17.10.1997

Wem die Spirale der Verschuldung nützt

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Wem die Spirale der Verschuldung nützt

Von ÉRIC TOUSSAINT *

OBWOHL Schwarzafrika die Summe seiner Außenverschuldung zwischen 1980 und 1996 bereits doppelt zurückgezahlt hat, ist es heute dennoch dreimal höher verschuldet als vor sechzehn Jahren. Im Jahre 1980 schuldete es seinen Gläubigern noch 84,3 Milliarden Dollar, Ende 1996 waren es bereits 235,4 Milliarden. In der Zwischenzeit hat der Subkontinent 170 Milliarden Dollar für den Schuldendienst (Zinsen und Kapital) aufgebracht. Der Schuldendienst kostet jährlich viermal soviel wie die Gesamtsumme der Gesundheits- und Erziehungsbudgets der betroffenen Länder.1

Trotzdem sind die 48 Länder Schwarzafrikas mit dem Schuldendienst erheblich in Verzug: 1994 standen etwa 48 Millionen Dollar aus.2 1996 stufte die Weltbank 31 von ihnen als schwer verschuldete Länder mit niedrigem Einkommen ein – 6 mehr als 1994. Um die Schulden, die in Devisen zu zahlen sind, völlig zu tilgen, müßten sie mehr als drei Jahre lang die Gesamtsumme ihrer Exporteinnahmen dafür aufbringen.

Seit Anfang der achtziger Jahre hat sich das Preisverhältnis zwischen den afrikanischen Exportgütern und den aus den Industrieländern importierten Waren unaufhörlich verschlechtert. Der Warenkorb an Exportartikeln hat gegenüber den aus dem Norden importierten Gütern die Hälfte seines Wertes verloren. Die afrikanischen Staaten versuchen nun, das Volumen ihrer Exporte auf dem Weltmarkt zu steigern, aber das löst das Problem nicht, denn die Exportpreise fallen schneller als die Preise der Importgüter. Im heutigen Welthandelssystem sind die Länder des Südens benachteiligt. Dies gilt insbesondere für Schwarzafrika, das viel weniger verarbeitete Produkte exportiert als Lateinamerika oder Südostasien. Sobald die afrikanischen Länder das Volumen ihrer Exporte steigern, fällt deren Wert. Daher weisen ihre Außenhandelsbilanzen wachsende Defizite auf. Die seit mehr als zehn Jahren von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) diktierte Strukturanpassungspolitik ist kläglich gescheitert.

1995 verfügte Schwarzafrika nur über 1 Prozent der direkten ausländischen Investitionen in Entwicklungsländern: 2,2 von 240,3 Milliarden Dollar.3 Mehr als 90 Prozent dieser Kredite gehen an eine sehr kleine Anzahl von Ländern wie Südafrika und einige Exportländer von Erdöl und Bodenschätzen wie Nigeria, Angola, Gabun und Kamerun. Hingegen transferieren die Muttergesellschaften der in der Region arbeitenden multinationalen Konzerne umstandslos die Profite in ihre Ursprungsländer, wobei diese Profite doppelt so hoch sind wie ihre Investitionen.

Wachsende Verschuldung trotz der Rückzahlung bedeutender Summen; ungleiches Tauschverhältnis, das das Handelsdefizit steigert; geringer Zufluß ausländischen Kapitals nach Afrika, aber Rückführung der recht beträchtlichen Profite an die multinationalen Konzerne im Norden: Die zuversichtlichen Bilanzen der Medien und der internationalen Finanzinstitutionen sind von der Realität recht weit entfernt.

„Wußten Sie, daß trotz der beträchtlichen bilateralen und multilateralen Hilfsgelder der Kapitalfluß aus Afrika in die Industrieländer umfangreicher ist als die Bewegung in die umgekehrte Richtung?“ fragte bereits im Juli 1994 der damalige französische Präsident François Mitterrand auf dem G-7-Gipfel.4 Das ist nur die halbe Wahrheit, denn die bilateralen und multilateralen Hilfsgelder sind gar nicht beträchtlich. Die öffentliche Entwicklungshilfe steht auf dem niedrigsten Stand seit 45 Jahren5 : Sie beträgt weniger als 0,33 Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP) der Industrieländer. Ende der sechziger Jahre hatte die UNO einen Anteil von 0,7 Prozent zum Ziel gesetzt, und 1992 verpflichteten sich die Staatschefs auf dem Gipfel in Rio zu einer Verdreifachung dieses Betrags.

Doch die Entwicklung der afrikanischen Verschuldung verläuft nicht anders als in anderen Regionen des Südens. Ab der zweiten Hälfte der sechziger Jahre suchten die Bankiers des Nordens Abnehmer für ihre Bargeldüberschüsse. Mit der Reinvestition der Petrodollars nahm das Phänomen größere Dimensionen an. Unter dem Vorsitz von Robert McNamara (dem ehemaligen Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten während der Eskalation der militärischen Intervention in Vietnam) schlug die Weltbank die gleiche Richtung ein: Zwischen 1968 und 1973 verzehnfachte sie ihre Darlehen und blieb auch während der folgenden fünf Jahre bei dieser Politik.

Nachdem sich die Wirtschaftskrise ab 1973 voll auf die Wirtschaften der Industrieländer auswirkte, versuchten deren Regierungen, einen Aufschwung einzuleiten, indem sie dem Süden noch mehr Kapitaldarlehen gaben, unter der Bedingung, daß diese Länder im Gegenzug die Waren des Nordens kauften. Im Auftrag der Weltbank drängten Bankiers und Minister für die wirtschaftliche Zusammenarbeit die afrikanischen Regierungen, Kredite aufzunehmen und große infrastrukturelle Projekte in Angriff zu nehmen, mit Ausrüstung und Know-how aus den Industrieländern. Diese folgten diesen Vorschlägen um so lieber, als die Zinsen sehr niedrig lagen, die großen Projekte die Macht der lokalen Potentaten nur stärken konnten und die Unternehmen und Regierungen aus dem Norden, die sich um die Kunden balgten, auf eigene Kosten zahlreiche „Kommissionen“ entsandten. Die Korruption aus dem Norden untermauerte die im Süden und verstärkte den Klientelismus und die Kleptokratie zahlreicher Regime. Zwischen 1970 und 1980 verzwölffachte sich die Verschuldung Schwarzafrikas.

Anfang der achtziger Jahre schnellten die Zinsraten sehr stark in die Höhe, in Afrika machte sich eine Schuldenkrise breit. Wie alle Entwicklungsländer mußten die Länder Schwarzafrikas mit ansehen, wie sich die Zinsen verdreifachten, während gleichzeitig die Preise ihrer Exportwaren sanken. Das war der Beginn eines Teufelskreises: Die Länder nahmen Kredite auf, um zurückzahlen zu können, und obwohl sie zahlten, wuchs ihre Auslandsverschuldung.

Im Lauf der letzten Jahre haben die Privatbanken ihre Ausstände bei den verschuldeten Staaten und bei den Regierungen des Nordens eingetrieben6 , die fast die Hälfte der Schulden Schwarzafrikas (außer Südafrika) übernommen haben. Mehr als ein Drittel davon entfällt auf die internationalen Finanzinstitutionen (Weltbank, IWF, Afrikanische Entwicklungsbank). Je ärmer ein afrikanisches Land ist, desto größer ist der Anteil seiner Schulden bei den internationalen Finanzinstitutionen: Bei Burundi sind es 79 Prozent, bei Ruanda 81 Prozent, bei der Zentralafrikanischen Republik 77 Prozent, in Guinea-Bissao 61 Prozent, bei Uganda 77 Prozent. Insgesamt erhalten die Weltbank und der IWF von den verschuldeten Ländern mehr Geld, als sie ihnen leihen7 , und erhalten als erste die Darlehen zurück.

Ein Großteil der öffentlichen Entwicklungshilfe des Nordens wird von den verschuldeten Ländern zur Rückzahlung an die internationalen Finanzinstitutionen verwandt. Mit Ausnahme Südafrikas, dessen Wirtschaft stark ist, und des Sudans, der jeglichen Kontakt mit den Finanzinstitutionen abgebrochen hat, sind die Regierungen Schwarzafrikas faktisch in der Gewalt des IWF, der Weltbank und des Pariser Clubs. Dieser überläßt den beiden erstgenannten Organisationen die Ausarbeitung der politischen Maßnahmen, die die Schuldnerländer dann durchsetzen sollen.

Seit fast fünfzehn Jahren zwingt man der Mehrheit der Länder Schwarzafrikas Strukturanpassungspläne auf und bedient sich dabei eines sicheren Druckmittels: Wenn die Regierenden den Plan ablehnen, wird der Kredit suspendiert. Doch die Durchsetzung dieser Pläne hat oft katastrophale soziale und ökonomische Folgen: Einschränkung der Umverteilungsfunktion des Staates, Niedergang der Produktion in der Landwirtschaft und der Kleinindustrie, Verschlechterung der Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit.

Von 1990 bis 1993 gab beispielsweise die Regierung von Sambia 37 Millionen Dollar für Grundschulbildung aus, der Schuldendienst verschlang im gleichen Zeitraum 1,3 Milliarden Dollar.8 Anders gesagt: Für jeden Dollar, der in die Grundschulen gesteckt wird, zahlt die Regierung 35 Dollar an den Club der reichen Länder. 1995 gab die Regierung pro Einwohner sechsmal weniger für die Grundschulbildung aus als zehn Jahre davor, im Gesundheitswesen waren es 30 Prozent weniger. In der Folge mußten 80 Prozent der Grundschulkosten von den Familien selbst getragen werden, die Kindersterblichkeit stieg in dieser Zeit um 20 Prozent.

Seit 1994 führt der Pariser Club mit den vom IWF als Musterschüler bezeichneten afrikanischen Ländern Einzelverhandlungen über Schuldensenkungen. Der Club verkündet, die bilateralen Schulden der am höchsten verschuldeten Länder bis um 67 Prozent verringern zu wollen. Doch in Wirklichkeit macht die versprochene Senkung nur sehr wenig aus. Das erste Land, das die Großzügigkeit des Pariser Clubs zu spüren bekam, war Uganda. Es erreichte lediglich eine Senkung seiner Auslandsschulden um 3 Prozent. 1995 betrug die Summe der Schuldverminderung aller schwarzafrikanischen Länder weniger als 1 Prozent der gesamten Schuldenlast.9

1996 haben die Weltbank, der IWF und der Pariser Club eine neue Initiative ergriffen, um den Schuldendienst der ärmsten und am höchsten verschuldeten Länder, der sich insgesamt auf mehr als 200 Milliarden Dollar beläuft, zu „lindern“. Die ersten Senkungen werden für 1998 erwartet, aber die meisten werden erst nach dem Jahr 2000 in Kraft treten. Die Weltbank und der IWF erklären sich bereit, maximal 7 Milliarden Dollar aufzutreiben, um die gesamte Initiative zu finanzieren. Das entspricht „etwa den Kosten des Baus des Eurodisney-Vergnügungsparks in Frankreich“10 und ist dreißigmal weniger als die 200 Milliarden Dollar, die sich allein im August 1997 an den asiatischen Börsen verflüchtigt haben.

Die Auslandsverschuldung Schwarzafrikas, wo mehr als 10 Prozent der Weltbevölkerung lebt, beträgt weniger als 1 Prozent der weltweit ausstehenden Schulden. Sie ist bereits doppelt zurückgezahlt worden. Angesichts der sozialen Kosten dieser Verschuldung wirkt die Weigerung, sie zu streichen, wie eine Hilfsverweigerung gegenüber einer Person, die sich in Todesgefahr befindet. Damit eine solche Schuldenstreichung nicht korrupten Regimen zugute kommt, müssen die Guthaben der afrikanischen Regierenden und ihres Umfelds eingefroren werden. Die demokratischen Organisationen der verschiedenen Länder können so mit Hilfe der juristischen und legislativen Institutionen eine Buchprüfung vornehmen. Wenn diese Guthaben illegal angeeignet wurden, sollten sie in einen öffentlich kontrollierten sozialen Entwicklungsfonds fließen. Diese beiden Vorschläge des „Komitees für die Annullierung der Schulden der Dritten Welt“ sind notwendige Voraussetzungen für eine wirtschaftliche und demokratische Erneuerung Afrikas.

dt. Christiane Kayser

* Vorsitzender des Comité pour l‘annulation de la dette du tiers-monde (CADTM - Brüssel) , Autor von „La Bourse ou la Vie“, voraussichtliches Erscheinungsdatum: November 1997 bei Editions Luc Pire (Brüssel)/ Syllepse (Paris)/CETIM (Genf).

Fußnoten: 1 Daniel Comanne und Éric Toussaint, „La dette: ce nouvel esclavage de l'Afrique“, Dossier CADTM/ GRESEA Nr. 15, Brüssel, 1995, S. 91. 2 Jacques Alibert, „La dette extérieure de l'Afrique“, Marchés tropicaux et méditerranéens, 29. März 1996, Paris. 3 Jacques Alibert, a.a.O. 4 D. Comanne und E. Toussaint, a.a.O., S. 90. 5 Unicef-Bericht 1997 und Alternatives économiques, Nr. 146, März 1997. 6 Das nahm verschiedene Formen an. Regierungen des Nordens kauften den Privatbanken manche Kredite mit Geldern aus dem Entwicklungshilfebudget ab. Die Banken erhielten Steuerbegünstigungen für Kredite, die sie als nicht eintreibbar deklarierten, auch wenn die Schuldner am Ende zahlten. 7 United Nations Development Programme (UNDP), Rapport mondial sur le développement humain, Paris (Economica) 1994, S. 68. 8 Oxfam International, Multilateral Debt: The Human Costs, Washington, Februar 1996, S. 11. 9 Weltbank, Global Development Finance, Washington 1997, Bd. 1, S. 203. 10 UNDP, Bericht über die menschliche Entwicklung, Bonn (UNO-Verlag) 1997.

Le Monde diplomatique vom 17.10.1997, von ÉRIC TOUSSAINT