14.11.1997

Surfen auf den Erfindungen der Konkurrenz

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Surfen auf den Erfindungen der Konkurrenz

Von RALPH NADER und JAMES LOVE *

DASS Microsoft heute das weltweit führende Unternehmen auf dem Markt der Informationsdienste ist, hat weder mit seiner Größe zu tun (viele andere Firmen machen mehr Umsatz)1 noch mit den Produkten, die es anbietet (viele andere Firmen sind innovativer). Es liegt vielmehr ausschließlich daran, daß Microsoft die Kontrolle über jene grundlegende Software besitzt, auf die fast alle Programme angewiesen sind, die auf Heimcomputern laufen.2 Und die Firma nutzt ihre Position der Stärke zu atemberaubenden Marktoffensiven im Bereich der populären Anwendungsprogramme, der Informationsdienste, des elektronischen Versandhandels und der Netzpublikationen.

Der Aufstieg von Microsoft zum größten Anbieter von Software für Schreibtisch-Computer ist nicht nur eine erstaunliche und für die Begründer und Mitarbeiter des Unternehmens erfreuliche Erfolgsstory3 . Er bedeutet auch, daß eine Weltmacht entstanden ist, die man etwas genauer unter die Lupe nehmen sollte. Nach Schätzung der Experten kontrolliert Microsoft rund 90 Prozent des Marktes für Betriebssysteme, die auf PCs eingesetzt werden, und darüber hinaus auch 90 Prozent des Marktes für populäre Anwendungen wie Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Grafik und Präsentation sowie relationale Datenbanken. Aus diesen Komponenten bestehen die „suites“, die integrierten Büroprogramme, die man den Kunden beim Erwerb eines Computers mitverkauft. Eine innovative Rolle hat Microsoft in diesen Marktbereichen eigentlich nie gespielt.

MS-DOS, das erste Betriebssystem für den PC, hatte man einem anderen Softwareentwickler abgekauft, und Windows, Microsofts erste grafische Benutzeroberfläche, war eine Nachahmung des Apple- Macintosh-Systems, dessen Grundideen wiederum aus einem frühen Projekt bei Xerox stammten. Excel, das Microsoft- Programm zur Tabellenkalkulation, ist eine Kopie von Lotus 123, das seinerseits auf VisiCalc basierte.

MS Word kam erst auf den Markt, als es bereits eine Reihe populärer Textverarbeitungsprogramme gab, und auch das Präsentationsprogramm PowerPoint hat seine Vorläufer in Programmen wie Harvard Graphics und Freelance. Im Markt für Datenbanken war Microsoft lange nicht präsent, der Einstieg gelang schließlich erst, indem man andere Firmen aufkaufte.

Microsoft war also immer etwas zu spät dran, ist dabei allerdings meistens ziemlich gut weggekommen. Heute dominiert die Firma alle diese Marktsegmente so deutlich, daß Softwareentwickler, die mit einem neuen Programm gegen Microsoft antreten wollen, kaum genug Risikokapital für ihre Projekte auftreiben können. Microsoft scheint im Bereich der PC- Software unschlagbar zu sein.

Dieser Erfolg gründet sich ohne Zweifel auch darauf, daß die Führung des Unternehmens bereit war, gewaltige Summen in die Verbesserung von Programmen zu investieren, deren erste Versionen meist nicht überzeugen konnten; und natürlich spielten die aufwendigen Vermarktungsstrategien eine Rolle.

Einige der dabei angewandten Praktiken sind allerdings als räuberisch und wettbewerbsverzerrend kritisiert worden. So hat man ständig Veränderungen am Betriebssystem Windows vorgenommen, die es der Konkurrenz erschweren sollten, Programme für dieses System zu entwickeln. Ergänzt wurde diese Taktik durch eine selektive Informationspolitik, die immer neue Gerüchte über aktuelle und künftige Funktionen streute. Microsoft verkaufte minderwertige Software im Paket zusammen mit unverzichtbaren Programmen; es wurden Programme angekündigt, die gar nicht in der Entwicklung waren, nur um die Kunden vom Kauf von Konkurrenzprodukten abzuhalten; es gab massive Abwerbungskampagnen unter den wichtigsten Mitarbeitern anderer Firmen, und nicht zuletzt wurde immer wieder Preisdumping betrieben, um der Konkurrenz das Wasser abzugraben.

Zusammen mit seinen aggressiven Werbestrategien in ausgesuchten Medien4 hat sich Microsoft auf diese Weise den Ruf erworben, durch sein rücksichtsloses Vorgehen der gesamten Softwareindustrie zu schaden.

Bill Gates erforscht das Internet

NACHDEM es dem Unternehmen also gelungen ist, eine ganze Reihe kreativer und innovativer Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen und sich die Vorherrschaft im Bereich der Desktop-Programme zu sichern, wirft sich Microsoft auf den Bereich Internet – in dem sich ebenfalls andere Firmen viel früher engagiert hatten.

Hier verfolgt man das Ziel, zum marktbeherrschenden Anbieter des Betriebssystems und der Zugangssoftware zu werden, die benötigt wird, um ins Internet zu kommen. Riesige Summen wurden in die Entwicklung des Microsoft Internet Explorer (MIS) gesteckt; der Internet-Browser ist kostenlos erhältlich und wird inzwischen sogar als Bestandteil der Windows- Software geliefert. Die Offensive richtet sich gegen Netscape, die einzige Firma, die Microsoft in diesem Bereich noch Konkurrenz machen kann. Gelingt das Manöver, werden künftig wohl die Softwarestandards für alle Publikationen, Informationsdienste und Geschäfte im Internet von einem einzigen Unternehmen gesetzt. Das Netz würde enger und weitgehend abhängig von Microsoft.

Ein weiterer Schauplatz in dieser Schlacht ist die Auseinandersetzung zwischen Microsoft und Sun Microsystems um die Programmiersprache Java. Sun, eine der wenigen Firmen, die in zentralen Geschäftsbereichen noch gegen Microsoft antritt, hatte Java als eine Sprache konzipiert, die Programme für unterschiedliche Betriebssysteme erzeugen kann. Bislang haben die Softwareentwickler das Problem, daß sie ihre Applikationen für jedes System neu schreiben müssen – ein zeitraubendes und teures Verfahren, das viele veranlaßt, sich mit einer Version für das System zu begnügen, das auf 90 Prozent aller Heimcomputer installiert ist: eben Microsoft DOS-Windows. Daß in java geschriebene Programme auf jedem beliebigen Rechner laufen könnten, bedeutet natürlich eine Bedrohung für diese Monopolstellung von Microsoft.

Um dieser Gefahr zu begegnen, setzt Microsoft auf bewährte Strategien. Im Internet gilt bislang das Prinzip der „open standards“: Was dort angeboten wird, ist mit allgemein zugänglichen Mitteln erstellt worden. Aber Microsoft erlaubt sich, eine eigene Version der Java-Programmiersprache zu benutzen, die zusätzliche Möglichkeiten bietet, deren Resultate aber nur mit MS-Windows zu lesen sind – in der Hoffnung, daß genug Programmierer nur noch mit dieser Java-Version arbeiten werden. Dave Nachbar, Investment-Berater im Bereich der neuen Technologien, hat diese Taktik die „Anakonda-Methode“ genannt: Man versucht, konkurrierende Entwickler zu umhalsen, abzuwürgen und am Ende zu verschlingen.

Aber das Unternehmen begnügt sich nicht damit, seine Vormachtstellung im Bereich der Internet-Software auszubauen, es nutzt seine Marktmacht, um eine eindrucksvolle Reihe neuer Geschäftszweige zu eröffnen: Man kann inzwischen bei Microsoft Flüge buchen, Konzertkarten kaufen, Bankgeschäfte tätigen, Anzeigen aufgeben und Immobilienangebote einholen, und nicht zuletzt will die Firma die Software für die Selektion der künftigen Fernsehangebote liefern.

Es stellt sich also die Frage, ob der unaufhaltsame Vormarsch von Microsoft eine soziale Bereicherung oder eine Bedrohung darstellt. Und wenn letzteres zutrifft, was zu tun ist, wenn man dieses Phänomen für gefährlich hält. Immerhin sind viele der Ansicht, daß wir Microsoft eine Verbilligung der Software zu verdanken haben, die es den Konsumenten heute ermöglicht, Dateien und Textdokumente problemlos zu verschicken. Dagegen wäre einzuwenden, daß die ersten preiswerten Programme für solche Zwecke von Borland und einigen anderen Firmen angeboten wurden und daß der Austausch von Daten erst durch das Internet so einfach wurde. Und dieses Netz war ursprünglich als ein Medium gedacht, das keine Einschränkungen zuläßt und jedem die gleichen Chancen bietet.

Letztlich muß man das Microsoft-Monopol wohl doch als eine Gefahr für die Gesellschaft begreifen. In allen Bereichen, in denen das Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung erlangt hat, ist es mit den Innovationen vorbei. Kaum jemand zeigt sich noch interessiert, in Softwareprodukte zu investieren, die mit Microsoft konkurrieren wollen; selbst für Projekte, die in der Zukunft für die Firma interessant werden könnten, finden sich keine Geldgeber.

Es kann nicht mehr lange dauern, bis es Microsoft geschafft hat, auch dem Prinzip der Offenheit den Garaus zu machen, das den außerordentlich innovativen Austauschprozeß im Internet ermöglicht. Sobald der Zugang zum Internet überwiegend auf der Software von Microsoft beruht, kann das Unternehmen erheblichen Einfluß auf die Inhalte und Angebote im World Wide Web nehmen. Was zugleich heißt, daß man sich potente Partner aus verschiedenen Branchen suchen wird. Darunter leidet der Wettbewerb im Internet, und die Nutzer haben das Nachsehen. Abgesehen von den wirtschaftlichen Aspekten kann man sich natürlich fragen, was dieses neue Monopol im digitalen Zeitalter auf der sozialen Ebene bedeutet und wie man sich dazu verhalten soll.

Zweifellos verfügen die Konsumenten, die Softwareentwickler und auch die Regierungen über eine Reihe von konkreten Möglichkeiten, die Monopolstellung von Microsoft zu durchbrechen und für mehr Angebotsvielfalt zu sorgen. Vor allem die Regierungen sind hier gefordert. In den USA wie in den Ländern der Europäischen Union gibt es staatliche Institutionen, die über die Monopolbildung wachen. Ihre Aufgabe wäre es, Microsoft daran zu hindern, seine Vormachtstellung im Bereich der Betriebssysteme auch auf das Internet auszudehnen. Außerdem könnten die staatlichen Stellen beim Einkauf von Programmen verstärkt mit Firmen kooperieren, die nicht auf der Basis von Microsoft-Produkten arbeiten. Und nicht zuletzt wäre es sinnvoll, Software- Entwicklungen zu unterstützen, die auf der ursprünglichen Java-Programmiersprache basieren.

Microsoft muß einfach gehindert werden, sich durch Firmenaufkäufe die Möglichkeit zu verschaffen, die Regeln für den künftigen Verkehr im Internet, für Geschäfte und multimediale Kommunikation zu bestimmen. Entscheidend ist, daß die Firma von Bill Gates offiziell unter Druck gesetzt wird: Sie muß ihre Geschäftspolitik aufgeben, die Entwickler von Anwendungsprogrammen auf ihr Betriebssystem zu verpflichten, und man sollte ihr scharf auf die Finger sehen, was ihre aggressiven Praktiken gegen die Konkurrenz angeht.

In den USA hält man sich in diesen Fragen zurück, nicht zuletzt, weil Microsoft erhebliche Auslandseinkünfte garantiert. Um so mehr sind die europäischen Staaten gefordert.

dt. Edgar Peinelt

* Der Rechtsanwalt Ralph Nader ist Leiter einer Verbraucherschutzorganisation in den USA; James Love arbeitet als Wirtschaftswissenschaftler am Center for Study of Responsive Law, Washington, DC (http:// www.cptech.org).

Fußnoten: 1 1996 nahmen sich die Einnahmen von Microsoft (11,3 Milliarden Dollar) immer noch bescheiden aus, verglichen etwa mit dem Bilanzgewinn von Mitsubishi (752 Milliarden Dollar). 2 Das Betriebssystem regelt die Interaktion von Anwendungsprogrammen sowohl mit der Computerhardware (dem Arbeitsspeicher, der Festplatte, dem Bildschirm, der Tastatur und der „Maus“) als auch mit dem Benutzer (der auf „Bildschirmfenster“, „Menüs“, „Befehle“ usw. zugreift). Systeme wie Windows oder das Apple Macintosh Betriebssystem, die über eine grafische Benutzeroberfläche gesteuert werden, bieten außerdem die Möglichkeit, Bilder, Ton, Videos und Texte auf diese Weise zu bearbeiten. Für die Programmierer bedeutet das, für jede Anwendung die entscheidenden Rechnerfunktionen, die Anbindung an andere Programme oder auch das Internet systemgerecht neu zu schreiben, um die besonderen Fähigkeiten ihrer Software zur Geltung zu bringen. 3 Microsoft wurde 1975 von Bill Gates gegründet. Er hält 22,3 Prozent der Firmenanteile. Heute, im Alter von 41 Jahren, ist er damit der reichste Mann in den Vereinigten Staaten. Im Dezember 1996 belief sich der Wert seiner Anteile auf 36 Milliarden Dollar. 4 Serge Halimi, „Une presse libre“, Le Monde diplomatique, September 1995.

Le Monde diplomatique vom 14.11.1997, von RALPH NADER und JAMES LOVE