13.02.1998

Wer ist Wer?

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Wer ist Wer?

DIE religiösen Gruppierungen in Israel lassen sich in drei große Familien unterteilen.

– Die zionistische Nationalreligiöse Partei (Mafdal) besaß ursprünglich einen politisch wie religiös gemäßigten Flügel, der nach dem Sechstagekrieg 1967 an den Rand gedrängt wurde. Seither vertritt die Partei eine kompromißlos harte nationalistische Linie. Die Partei kämpft für die Schaffung von Großisrael, das heißt für die jüdische Siedlungspolitik und für die Annexion der besetzten Gebiete. Aus ihren Reihen ist der „Block der Getreuen“ (Gusch Emunim) hervorgegangen. Dieser Block, eine Bewegung extremistischer Siedler, versteht sich als Nachfolger des Rabbiners Jehuda Kook, der als erster eine Verbindung zwischen messianischem Judentum und Nationalismus herstellte. Seine Anhänger werden in speziellen religiösen Hochschulen (jeschibot) ausgebildet, wo sie nicht nur die heiligen Bücher studieren, sondern auch im Umgang mit Waffen unterwiesen werden. Die Nationalreligiöse Partei stimmte gegen die Osloer Verträge und setzt sich für deren Annullierung ein. Bei den Wahlen vom 29. Mai 1996 erhielt sie rund 240000 Stimmen und kam damit auf neun Abgeordnetensitze.

– Der Block Jahdut Hatorah (Vereinigte Thora-Liste) besteht aus den beiden ursprünglich aschkenasischen Bewegungen Agudat Israel (Israelische Versammlung) und Degel Hatorah (Die Fahne der Thora). Erstere ist eine ultraorthodoxe, nichtzionistische Partei, die in der Vergangenheit eine moderatere politische Haltung einnahm, bevor sie sich in den achtziger Jahren aus Opportunismus der harten Haltung der annexionistischen Rechten angenähert hat. Es ist jedoch durchaus denkbar, daß sich ihre Führung wieder der Arbeitspartei zuwendet, wenn diese ihr eine Beteiligung an der Macht sowie allfällige materielle Vorteile zu bieten hätte. Degel Hatorah ist in den achtziger Jahren im Gefolge von Rivalitätskämpfen zwischen verschiedenen Rabbinerdynastien als eine Abspaltung von Agudat Israel entstanden. Beide Parteien treffen, ebenso wie die Schas-Partei, ihre Entscheidungen nur nach vorheriger Absprache mit ihren jeweiligen Rabbinern. Bei den Wahlen am 29. Mai 1996 erhielt der ultraorthodoxe Block Jahdut Hatorah (Vereinigte Thora-Liste) rund 99000 Stimmen und kam auf vier Abgeordnete.

– Die Schas (für Sepharadim Schomre Thora: Sephardische Hüter der Thora) sammelt die Ultraorthodoxen orientalischen und insbesondere marokkanischen Ursprungs, die sich in Agudat Israel diskriminiert fühlten. Sie spalteten sich 1984 von dieser ab, und es gelang ihnen in wenigen Jahren, mehr Mitglieder und Wähler zu gewinnen als ihre Mutterpartei. Der bedeutendste politische Führer von Schas ist Arieh Deri, ein geborener Manipulator; ihr geistiger Führer ist Rabbi Ovadija Jossef, ein ehemaliger sephardischer Großrabbiner. Ebenso wie Agudat Israel versteht es auch die Schas-Führung sehr gut, die beiden großen Parteien gegeneinander auszuspielen und optimal von den Rivalitäten zu profitieren. Eine Zeitlang unterstützte Schas Jitzhak Rabin und die Osloer Verträge. Obwohl sie verbal nach wie vor die Friedensverhandlungen unterstützt, hilft die Schas-Partei Benjamin Netanjahu, sich an der Macht zu halten. Sie rekrutiert ihre Mitglieder hauptsächlich aus armen orientalischen Schichten, deren Unzufriedenheit über ihre gesellschaftliche Stellung sie ebenso ausnützt wie deren „ethnische“ Ressentiments gegenüber den Aschkenasim. Doch gleichzeitig stützt sie sich auch auf den Aberglauben, verteilt Amulette und behauptet, ihr geistiger Führer, der Kabbalist Eliahu Kaburi, sei mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet. In der Frage der Besiedlung der besetzten Gebiete gibt sich die Schas-Partei zurückhaltend – mit Ausnahme Ost-Jerusalems. Bei den letzten Wahlen gelang es Schas, rund 260000 Stimmen auf sich zu vereinen, wodurch sie zehn Abgeordnetensitze erhielt.

AUCH andere Gruppierungen aus dem Lager der extremen Rechten haben unter ihren Anhängern und Wählern viele religiös eingestellte Menschen, wenngleich diese Gruppierungen selber keine religiösen Parteien sind. Das ist der Fall bei Moledet (Heimat), die ebenfalls in der Knesset vertreten ist und für den „Transfer“ der Palästinenser, mit anderen Worten ihre Vertreibung, eintritt. Auch die Anhänger der offiziell verbotenen Kach-Partei (Kach heißt soviel wie „So ist es“) und der Neamane Habayit (Die Tempeltreuen) bedienen sich der Religion, um ihre Ideologie und ihre faschistoiden Praktiken zu rechtfertigen. Insbesondere in Jerusalem versuchen sie immer häufiger, durch Provokationen ihr deklariertes Ziel durchzusetzen, nämlich die Zerstörung der Moscheen und den Wiederaufbau des Großen Tempels.

Der Plan zum Bau des dritten Tempels ist im übrigen laut der Tageszeitung Ma'ariv weit vorangeschritten. So sollen bereits fertige Pläne vorliegen; in einem Steinbruch werden schon die für das Gebäude benötigten besonderen Steine gehauen; eine Gruppe von Goldschmieden stellt derzeit die Kultgegenstände her; ein haredi-Bauer aus Louisiana (Vereinigte Staaten) züchtet eine Herde von Kühen, die für den Gottesdienst benötigt werden; und Priester (Hohepriester) werden bereits in die Geheimnisse des Kultus eingeführt.1 Laut Al Sinara werden sogar schon Silberplaketten verkauft, auf denen der Vorplatz der Moschee abgebildet ist, nur daß an der Stelle der Moschee der geplante Große Tempel zu sehen ist. Eine dieser Plaketten hat Präsident Benjamin Netanjahu im letzten Jahr in Haifa dem Erzbischof Maximus Salum aus Anlaß des christlichen Neujahrsfestes überreicht.2 Das ist nicht weiter verwunderlich, denn hinter der Organisation, die mit der Errichtung des Tempels betraut ist, stecken regierungsnahe Persönlichkeiten.

J. A.

Fußnoten: 1 Ma'ariv, 22. Oktober 1997. 2 Al Sinara, Nazareth, 10. Januar 1997.

Le Monde diplomatique vom 13.02.1998, von J. A.