Drei Lehren
Von IGNACIO RAMONET
AUS der jüngsten Golfkrise lassen sich mindestens drei Lehren ziehen. Die erste lautet: In einer unipolaren Welt versuchen die Vereinigten Staaten in dem Bewußtsein, das mächtigste Land des internationalen Systems zu sein, ihre Hegemonieansprüche in autoritärer Weise durchzusetzen. Sie versuchen, die Vereinten Nationen politisch auszuschalten, ein System also, das seit 1945 existiert und in dem eine gewisse Balance zwischen Mächten vergleichbarer Größe herrschte.
Amerika hat sich die Welt in einem Ausmaß untergeordnet, wie es bislang keinem Imperium in der Geschichte der Menschheit gelungen ist. Es beherrscht alle fünf Machtsphären: die politische, ökonomische, militärische, technologische und kulturelle. Das ist der Grund, washalb die USA nach dem Sieg im Golfkrieg 1991 vorschlugen, eine „neue Weltordnung“ zu schaffen, nach ihrem Bilde. In prophetischer Pose verkündete George Bush damals: „Die Vereinigten Staaten fühlen sich berufen, die Welt aus dem Dunkel und dem Chaos der Diktatur zur Verheißung besserer Tage zu führen.“
Diese Entschlossenheit, de facto die Führung in der Welt auszuüben, in Krisen zu intervenieren und den Gang der Dinge stets in einem für die USA günstigen Sinne zu beeinflussen, hat sich unter Präsident Bill Clinton weiter verfestigt. „Die Vereinigten Staaten fühlen sich mit einer Aufgabe betraut, die sie sich aufgrund ihres Gewichts auf der politischen Weltbühne selbst zugewiesen haben“, erklärt Hubert Védrine, der französische Außenminister. „Es handelt sich hier um das Phänomen der Hypermacht.“1
Anläßlich der Konfrontation mit dem Irak erklärte Außenministerin Madeleine Albright, sie vertrete „ein Amerika, das von seiner globalen Verantwortung fest überzeugt ist. Dies bedeutet, daß wir die Dinge ändern müssen, wenn wir dazu in der Lage sind.“2 Und zwar ohne die UNO einzubeziehen. Der haben die USA einen Nichtpolitiker als Generalsekretär aufgezwungen, als sie 1996 Butros Ghali die Wiederwahl verweigerten: „Der Generalsekretär der UNO muß ein Verwaltungsbeamter sein“, so Madeleine Albright. „Es mag sein, daß er in einer anderen Epoche politisch eine wichtigere Rolle spielen wird, aber nicht in den nächsten fünf Jahren.“3 Die Ironie der Geschichte will es, daß es der „Verwaltungsbeamte“ Kofi Annan war, der soeben mit der Unterzeichnung des Abkommens am 23. Februar in Bagdad die Notwendigkeit der Politik bewiesen hat – wie die der Vereinten Nationen.
Die zweite Lehre lautet: Die Vereinigten Staaten verfügen über keinerlei globale Strategie im Nahen Osten. Sie sind weiterhin entschlossen, Bagdad zu bombardieren, sehen sich jedoch nicht in der Lage, ein politisches Ziel für diesen Schlag anzuführen. Dabei hat sich die politische Situation in der arabischen Welt seit 1991 verändert. Die Brutalität des Embargos gegen den Irak (alle sechs Minuten stirbt ein irakisches Kind, und das seit sieben Jahren) sowie die amerikanischen Bombardements in den Jahren 1992, 1993 und 1996 vermitteln den Eindruck eines antiirakischen Furors, dessen Opfer hauptsächlich Zivilpersonen sind.
GANZ im Gegensatz dazu steht die außergewöhnliche Milde der Vereinigten Staaten gegenüber Israel – einem Land, das nach wie vor unter Mißachtung des Völkerrechts einen Teil des Libanon und Syriens sowie Gebiete in Gasa, dem Westjordanland und in Ost-Jerusalem besetzt hält. Ein Land, dessen Regierung unter Benjamin Netanjahu trotz aller Proteste die Friedensgespräche mit den Palästinensern eingefroren und die Siedlungstätigkeit fortgesetzt hat. Israel ist im Besitz aller Arten von Massenvernichtungsmitteln, chemischen, biologischen und atomaren, und verletzt seit dreißig Jahren alle UN-Resolutionen, die das Land betreffen. Und zwar ohne jemals bestraft zu werden. Im Gegenteil: Washington leistet weiterhin eine jährliche Finanzhilfe von 3 Milliarden Dollar.
In der arabischen Öffentlichkeit wird dies als tiefe Ungerechtigkeit empfunden, was im Gegenzug die Sympathie für den Irak verstärkt. Obwohl sie wissen, daß sich das Regime in Bagdad auf Terror und Repression stützt, haben sich die einflußreichsten Intellektuellen an die Spitze eines Kreuzzuges der Solidarität mit der irakischen Bevölkerung gestellt. Aus Angst vor der Macht dieser Bewegung und aus Protest gegen die Unnachgiebigkeit der israelischen Regierung haben sich die meisten politischen Führer der Region geweigert, das Projekt zur Bombardierung des Irak mitzutragen. Denn eine solche Beteiligung hätte fast überall zu antiamerikanischen Demonstrationen größten Ausmaßes geführt. In der arabischen Welt, wo es keine einzige echte Demokratie gibt und die Regierungen zu den dienstältesten der Welt gehören, hätten solche Demonstrationen sicherlich zur Destabilisierung etlicher Regime geführt, vor allem solcher, die Washington besonders nahestehen.
Die dritte Lehre lautet: Europa existiert nicht. Seine Außenpolitik und seine gemeinsame Sicherheitspolitik sind ein Phantom, wie die Irakkrise erneut gezeigt hat. Seit dem 3. Februar sind die Briten – die zur Zeit den EU- Vorsitz innehaben – nur den USA nachgelaufen und haben sich bereit erklärt, einer Bombardierung des Irak mitzumachen. In der Folge haben sich, nach und nach und in lockerer Formation, die meisten der Fünfzehn – mit der löblichen Ausnahme Frankreichs – dieser kriegerischen Position angeschlossen und damit die Solidarität gegenüber der Nato wichtiger genommen als ihre europäischen Interessen.
Der Golfkrieg konnte vermieden werden. Für wie lange? Bis die nächsten militärischen Schläge erfolgen, ist Zeit, über diese drei Lehren nachzudenken.