13.03.1998

Die Sachzwänge des Neoliberalismus

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Die Sachzwänge des Neoliberalismus

Was ist der Neoliberalismus? Ein Programm zur Zerstörung kollektiver Strukturen, die noch in der Lage sind, der Logik des reinen Marktes zu widerstehen.

Von PIERRE BOURDIEU *

IST die Welt der Wirtschaft wirklich, wie im herrschenden Diskurs unterstellt, ein perfektes Ordnungssystem, das die Logik vorhersehbarer Konsequenzen exekutiert und jeden Verstoß unverzüglich sanktioniert? Wobei die Sanktionen entweder automatisch erfolgen oder – in selteneren Fällen – über den IWF bzw. die OECD und vermittelt durch die von ihnen diktierte Politik: Senkung der Lohnkosten, Reduzierung der öffentlichen Ausgaben und Flexibilisierung der Arbeit? Aber könnte es nicht vielmehr so sein, daß der Programm gewordene Neoliberalismus in Wirklichkeit nur die praktische Umsetzung einer Utopie wäre? Einer Utopie allerdings, der es gelingt, sich mit Hilfe der Wirtschaftstheorie, auf die sie sich beruft, für die wissenschaftliche Beschreibung der Wirklichkeit zu halten?

Diese Legitimationstheorie ist eine pure mathematische Fiktion, die von vornherein auf einer phantastischen Abstraktion basiert, da sie im Namen einer ebenso engen wie strengen Auffassung von Rationalität – als individueller Rationalität – zwei Dimensionen ausklammert: die ökonomischen und sozialen Voraussetzungen der rationalen Maßnahmen und die ökonomischen und sozialen Strukturen, ohne die sie nicht durchführbar sind.

Um das Ausmaß dieses theoretischen Defizits zu beschreiben, muß man nur an das Bildungssystem denken, dem nie das ihm zustehende Eigengewicht beigemessen wird, obwohl ihm in der heutigen Zeit eine so entscheidende Rolle für die Güter- und Dienstleistungsproduktion wie auch für die Produktion der Produzenten zukommt. Von dieser Art Grundirrtum, der schon der Walrasschen1 Idealvorstellung von der „reinen Theorie“ zugrunde liegt, rühren alle Mängel und Fehler der Wirtschaftswissenschaft; und damit auch die fatale Hartnäckigkeit, mit der sie an dem willkürlichen Gegensatz festhält, den sie selbst allein schon durch ihre Existenz hervorruft: den Gegensatz zwischen der ökonomischen Logik im engeren Sinn, die auf Konkurrenz beruht und auf Effizienz ausgerichtet ist, und der gesellschaftlichen Logik, die dem Maßstab von Recht und Gerechtigkeit unterliegt.

Diese von Anfang an entsozialisierte und enthistorisierte „Theorie“ ist heute mehr denn je in der Lage, sich zu bewahrheiten, sich empirisch verifizieren zu lassen. Denn tatsächlich ist der neoliberale Diskurs kein Diskurs wie jeder andere. Nach Erving Goffman2 ist der psychiatrische Diskurs in der Anstalt ein „Machtdiskurs“. Dasselbe gilt für den neoliberalen Diskurs, der nur besonders durchsetzungsfähig und schwer zu bekämpfen ist, weil er in einer Welt der Machtverhältnisse, die er selber schaffen hilft, alle Mächte auf seiner Seite hat. Und zwar vor allem deshalb, weil er die ökonomischen Entscheidungen derjenigen beeinflußt, die die ökonomischen Verhältnisse bestimmen, also mit seiner eigenen Macht – auch auf symbolischer Ebene – diese Machtverhältnisse noch verstärkt. Im Namen dieses wissenschaftlichen Erkenntnisprojekts, das zum Programm politischen Handelns wurde, wird eine enorme (vielfach geleugnete, weil scheinbar rein negative) politische Arbeit geleistet, die darauf abzielt, die notwendigen Realisierungs- und Funktionsbedingungen für diese „Theorie“ zu schaffen: ein Programm zur systematischen Zerstörung kollektiven Handelns.

Die Entwicklung in Richtung der neoliberalen Utopie einer reinen und perfekten Marktwirtschaft, die durch eine Deregulierung der Finanzsysteme ermöglicht wird, vollzieht sich mittels einer Politik der Transformation und der Liquidierung buchstäblich aller politischen Gestaltungsmöglichkeiten (jüngstes Beispiel: das Multilaterale Abkommen über Investitionen, MAI). Diese Politik zielt darauf, alle kollektiven Strukturen in Frage zu stellen, die der Logik der reinen Marktwirtschaft im Wege stehen: den Nationalstaat, dessen Handlungsspielraum stetig schrumpft; die Lohngruppen, etwa durch individuelle Entlohnung und Beförderung nach dem Kriterium individueller Kompetenzen und die daraus resultierende Vereinzelung der Erwerbstätigen; die Kollektivorganisationen zur Verteidigung der Arbeiterrechte wie Gewerkschaften, Berufsverbände, Genossenschaften.

Seine gesellschaftliche Macht bezieht das neoliberale Programm aus der politisch-ökonomischen Macht derjenigen, deren Interessen es ausdrückt – der Aktionäre, Banker und Industriellen, der konservativen oder sozialdemokratischen Politiker, die sich zur Verzichtpolitik eines Laissez-faire-Programms bekehren ließen, der höheren Finanzbürokraten, die um so hartnäckiger eine Politik vertreten, die ihren eigenen Untergang verheißt, als sie im Unterschied zu den Angestellten in der freien Wirtschaft die Folgen dieser Politik wohl niemals am eigenen Leibe spüren werden. Der Neoliberalismus führt weltweit zu einer Vertiefung der Kluft zwischen der Wirtschaft und den realen gesellschaftlichen Gegebenheiten. Er hilft damit ein Wirtschaftssystem in die Realität umzusetzen, das seiner eigenen theoretischen Beschreibung entspricht: das heißt eine Art logischen Mechanismus, der sich den wirtschaftlich Handelnden nurmehr als Abfolge äußerer Zwänge darstellt.

DIE Globalisierung der Finanzmärkte sorgt in Verbindung mit der Weiterentwicklung der Informationstechniken für eine noch nie dagewesene Mobilität des Kapitals und verschafft den Investoren, die auf kurzfristige Rentabilität ihrer Investitionen bedacht sind, mehr und mehr die Möglichkeit, in jedem Moment die Rentabilität der verschiedenen Großunternehmen zu vergleichen und somit relative Fehlschläge unmittelbar zu sanktionieren. Die Unternehmen selbst müssen sich unter diesem permanenten Erfolgsdruck immer schneller den Erfordernissen des Marktes anpassen, auf daß sie nicht, wie es in ihrer Sprache heißt, „das Vertrauen der Märkte verlieren“ – und damit die Unterstützung der nur auf kurzfristige Rentabilität bedachten Aktionäre. Diese können also durch ihr Anlegerverhalten den Managern immer stärker ihren Willen aufzwingen, ihnen Normen setzen und damit die Einstellungs-, Beschäftigungs- und Lohnpolitik beeinflussen.

So kommt es zur absoluten Herrschaft der Flexibilität mit befristeten Anstellungen, mit Leiharbeit und fortlaufender Abwicklung der Stammbelegschaft mittels „Sozialplänen“. Innerhalb der Firmen wird das Prinzip der Konkurrenz durchgesetzt: Konkurrenz zwischen autonomen Filialbetrieben, zwischen einzelnen Arbeitsteams und schließlich – über die Individualisierung des Lohnverhältnisses – auch Konkurrenz der Beschäftigten untereinander. Dem dienen Mittel wie die Festlegung individueller Ziele; individuelle Evaluierungsgespräche; permanente Evaluierung; individualisierte Lohnerhöhung oder Stückzahlfestlegungen je nach Kompetenz und Leistung; individualisierte Karrieren; Strategien der „Delegierung von Verantwortung“, mit dem Ziel, die Selbstausbeutung bestimmter Angestellter sicherzustellen. Letztere stecken zwar wie einfache Lohnempfänger in stark hierarchisierten Abhängigkeitsverhältnissen, sollen aber wie „Selbständige“ für ihren Verkauf, ihre Produkte, ihre Filiale, ihr Geschäft etc. verantwortlich gemacht werden. Demselben Ziel dient die Forderung nach „Selbstkontrolle“, die mit den Techniken des partizipativen Managements die „Einbeziehung“ der Lohnabhängigen weit über den Angestelltenbereich hinaus ausweitet. All dies sind Instrumente eines Rationalisierungsregimes, das auf hochgradige Investitionen in den Faktor Arbeit (und zwar nicht nur in Leitungspositionen) und zugleich auf Sonderschichten setzt. Auf diese Weise werden der kollektive Zusammenhalt und die Solidarität geschwächt oder ganz beseitigt.3

Die praktische Entwicklung zu einer darwinistischen Welt des Kampfes aller gegen alle – und zwar auf allen Ebenen der Hierarchie –, in der die Bindung an die Arbeit und an das Unternehmen nur noch über Faktoren wie Unsicherheit, Leiden und Streß hergestellt wird – könnte zweifellos keinen so durchschlagenden Erfolg haben, wenn nicht die Existenz einer durch ihre ungewisse Lage und ständig drohende Arbeitslosigkeit gefügig gemachten Reservearmee für Verunsicherung sorgen würde, und zwar auf allen Ebenen der Hierarchie, bis hin zur Ebene des höheren Managements. Das tragende Fundament dieser gesamten, unter dem Zeichen der Freiheit angetretenen Wirtschaftsordnung ist in der Tat die strukturelle Gewalt der Arbeitslosigkeit, der Arbeitsplatzunsicherheit, also letztlich der Entlassungsdrohung. Demnach beruht das „harmonische“ Funktionieren des individualistischen mikroökonomischen Modells in letzter Instanz auf einer Massenerscheinung – nämlich einer Reservearmee von Arbeitslosen.

Diese strukturelle Gewalt lastet auch auf dem, was man gemeinhin (durch die Vertragstheorie rationalisiert und entwirklicht) Arbeitsvertrag nennt. Noch nie hat sich eine Unternehmenstheorie so häufig auf Vertrauen, Zusammenarbeit, Loyalität und Unternehmenskultur berufen wie heute – in einer Zeit, da man sich kurzfristige Zustimmung sichert, indem man jede zeitliche Sicherheit abschafft (drei Viertel aller Einstellungen sind befristet, der Anteil der nicht festen Beschäftigungsverhältnisse wächst ständig, die individuelle Entlassung unterliegt tendenziell keiner Beschränkung mehr).

Man sieht also, wie sich die neoliberale Utopie in der Wirklichkeit als eine Art Höllenmaschine gestaltet, deren Zwängen sich auch die Herrschenden selbst nicht entziehen können. Diese Utopie bringt – wie zu früheren Zeiten der Marxismus, mit dem sie vieles gemeinsam hat – eine außergewöhnliche Gläubigkeit hervor, den free trade faith. Der Glaube an den Freihandel herrscht nicht nur bei denen vor, die materiell von ihm leben (Finanzleute, Unternehmenschefs etc.), sondern auch bei denen, die daraus ihre Existenzberechtigung herleiten, also bei hohen Staatsbeamten und Politikern. Diese huldigen im Namen der ökonomischen Effizienz der Macht der Märkte, sie fordern die Aufhebung der administrativen und politischen Schranken, die die Kapitalbesitzer bei ihrem – zum Muster rationalen Verhaltens erhobenen – rein individuellen Streben nach Profitmaximierung stören könnten, sie fordern unabhängige Zentralbanken, die Unterordnung der Nationalstaaten unter die Erfordernisse der wirtschaftlichen Freiheit, bei gleichzeitiger Abschaffung aller Reglementierungen auf allen Märkten – zumal dem Arbeitsmarkt –, und sie predigen die Abschaffung von Defiziten und Inflation, die allgemeine Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und die Reduzierung der öffentlichen und Sozialausgaben.

DIE Ökonomen mögen zwar nicht unbedingt dieselben ökonomischen und sozialen Interessen haben wie der Kern der Glaubensgemeinde, aber sie haben genügend spezifische Interessen auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaft, um einen entscheidenden Beitrag zur Produktion und Reproduktion des neoliberalen Glaubenskanons zu leisten, selbst wenn ihr Seelenfrieden vielleicht durch die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Utopie, die sie in mathematische Logik kleiden, gestört werden sollte. Geprägt durch ihre ganze Existenz und vor allem durch ihre meist rein abstrakte, bücherlastige und theoretizistische Ausbildung, die sie von der ökonomischen und sozialen Realität entfernt hat, hegen diese Wissenschaftler die ausgeprägte Neigung, die Dinge der Logik mit einer Logik der Dinge zu verwechseln.

Sie vertrauen auf Modelle, die sie praktisch nie wissenschaftlich überprüfen können, und sie verachten die Erkenntnisse anderer historischer Wissenschaften, in denen sie nicht die Reinheit und die kristalline Transparenz ihrer mathematischen Spiele wiedererkennen, wobei sie deren Notwendigkeit und tiefgreifende Komplexität meist gar nicht begreifen. So haben sie höchst aktiven Anteil an einem gewaltigen ökonomischen und sozialen Wandel, und auch wenn sie vor bestimmten Folgen erschrecken (sie können Mitglied der Sozialistischen Partei sein und deren Vertreter auf der Machtebene fachlich beraten), kann dieser Wandel ihnen nicht eigentlich mißfallen. Denn abgesehen von einigen Fehlschlägen, die insbesondere auf „spekulative Blasen“ zurückzuführen sind, vollstreckt der Wandel eine ultrakonsequente (und damit gewissen Formen von Wahnsinn vergleichbare) Utopie, der sie sich verschrieben haben.

Doch die Welt existiert, und entsprechend real sind die unmittelbaren Auswirkungen, die sich aus der Anwendung dieser großen neoliberalen Utopie ergeben: nicht nur das Elend eines ständig wachsenden Teils der ökonomisch am höchsten entwickelten Gesellschaften, nicht nur die enorme Zunahme der Einkommensunterschiede, das progressive Verschwinden der autonomen Bereiche kultureller Produktion (wie Film und Verlagswesen) durch die schleichende Kommerzialisierung, sondern auch und vor allem die Zerstörung aller kollektiven Instanzen, die den Auswirkungen der Höllenmaschine entgegenwirken könnten. Hier ist an erster Stelle die Zerstörung des Staates zu nennen, der die der öffentlichen Sphäre zugehörenden Gemeinschaftswerte zu bewahren hätte, sowie die Durchsetzung eines geistigen Darwinismus in den oberen Etagen von Staat und Wirtschaft, aber ebenso im Innern der Unternehmen selbst – eines geistigen Darwinismus, der mit seinem winner-Kult (einer Mischung aus höherer Mathematik und Bungee-Jumping) den Kampf aller gegen alle und mit ihm den Zynismus zum obersten Prinzip erhebt.

Aber könnte nicht das enorme Leiden, das dieses politisch-ökonomische System erzeugt, eines Tages eine Bewegung hervorbringen, die diese Fahrt in den Abgrund noch zu stoppen vermöchte? Tatsächlich stehen wir hier vor einem ungeheuren Paradox: Auf der einen Seite verharmlost man die Schwierigkeiten, die sich im Zuge der Verwirklichung der neuen Ordnung ergeben – der Ordnung des einsamen, aber freien Individuums – allenthalben als Erstarrungen und archaische Überbleibsel und diskreditiert von vornherein jede direkte, gezielte Intervention, zumindest wenn sie – wie indirekt auch immer – von staatlicher Seite kommt, mit dem Argument, das störe nur das Funktionieren des reinen und anonymen Marktmechanismus (von dem man immer vergißt, daß sich über ihn natürlich auch Interessen durchsetzen). Auf der anderen Seite sind es in der Realität gerade die noch bestehenden bzw. überlebenden, aber vom Sozialabbau betroffenen alten Institutionen und Ordnungsträger, die dank der Arbeit aller möglichen Sozialarbeiter und dank aller möglichen Formen von gesellschaftlicher, familiärer oder sonstiger Solidarität dafür sorgen, daß die soziale Ordnung nicht im Chaos versinkt, obwohl immer mehr Menschen in unsicheren Arbeitsverhältnissen leben.

Der Übergang zum „Liberalismus“ vollzieht sich, ähnlich wie die Kontinentalverschiebung, auf unmerkliche, nicht wahrnehmbare Weise. Damit werden die langfristig schrecklichsten Folgen vorerst kaschiert. Das geschieht paradoxerweise auch durch den Widerstand der Menschen, die die alte Ordnung verteidigen, indem sie aus den noch vorhandenen Ressourcen schöpfen: aus der noch vorhandenen Solidarität wie aus den Reserven an sozialem Kapital, die derzeit noch einen erheblichen Teil der Gesellschaft vor dem Absturz in die Anomie bewahren. (Wenn sich dieses Kapital nicht reproduziert, wird es allmählich aufgezehrt, auch wenn es noch nicht in allernächster Zeit erschöpft sein wird.)

DOCH diese „konservierenden“ Kräfte, die man nicht einfach als konservative Kräfte ansehen kann, sind in anderer Hinsicht auch Kräfte des Widerstands gegen die Einführung der neuen Ordnung, können also auch subversiv werden. Wenn man sich noch eine vernünftige Hoffnung erhalten (konservieren) kann, so deshalb, weil in den staatlichen Institutionen wie in den Reihen ihrer Träger (vor allem bei denjenigen, die besonders stark an die Institutionen gebunden sind) noch solch „konservierenden“ Kräfte zu finden sind. Diese verteidigen zwar scheinbar nur – wie man ihnen bereits vorwirft – eine verschwundene Ordnung und die dazugehörigen „Privilegien“, aber in Wirklichkeit wollen sie, wie um das Gegenteil zu beweisen, eine neue Gesellschaftsordnung ersinnen und aufbauen, die nicht nur auf die Verfolgung egoistischer Interessen und auf individuelle Profitsucht setzt, sondern auch Raum schafft für kollektive Anstrengungen, die auf vernünftige, gemeinschaftlich erarbeitete und erprobte Ziele gerichtet sind.

Warum sollte neben solchen Kollektiven, Verbänden, Gewerkschaften und Parteien nicht der Staat einen besonderen Platz haben? Und zwar der nationale oder besser noch der supranationale, das heißt der europäische Staat (als Etappe auf dem Weg zu einem Weltstaat), der die auf den Finanzmärkten realisierten Profite kontrollieren und wirksam besteuern könnte. Und der vor allem die destruktiven Auswirkungen der Finanzmärkte auf den Arbeitsmarkt zu bekämpfen hätte, indem er mit Hilfe der Gewerkschaften die Formulierung und den Schutz des öffentlichen Interesses organisiert. Die Kategorie des öffentlichen Interesses wird nie und nimmer – und wie heftig man immer mit den Zahlen jonglieren mag – jenem Buchhalterdenken entspringen (früher hätte man von „Krämergeist“ gesprochen), das uns gegenwärtig von der neuen Glaubensschule als höchste Form menschlichen Strebens nahegebracht wird.

dt. Sigrid Vagt

* Professor am Collège de France.

Fußnoten: 1 Auguste Walras (1800-1866), französischer Ökonom, Verfasser von „De la nature de la richesse et de l'origine de la valeur“, 1848. Er war einer der ersten, die versuchten, die Mathematik auf die Wirtschaftswissenschaft anzuwenden. 2 Erving Goffman, „Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen“, Frankfurt am Main 1974. 3 Vgl. in diesem Zusammenhang die beiden Nummern der Actes de la recherche en sciences sociales, die den „Nouvelles formes de domination dans le travail“ gewidmet sind: Nr. 114, September 1996, und Nr. 115, Dezember 1996, insbesondere die Einführung von Gabrielle Balazs und Michel Pialoux, „Crise du travail et crise du politique“, Nr. 114, S. 3-4.

Le Monde diplomatique vom 13.03.1998, von PIERRE BOURDIEU