13.02.1998

Benachteiligte Bevölkerungsgruppen werden bevorzugt bedient

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Benachteiligte Bevölkerungsgruppen werden bevorzugt bedient

WENN Umweltverschmutzer ihren Dreck produzieren oder ihren Abfall entsorgen wollen, suchen sie sich bevorzugt Plätze in der Nähe von solchen Bevölkerungsgruppen aus, die ohnehin schon am meisten belastet sind. Dies hat in den Vereinigten Staaten eine überraschende Entwicklung in Gang gebracht. Im Namen der „Umweltgerechtigkeit“ bilden sich überall ganz neuartige Koalitionen, in denen sich Schwarze, Indianer, Umweltschützer, Arme und Arbeiter zusammenschließen. Welche Chance der Kampf gegen Umweltdiskriminierung haben wird, ist noch offen.

Von ERIC KLINENBERG *

Im kalifornischen Ward Valley verteidigt der Stamm der Fort-Mojave-Indianer seit mehreren Monaten sein historisches Territorium. Die Indianer haben ein Lager in dem Wüstengebiet bezogen, das ganz in der Nähe ihres Reservates liegt und vom Staat Kalifornien und einer privaten Müllentsorgungsfirma als Deponie für schwach strahlende Nuklearabfälle1 ausersehen ist.

In Houston, Texas fanden die Bewohner des Stadtteils Kennedy Heights vor kurzem heraus, daß der Ölkonzern Gulf Oil – der inzwischen von Chevron geschluckt wurde – den Boden ihres heutigen Wohngebiets gründlich verseucht hatte, bevor er das Gelände in den sechziger Jahren an ein Bauunternehmen verkaufte. Die vorwiegend schwarze Gemeinde verklagt jetzt den Chevron-Konzern vor einem Bundesgericht auf Entschädigungszahlungen.

In Lousiana wehren sich die Bürger einer von Schwarzen und Armen bewohnten Stadt bei New Orleans gegen einen großen Chemiekonzern, der in ihrem Distrikt eine Fabrik errichten will, die toxische Stoffe freisetzen würde. In vielen städtischen Gemeinden, vom kalifornischen West Oakland bis zur South Bronx von New York, verlangen Bürgerinitiativen von ihren politischen Vertretern, gefährliche Müllverbrennungsanlagen zu schließen. In der Tatsache, daß sich solche Anlagen in ihren Vierteln konzentrieren, sehen sie eine spezifische Form von Diskriminierung, die sie „Umweltrassismus“ (environmental racism) nennen.

Die entsprechende Forderung nach „Umweltgerechtigkeit“ entstand 1982 in der amerikanischen Politik, als in Warren County, einem hauptsächlich von Schwarzen und Armen bewohnten Landkreis in North Carolina, die Bewohner zusammen mit Bürgerrechtsaktivisten eine militante Blockade organisierten, um eine projektierte Müllhalde von ihrer Gemeinde fernzuhalten. Seither haben in den USA auch Begriffe wie „Umwelt“ und „Umweltbewegung“ eine Neudefinition erfahren.

„Umwelt“ bezieht sich nicht länger nur auf Ökosysteme, sondern erstreckt sich auf so unterschiedliche Problembereiche wie die städtischen Wohnverhältnisse, die Qualität von Trinkwasser und Nahrungsmitteln, die Sicherheit am Arbeitsplatz und anderes. Zentral für die Auffassung von „Umweltgerechtigkeit“ ist jedoch die Ausgangsthese, daß ungleiche Umweltbedingungen – also der unterschiedliche Grad, zu welchem die verschiedenen Sozialgruppen den Gefährdungen der Umwelt ausgesetzt sind – ein grundlegender, wenngleich meist übersehener Aspekt der heutigen gesellschaftlichen Ungleichheit sei.

Diese neue Herangehensweise hat Theorie und Praxis der US-amerikanischen Ökologen nachhaltig beeinflußt und allenthalben politische Initiativen, aber auch wichtige wissenschaftliche Forschungsprojekte angeregt. Im Oktober 1997 fand in Australien gar eine internationale Konferenz zum Thema Umweltgerechtigkeit statt. Doch der neueste amerikanische Politexport ist kein Fertigprodukt. In den USA selbst ist die neue Richtung hauptsächlich auf der „Graswurzel“- Ebene präsent. Es existiert ein lockeres Netzwerk lokaler Aktionsgruppen, doch die Initiativen sind hauptsächlich auf regionaler Ebene organisiert und beschränken sich in der Regel auf strikt lokale Probleme. Damit fallen übergreifende Themen der ungleichen Umweltgefährdung unter den Tisch; etwa die Frage, was man gegen die grenzüberschreitende Ausbreitung von Umweltverschmutzung und gefährlichen Abfällen unternehmen solle. Diese für Anfangsstadien von Bewegungen typischen Schwächen verhindern derzeit noch ein breites umweltpolitisches Umdenken, und die Frage, wie die US- amerikanische oder internationale Umweltbewegung diese Probleme überwinden kann, steht noch aus.

Der neuen Bewegung ist es allerdings bereits gelungen, gänzlich unterschiedliche Gruppen zu integrieren, auch solche Gruppen, die traditionellerweise nie an umweltpolitischen Initiativen beteiligt waren. Unter dem Obertitel „Umweltgerechtigkeit“ kommen neue Koalitionen zustande: Politisch schwache Gemeinden, die sich vor der Nähe umweltbelastender Industrien fürchten, agieren nunmehr gemeinsam mit Bürgerrechtsgruppen, die gegen rassische Diskriminierung kämpfen, mit Gewerkschaften, die sich um die Rechte und die Sicherheit der Arbeiter kümmern, oder mit Frauengruppen, die gewisse Brustkrebsraten mit Umweltbelastungen in Verbindung bringen. Es kommt auch vor, daß diese schwachen Gemeinden sich nicht ohne Erfolg mit großen Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace oder dem Sierra Club zusammentun, welche sich tendenziell aus besseren Kreisen rekrutieren und denen man häufig vorhält, sie würden die Probleme der ethnischen Minderheiten und der Armutsgruppen vernachlässigen.

Die erste Aufgabe einer Bewegung für Umweltgerechtigkeit besteht darin, ihre Ausgangsthese nachzuweisen: daß nämlich die Umweltrisiken ungleich verteilt sind und daß dies kein Zufall ist, sondern einer bestimmten politischen Logik entspricht. Dabei konzentriert sich die Debatte vor allem auf zwei grundlegende Formen der „Umweltgerechtigkeit“. Da ist zum einen die unterschiedliche Nähe zu Gefahrenherden wie umweltbelastenden Industrien oder Deponien; zum zweiten die ungleiche Nähe zu Gefahren, die von unzureichenden Säuberungs- und Entsorgungsprogrammen herrühren. Um die damit zusammenhängenden Fragen aufzuarbeiten, stützen sich Umweltschutzgruppen auf private, akademische und öffentlich bestallte wissenschaftliche Experten, die bei umweltpolitischen Initiativen regelmäßig eine Schlüsselrolle spielen, aber auch auf die Erfahrungen in den betroffenen Gemeinden.

In den achtziger Jahren entstanden einige wichtige Studien, die eine direkte Beziehung herstellten zwischen der ethnisch-rassischen Zusammensetzung der Wohnbevölkerung und ihrer räumlichen Nähe zur Quelle der Umweltrisiken. Nach einer Studie der United Church of Christ (UCC) von 1987, die zum wichtigsten öffentlichen Dokument für die ganze Bewegung wurde, „leben drei von fünf schwarzen oder hispanischen Amerikanern in Gemeinden mit unkontrollierten Giftmülldeponien.“2

Fünf Jahre später ergab eine Studie der juristischen Fachzeitschrift National Law Journal, daß bei Entscheidungen über die Lagerung wie die Beseitigung gefährlicher Abfälle regelmäßig das Kriterium der „Rasse“ mitspielte. Entsprechend wurden im Rahmen des Programms „Superfund“ – mit dem die Bundesregierung die Säuberung der am schwersten belasteten Gebiete der USA erzwingen will – Deponien für gefährliche Abfallstoffe, die in vorwiegend weißen Wohngebieten liegen, rascher auf die Prioritätenliste gesetzt als Deponien in den Wohngebieten von ethnischen Minderheiten; und die Strafen für illegale Giftmüllentsorgung lagen in weißen Wohngebieten im Durchschnitt fünf Mal höher als bei Deponien in Wohngebieten ethnischer Minderheiten.

Mit solchen Befunden haben Aktivisten und Wissenschaftler geholfen, das Konzept von „Umweltrassismus“ zu popularisieren. Selbst US-Vizepräsident Al Gore hat unlängst erst darauf hingewiesen, daß der Faktor „Rasse“ das signifikanteste Einzelkriterium sei, wenn es darum geht, vorauszusehen, an welchem Ort eine die Umwelt gefährdende Deponie sich ansiedeln wird. Doch es ist nicht der einzige Faktor, denn auch Arme und ältere Menschen sind Opfer der Umweltdiskriminierung, wie die Studien zeigen. Deshalb haben die Wissenschaftler sich dem komplexeren Frageansatz der „Umweltgerechtigkeit“ zugewandt.

Um herauszufinden, welche ökonomischen und politischen Kräfte diese Ungleichheiten hervorbringen, muß man sich nur vor Augen halten, wo die Auseinandersetzungen um die Umweltgerechtigkeit stattfinden und die Wohngebiete, die Regionen und die Indianerreservate untersuchen, in denen Unternehmen, Gemeinden und staatliche Instanzen um Flächen streiten, an denen sie jeweils spezifische Interessen haben. Hintergrund für diese innenpolitischen Konflikte ist die extreme Polarisierung von Reichtum und politischer Macht, die für die Vereinigten Staaten heute kennzeichnend ist. Die Regionen, die vom kopflastigen Wachstum der US-Wirtschaft ausgeschlossen waren, tauchen regelmäßig als erste in den Plänen auf, wenn es für Privatwirtschaft und Staat um die Entsorgung von toxischen, medizinischen und nuklearen Abfällen geht.

So hat die Beraterfirma Cerrell Associates der Abfallbeseitigungsbehörde des Staates Kalifornien unverblümt empfohlen, die Regierung und die Privatfirmen sollten „die Anlagen in Stadtvierteln mit niedrigen Einkommen ansiedeln, wo sie auf wenig Widerspruch treffen werden“3 . Die Abfallerzeuger hoffen, daß diese Gemeinden, die im Herzen der Ersten Welt des Kapitalismus unter Bedingungen der Vierten Welt leben, verzweifelt und schwach genug sind, um die giftigen Nebenprodukte bei sich abladen zu lassen.

Innerhalb dieser Logik überrascht es nicht, daß als Standort für die Deponien vorzugsweise Indianerreservate ausersehen werden. Diese Reservate sind – wenn sie nicht gerade eine Kasino-Ökonomie entwickelt haben – die am meisten vernachlässigten und ausgegrenzten Regionen der US-amerikanischen Landkarte. In den letzten Jahren haben die Entsorgungsindustrie (die Milliarden von Dollar Umsatz macht) wie auch die einzelstaatlichen Regierungen und die Administration in Washington bereits Hunderten von indigenen Stämmen riesige Pauschalzahlungen geboten, falls sie ihr Territorium zur Lagerung gefährlicher Abfälle anbieten würden. Aber neben der Armut, die diese Stämme zu potentiellen Abnehmern solcher Abfälle macht, existiert noch ein anderes Einfallstor: Die Reservate unterliegen aufgrund des Indian Reorganization Act von 1934 nicht den einzelstaatlichen und lokalen Rechtsvorschriften, und ihre Stammesversammlungen verfügen über eine nahezu vollständige Regierungsgewalt. Firmen, die in diesen Gebieten ihren Abfall deponieren wollen, müssen sich folglich nicht an vorhandene staatliche Vorschriften und Kontrollen halten. Und da das Amt für die Angelegenheiten der Indianer keine Fachabteilung hat, ist niemand in der Lage, die Anlagen zu überprüfen.

Entsprechend beschwor David Leroy (ehemaliger republikanischer Vizegouverneur von Idaho, den Präsident Bush zum ersten Direktor der US-Behörde für Nuklearabfälle ernannt hatte) 1991 vor dem Nationalkongreß der amerikanischen Indianer die Stammesführer, sich auf „ihre Kultur“ und ihre „ewige Weisheit“ zu besinnen und die radioaktiven Abfälle auf ihrem Territorium mit offenen Armen zu empfangen.4 Aber selbst die ärmsten Stämme zögern bis heute, auf das Angebot der Industrie einzugehen. Um den Widerstand zu überwinden, haben die Vertreter der Müllverbrennungsindustrie raffinierte Kampagnen ersonnen, mit denen sie die Stammesführer als Bündnispartner gewinnen wollen.

Giftmüll für Indianerstämme

DER Fall der Mescalero-Apachen in New Mexico macht deutlich, wie die bekannte Teile-und-herrsche-Taktik angewandt wird. Zu Beginn der neunziger Jahre willigten die Stammesführer ohne Zustimmung ihres Stammes ein, ihr Reservat für radioaktive Abfälle zu öffnen und dafür Geld und andere Zuwendungen für die Gemeinde zu erhalten. Damals hatte der Stammesführer Wendell Chino gesagt: „Die Navajo machen Teppiche, die Pueblos machen Töpferwaren, und die Mescaleros machen Geld.“5 Aber nicht allen Apachen war der Müll so willkommen wie Chino. Im Januar 1995, als die Verhandlungen in ihr entscheidendes Stadium traten und den Stammesmitgliedern sogar eine öffentliche Versammlung untersagt wurde, begann eine Gruppe, für ein allgemeines Referendum zu mobilisieren. Es brachte für die Vertreter der Nuklearbehörde ein enttäuschendes Ende: Mit 490 zu 362 Stimmen wurde der Beschluß gefaßt, die Verhandlungen abzubrechen. Chino mußte zugeben, daß sein Volk gesprochen hatte.

Doch einige Stammesführer wollten sich mit diesem Resultat nicht abfinden. Unter Anleitung des Direktors für Wohnungsfragen organisierte ein Stab von zwanzig beim Stammesrat angestellten Funktionären eine Unterschriftenkampagne für ein neuerliches Referendum. Als sie die erforderlichen Unterschriften beisammen hatten, bestritten die Stammesführer ihren Propagandafeldzug mit dem Argument, die Abfallindustrie würde den Apachen 250 Millionen Dollar in Form von Löhnen, Pachtzahlungen und anderen Einkommensquellen verschaffen. Zusätzlich streuten sie das Gerücht, jedes Mitglied werde 2000 Dollar auf die Hand bekommen, wenn die zweite Abstimmung der Deponie grünes Licht geben würde. Zwei Monate später wurde mit 593 zu 372 Stimmen für die Wiederaufnahme der Verhandlungen gestimmt.

Der interne Streit zog sich bis April 1996 hin; dann wurden die Verhandlungen „aus geschäftlichen Gründen“ abgebrochen. Heute versuchen viele der damals abgewiesenen öffentlichen Müllbetriebe mit dem Stamm der Skull-Valley- Goschuten in Utah ins Geschäft zu kommen. Seitdem zerfleischen sich die Goschuten in denselben stammesinternen Streitigkeiten, die schon die Mescalero- Apachen entzweit haben.

Dort, wo die schmutzigen Industrien keine direkten Pauschalzahlungen anbieten, versuchen sie die armen Gemeinden mit dem Versprechen von Arbeitsplätzen und Unterstützungsmaßnahmen zu ködern. Sind die Anlagen dann in Betrieb, stellen die Einwohner meist fest, daß die neuen Jobs Qualifikationen erfordern, die sie gar nicht besitzen, und daß es für Ungelernte nur wenige und dazu noch unattraktive Arbeitsplätze gibt.

In der allgemein ziemlich reichen Bay Area nördlich von San Francisco liegen mehrere umweltbelastende Industrieanlagen wie ein kompakter Ring um die arme Kommune North Richmond, in der vornehmlich Schwarze wohnen. Die größte dieser Anlagen ist die Ölraffinerie des Chevron-Konzerns, die etwa 1200 Arbeiter beschäftigt, von denen jedoch weniger als 60 Personen in Richmond leben. Während die nahe gelegenen Fabriken ihren giftigen Rauch in den Himmel über North Richmond schicken (ein kürzlich geschlossener Betrieb lag genau gegenüber einer Grundschule, wo die Kinder unter einer ständigen Rauchwolke spielten), leben die Einwohner in heruntergekommenen Häusern und überleben mit Tätigkeiten in der Schattenwirtschaft.

Nach einem – durch Fahrlässigkeit verursachten – Unfall in der General-Chemical-Fabrik, die nur einen Kilometer von North Richmond entfernt liegt, ging über der Gemeinde ein schwefelsäurehaltiger Regen nieder; daraufhin mußten über 20000 Einwohner im Krankenhaus behandelt werden.

Die Bewohner von North Richmond sind überzeugt, daß der ständige Kontakt mit giftigen Abfallstoffen die Ursache für ihre ungewöhnlich hohen Krankheitsraten ist. Die Lungenkrebsrate zum Beispiel liegt um 33 Prozent über dem kalifornischen Durchschnitt. Doch ihre Behauptungen sind wissenschaftlich schwer zu verifizieren, was auch für andere arme Kommunen mit überdurchschnittlich hoher toxischer Belastung gilt. Hinzu kommt, daß in Stadtvierteln wie North Richmond die Gesundheitsversorgung defizitär ist und die armutsbedingten Lasten des Alltags hoch, so daß die Menschen ohnehin mehr Gesundheitsprobleme haben als die begüterten Schichten; das macht es um so schwerer, einen direkten Zusammenhang zwischen Gesundheitszustand und spezifischer Umweltbelastung nachzuweisen.

Um mehr Einfluß auf die lokalen Umweltbedingungen zu gewinnen, haben die Einwohner von North Richmond eine Basisorganisation, die West County Toxics Coalition (WCTC), gegründet. Diese hat durch Bündnisse mit anderen Umwelt- und Stadtteilgruppen mittlerweile eine derartige kollektive Stärke erlangt, daß die Unternehmen mit ihnen verhandeln müssen, anstatt sie wie früher einfach zu ignorieren. Als der Chevron-Konzern seine Pläne zur Erweiterung der Raffinerieanlagen ankündigte, organisierte die WCTC Protestdemonstrationen, um durch öffentlichen Druck die Firma zumindest zu einer Entschädigung für die vom Ausbau betroffenen Einwohner zu zwingen. Chevron reagierte und spendete der Stadt über 4 Millionen Dollar für den Bau eines neuen Krankenhauses – eine zynische Geste, für die arme Kommune aber dennoch eine wichtige Errungenschaft. Vor kurzem konnten die WCTC und ganz North Richmond einen weiteren Sieg feiern, als ein stark umweltbelastender Betrieb schließen mußte.

Die Stadt Convent in Louisiana hat etwa 2000 Einwohner, von denen 80 Prozent Schwarze sind und 43 Prozent unter der Armutsgrenze leben. Auf der Gemeindemarkung liegen vier große umweltbelastende Fabriken, aber die Einwohner von Convent sind nicht so gut organisiert wie die von North Richmond. Als das große Chemieunternehmen Shintech in der Nähe der Stadt eine neue Polyvinylchlorid-Fabrik bauen wollte, widersetzten sich die Einwohner auf andere Weise: Sie fochten die Wahl des Bauplatzes gerichtlich an und beriefen sich dabei auf die Regierungsverordnung über Umweltgerechtigkeit, die Präsident Clinton 1994 erlassen hatte. Diese „Executive Order 12898“ schreibt den Bundesbehörden vor, „für die Durchsetzung von Umweltgerechtigkeit zu sorgen, indem sie auf angemessene Weise solche Auswirkungen identifizieren und bekämpfen, die Gesundheit und Umwelt der ethnischen Minderheiten und der einkommenschwachen Bevölkerungsgruppen unverhältnismäßig stark und negativ beeinflussen“.

Die neue Verordnung war eine Reaktion auf den zunehmenden Druck der Umweltbewegung wie auch auf die wissenschaftlichen Belege für ungleiche Umweltbedingungen. Damit hat sich die Bundesregierung zum ersten Mal dem Problem gestellt. Auch mehrere Einzelstaaten haben in den letzten vier Jahren Gesetze zur Umweltgerechtigkeit verabschiedet und so die legislativen Schranken für privatwirtschaftliche Umweltverschmutzer erhöht, die gezielt ökonomisch und politisch schwache Gruppen aufs Korn zu nehmen versuchen. Doch die meisten dieser neuen Gesetze müssen erst noch zeigen, was sie in der Praxis wert sind, denn in der Vergangenheit hat die staatliche Politik eine ungerechte Verteilung der Umweltrisiken eher gefördert als bekämpft.

Während die amerikanische Bewegung für Umweltgerechtigkeit erst einmal die Wirksamkeit der jüngsten Gesetze abwartet, steht sie selbst vor einer entscheidenden Bewährungsprobe. Bislang hindern sie die eigenen – der Bewegung innewohnenden – gesellschaftlichen wie geographischen Bruchlinien daran, eine breitere politische Mobilisierung zustande zu bringen. Auch bei ihr fallen die sozialen Divergenzen – wie in so vielen Gemeinschaften der USA – mit der ethnisch-rassischen Differenz zusammen. Zwar war die Bewegung von Anfang an multi-ethnisch orientiert, aber die verstärkte Aufmerksamkeit für die Probleme, die gerade die ethnischen Minderheiten aufgrund ihrer größeren Gefährdung durch Umweltrisiken haben, macht den Kampf gegen Umweltrassismus zum Angelpunkt ihrer Strategie und ihrer ideologischen Orientierung. Damit hat die neue Bewegung die Privatwirtschaft, den Staat und selbst andere Umweltaktivisten dazu gezwungen, die Existenz einer ethnisch-rassisch geprägten Diskriminierung in der Umweltpolitik anzuerkennen. Doch für eine Verbreiterung der Kampagne gegen ungerechte Umweltbedingungen muß sie alle sozial ungeschützten und politisch schwachen Gruppen miteinbeziehen.

Wenn etwa eine Müllverbrennungsanlage, die eine arme Gemeinde im Süden verhindern konnte, einer armen Gemeinde im Westen aufgezwungen wird, die nicht so gut organisiert ist, hat man für die Umweltgerechtigkeit nichts gewonnen. Da Privatfirmen wie staatliche Stellen allenthalben nach neuen Lösungen für die Entsorgung gefährlicher Abfallstoffe suchen – die sie unaufhörlich weiterproduzieren –, hat die Umweltbewegung nur eine Chance, wenn sie ihre innere Spaltung überwindet. Die Umweltverschmutzer, die auf nationaler, ja zunehmend sogar auf globaler Ebene operieren, werden immer versuchen, das schwächste Glied zu treffen. Nur eine breite Umweltbewegung, die auch jenseits nationaler Grenzen schaut, kann die Verursacher zwingen, entweder die gefährlichen Abfallstoffe ihrer Produktionstechniken zu reduzieren oder den Müll vor der eigenen Haustür abzuladen.

dt. Niels Kadritzke

* Forscher an der University of California, Berkeley.

Fußnoten: 1 Vgl. David Boilley, „Die schmutzige Zukunft der sauberen Energie“, Le Monde diplomatique, Januar 1998. 2 United Church of Christ, Commission for Racial Justice, „Toxic Wastes and Race in the United States“, New York 1987. 3 Cerrell Associates Inc. 1984, „Political Difficulties Facing Waste to Energy Conversion Plant Sitting“, Los Angeles, California Waste Management Board, Technical Information Series. 4 Zitiert nach Randal Hansen, „Indian Burial Grounds for Nuclear Waste“, Multinational Monitor, Washington D. C., September 1995. 5 Ebenda.

Le Monde diplomatique vom 13.02.1998, von ERIC KLINENBERG