16.01.1998

Bonzen, Banken und Kanäle

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Bonzen, Banken und Kanäle

SEIT Präsident Jelzin im Dezember 1997 erneut ins Krankenhaus mußte, hat sich der Kampf um die Macht in Moskau verschärft. Bereits Jelzins letzter Wahlkampf wurde durch die Pressekonzerne von Wladimir Gussinski und Boris Beresowski unterstützt, die zwei der wichtigsten Fernsehkanäle kontrollieren. Die seit einem Jahr andauernde „Medienrevolution“ bekam im November einen neuen Schub, als Beresowski seinen Posten als Stellvertretender Sekretär des Sicherheitsrates verlor.

Von unserer Korrespondentin PASCALE BONNAMOUR *

In den Gängen der Tageszeitung Iswestija am Puschkin-Platz in Moskau herrscht Katerstimmung. „Wir wissen nicht, was mit der Übernahme unserer Zeitung durch die Ölgesellschaft Lukoil und die Finanzgruppe Onexim auf uns zukommt“, versichert Maxim Jussin.

Das Szenario hört sich nach einem Krimi an. Die einstige Tageszeitung des Obersten Sowjets der UdSSR brachte am 1. April 1997 einen Artikel über die Vermögensverhältnisse von Ministerpräsident Wiktor Tschernomyrdin, dereinst Direktor von Gasprom, die als Monopolgesellschaft satte Profite einfährt und deren Aktien zu 40 Prozent in staatlicher Hand sind. Das Ölkonsortium Lukoil, ebenfalls teilweise in staatlichem Besitz und Hauptaktionär der Iswestija, versuchte daraufhin, den Chefredakteur Igor Golembiowski zu kippen.

Dann kaufte die Onexim-Gruppe, deren Chef Wladimir Potanin als Präsidentschaftskandidat für die kommenden Wahlen gehandelt wird, binnen kurzem – mit Hilfe der Journalisten selbst – den Kleinaktionären ihre Anteile ab; schließlich kam es in letzter Minute zu einer Einigung mit Lukoil. Ebenfalls im April 1997 übernahm Onexim – einen Tick schneller als Gasprom – auch das frühere Zentralorgan des kommunistischen Jugendverbands Komsomol, die Komsomolskaja Prawda.

Die Attacke auf zwei der führenden Tageszeitungen – die in der Provinz nicht selten als einzige erhältlich sind – bestätigt die Gegensätze zwischen Wiktor Tschernomyrdin und Anatoli Tschubais, wobei letzterer den Interessen der Banken wohlwollender gegenübersteht. Das Vorgehen der Onexim-Finanzgruppe bezeichnet aber auch den Beginn der Schlacht um die publizistischen „Sprachrohre“, die sich die „Industriebarone“ im Vorgriff auf die Präsidentschaftswahlen 2000 liefern.

Einige der künftigen Kandidaten gründen im übrigen lieber eigene Zeitungen, als bestehende aufzukaufen. Die Onexim- Gruppe hat Anfang September 1997 die Tageszeitung Russki Telegraf gestartet, die durch die „Aufdeckung“ von Verbindungen bekannt wurde, die der Bürgermeister von Moskau, Juri Luschkow (voraussichtlich auch ein Präsidentschaftskandidat) zur Mafia geknüpft haben soll. Im November kam die neue Tageszeitung Nowije Iswestija heraus, deren Kapital von Finanzgruppen und Ölkonsortien stammen soll, wobei als entscheidender Drahtzieher Boris Beresowski gilt. Chefredakteur des Blattes ist kein anderer als Igor Golembiowski... Daß die Moskauer Leser mit achtzehn Tages- und acht Wochenzeitungen sowie einer ganzen Reihe von Zeitschriften bereits ausreichend versorgt sind, vermag offenbar niemanden zu beunruhigen.

Im Frühjahr 1997 kommentierte der Vorsitzende des Journalistenverbandes, Waleri Bogdanow: „Die Finanzriesen haben beschlossen, diese sehr wirkungsvolle vierte Gewalt unter ihre Fittiche zu nehmen. Denn in Rußland bedeutet Macht auch den Zugriff auf das Geld. Sie benehmen sich wie die Wilden.“1

Tatsächlich waren die politischen und finanziellen Abhängigkeiten der Zeitungen nie augenfälliger als im vergangenen Sommer. Am 12. August veröffentlichte das sehr populäre Blatt Moskowski Komsomolez – fast jeder zweite Moskauer liest es täglich – darüber eine aufschlußreiche Aufstellung, aus der hervorging, daß die wichtigsten der Pressemagnaten zugleich bedeutende Politiker oder Banker sind. Wobei die meisten von ihnen beim letzten Wahlkampf an der Seite von Boris Jelzin standen:

– Ministerpräsident Wiktor Tschernomyrdin hat sich nicht nur die Presseagenturen ITAR-TASS und Ria Nowosti unter den Nagel gerissen, sondern auch die Radiosender Golos Rossiji und Radio Majak, die Tageszeitung Rossijskaja Gaseta, die Wochenzeitung Profil (die von der Imperial-Bank finanziert wird), die Tageszeitungen Trud, Rabotschaja Tribuna und Selskaja Schisn (vermittelt über die Gasprom) und schließlich (zusammen mit der einflußreichen Finanzgruppe Menatep) die künftige Tageszeitung Delo;

– Anatoli Tschubais, Erster stellvertretender Ministerpräsident, kontrolliert die von der Regierung herausgegebene Tageszeitung Rossijskije Westi sowie die zweimal im Monat erscheinende Rossijskaja Federazija, desgleichen das staatliche Fernsehen (RTR), Radio Rossija und alle Zeitungen, die von der Onexim- Gruppe des Wladimir Potanin finanziert werden;

– Boris Beresowski, umstrittener Geschäftsmann und Anfang November von Jelzin als Stellvertretender Sekretär des Sicherheitsrates gefeuert, steht an der Spitze des Medienkonzerns Logowas, der das Erste Programm des staatlichen Fernsehsenders ORT (zu 51 Prozent in Staatsbesitz) sowie den Privatkanal TV-6, die renommierte Tageszeitung Nesawissimaja Gaseta und das Wochenblatt Ogonjok kontrolliert;

– Wladimir Gussinski ist Chef von Media-Most, der Gruppe, die den privaten Fernsehkanal NTW besitzt, sowie den Rundfunksender Echo Moskwy, die Tageszeitung Sewodnja, die Wochenzeitung Itogi (mit dem US-amerikanischen Partner Newsweek) und das populäre Magazin Sjem Dnjej;

– die Lukoil-Gruppe hält die Tageszeitung Iswestija sowie die Wochenzeitung Obschtschaja Gaseta, (über Menatep) die Tageszeitungen Moscow Times und Saint Petersburg Times, die Wochenzeitung Literaturnaja Gaseta, schließlich die Zeitschriften Cosmopolitan, Playboy, Domaschni Otschag und Kapital;

– Alexander Smolenski verfügt über die Agentur Nazionalnaja Sluschba Nowostej und (mittels der Gruppe Stolitschny Bank) das Verlagshaus Kommersant, das ein gleichnamiges Wochenblatt und die (angesehene) Tageszeitung Dengi herausbringt;

– die Kommunistische Partei der Russischen Föderation hält mittels ihrer Banken die Tageszeitungen Prawda und Sowjetskaja Rossija, die Wochenzeitung Prawda Rossiji sowie 250 regionale Presseorgane;

– der Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow schließlich hat gemeinsam mit dem Bankhaus Inkombank (Wek) im Juni 1997 seinen eigenen Fernsehsender, TV Zentr, aus der Taufe gehoben und hält den Kabelkanal GKT, die Tageszeitungen Moskowskaja Prawda und Wetschernjaja Moskwa sowie das Abendblatt Wetscherni Klub, die Wochenzeitung Zentr Pljus und Radio Moskwa.

Nach Meinung von Dimitri Babitsch, dem brillanten Kommentator der TV-6- Sendung „Obosrewatel“, entwickeln sich die russichen Medien „im Rahmen eines Staatskapitalismus, wo es für all diese Industrie- und Finanzgruppen darauf ankommt, sich die Gunst der jeweiligen Machthaber zu sichern, damit ihre Geschäfte florieren.“

Bereits während des Präsidentschaftswahlkampfs im Juni 1996 konnte von objektiver Berichterstattung nicht die Rede sein, inzwischen hat sich der Konzentrationsprozeß weiter beschleunigt. Die Media-Most-Gruppe von Wladimir Gussinski und das Logowas-Konsortium von Boris Beresowski kontrollieren zwei der drei wichtigsten russischen Fernsehsender mit insgesamt 60 Prozent Sehbeteiligung. Beide spielten bei Boris Jelzins Wiederwahl eine Schlüsselrolle; als Gegenleistung wurden sie mit politischen Ämtern bedient, was auch den – kurzzeitigen – politischen Aufstieg des Boris Beresowski erklärt.

„Es sind regelrechte Verhandlungen, die sich zwischen der wirtschaftlichen und der politischen Macht abspielen“, kritisiert Jelena Konewa, Leiterin des Instituts Comcon 2 (das die Einschaltquoten mißt). „Du gibst mir im nächsten Kabinett zwei Posten, und eine nette Summe dazu, ich mobilisiere dafür meine Medien, damit sie etwas für dein Image beziehungsweise deine Wiederwahl tun.“ So erhielt Wladimir Gussinski für seine Unterstützung von Boris Jelzin während des letzten Wahlkampfs per Präsidentendekret vom 20. September 1996 eine Verdreifachung der Sendezeit für seinen NTW-Kanal – womit er das Satelliten-Pay-TV NTW-Plus starten konnte.2

Ob die erworbenen oder neu lancierten Medien wirklich rentabel sind, spielt dabei kaum eine Rolle. „Trotz gegenteiliger Behauptungen sind die Industrie- und Bankgruppen, die sich den Kuchen teilen, nur an der politischen Seite der Sache interessiert und keineswegs daran, vielleicht Profit zu machen – was ohnehin ziemlich illusorisch ist“, sagt Wiktor Loschak, Chefredakeur der Moscow News. Die berühmte Wochenzeitung ist eines der wenigen Blätter, bei dem die Journalisten noch die Aktienmehrheit halten und folglich in ihren Meinungen vollkommen frei sind. Dies gilt auch für die Tageszeitung Moskowski Komsomolez und das nicht weniger beliebte und in ganz Rußland vertriebene Wochenblatt Argumenty i Fakty. Doch insgesamt ist für die Journalisten die Zeit der Euphorie – zwischen 1988 und 1991 – endgültig vorbei, als der Hunger der Leser nach Themen, die zu Sowjetzeiten tabu waren, mit günstigen Bedingungen einherging, etwa mit noch existierenden staatlichen Subventionen, niedrigen Papierpreisen und hohen Werbeeinnahmen.

Die politische Macht verzichtet zwar durchaus nicht auf Einmischung, spielt aber offenbar im „Krieg der Industriebarone“ um die Medien keine bestimmende Rolle. Es waren allerdings politische Entscheidungen, die 1994 den entscheidenden Wandel der Eigentumsverhältnisse in Gang brachten. Damals entzog der Staat den Printmedien alle Subventionen, worauf sich diese, um zu überleben, auf verschiedene Formen von Kapitalbildung einlassen mußten. Anfangs hielten die Journalisten selbst die Mehrheit der Aktion, doch die schwierigen Lebensverhältnisse zwangen viele, ihre Aktien zu verkaufen – wie etwa bei der Iswestija. Waren diese Folgen den Politikern egal oder das Ergebnis eines Kompromisses zwischen Politik und Finanzwelt? Gewiß von beidem etwas.

Was Wunder. Seit Boris Jelzin Präsident der Russischen Föderation ist, hat er sich nie durch eine besondere Achtung der Pressefreiheit ausgezeichnet. Zwei Beispiele zur Erinnerung. Oktober 1993: Der Kreml-Chef löst gewaltsam das russische Parlament auf; nur einige wenige Zeitungen haben den Mut, darauf hinzuweisen, daß sein Vorgehen verfassungswidrig ist, darunter die Nesawissimaja Gaseta – deren Artikel dann teilweise zensiert werden.3 1. Dezember 1994: Mitten im Tschetschenien-Krieg wird ein „Informationsrat“ aus der Taufe gehoben, dessen kaum verhülltes Ziel die Desinformation ist. Vergessen wir auch nicht, daß der Außenpolitische Rat im Juli 1997 mehrere ausländische Blätter auf den Index setzt, darunter Le Monde, La Repubblica und die Washington Times, denen offenbar vorgeworfen wird, im Hinblick auf das Vermögen von Wiktor Tschernomyrdin ein „erbärmlich verzerrtes Bild“ Rußlands gezeichnet und „negative Stereotype“ verbreitet zu haben.4

Am schwersten jedoch wiegt, daß die legislativen Instrumente überaus schwach sind. Der Informationschef des Radiosenders Echo Moskwy, Alexis Wenediktow, hebt die Widersprüche des Mediengesetzes hervor, das im Februar 1992 verabschiedet wurde. Dieses Gesetz, das als sehr demokratisch angesehen wurde, räumt dem „Gründer“ der Zeitung (utschreditel, häufig die Redaktion) zahlreiche Vorrechte ein. Doch bei der gesetzlichen Regelung von Aktiengesellschaften wurden sämtliche Rechte dem Besitzer eingeräumt – und seit 1993 haben die meisten Medien diese Geschäftsform gewählt. Wenediktow zieht ein ironisches Fazit: „Sie in Frankreich haben zunächst den Kapitalismus, dann die Pressefreiheit bekommen, wir dagegen zuerst die Pressefreiheit, dann den Kapitalismus.“

Wenn nicht alles täuscht, wird sich der „Krieg der Banken“ um die Kontrolle der Medien bald in die Provinz verlagern. Der Einfluß der lokalen Printmedien nimmt stetig zu, was zeigt, daß die Mehrheit der Russen dem Hin und Her der Moskauer Politik gleichgültig zusieht.5 Nach Pawel Gutjontow, dem Präsidenten des Komitees für Pressefreiheit im russischen Journalistenverband, macht die Moskauer Presse nur noch 20 Prozent des Gesamtmarktes aus. Schon besitzt Gasprom an die zwanzig regionale Zeitungen und Fernsehstationen6 , und auch die Onexim- Bank verhehlt nicht ihre Absicht, regionale Medien aufzukaufen.

Trotz des anhaltenden Konzentrationsprozesses gibt es einige Lichtblicke. Der 1995 verabschiedete Kodex definiert ein journalistisches Berufsethos, das einen Willen zur Professionalität anzeigt – die auch zunehmend gefragt ist. Die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Redaktionen hat durchaus positive Aspekte: Kompetenz wird allmählich zu einem Kriterium des neuen Journalismus. Auch dürfte zunehmend die Zivilgesellschaft ein Wort mitzureden haben. Man kann demnach hoffen, daß gewisse Medienmagnaten begreifen werden, daß es in ihrem eigenen Interesse ist, die Profis der Information ihre Arbeit machen zu lassen, um die Leser auch langfristig bei der Stange zu halten.8

dt. Eveline Passet

* Journalistin

Fußnoten: 1 Le Figaro, 26./27. April 1997. 2 Siehe Washington Post, 1. April 1997. 3 Siehe den Leitartikel von Witali Tretjakow in der Nesawissimaja Gaseta, Moskau, 23. April 1997. 4 Le Figaro, 16. Juli 1997. 5 Siehe Anne Nivat, „Les médias en Russie“, Problèmes politiques et sociaux, La Documentation française, Paris, Nr. 766, 26. April 1996. 6 Siehe Argumenty i Fakty, Moskau, Nr. 16, April 1997. 7 Kristian Feigelson, „Sur la nouvelle frontière des réseaux de télévision“, Le Monde diplomatique, Februar 1995.

Le Monde diplomatique vom 16.01.1998, von PASCALE BONNAMOUR