12.12.1997

KINSHASA: ÜBER DEMOKRATISCHE HOFFNUNGEN, FEHLENDE GELDER UND DEN WIDERSTAND GEGEN DIE UN-INSPEKTOREN

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KINSHASA: ÜBER DEMOKRATISCHE HOFFNUNGEN, FEHLENDE GELDER UND DEN WIDERSTAND GEGEN DIE UN-INSPEKTOREN

■ Regieren aufs Geratewohl im Land der "Metastasen" und "Prostatas"

NOCH immer ist in der neuen Demokratischen Republik Kongo die Armee eine Unbekannte. Sie hat in weiten Teilen des Landes den Frieden hergestellt. Nun geht es darum, das Land, das in den dreißig Jahren der Mobutu-Herrschaft unter tätiger Mithilfe des Westens ausgeblutet ist, wieder aufzubauen. Die Wirtschaft kommt nur stockend wieder in Gang, und auch die Hoffnungen der Bevölkerung auf demokratische Verhältnisse ist vorerst nicht befriedet. Rechtzeitig zur Konferenz der „Freunde des Kongo“, die in den ersten Dezembertagen in Brüssel stattfand, hat Präsident Kabila das Sendeverbot für ausländische Rundfunkstationen rückgängig gemacht. Auf der Konferenz wurde grundsätzlich die Gründung eines Treuhandfonds beschlossen, um den Wiederaufbau des Landes voranzutreiben. Doch noch wartet man auf stabilere Verhältnisse.

Von COLETTE BRAECKMAN *

Bevor die Mannschaft um Laurent-Désiré Kabila den Wiederaufbau der Infrastruktur und die Neubesetzung der politischen Bühne in Angriff nahm, schaffte sie sofort nach der Machtübernahme in Kinshasa am 19. Mai 1997 bei den dringendsten Mißständen Abhilfe. Sie räumte auf, im wörtlichen und im übertragenen Sinn. In der Hauptstadt sind die Auswirkungen dieses Großreinemachens bereits sichtbar. Die Minister haben, nachdem sie das Hotel Intercontinental verließen und ihre Ämter in den entsprechenden Ministerien übernahmen, eine Bestandsaufnahme gemacht: Untere Beamte des Außenministeriums, denen ihr Gehalt nicht mehr ausbezahlt wurde, verkauften auf dem Bürgersteig Reisepässe; im öffentlichen Dienst, in dem etwa eine halbe Million Menschen beschäftigt sind, gibt es weder Papier noch Stifte; die Nationalbank verfügte zwar über eine Garage und eine Schreinerwerkstatt für ihre 3300 Mitarbeiter, jedoch über keinen einzigen Computer, ganz abgesehen davon, daß die Anhänger von Mobutu am Morgen des 17. Mai noch die letzten 175000 Dollar aus der Kasse mitgehen ließen, bevor sie Reißaus nahmen.

Inzwischen sind die Ministerien frisch gestrichen, die Aufzüge nehmen nach und nach ihren Betrieb wieder auf, und die Beamten kommen pünktlich zur Arbeit. Ausländische Besucher fragen sich bei ihrer Ankunft am Flughafen der Hauptstadt, ob sie sich im Reiseziel geirrt haben, denn die Militärs haben auch mit den Schwärmen von Gaunern, den „Empfangskomitees“ von Trägern, die mit Vorliebe Dokumente und Gepäck entwendeten, aufgeräumt; die Formalitäten werden rasch erledigt, Höflichkeit ist oberstes Gebot. Das Verschwinden dieser kleinen Erwerbszweige hat allerdings soziale Folgen für zahlreiche Familien, die damit ihren Lebensunterhalt bestritten oder ehedem, direkt oder mittelbar, von der Korruption profitierten; jetzt sind selbst die gut plazierten „Cousins“, bei denen man am Anfang oder am Ende des Monats „sein Geld abholte“, arbeitslos geworden, falls sie nicht überhaupt das Land verlassen haben.

Die Straßen sind nach wie vor von Granattrichtern übersät, doch an den Rändern der Boulevards wurde das Unkraut gejätet und Gemüse angepflanzt, Blumenbeete zieren die Kreuzungen, und besonders fallen die gereinigten Abwasserkanäle auf; der Gomba-Fluß, einst eine stinkende, von Mücken wimmelnde Kloake, wurde vor Beginn der Regenperiode gründlich gesäubert. Allenthalben betonten die Entscheidungsträger ihren Willen, Ordnung zu schaffen und in absehbarer Zeit den Staat zu sanieren, der in den letzten Jahren der Mobutu-Herrschaft zu einem Instrument der persönlichen Bereicherung verkommen war. Der Gesundheitsminister, Dr. Jean-Baptiste Sondji, hat eine Impfkampagne gegen Kinderlähmung gestartet (eine Krankheit, die praktisch nur noch im Kongo existiert und an der im letzten Jahr in Mbuji Mai, der Hauptstadt der Diamantenregion, noch über tausend Kinder erkrankten) und versichert, er werde die „ligabos“ auflösen, jene kleinen Privatpraxen, in denen selbsternannte Ärzte am Küchentisch operieren. Edi Angulu, Minister für Tourismus, hat eine Bestandsaufnahme der Nationalparks gemacht, die einst die reichste Fauna ganz Afrikas beherbergten. Erstes Fazit: 60 Prozent des Tierbestands sind verschwunden, darunter mehrere weiße Rhinozerosse, die im Park von Garamba mit Maschinengewehren abgeschossen wurden.

Die Bevölkerung ist froh über die Präsenz von Polizisten in adretten Hemden und goldgelben Helmen auf den großen Durchfahrtsstraßen von Kinshasa; sie regeln den Verkehr und versuchen, die traditonellerweise überfüllten Taxis und die fula fula genannten Minibusse zu bändigen. Auch an den Anblick der schnellen Eingreiftruppe, die im Bedarfsfall einschreitet – etwa bei einem schweren Unfall –, haben sich die Menschen gewöhnt. Deutlich weniger Verständnis hingegen hat die von Gewalt und Schießereien traumatisierte Bevölkerung für die bewaffneten Zusammenstöße, zu denen es gelegentlich zwischen Mitgliedern der Eingreiftruppe und Angehörigen des Militärs kommt, die für andere Sicherheitsdienste oder im privaten Auftrag arbeiten. Für alle Uniformierten gilt, daß sie lieber zur Schußwaffe greifen, als lange zu reden. „Die Militärs von Mobutu haben uns erpreßt, ausgeraubt, geschlagen, doch man konnte immer mit ihnen reden“, bestätigen Marktfrauen, „die neuen schicken uns nach Hause, lassen uns unsere Waren und nehmen uns auch kein Geld weg, aber sie schießen beim geringsten Anlaß.“

Das Unbehagen ist um so begreiflicher, da für die „Sicherheit des Staates“ mehrere, nicht eindeutig identifizierbare Dienststellen gleichzeitig verantwortlich sind, welche zudem häufig miteinander konkurrieren. Dabei geht es vielfach um Zuständigkeiten, häufig aber auch um rein materielle Interessen. So im Falle der Auseinandersetzung zwischen dem „Amt für unrechtmäßig erworbene Güter“, das zuständig ist für die Rückgabe von Immobilien im Staatsbesitz sowie von Gütern, die die Anhänger Mobutus angehäuft hatten, und anderen Sicherheitsdiensten, wie dem nationalen Geheimdienst (ANR, Agence nationale de renseignements) oder dem Sonderbüro für Nachrichten und Ermittlungen (Direction spéciale d'investigation et de renseignements). Dem Amt für unrechtmäßig erworbene Güter ist grundsätzlich jedes äußere Anzeichen von Reichtum suspekt.

Vermeintliche und tatsächliche Anhänger des Mobutu-Regimes wurden verhaftet, ohne daß man sich mit dem Nachweis ihrer Schuld allzu viel Mühe gab. Wer Glück hat, landet im berüchtigten Gefängnis von Makala. Hier konnte man früher in den unterirdischen Verliesen verschwinden, doch manchem gelang es auch, einen Wärter zu bestechen, um die Nacht zu Hause zu verbringen. Makala ist nun die Strafvollzugs- und Umerziehungsanstalt von Kinshasa und wurde ebenfalls renoviert. Auf dem Anstaltsparkplatz stehen neben funkelnagelneuen Geländewagen Mercedes-Limousinen aus einer anderen Zeit; in den frisch gestrichenen Besuchsräumen tun sich Persönlichkeiten des früheren Regimes – darunter der Exgouverneur der Nationalbank und der Expräsident der revolutionären Volksbewegung MPR, der Partei von Mobutu Sésé-Séko – an den von ihren Angehörigen mitgebrachten Speisen gütlich und unterhalten sich mit ihren schmuckbehängten Ehefrauen. Daneben gibt es auch weniger gemütliche Gefängnisse, im Keller des ANR etwa oder in den Kasernen.

Die Armee, die immer weniger in den Straßen präsent ist, bleibt die große Unbekannte: Wer ist ihr tatsächlicher Befehlshaber, wer zählt zu den oberen Diensträngen, wer zur Führung? Präsident Kabila kann noch so oft behaupten, daß es sich bei diesem Geheimnis um eine bewußte Strategie handele, um Manöver ausländischer Mächte zu verhindern, allgemein herrscht der Eindruck, daß es auch in der Armee Machtkämpfe gibt, die die Transparenz der Regierung, wenn nicht gar ihre Stabilität untergraben: Die Tutsi-Soldaten, die gemeinhin als Bürger Ruandas oder Ugandas gelten, machen den „Katangai“ (Bewohnern der Provinz Katanga, die nach Angola geflüchtet waren) Platz, um den Weg nach Osten oder nach Ruanda zu nehmen, wo immer noch militärische Operationen laufen. Manche der Regierung in Kigali nahestehende Militärs, wie Oberstleutnant James Kabarebe, sind noch immer im Dienst, und Paul Kagame, der Vizepräsident Ruandas, hat bestätigt, daß dieser in Uganda ausgebildete Offizier aus der nördlichen Kivu-Region mit dem Aufbau der zukünftigen Armee von Kongo betraut wurde. Diese Militärs könnten zwar in naher Zukunft für die Massaker an den Hutu-Flüchtlingen zur Rechenschaft gezogen werden. Doch mit Ausnahme der Genannten, von denen man letzten Endes auch nur wenig weiß, nicht einmal ihre wirklichen Namen, und des Generals Mulele, Vizeinnenminister und Bruder von Pierre Mulele (dem Rebellenanführer von 1964, den Mobutu ermorden ließ), wird die Identität der Militärchefs immer noch geheimgehalten.

Der Westen muß draußen bleiben

DIE Aura des Mysteriösen, die diese anonyme Armee umgibt, läßt Präsident Kabila in den Augen nicht weniger Beobachter als den einzigen gemeinsamen Bezugspunkt für die verschiedenen, in Zukunft möglicherweise miteinander rivalisierenden Kräfte im Lande erscheinen. Zu unterscheiden ist hier zwischen den Tutsi aus dem südlichen und nördlichen Teil der Kivu-Region, den inzwischen berüchtigten Banyamulenge, der Speerspitze des Krieges, die sich an die Ruander assimiliert haben und als Ausländer gelten, den Katangai, Soldaten, die sich aus Flüchtlingen rekrutieren, die in Wirklichkeit einen Teil der angolanischen Streitkräfte ausmachten und in den Diamantenregionen gegen die Unita-Rebellen kämpften, den „maquisards“, jungen Männern, die nur im Busch gelebt haben und keine andere Autorität als die ihrer unmittelbaren Kommandanten anerkennen (auf suaheli werden sie affande genannt) und den „lumumbistes“, den Kampfgefährten des Kommandanten Kisasse Ngandu, der im Januar unter dubiosen Umständen umgekommen war.

In der neuen Armee finden sich auch Soldaten Mobutus, die sich im Krieg dem aufständischen Bündnis anschlossen, neben ehemaligen Kombattanten, die, aus dem Exil zurückgekehrt, sich für den Aufbau einer nationalen Polizei engagiert haben. Die Mehrzahl der früheren Armeemitglieder wurde zur Umerziehung geschickt und einer Art militärischer und vor allem politischer Umschulung unterzogen. Diejenigen unter ihnen, die wiedereingegliedert wurden, können sich nur schwer damit abfinden, daß sie trotz ihres Dienstgrades und ihrer teilweise im Ausland erhaltenen militärischen Ausbildung zugunsten der maquisards degradiert wurden, deren einzige Schule der bewaffnete Kampf in Uganda, Ruanda oder im Kongo darstellt.

Die Unicef hält zudem die Erziehung und Wiedereingliederung der 15000 Kindersoldaten, die in Kinshasa patrouillieren, für dringend notwendig: Sie leben als Fremde in einer Stadt, deren Sprache sie nicht beherrschen und deren Einwohner ihnen mit Ablehnung begegnen. Die Integration all dieser Teile einer so bunt zusammengewürfelten Armee, die an verschiedenen Fronten gekämpft hat, wird längere Zeit in Anspruch nehmen.

Was die Wirtschaft anbelangt, so gibt Jean-Claude Masanga Mulongo, der Gouverneur der Nationalbank, mit Genugtuung bekannt, daß das Land über ein ausgeglichenes Budget verfüge und daß die Inflation gestoppt worden sei. Die Inflation betrug noch im letzten Jahr 335 Prozent; sie liegt in diesem Herbst laut offiziellen Angaben bei 11 Prozent. Auch der Wechselkurs des „Zaire“ hat sich bei 111000 für einen Dollar eingependelt). Doch sind die Gründe für diese forcierte Stabilität kein Anlaß zur Begeisterung: Der Staat bezahlt weder seine Auslandsschulden (etwa 14 Milliarden Dollar) noch die Gehälter der Beamten und der Militärs. Daraus resultiert der Hauptvorwurf an die Regierung: Wie will ein Land, das seine Beamten und Militärs nicht bezahlt, die Korruption in den Griff bekommen?

Der Internationale Währungsfonds hat soeben grünes Licht für die lang ersehnte Währungsreform gegeben, die eine Wiedergeburt des kongolesischen „Francs“ bringen wird. Eine dringend gebotene Maßnahme, denn im Land existieren derzeit verschiedene Währungszonen. In Kinshasa etwa sind Banknoten von 50000 „neuen Zaires“ im Umlauf, in der Provinz Katanga sind die am Ende der alten Regierungsperiode ausgegebenen Geldscheine in Umlauf, die ironisch „Outenika“3 , „Metastasen“ und „Prostatas“ genannt werden und die 100000, 500000 beziehungsweise 1000000 „neuen Zaires“ entsprechen. In Kasai hingegen, das die letzte Währungsreform nicht mitgemacht hat, gelten noch immer die „alten Zaire“, die in den anderen Provinzen aus dem Verkehr gezogen wurden. Einziges allgemein gültiges Zahlungsmittel ist der US-Dollar, der 80 Prozent des in Umlauf befindlichen Geldes ausmacht.

Daß die Wirtschaft derzeit weder im staatlichen noch im privaten Sektor (trotz wiederholter Versprechen, in den Bergbausektor zu investieren) in Gang kommt, liegt auch an der Tatsache, daß der Finanzminister Mawa Mawnapanga (ein Agrarökonom, der an der Universität von Kentucky studiert hat) bislang die mageren Steuereinnahmen von 310 Millionen Dollar nicht investiert hat und daß die internationale Hilfe noch nicht angelaufen ist. „In Wahrheit verfügt die internationale Gemeinschaft über kein Instrument für einen Ausweg aus der Krise“, gesteht ein hoher Beamter der Vereinten Nationen in Kinshasa ein.

Daß die internationale Hilfe vorerst blockiert ist, liegt nicht allein am Herumlavieren der neuen Regierung: Die europäische Unterstützung wurde, zum Teil auf französischen Druck hin, eingefroren, doch außerdem wartet man darauf, daß die UN-Kommission ihre Untersuchungen über die Massaker im Osten des Landes wiederaufnehmen kann. Die Vereinigten Staaten versprechen seit Monaten in allen möglichen Foren eine Soforthilfe in Höhe von 10 Millionen Dollar, die über die regierungsunabhängigen Organisationen laufen soll, doch bei diesem Versprechen ist es auch geblieben. Das schleppende Vorgehen und die zögerliche Haltung der internationalen Gemeinschaft bei der Gewährung der dringend benötigten Kredite und der technischen Hilfe birgt die Gefahr, daß Regierung und staatliche Institutionen verstärkt auf private Geldgeber zurückgreifen: Die mächtige amerikanische Firma Bechtel hat bereits einen „Masterplan“ zur Sanierung der Wirtschaft vorgeschlagen und sucht nach Investoren, die keine politischen Fragen stellen.

Das für Anfang Dezember in Brüssel geplante Treffen der „Freunde des Kongo“, an dem neben multi- und bilateralen Geldgebern auch der Internationale Währungsfonds und die Weltbank teilnehmen, dürfte dazu beitragen, die Situation auf der Ebene der internationalen Hilfe zu klären.

Bei allen Vorbehalten wird sich die Regierung der UNO-Forderung nach einer Untersuchung der Massaker im Osten des Landes stellen müssen. Für die Europäische Gemeinschaft und zahlreiche andere Staaten ist dies eine Voraussetzung für die Wiederaufnahme der Hilfe.

Der amerikanische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Bill Richardson (der immer stärker der Kritik des Kongresses ausgesetzt ist, weil dieser ihn als den „Paten“ des neuen Kongo betrachtet), hat Ende Oktober den Versuch unternommen, den Weg zu ebnen: Er hat erwirkt, daß die Inspektoren in die Demokratische Republik Kongo zurückkehren und in allen Regionen des Landes ihre Arbeit aufnehmen können (nicht nur in den Ostprovinzen, sondern auch in der Provinz am Äquator); im Gegenzug sicherte er Diskretion zu sowie das Recht der Regierung auf Einsicht in den Abschlußbericht. Da die Vereinten Nationen auf Druck Kinshasas den Leiter der UN-Kommission bereits ausgewechselt haben (der togolesische Jurist Koffu Amega hat den Chilenen Roberto Garreton abgelöst, womit ein fragwürdiger Präzedenzfall geschaffen wurde), erwartete man, daß die Regierung von Kinshasa die Arbeit der Kommission nicht weiter behindern würde. Als weiteres Zugeständnis beschloß man darüber hinaus, die Untersuchung auch auf die Jahre 1993 und 1994 auszudehnen, damit auch die ethnischen Spannungen in der Kivu-Region berücksichtigt werden können sowie die Folgen des Exodus der Ruandaflüchtlinge und die Militarisierung der Lager. Hinzu kommt die allgemeine Erwartung, daß ohnehin längst bekannte Tatsachen ans Licht kommen werden.

Tausende Zivilisten (die genaue Zahl ist bislang unbekannt) wurden auf ihrer Flucht ins Landesinnere des Kongo niedergemetzelt, und alle Nichtkämpfenden, die unter entsetzlichen Bedingungen überlebten, gerieten zwischen die Fronten zweier verfeindeter ruandischer Armeen: auf der einen Seite die ehemalige Armee des ruandischen Präsidenten Juvénal Habyarimana (dessen Tod im April 1994 den Genozid in Ruanda ausgelöst hatte), die als einzige in vorderster Front kämpfte (teils in der Region Buta sogar im Kampf Mann-gegen-Mann) und von Milizionären unterstützt wurde, die Verantwortung für den Völkermord tragen; auf der anderen Seite die Truppen des Bündnisses, deren harter Kern aus jungen, in der Patriotischen Ruandischen Armee ausgebildeten Tutsi bestand.

Da sogar Kigali eingesteht, daß die „Kriegshandlungen“ Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert haben, bleibt es unverständlich, warum Präsident Kabila und die Mitglieder seiner Regierung hartnäckig behaupten: „Niemals haben wir der ruandischen Armee gestattet, Massaker in unserem Land zu begehen.“ Warum wird dann die Arbeit der Kommission behindert, werden ihr Informationen vorenthalten? In den kritischen Gebieten, etwa in den Regionen Kivu, Maniéma und Kisangani, werden potentielle Zeugen eingeschüchtert oder festgenommen.

In Wirklichkeit reicht das Mißtrauen Kinshasas gegenüber der Untersuchungskommission der UNO – ungeachtet der folgenschweren Auswirkungen, die eine weitere Blockierung haben könnte – viel weiter zurück: Die Lumumbisten in der Regierung, die den „ersten Kreis“ um Präsident Kabila bilden, haben die Ereignisse der sechziger Jahre nicht vergessen. Sie wissen, daß die Vereinten Nationen die Ermordung des gewählten Ministerpräsidenten Patrice Lumumba, der die UNO damals um Hilfe gebeten hatte, nicht verhinderten; sie haben nicht vergessen, daß die „internationale Staatengemeinschaft“, das heißt die westlichen Länder, dreißig Jahre lang das Mobutu-Regime bereitwillig unterstützten, daß sie Ruanda trotz dessen Politk des Völkermords nicht boykottierten und daß sie vor dem Waffenhandel in den Lagern die Augen verschlossen.

In der ganzen Region gibt es weit verbreitetes Mißtrauen gegenüber dem, was man als westliche Einmischung betrachtet, wenn nicht gar als eine Strategie, die kongolesische Regierung zu untergraben. Zehn afrikanische Präsidenten, darunter der hochangesehene Nelson Mandela, haben Kabila in seiner unnachgiebigen Haltung gegenüber der UNO bestärkt. Wahrscheinlich liegt hier der Grund dafür, daß der Druck des Westens, gleich ob es um die Untersuchungskommission oder die Öffnung der Regierung für die Parteien der Oppostition geht, auf Granit stößt: Präsident Kabila, der, von Tansania aus, seinen Kampf immer in Afrika geführt hat, genießt die Unterstützung der Länder der Region.

In der kongolesischen Öffentlichkeit finden die Schwierigkeiten der Kommission zur Untersuchung der Massaker an den Hutu-Flüchtlingen kein großes Echo: Die Presse und jene, die sie im Stehen mitlesen – da sie sich keine Zeitung leisten können –, vertreten die Meinung, daß das Land bereits genug gelitten habe; dabei rekurrieren sie auf die von Mobutu abgesegnete Ansiedlung von Flüchtlingen in der Region Kivu ebenso wie auf die Auswirkungen des Krieges unter den Ruandern. Es sei unzulässig, eine von Katastrophen heimgesuchte Bevölkerung für eine Sache zu bestrafen, die eigentlich von außen hineingetragen wurde. Die Willkürakte der neuen Regierung hingegen registriert die Presse, die an ihrer Freiheit festhält, bis ins kleinste Detail; auch die Menschenrechtsorganisation „Voix des sans-voix“ reagiert auf kleinsten Anzeichen für Machtmißbrauch.

Überall in Kinshasa häufen sich die Klagen gegen die „Allianz Demokratischer Kräfte für die Befreiung des Kongo“ (AFDL). Man wirft ihr vor, sie schwinge sich zur neuen Staatspartei auf, indem sie die anderen politischen Formationen verbiete und die eigenen Sektionen und Zellen im ganzen Lande vervielfache. Man bezweifelt, daß sie bereit und in der Lage ist, im Jahre 1999 demokratische Wahlen abzuhalten, wie sie dies ursprünglich versprochen hatte. Die am 22. Oktober ernannte Verfassungs-Kommission, die bis zum 1. März 1998 eine neue Verfassung ausarbeiten soll, über die dann in einem Referendum abgestimmt wird, stößt auf heftige Kritik, da sie sich aus Politikern der sechziger Jahre rekrutiert (so etwa Anicet Kashamura, ihr Vorsitzender, der unter Patrice Lumumba Informationsminister war).

Trotz des Prestiges, das einzelne Mitglieder der Kommission genießen, werfen ihnen die Oppositionsparteien vor, daß sie von der Regierung kooptiert worden sind und nicht jene Generationen repräsentieren, die unter Mobutu aufwuchsen. Die Opposition wehrt sich gegen die Behauptung Kabilas, diese Generation sei samt und sonders vom System korrumpiert. Dagegen beruft sich die Regierung zur Legitimierung ihrer Macht auf den militärischen Sieg, dem das Volk den Sturz des Mobutu-Regimes verdanke, und führt an, daß sie Personen der ehemaligen Opposition „kooptiert“ habe.

Umgeben von seinem Beraterkreis, seinen Sicherheitstruppen und seinen Ministern, die sich gerade erst zu einer Mannschaft formieren, und konfrontiert mit den Kämpfen zwischen den Clans, in denen die Tutsi von den „Katangai“ abgelöst wurden, scheint Präsident Kabila mit Pragmatismus zu regieren, manchmal auch aufs Geratewohl, und er schreckt nicht davor zurück, Personen, die sich der Korruption schuldig gemacht haben, zu entlassen oder einzusperren.

Kabilas eher freihändiger Regierungsstil hat bisher zu keiner größeren Katastrophe geführt. Während des Krieges im benachbarten Kongo-Brazzaville hat man kühlen Kopf bewahrt und sich nicht zu einer Einmischung provozieren lassen. In diesem riesigen Land, wo so viele widersprüchliche Kräfte aufeinanderstoßen und sich neutralisieren, besitzt jede Macht ein starkes Beharrungsvermögen. Das gilt auch für die neue Regierung: Trotz ihrer improvisatorischen Startphase, trotz der Kritik aus politischen Kreisen und der Vorbehalte der Bevölkerung, die sich Hoffnungen auf eine Demokratie gemacht hatte, ist Kabilas Regime im Begriff, sich zu etablieren – ohne Zweifel in Ermangelung von etwas Besserem, doch solider, als es auf den ersten Blick erscheinen mag.

dt. Andrea Marenzeller

* Journalistin, Brüssel.

Fußnoten: 1 Gespräch mit Le Soir, Brüssel, 31. Oktober 1997. 2 Vgl. „Rwanda led revolt in Congo“, Washington Post, 7. Juli 1997. 3 Nach dem Namen des südafrikanischen Schiffs, auf dem die Gespräche zwischen Nelson Mandela, Mobutu Sésé Séko und Laurent-Désiré Kabila stattfanden. 4 Gespräch mit Präsident Kabila, Le Soir, 31. Oktober 1997.

Le Monde diplomatique vom 12.12.1997, von COLETTE BRAECKMAN