13.02.1998

Magie, Religion und Terror: Die Lord's Resistance Army

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Magie, Religion und Terror: Die Lord's Resistance Army

Von MICHEL ARSENEAULT *

DAS sind Terroristen; sie haben Kinder entführt und versklavt, die zu jung sind, um zu wissen, was der Tod ist ...“ Bei ihrem Besuch in Norduganda im vergangenen Dezember, kurz nachdem man in Washington Handelssanktionen gegen den Sudan beschlossen hatte, nahm US- Außenministerin Madeleine Albright hinsichtlich der Lord's Resistance Army (LRA) und ihrer sudanesischen Verbündeten kein Blatt vor den Mund.

Diese seit 1986 im Norden des Landes operierenden Rebellen sollen bei regelrechten Razzien bis zu zehntausend Kinder gefangengenommen haben. So wurden in der Nacht vom 9. auf den 10. Oktober 1996, dem 34. Jahrestag der ugandischen Unabhängigkeit, 130 Mädchen aus dem St. Mary's College, einem katholischen Internat in Aboke, entführt.

Obwohl die LRA vom Sudan unterstützt wird – das Regime in Khartum nimmt dafür die ugandische „Widerstandsarmee“ in ihrem Konflikt mit der südsudanesischen SPLA-Guerilla als Miliz in Anspruch –, stützt sie sich in erster Linie auf das Volk der Acholi, eine der mehr als vierzig Ethnien Ugandas. Die LRA proklamiert denn auch den Anspruch, für „demokratischen Pluralismus“ und gegen „das diktatorische Regime“ von Präsident Yoweri Museveni zu kämpfen.1

Elf Jahre nach den ersten Entführungen beginnt die internationale Öffentlichkeit allmählich die Grausamkeit dieser Guerillabewegung zur Kenntnis zu nehmen, die das Christentum in Verbindung mit magischen Vorstellungen neu interpretiert. Unicef hat 1996 Alarm geschlagen, einen Bericht über die Entführung der jungen Mädchen von Aboke veröffentlicht und außerdem zusammen mit der US-amerikanischen regierungsunabhängigen Organisation World Vision, die sich um die von der regulären Armee aufgegriffenen Kindersoldaten kümmert, eine Sammlung alarmierender Erlebnisberichte veröffentlicht.2

Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch (mit Sitz in New York) oder amnesty international (London) haben vor kurzem erschreckende Berichte über die LRA veröffentlicht. „Die Zeugnisse der Kinder, denen es gelang zu fliehen, enthüllen, daß extreme Gewalt angewandt wird, um sie an der Flucht zu hindern und die Zivilbevölkerung zu terrorisieren“, schreibt amnesty international. „Auf dem Land zwingen die Kommandanten der LRA die Zivilisten, ihren Befehlen zu folgen, verbieten ihnen unter anderem, mit dem Fahrrad zu fahren (Radfahrer könnten die Stützpunkte der Armee leicht erreichen), nahe der Straße zu wohnen (dort könnten sie Zeugen von Minenverlegungen und Überfallvorbereitungen werden) und Schweine zu halten (offenbar eine Konzession an die islamische Regierung des Sudan ).“3

Der Konflikt begann im Januar 1986 anläßlich der Machtübernahme durch Yoweri Museveni. Im Bürgerkrieg hatte sich Museveni, der dem Volk der Ankole in Südwestuganda angehört, auf die ethnischen Gruppen des Südens und auch auf ruandische Tutsi-Flüchtlinge gestützt, die im Süden Ugandas seit Ende der fünfziger Jahre im Exil lebten. Mit ihrer Hilfe gelang es ihm, nach vierjährigem Bürgerkrieg4 einen von Acholi-Offizieren gebildeten „Militärrat“ zu stürzen, der zuvor wiederum Ugandas Präsident Milton Obote abgesetzt hatte.

Bei ihrer Flucht in den Sudan durchquerten zahlreiche Acholi-Soldaten Norduganda und insbesondere den Distrikt Gulu, wo sie Waffen und Munition versteckten. Bereits im August 1986 griffen sie als „Uganda People's Democratic Army“ (UPDA) die Distrikthauptstadt Gulu an. Zwar wurden sie geschlagen, aber in der Folge kam es zu schweren Übergriffen durch die neue reguläre Armee: Hinrichtungen ohne Gerichtsurteile, Zwangsevakuierung der Zivilbevölkerung unter dem Vorwand der Aufstandsbekämpfung und Zerstörung der Ernten.

Das Verhalten der Truppen verschlechterte die ohnehin gespannten Beziehungen zwischen den Ethnien des Nordens und des Südens, deren Gegensätze schon die Briten während der Kolonialzeit ausgenutzt hatten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich die Briten auf das Königreich Buganda im Süden gestützt, von dem aus sie das Gebiet besetzten, das sie 1894 zu ihrem Protektorat erklärten. Doch schon bald entwaffneten die Briten das Volk der Ganda und setzten auf die größer gewachsenen Acholi, nach kolonialanthropologischer Typologie eine besonders „kriegerische Rasse“5 . Seither spielten die Acholi eine bedeutende Rolle in der Armee Ugandas, zusammen mit den Langi, einem Nachbarvolk der Nilregion, das die gleiche Sprache spricht. Selbst nachdem General Idi Amin zwischen 1971 und 1979 eine große Anzahl Acholi- und Langi-Offiziere hatte ermorden lassen, blieben die Männer aus dem Norden in der Armee massiv repräsentiert, wenn auch nur in untergeordneteren Rängen.

Unter diesen ehemaligen Acholi-Soldaten rekrutierte eine Ajwaka (so wird in der Sprache der Acholi eine „Heilerin“ oder ein „Medium“ bezeichnet) namens Alice Auma 1986 eine Armee. Man nannte diese Frau auch „Lakwena“ (Botin), weil sie das Nahen des Jüngsten Gerichts verkündete: Der Heilige Geist habe sie auf die Erde geschickt, um den Sündern zu verkünden, daß ihnen vergeben werden könne. Sie müßten sich nur ihrem Kampf gegen die Armee anschließen, dadurch werde dann das Land, in dem so viel Blut geflossen ist, reingewaschen ...

Als Führerin dieser Pioniere des Heiligen Geistes zog Alice reumütige ehemalige Soldaten an. Ihr „Krieg gegen den Krieg“ sollte den Frieden bringen, wobei ihr Sieg von einer Überschwemmung, einem Gewitter und einem Erdbeben begleitet sein würde – als Vorspiel für einen zweihundert Jahre dauernden Frieden.6

Die Kämpfer mußten sich einem Reinigungsritual unterziehen, damit Alice sie vor bösen Zaubern schützen konnte: Sie mußten ihre Grigris und Amulette verbrennen und dann mit der Bibel in der rechten Hand schwören, sich keinerlei Form der Hexerei mehr hinzugeben. Am Ende wurden sie mit Wasser besprengt, das sie vor bösen Geistern und sogar vor Kugeln schützen sollte.

Dieser Schutz sei jedoch nur wirksam, solange die Jünger die zwanzig Gebote „Ihrer Heiligkeit, der Lakwena“ befolgten. Einige dieser Gebote stammen aus den christlichen Zehn Geboten, andere wurden von Alice selbst verordnet, wie zum Beispiel dieses: „Du sollst einzig und allein den Befehlen der Lakwena folgen.“

Bevor sie ihre Anhänger in den Kampf schickte, mußte Alice die Instruktionen des Heiligen Geistes abwarten, der ihr die einzuschlagende Taktik verraten sollte. Nachdem sich ihre engsten Gefolgsleute um das Lagerfeuer versammelt hatten, erschien sie in einem weißen Kanzu (einer Art Gewand) mit einem Rosenkranz um den Hals und legte einen detaillierten Schlachtplan dar. Wurden ihre Kämpfer verwundet oder getötet, so hatten sie eben die zwanzig Gebote nicht befolgt. Doch selbst diese Sünder würden eines Tages wieder auferstehen – nach dem Fall von Kampala. Nach einem kurzen Aufenthalt im Jenseits würden sie auf die Erde zurückkehren und für ihre Dienste ein Haus und ein Auto erhalten.

Auf diese Weise gewann Alice eine Reihe wichtiger Schlachten gegen die Armee. Obwohl ihre Gefährten sie für unverwundbar hielten, erlitt sie im November 1987 bei Jinja (wo der Nil aus dem Viktoriasee fließt) eine schwere Niederlage und ging nach Kenia ins Exil.

Joseph Kony, ein junger Mann, der behauptete, Alices Vetter zu sein, hatte sich ebenfalls der Bewegung angeschlossen.7 Nach Alices Flucht übernahm er die Führung und bemühte sich um einen Zusammenschluß der Gegner von Friedensgesprächen, die 1988 mit der ugandischen Regierung begonnen hatten. Wie Alice berief sich Kony auf Geister und göttliche Gebote. Er schaffte jedoch das Gebot gegen außereheliche sexuelle Beziehungen ab (Alice hatte bereits einen Mann und eine Frau wegen Verstoßes gegen dieses Gebot hinrichten lassen). Konys Kämpfer nahmen sich zahlreiche „Ehefrauen“, die oft kaum der Pubertät entwachsen waren. Unter einer Vielfalt von Namen – Gottes Armee, Bewegung des Heiligen Geistes, Vereinigte Demokratische Christliche Armee und heute „Widerstandsarmee des Herrn“ (LRA) – begingen sie schlimmste Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung. Das führte dazu, daß man sie bald nur noch Otontong (Zerstückler) nannte, weil sie mutmaßliche Kollaborateure mit der Machete verstümmelten.

In dem ganzen Konflikt spielt gewiß die wirtschaftliche Situation eine Rolle: Der Krieg im Acholigebiet, einer der ärmsten Regionen Ugandas, ist für die Armee ein gutes Geschäft. Ein wesentliches Element ist auch die Unterstützung durch den Sudan, der Konys Bewegung ein Hinterland bietet. Doch woher kommt der Einfluß der „Geister“ auf die Geister? Schon Che Guevara wunderte sich 1965 im Kongo über die Bedeutung, die seine vermeintlich marxistischen Genossen dem übernatürlichen Schutz, der Dawa, zumaßen.8 Während des Befreiungskriegs in Simbabwe wie auch in Mosambik (im Krieg gegen die Renamo) und im Sudan (in den Reihen der SPLA) war es für die Kämpfer normal, die Geister zu Hilfe zu rufen. Ende 1996, als die Rebellen von Kabila Ostzaire eroberten, hielten sich die (erst auf Seiten der Rebellen, dann gegen sie kämpfenden) „Mai-Mai“, die oft aus Kindersoldaten bestehenden regionalen Dorfmilizen, für kugelsicher, weil man sie mit unverwundbar machendem Wasser („Mai“ auf suaheli) bespritzt hatte.

Die deutsche Ethnologin Heike Behrend, die zehn Jahre lang solche Formen des „magischen“ Krieges erforscht hat, hätte ihre Studien fast aufgegeben, weil sie fürchtete, damit allzu sehr „in das Fahrwasser kolonialer Klischeevorstellungen von grausamen, kriegerischen ,Wilden‘ zu geraten“9 . Sie sieht die Bewegung des Heiligen Geistes als Folge der „Entpolitisierung“ Afrikas.

„Das bedeutet nicht, daß die Politik dabei ist zu verschwinden. Nur artikuliert sie sich in eher religiösen Formen. Es sind eher Propheten und Wahrsager als Politiker und Parteichefs, die solche neuen Kulte und Bewegungen gründen. Wir dürfen nicht den Fehler machen, dieses Phänomen (...) auf vormoderne und koloniale Haltungen zurückzuführen: Es ist Ausdruck von neueren Entwicklungen und der Reaktionen, die diese hervorrufen. Denn Afrika erfindet fortlaufend, im Dialog mit Gott, die Götter und Geister, die ihm angemessene Moderne.“10

dt. Christiane Kaiser

* Journalist

Fußnoten: 1 Es gibt sehr wenig Texte von der LRA. Einige wenige finden sich auf einer Internet-Site der Columbia-Universität in New York: http://www.columbia.edu/bo23. 2 Etwa fünfzehn Jugendliche erzählen, wie sie töten mußten, um nicht selbst getötet zu werden. Vgl. Unicef/World Vision, „Shattered Innocence: Testimonies of Children Abducted in Northern Uganda“, Kampala, 1997. 3 Amnesty international, „Breaking God's Commands: The Destruction of Childhood by the Lord's Resistance Army“, London, 1997. Das Verbot, Schweine zu halten, bezieht sich nicht unbedingt auf den Islam, die Bewegung des Heiligen Geistes sah Schweine schon immer als unreine Tiere an. 4 Manche Historiker gehen davon aus, daß zwischen 1981 und 1985 mindestens 300000 Personen getötet wurden. Vgl. Phares Mutibwa, „Uganda since Independence: A Story of Unfulfilled Hopes“, London (Hurst) 1992. 5 Gérard Prunier und Bernard Calas, L'Ouganda Contemporain, Paris (Karthala) 1994. 6 Vgl. Heike Behrend, „Is Lakwena a witch? The Holy Spirit Movement and its fight against evil in the north“, in Holger Bernt Hansen und Michael Twaddle (Hrsg.), „Changing Uganda“, London (James Currey) 1991. 7 Alices Vater, Severino Lukoya, der nach der Niederlage seiner Tochter kurze Zeit die Einsatzkräfte des Heiligen Geistes leitete, versicherte uns jedoch, daß es keinerlei verwandtschaftliche Beziehung zwischen Alice und Kony gibt. 8 Paco Ignacio Taibo, „Che. Die Biographie des Ernesto Guevara, genannt der Che“, Hamburg (Nautilus) 1997. 9 Vgl. Heike Behrend, „La guerre des esprits en Ouganda 1985-1996. Le mouvement du Saint-Esprit d'Alice Lakwen“, Paris (L'Harmattan) 1997. 10 Ebd.

Le Monde diplomatique vom 13.02.1998, von MICHEL ARSENEAULT