblichkeit oder der Lebenserwartung. So ist zum Beispiel die Kindersterblichkeit in Mali zwischen 1960 und 1980 um 23 Prozent gesunken, dann zwischen 1980 und 1985 um 26,5 Prozent gestiegen und hat 1994 etwa wieder das Niveau von 1980 erreicht. Wenn man die Jahre 1970 und 1994 vergleicht, ignoriert man die zwischenzeitliche Erhöhung der Sterblichkeitsrate und schafft den Eindruck einer kontinuierlichen Senkung.

Doch es geht noch besser, und die Experten wissen das: So führen sie die Tatsache, daß den Statistiken zufolge die Kindersterblichkeitsrate in den Ländern der Region sinkt, als ermutigendes Zeichen an. Diese Statistiken beziehen sich jedoch auf die Geburten, die in Krankenhäusern stattgefunden haben. Da die Patienten als Folge der Strukturanpassungsprogramme die Behandlungskosten selber übernehmen müssen, gehen die Arztbesuche und die Geburten im Krankenhaus stark zurück. So sinken in der Tat die Komplikationsrisiken für Frauen, die genug Geld haben, um während der Schwangerschaft zum Arzt zu gehen und im Krankenhaus zu gebären. Doch niemand erfaßt die steigende Anzahl von Geburten außerhalb der Krankenhäuser und die damit verbundene Mütter- und Kindersterblichkeit.

Schließlich basteln die Forscher mangels statistischer Daten Meßinstrumente mit stark ideologisch gefärbtem Gehalt, die jedweder wissenschaftlichen Grundlage entbehren. Der jüngste Bericht der Weltbank mit dem Titel „Der Staat in einer sich verändernden Welt“ ist in dieser Hinsicht ein Musterbeispiel.10 Der Bank geht es vor allem darum, die Beschränkung der staatlichen Funktionen auf die Aufrechterhaltung von Recht und Gesetz zugunsten der Sicherheit des ausländischen Kapitals zu rechtfertigen – und nicht, wie einige vorschnelle Kommentare behaupten, den Staat zu rehabilitieren. Der Bericht versucht verzweifelt, unter Anführung zahlreicher Tabellen, den ultraliberalen Positionen der Weltbank statistische Legitimität zu verleihen.

Gemessen werden sehr subjektive Indikatoren für Korruption und Glaubwürdigkeit der Staaten. Auf der Grundlage von willkürlich zusammengestellten Konstrukten erfährt man, daß die Länder, die die richtige Wirtschaftspolitik verfolgen – selbstverständlich die von der Weltbank empfohlene –, ein schnelleres Wachstum aufweisen als die anderen und daß das Wachstum um so ausgeprägter ist, je weniger sie von diesem Weg abweichen. Der Bericht zeigt auch, wie man zum gut funktionierenden Staat wird: indem man in kleinen Sprüngen von Zone 1 – der des am schlechtesten funktionierenden Staates, der mit wenigen Mitteln alles machen will – zu Zone 3 gelangt – der des fähigsten Staates, der sich auf eine kleine Anzahl wesentlicher Aufgaben konzentriert –, nachdem man in Zone 2 die meisten seiner Aufgaben als Staat an die Geschäftswelt abgetreten hat.

Es gibt sogar einen kleinen Leitfaden für den Propagandisten der liberalen Sache: „Sechs Argumente gegen die Privatisierung und was man darauf entgegnen kann“, gefolgt von einer Beschreibung des jeweiligen Musterlands. Dieses Jahr ist Uganda zweifellos der beste Schüler der afrikanischen Klasse der Strukturangepaßten; davor war Ghana das „Wunderland“. Die Herren und Meister beglückwünschen Uganda für seine Fähigkeit „großangelegte Reformen durchzuführen“, indem es „die Anzahl der Angestellten des öffentlichen Wirtschaftssektors stark reduzierte“ und „den Wettbewerb ankurbelte“, indem es „die sozialen Dienstleistungen regierungsunabhängigen Organisationen übertrug“ und „sich der Konkurrenz von außen öffnete“. Denn „die Teilnahme an der Weltwirtschaft ist ein zusätzlicher Schutz gegen Willkürakte des Staates; sie begrenzt seine Hoheitsrechte in bezug auf die Kapitalbesteuerung und unterwirft seine Finanz- und Haushaltspolitik der aufmerksamen Beobachtung der Finanzmärkte“11 . Hier wird wohl deutlich, daß die Interessen der Völker nicht das Hauptinteresse der Experten der internationalen Finanzinstitutionen darstellen.

Bleibt die Frage nach den Gründen für jenen „berechtigten Enthusiasmus“, den ein „Afrika, das vorangeht auf dem Weg des Aufschwungs und des Wohlstands“, bei den Vizepräsidenten der Weltbank auslöst, wenn gleichzeitig die Statistiken sowohl ihrer eigenen als auch anderer Organisationen eine ganz andere Wirklichkeit aufzeigen – insbesondere der Internationale Bericht über die menschliche Entwicklung 1997 des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP).12 Von den 50 ärmsten Ländern der Welt (gemessen am UNDP- Indikator für menschliche Armut) liegen 33 in Schwarzafrika. „45 Prozent seiner Bevölkerung, das sind 266 Millionen Einwohner von insgesamt 590 Millionen, leiden unter Armut. (...) Diese Armut ist dort viel härter und ausgeprägter als überall sonst.“13

Das Schneewittchen von Bretton Woods

UND die Situation verschlimmert sich weiter, denn der Anteil der Armen ist gewachsen. 1987 mußten noch 179 Millionen Menschen mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen, nur sechs Jahre später waren es bereits 218 Millionen. Diese Armut betrifft 85 Prozent der Bevölkerung in Sambia, 72 Prozent in Madagaskar, 65 Prozent in Angola, 61 Prozent in Niger, und 50 Prozent in Uganda.14 „Zwischen 1981 und 1989 gab es in Schwarzafrika einen kumulierten Rückgang von 21 Prozent des realen Bruttosozialprodukts pro Einwohner. Dieser Rückgang betrifft sowohl die Länder, die Strukturanpassungsmaßnahmen durchgeführt haben, als auch die anderen. (...) Der stärkste Rückgang ist in Gabun festzustellen (58Prozent), dann folgen Nigeria (50Prozent) und die Elfenbeinküste (42 Prozent). (...) Selbst in den neunziger Jahren dürften etwa 32 Prozent der Menschen in dieser Region keine vierzig Jahre alt werden.“15 Es steht dort ein Arzt pro 18000 Einwohner zur Verfügung (in den Industrieländern ist es ein Arzt für je 350 Einwohner), es leben dort zwei Drittel der 23 Millionen HIV-Positiven, und das Virus verbreitet sich schneller als anderswo. Nicht einmal jeder zweite verfügt über Trinkwasser, und 50 Prozent der Bevölkerung haben keine medizinische Versorgung. Seit 1980 ist die Lebensmittelproduktion pro Einwohner rückläufig. Die Zahl der Analphabeten ist von 125,9 Millionen im Jahr 1980 auf 140,5 Millionen im Jahr 1995 angestiegen usw. Gleichzeitig nehmen die Ungleichheiten weltweit zu. „1994 lag das Verhältnis zwischen den Einkommen der 20 Prozent Reichsten und der 20 Prozent Ärmsten bei 78 zu 1, also deutlich ungünstiger als 1960, als es noch 30 zu 1 betrug.“16

Die ehemaligen sozialistischen Planwirtschaftler waren Meister der statistischen Lüge. Während die mit den genialen Gedanken des Genossen Stalin bewaffneten Produktionseinheiten leichtfüßig in wenigen Monaten das Soll des Fünfjahresplans übererfüllten, herrschte überall im Lande Mangel. Väterchen Stalin konnte dann das Scheitern nur noch mit ... „dem Schwindel des Erfolgs“ erklären17 . Das war die Zeit der „gähnenden Höhen“18 . Heute leben wir in der Zeit der virtuellen Wirtschaft, der Eröffnung des gigantischen Disneylands der Globalisierung. Besuchen Sie sein magisches Wachstum, seine Wunderwelt der Entwicklung, bestaunen Sie seine vorwärtsdrängenden Drachen, die Wunder vollführen können, und seine kleinen Zwerge, besuchen Sie Länder, die gehorsam den Vorgaben des Schneewittchen von Bretton Woods folgen. Blättern Sie im wunderbaren Leitfaden der internationalen Entwicklung, dem Ergebnis der Arbeit Hunderter Experten mit einem Jahresgehalt von 100000 Dollar, mit seinen hübschen pastellfarbenen Tabellen, die den Kindern mit Hilfe kleiner Würfel erklären, wie ein Land schnell groß und stark werden kann, wenn es nur die gute Wirtschaftspolitik des Katalogs brav schluckt.

Doch diese ganze Maskenparade versucht vergebens, das offensichtliche Scheitern der Strukturanpassungspolitik zu vertuschen, die den afrikanischen Ländern seit fünfzehn Jahren zum alleinigen Nutzen der Mitglieder des G-7-Klubs aufgezwungen wird, und über die Verwüstungen hinwegzutäuschen, die das Wirtschaftsmodell der kapitalistischen Globalisierung angerichtet hat. Je mehr sich die Schere zwischen Reichen und Armen öffnet, je stärker sich die Armut unter der Bevölkerung Schwarzafrikas ausbreitet, desto heftiger muß die Illusion geschürt werden. Die Illusion von Fortschritt, von der Entwicklung und von einem baldigen „Wunder“, dem Fetischbild der Neoliberalen, von denen man ein rationaleres Verhalten erwartet hätte. Doch inzwischen vertrauen sie offenbar nur noch auf wohlwollende göttliche Interventionen, obwohl denen selbst die Kirchen inzwischen mit größtem Mißtrauen begegnen.

Im Januar 1949 leitete der amerikanische Präsident Harry Truman in Punkt 4 seiner „Rede zur Lage der Nation“ die Ära der „Entwicklung“ ein. Von nun an sollte es keine Berber mehr geben, keine Thai, Ashanti oder Guarani, sondern nur noch „Unterentwickelte“, „in Entwicklung Befindliche“ dank der Hilfe der „entwickelten“ Länder, wobei deren Definition aufgrund eines neuen Indikators erfolgte, des Bruttosozialprodukts (BSP), nach dem die Vereinigten Staaten natürlich die Spitzenposition einnahmen.

Der Imperialismus hatte eine neue Ideologie produziert, um die Expansion des Kapitalismus zu rechtfertigen, der im Süden zeitweilig durch die Forderung nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung und die „Dritte-Welt-Bewegung“ gefährdet war, bevor letztere zur „gejagten Bestie“ wurde19 und den weltweiten Marktgesetzen das Feld überließ. Sie alleine sollten von da an die Beziehungen zwischen Starken und Schwachen, Reichen und Armen, Norden und Süden regeln. Die guten neoliberalen Onkel Doktors konnten den Übriggebliebenen dann eine Schocktherapie verabreichen, die Strukturanpassung, der man den Titel „humanitäre Einmischung“ verlieh.

Am 25. September 1972 rief der damalige Vorsitzende der Weltbank, Robert McNamara, vor deren Verwaltungsrat dazu auf, „der Armut das letzte Gefecht zu liefern“ und „die elenden Lebensbedingungen (auszurotten), die ein Hohn für die menschliche Würde sind“. 25 Jahre später liegen die Resultate vor: Für die afrikanischen Länder wäre es an der Zeit, das westliche Wachstumsmodell in Frage zu stellen, das die Ungerechtigkeit mit dem verschlissenen Mäntelchen der Entwicklung verhüllt.20

dt. Christiane Kayser

Fußnoten: 1 International Herald Tribune, Paris, 21./22. Juni 1997. 2 Laut Michel Camdessus, in Les Echos, 25. und 26. April 1997. 3 Gespräch mit Evangelos A. Calamitsis, IWF Bulletin, Vol. 26, Nr. 13, 14. Juli 1997. 4 International Herald Tribune, a.a.O. 5 Rapport sur les perspectives de l'économie mondiale, zitiert nach Financial Times, 14. Mai 1997. 6 Weltbank, World Development Indicators 1997, Oxford University Press, 1997. 7 UNDP, Internationaler Bericht über die menschliche Entwicklung 1997, Paris (Economica) 1997. 8 Catherine Caufield, „Masters of Illusion, the World Bank and the Poverty of Nations“, zitiert nach Bank Check Quarterly, Nr. 17. Juni 1997. 9 „Le Progrès des nations“, Unicef-Bericht, Genf 1997, S. 68. 10 Bericht über die Entwicklung 1997, Weltbank, a.a.O. 11 L'Etat dans un monde en mutation, Bericht der Weltbank, 1997, französische Zusammenfassung, S. 11 und 13. 12 Siehe Alain Gresh, „Die Tiefe der Kluft“, Le Monde diplomatique, September 1997 13 UNDP-Bericht, a.a.O., S. 23 und 37. 14 World Development Indicators, a.a.O., S. 31. 15 UNDP-Bericht, a.a.O., S. 35 und 26. 16 Ebenda, S. 27. 17 Titel eines berühmten Artikels von Stalin in der Prawda vom 2. März 1930. 18 Alexander Sinowjew, „Gähnende Höhen“, Zürich (Diogenes), 2. Aufl. 1994. 19 Siehe auch das unter dem Titel „Une bête à abattre“ erschienene Dossier in Le Monde diplomatique vom Mai 1985. 20 Zu diesem Punkt siehe auch: Gilbert Rist, „Le Développement, histoire d'une croyance occidentale“, Paris (Presses de la Fondation nationale des sciences politiques), Paris 1996, und Serge Latouche, „La Planète des naufragés, essai sur l'après-développement“, Paris (La Découverte), 1991.

Le Monde diplomatique vom 17.10.1997, von CHRISTIAN DE BRIE