13.03.1998

Konvergenz auf europäisch

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Konvergenz auf europäisch

Von SERGE REGOURD *

UNTER dem Titel „Zur Konvergenz der Branchen Telekommunikation, Medien und Informationstechnologien und ihren ordnungspolitischen Auswirkungen“1 hat die Europäische Kommission im Dezember 1997 ein Grünbuch veröffentlicht, das in den Abteilungen der Kommissare Martin Bangemann und Marcelino Oreja ausgearbeitet wurde. Ausgehend von der Tendenz zur technologischen – und damit auch kommerziellen und industriellen – Verschmelzung dieser drei bis dahin getrennten Bereiche wirft der Text die Frage auf, ob man nicht auf eine dementsprechende „Konvergenz“ bei den gesetzlichen Regelungen für diese Dienste hinarbeiten sollte.

Eine positive Antwort auf diese Frage würde für die audiovisuellen Medien eine ebenso schwere Bedrohung darstellen wie das MAI-Projekt. In der Tat genießt der audiovisuelle Bereich einen juristischen Schutz, der mit seinem kulturellen Charakter zu tun hat, wie etwa bei der französischen Mindestquote für europäische und inländische Filme. Das Grünbuch behauptet, die Europäische Kommission habe noch keine Entscheidung zwischen den drei folgenden Optionen getroffen: erstens Beibehaltung der bestehenden Regelungen; zweitens Schaffung eines separaten Ad-hoc-Modells für die „neuen Dienstleistungen“, das neben den Modellen für Telekommunikation und audiovisuelle Medien gültig wäre; drittens Einführung eines neuen, einheitlichen Modells, das für alle bestehenden Kommunikationsdienstleistungen gelten würde.2

Aber in Wirklichkeit verhehlt das Grünbuch keineswegs seine Präferenzen. So spricht schon das erste der „Prinzipien“ für die betroffenen Sektoren eine deutliche Sprache: „Die Vorschriften sollten sich auf das absolut Notwendige beschränken ...“ Auch die Lösungsvorschläge für die „Herausforderungen“ lesen sich wie eine Werbeschrift für die Deregulierung der audiovisuellen Medien und ihre Angleichung an den rechtlichen Status der Telekommunikation. So betonen die Verfasser nach einigen rein formalen Zugeständnissen: „Unterschiedliche Reglementierungen bei Dienstleistungen, die sich in wesentlichen Teilen und vor allem technologisch gleichen, könnten zu Ungleichbehandlungen führen und Investitionen und die Bereitstellung von Dienstleistungen bremsen.“

Bezüglich der zweiten Herausforderung, der Globalisierung, meint die Kommission: „Übertriebene oder unangemessene Regelungen können in einer Region dazu führen, daß die wirtschaftliche Tätigkeit ausgelagert wird, mit fatalen Folgen für die Entwicklung der Informationsgesellschaft.“ Wenn ein Staat die Abwanderung von Unternehmen verhindern will, dann sollte er sich mit einer minimalen Gesetzgebung begnügen. Andererseits machen – betonen die Verfasser – die „digitale Revolution“ und die Vervielfachung der Programme all jene Vorschriften überflüssig, die aufgrund der Begrenztheit der Frequenzen und der staatlichen Monopole erlassen worden sind. Es ist also nur „logisch“, daß die technische Entwicklung zum Rückzug des Staates zugunsten privatwirtschaftlicher Aktivitäten führt und daß die angewandten Vorschriften weniger weit gehen.

Den Widerstand schwächen

DIE als letztes genannte Herausforderung betrifft die Regelungsstrukturen: Um mit Hilfe einer „Rationalisierung“ der gegenwärtigen Strukturen „überflüssigen Verwaltungsaufwand“ zu vermeiden, „darf es in jedem Mitgliedstaat nur einen einzigen Ansprechpartner für Regelungsfragen geben, der für alle Probleme zuständig ist, die im Zusammenhang mit diesem Netz auftreten können, unabhängig von den angebotenen Dienstleistungen“.

Im gesamten Grünbuch werden Gesetzesregelungen als potentielle Barrieren für die „Informationsgesellschaft“ dargestellt. Die Philosophie des Textes besteht darin, „dafür zu sorgen, daß diese Barrieren abgebaut werden“, damit „sich ein günstiges Klima für Innovationen und Investitionen“ entwickeln kann. Die Kommission ahnt, daß in einzelnen Ländern, vor allem in Frankreich, die geltenden Gesetze eine Hemmschwelle darstellen könnten. Aus diesem Grund fordert sie unausgesprochen im Namen der „Vereinheitlichung“ die Oberhoheit über diesen Bereich: „Divergierende nationale Herangehensweisen könnten den Interessen der Benutzer schaden, (...) die vom einheimischen Markt angebotene Vielfalt bedrohen und (...) Verzerrungen mit sich bringen.“ In dieser Hinsicht macht sich das Grünbuch die Postulate und „Werte“ eines Weltmarktes zu eigen, auf dem es für Investoren keine Zwänge mehr gibt – die Werte des MAI. Im großen und ganzen entwerfen die Experten der OECD und der Europäischen Kommission das gleiche wirtschaftliche und soziale Projekt. Sich auf die Forderung einer „kulturellen Ausnahme“ zu beschränken, wäre in ethischer Hinsicht falsch und in strategischer Hinsicht illusorisch.

dt. Christian Voigt

* Professor an der Sozialwissenschaftlichen Universität in Toulouse, Direktor des Instituts für Kommunikationsrecht.

Fußnoten: 1 KOM (97) 623 vom 3. Dezember 1997. Der Untertitel des Grünbuchs lautet: „Ein Schritt in Richtung Informationsgesellschaft“. 2 Die endgültige Entscheidung zwischen diesen drei Optionen sollte das Ergebnis einer groß angelegten öffentlichen Anhörung sein, die fünf Monate – bis zum April 1998 – dauern müßte. Die Kommission soll darüber im Juni 1998 einen Bericht vorlegen, bevor sich der Ministerrat und das Europäische Parlament mit der Angelegenheit beschäftigen.

Le Monde diplomatique vom 13.03.1998, von SERGE REGOURD