Eldorado oder Fata Morgana?
SAPARMURAD Nijasow, der turkmenische Präsident, nimmt einen Bleistift zur Hand und streicht unter den Augen der westlichen Journalisten einen Namen auf der Landkarte. „Ich werde hier meinen eigenen Namen eintragen, damit jeder weiß, wem das Gebiet gehört“, sagt er scherzhaft.1 Eine passende Anekdote, um die Rivalitäten zwischen den Erdölgesellschaften über die Ansprüche am Kaspischen Meer neu anzufachen.
Nach Ansicht von Präsident Nijasow hat Aserbaidschan westlichen Firmen Nutzungsrechte an Ölfeldern verkauft, die auf turkmenischem Gebiet liegen. So erhebt Aschgabad Anspruch auf zwei der drei Erdölvorkommen, jene von Aseri und von Cirag2 , über die Baku mit einem westlichen Konsortium einen Vertrag in Höhe von 8 Milliarden Dollar abgeschlossen hat. Der turkmenische Präsident hat bereits erfolgreich Druck auf Moskau ausgeübt, so daß der Vertrag zwischen zwei russischen Erdölgesellschaften und Aserbaidschan über die Ausbeutung der Ölfelder von Kyapaz, die Turkmenistan für sich beansprucht, annulliert wurde.3 Die Kontroverse zwischen Aserbaidschan und Turkmenistan ist aber nicht die einzige. Kasachstan hat ebenfalls Einwände erhoben, nachdem Rußland am 27. August ein Angebot über die Erschließung eines Gebiets im Kaspischen Meer unterbreitet hat, das es als sein eigenes Territorium betrachtet.4
Daß die laufenden Verträge überall angefochten werden, hängt auch mit dem Status des Kaspischen Meeres zusammen. Rußland, Iran und Turkmenistan sind übereingekommen, ihre jeweiligen Grenzen in 45 Meilen Entfernung von der Küste des eigenen Landes festzulegen, innerhalb derer sie exklusive Förderrechte besitzen. Das Gebiet im Zentrum des Kaspischen Meeres wird von den fünf Anrainerstaaten gemeinsam verwaltet. Aserbaidschan und Kasachstan fordern hingegen, die gesamte Fläche des Kaspischen Meeres unter den Anrainerländern aufzuteilen.
Allerdings ist der genaue Umfang der Erdöl- und Erdgasvorkommen im Kaspischen Meer nicht bekannt. Manchen Schätzungen zufolge betragen sie zwischen 10 und 40 Milliarden Barrel Rohöl, das wären 1 bis 4 Prozent der gesamten Reserven in der Welt – gegenüber 65 Prozent im Persischen Golf.5 Der amerikanische Staatssekretär im Außenministerium, Strobe Talbott, hingegen behauptet, die Reserven im Kaspischen Meer beliefen sich auf „200 Milliarden Barrel“, weshalb er auch am 22. Juli gegenüber Radio Free Europe erklärte, die Region sei „von vitaler strategischer Bedeutung“. Russische Quellen bezweifeln jedoch, daß es überhaupt noch bedeutende Ölfelder im Kaspischen Meer gibt, und führen an, die letzten verfügbaren Zahlen stammten noch aus den achtziger Jahren und seien übertrieben.6 Ein anderer Unterschied zum Erdöl aus dem Persischen Golf sind die Produktionskosten. Sie betragen zwischen 4 und 5 Dollar je Barrel im Kaspischen Meer, gegenüber weniger als 1 Dollar in Kuwait.
DIE größten Hindernisse für den Rohölexport aus dem Kaspischen Meer sind die weite Entfernung der Ölfelder zum offenen Meer und die unzureichenden Pipeline-Systeme. Dies wurde in dem Vertrag über die Ausbeutung der Vorkommen von Tengis deutlich, der zwischen Chevron und Kasachstan geschlossen wurde. Die ersten Lieferungen im Umfang von täglich 80000 Barrel werden über zwei getrennte Strecken erfolgen: zum einen von Baku zum russischen Hafen Noworossijsk – diese Strecke verläuft durch die von Lesgiern besiedelten Gebiete in Aserbaidschan und Dagestan sowie über Grosny. Die zweite Strecke verläuft von Baku zum georgischen Hafen Supsa, wobei ebenfalls zwei Konfliktzonen zu durchqueren sind, zunächst in Aserbaidschan, unweit der Gefechtslinie zu Karabach, und dann im Westen Georgiens, in der Nähe Abchasiens und Adschariens, zwei Gebieten, die sich der Kontrolle durch Tiflis entzogen haben. Am Schwarzen Meer eingetroffen, muß das Erdöl verladen und auf den Weg durch die türkischen Meerengen geschickt werden, die bereits stark befahren und von ökologischen Katastrophen bedroht sind.
Sollte es aber zu teuer und die Lieferung zu ungewiß werden, könnten die bereits unterzeichneten Verträge über Investitionen aufgeschoben oder gar vergessen werden. Der russische Erdölsektor benötigt jedoch immense Investitionen (Schätzungen zufolge 50 bis 70 Milliarden Dollar), um die Produktion in den nächsten Jahrzehnten auf dem gleichen Niveau halten zu können.7 Moskau muß daher, sofern es zur Öffnung seines Erdölsektors bereit ist, dringend ausländische Investoren suchen. Eine mögliche Rückkehr des Irak auf den Weltmarkt würde das Erdölangebot ebenso wie die Investitionsziele westlicher Firmen verändern.
Die meisten Experten meinen ohnehin, daß der Erdölverbrauch in Europa in den nächsten Jahrzehnten gleichbleibt und daher die Lieferungen aus den traditionellen Importländern am Persischen Golf und in Nordafrika ausreichen werden. Hingegen wird in Europa zusätzliches Erdgas benötigt, das aus Rußland, dem Iran oder Turkmenistan bezogen werden könnte. Auch Südasien wird ein wichtiger Abnehmer für Erdöl aus dem Kaspischen Meer sein. Derzeit verhindert die unsichere Situation in Afghanistan den Bau einer Pipeline von Turkmenistan über Afghanistan nach Pakistan, die Behörden in Turkmenistan zusammen mit der amerikanischen Gesellschaft Unocal und mit Delta aus Saudi-Arabien geplant haben.
Zur Zeit laufen Verhandlungen über den Bau einer Pipeline zwischen Kasachstan und China, deren Kosten auf 3,5 Milliarden Dollar geschätzt werden.8 Doch wird auch über eine kostengünstigere Lösung nachgedacht, wonach Kasachstan sein Erdöl über den Iran nach Ostasien transportieren könnte.9 Auch französische Gesellschaften haben bereits ihr Fähnchen auf die Landkarte des Kaspischen Meers gesteckt. Total hat 20 Prozent der Offshore-Vorkommen von Abscheron erworben, deren Eigentumsverhältnisse unumstritten sind und deren Erschließung sich auf umgerechnet etwa 5 Milliarden Mark belaufen wird. Ende letzten Jahres hat Total 10 Prozent der Vorkommen von Lenkoran-Shah Deniz für sich reservieren können, die zu 40 Prozent an Elf Aquitaine gegangen waren.10
Neben dem Erdöl stand das Kaspische Meer stets auch für Kaviar. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion unterliegt der Handel mit diesem Produkt keinerlei Kontrolle mehr, und verschiedene Gruppen haben sich ungezügelt auf den Fang der Störe gestürzt, so daß die offizielle Produktion um 80 Prozent gesunken ist. Und manch einer befürchtet, daß die Gewässerverschmutzung, die eine auf vollen Touren laufende Erdölproduktion mit sich brächte, der Kaviarindustrie den Garaus machen wird. V.C.