Formen der Wasserbewirtschaftung
Von DANIEL BAUDRU und BERNARD MARIS *
WAS das Verhältnis des Kapitalismus zur Natur angeht, so stand für den Ökonomen Jean- Baptiste Say fest: „Die natürlichen Ressourcen sind unerschöpflich.“ So könnte auch der Wahlspruch über dem Eingang der Firmenzentrale der Compagnie générale des eaux lauten, die 1854 gegründet wurde, etwa zu der Zeit, als der Ahnherr des Wirtschaftsliberalismus die oben zitierte Überzeugung formulierte. 1880 entstand dann die Lyonnaise des eaux: Bei der Übernahme der öffentlichen Wasserbewirtschaftung durch private Unternehmen war Frankreich seiner Zeit um hundert Jahre voraus.
Durch diesen „relativen Vorsprung“, konnten sich die genannten Großunternehmen1 (zu denen inzwischen die zur Bouygues-Gruppe gehörende SAUR hinzugekommen ist) weltweit zu den Herren des Wassers aufschwingen; während sie zu Hause nur mit Nettoerträgen von 3 bis 6 Prozent rechnen können, liegt die Ertragsrate bei Unternehmungen im Ausland zwischen 15 und 25 Prozent.2
Worin besteht das Geheimnis dieses französischen Modells der Wasserbewirtschaftung, das angeblich „privatwirtschaftliche Effizienz und öffentliches Wohl vereint“ und „für die privaten Endverbraucher gleichermaßen vorteilhaft ist wie für die Großabnehmer“? Können diese Gesellschaften dank ihrer enormen Finanzkraft vielleicht sogar in andere Wirtschaftszweige einsteigen? Welche Alternativen gibt es zu diesem Modell der staatlichen Vergabe von Konzessionen an private Großfirmen? Und vor allem: Wie soll man in einer Demokratie mit dem Wasserproblem umgehen?
Jede Lösung wird stets abhängig sein von der Geschichte des jeweiligen Landes, und Geschichte hat hier eine stark geographische Komponente. Zwischen Madrid und Lissabon gibt es einen Streit um das Wasser des Tajo/Tejo, zwischen Barcelona und Alicante um den Ebro; Syrien und Israel kämpfen um die Wasservorräte auf dem Golan, zwischen Syrien und der Türkei geht es um den Euphrat, zwischen dem Sudan und Ägypten um den Nil. Und auch den französischen Bauern scheint der Plan, einen Teil des Rhône-Wassers zur Versorgung von Barcelona abzuzweigen, nicht ganz zu passen.
Wasser läßt sich nicht komprimieren, also nicht leicht und billig transportieren. Es in die Großstädte zu liefern, wo der Bedarf ständig steigt, bedeutet unverhältnismäßig hohe Kosten für das Versorgungsnetz und die Wiederaufbereitung.3 Auch dabei kommt es zu erheblichen Konflikten.
UNTER der kühnen Annahme, daß die Politik die Geostrategien nicht völlig den Privatunternehmen überlassen wird, werden bei unterschiedlichen Modellen der Wasserbewirtschaftung auch innere Widersprüche auftreten.4 Es wird zur Konfrontation kommen zwischen der Bevölkerung, die zunehmend in Ballungsräumen lebt und immer mehr von der Wasserverschmutzung betroffen ist, und der Landwirtschaft, die immer stärker gewinnorientiert arbeitet, mehr Wasser verbraucht und mehr Umweltschäden verursacht, die andererseits jedoch die städtische Bevölkerung versorgt. Vereinfacht ausgedrückt: Indem sie den Menschen den Teller füllt, verknappt und vergiftet die Landwirtschaft ihnen das Wasser im Glas.
Solange solche geographischen und sozialen Widersprüche nicht durch die Knappheit der Ressource verschärft werden, sind, je nach den politischen Kompromissen zwischen den Interessengruppen, verschiedene Formen der Wasserbewirtschaftung möglich: von der „Pseudo-Halbstaatlichkeit“ (wie in Frankreich) bis zur „rein privaten“ Lösung (wie in Chile). In Frankreich etwa gilt in der Landwirtschaft nicht das Verursacher-, sondern das Subventionsprinzip: Wasserverschmutzung wird nicht etwa teuer, sondern ist staatlich gefördert.5 Die Stadtbevölkerung, deren Wasserrechnungen sich innerhalb eines Jahrzehnts verdoppelt haben, wird sich damit wohl nicht auf Dauer abfinden.6
Folgende Modelle der Wasserbewirtschaftung, von ganz privat bis ganz öffentlich, lassen sich unterscheiden: Im „französischen Modell“ geht eine nationale Gemeinschaft eine langfristige Verbindung mit einer mächtigen Gruppe von Wasserwerksbetreibern ein: Die Vertreter des Staates handeln den Wasserpreis aus und überlassen dann die Ausführung aller Leistungen den Vertragspartnern, wobei der Staat grundsätzlich für Wasserfragen zuständig bleibt. Im Prinzip können verschiedene Firmen um den Zuschlag konkurrieren. Genau so funktioniert auch das „amerikanische Modell“, mit dem Unterschied, daß es eine Vielzahl kleiner Wasserwerke gibt, mit denen kurzfristigere Verträge auf kommunaler Ebene geschlossen werden.7
Nach dem „chilenischen Modell“ wird ein nationaler Markt für Wassernutzungsrechte eröffnet, der es konkurrierenden Firmen erlaubt, diese Rechte zu erwerben und weiterzuverkaufen. In all diesen Fällen können die privaten Konzerne, je nach Dauer der Verträge, großen Vorteil aus ihrer angestammten Marktmacht ziehen. Letztlich sind jedoch all diese Modelle überholt; die Wasserfrage ist längst zum globalen Problem geworden.
AUCH wenn die knapper werdende Ressource Wasser heute als Ware gehandelt wird: grundsätzlich bleibt festzuhalten, daß kollektive Güter wie Wasser, Luft, Fischbestände oder Ozon nicht auf den Markt gehören, schon weil die Eigentumsrechte nicht eindeutig zu bestimmen sind. Ein kontrollierter Wassermarkt wäre nur auf globalem Niveau denkbar, es müßte dann klare Kriterien für die Verteilung und Instanzen für die Schlichtung von Konflikten geben. Tel Aviv und Amman haben sich bereits auf Quoten für die Entnahme von Wasser aus dem Jordan geeinigt und finanzielle Ausgleichszahlungen für den Fall von Überschreitungen festgelegt. Doch was geschieht, wenn es zum Streit kommt und keine Weltorganisation für die Regelung von Wasserfragen existiert?
Man könnte sich eine solche Einrichtung vorstellen (oder erträumen), die die weltweiten Wasserströme reguliert, statt ihren Lauf einfach den Geschäftemachern zu überlassen (wie es beim Erdöl der Fall ist), und die verhindert, daß sich die Ungleichheit zwischen dem Norden und dem Süden immer weiter verstärkt. Schließlich gibt es heute 1,5 Milliarden Menschen, denen es an sauberem Trinkwasser fehlt, und jährlich sterben sechs Millionen Kinder, weil sie verunreinigtes Wasser getrunken haben.
Was sollte die wasserreichen Länder daran hindern, diese Ressource weltweit anzubieten, im Tausch gegen Rohstoffe oder gegen das Recht, Industrieabfälle in Ländern abzuladen, die davon bisher verschont waren? Abgesehen von der Notwendigkeit einer globalen Regulierung des Umgangs mit dem „blauen Gold“ stellt sich die Frage, was passiert, wenn die Wasserwirtschaft in den Händen großer Kapitalgruppen bleibt, deren Finanzkraft und Entwicklungsmöglichkeiten sich auf sichere Einnahmen8 aus Verträgen mit dreißigjähriger Laufzeit gründen.
Ein Grundprinzip einer demokratischen Verwaltung der Wasserressourcen müßte darin bestehen, daß jeder Pfennig, der durch Wasserverkauf eingenommen wird, in Maßnahmen zur Erhaltung, Sanierung und Entgiftung der vorhandenen Wasserbestände reinvestiert wird. Es bedarf also einer öffentlichen Rechnungslegung, um zu verhindern, daß Wasser zum Tauschobjekt oder zum Mittel der Erpressung werden kann. Einen Verkaufspreis zu bestimmen wäre dann nur noch ein einfacher Schritt – vorausgesetzt, die Politik kann in diesem Bereich einen sozialen Ausgleich durchsetzen, den sie im Verkehrs- Wohnungs- und Gesundheitswesen bislang weitgehend schuldig geblieben ist.
dt. Edgar Peinelt
* Daniel Baudru ist Professor und Dozent an der Universität Toulouse-I; Bernard Maris arbeitet als Forscher am „Laboratoire d‘études et de recherches de la production“ (Lerep).