13.03.1998

Autorenrecht ohne Autoren

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Autorenrecht ohne Autoren

IN der Öffentlichkeit wird zwar die Notwendigkeit der Autorenrechte seit längerem immer deutlicher gesehen, doch seit einigen Jahren versuchen die Chefbuchhalter der Welt, die alles auf das Maß des Geldes und des Markts reduzieren wollen, das Autorenrecht als Menschenrecht mit all seinen unveräußerlichen nationalen und moralischen Attributen in Frage zu stellen. Zusammen mit dem Grünbuch über die Konvergenz, das Kommissar Martin Bangemann für die Europäische Kommission erstellt hat, ist das MAI auf diesem Gebiet die neueste und sicherlich stärkste Angriffswaffe.

Die Offensive im Namen der neuen Technologien und der „Informationsgesellschaft“ ist schon lange im Busch. Bereits Jack Valenti, der Vorsitzende der Vereinigung der amerikanischen Filmexporteure, nannte die Autorenrechte einen „Bazillus“. Und schon der frühere EU-Kommissar Jean Dondelinger hat die französische Gesetzgebung zum Autorenrecht als „extravagant“ bezeichnet. Heute nimmt Bangemann diesen Ball auf und bringt Brüssel auf eine Wellenlänge mit den MAI-Verhandlungen.

Das Autorenrecht erwies sich jedoch als widerstandsfähig. Es wurde zwar verändert, und weitere höchst beunruhigende Vorschläge sind im Grünbuch formuliert. Doch in den bislang verabschiedeten europäischen Richtlinien, in den Gatt- Verträgen von 1993 und bei der Weltorganisation für das geistige Eigentum (WOGE) konnten die Verteidiger des Autorenrechts bislang ihre Position halten.

SEIT 1995 allerdings konzentrieren die amerikanischen Pressure-groups an der Spitze der internationalen Institutionen, die über die Zukunft des globalen audiovisuellen Sektors entscheiden, ihren Druck auf die OECD. In diesem Rahmen wollen sie mit Hilfe des MAI das Autorenrecht mit einer Investition gleichsetzen, das heißt einer Ware wie jeder anderen. Ohne Debatte und vorherige Beratung mit Künstlern haben sich die „Experten“ der Wirtschafts- und Finanzministerien der 29 reichsten Länder das Recht angemaßt, das Werk von seinem Autor zu trennen.

Um nichts anderes geht es: Man will die Werke von ihrem Urheber trennen, ihnen ein „Autorenunternehmen“ zudiktieren, das die zu Produkten gewordenen Bilder beziehungsweise Werke vertreibt. Wer von einem „Produkt“ spricht und gleichzeitig die Abkoppelung des Autors vorsieht, gibt dem „Autorenunternehmen“ jede Freiheit, einen Film zu kolorieren, ihn für Werbespots zu unterbrechen, eine andere Endfassung zurechtzuschneiden, Remakes durchzuführen usw.

Die Entstehung der Gesetze zum Autorenrecht hatte noch mit Inhalten zu tun, die „MAI-Gesetzgebung“ hingegen mit der Form, der äußeren Struktur. Sie bezieht sich auf Kriterien des Managements statt auf Personen. Wie der Jurist André Lucas feststellte, läuft diese Verschmelzung von Form und Inhalt darauf hinaus, ein Werk zu einem Produkt zu machen, das sich auch an der Börse handeln ließe – und zwar nicht durch eine bewußte Entscheidung, sondern gewissermaßen aus der Natur der Sache.

DAS MAI beschäftigt sich auch noch anderweitig mit der Arbeit der Autoren.1 Etwa in der Klausel der „nationalen Gleichbehandlung“, nach der jedes Land ausländischen Investoren die gleichen Vorteile einräumen muß wie Inländern.

In Frankreich wäre dies das Ende des „Fonds zur Unterstützung des Kinos“.

Die „Meistbegünstigungs-Klausel“, die jedes Land zwingt, den ausländischen Investoren alle Vorteile einzuräumen, die es bestimmten Drittländern zugestanden hat, würde die finanzielle Unterstützung für die künstlerische Aktivität in der Dritten Welt unmöglich machen. Die Klausel über „Performance-Anforderungen“ verbietet es, einem ausländischen Investor irgendwelche Bedingungen aufzuerlegen. Damit würden die ohnehin bescheidenen Regelungen der EU-Richtlinie zum „Fernsehen ohne Grenzen“ entfallen, welche die Ausstrahlung „mehrheitlich“ europäischer Werke empfiehlt. Dasselbe gilt für die Klausel zur „Regelung von Auseinandersetzungen“, die es der Klägerpartei (stets der Investor) erlaubt, den Staat vor einem Gericht seiner Wahl anzuklagen (siehe den Artikel von Nuri Albala).

Bezüglich des Verhältnisses zwischen den Autorenrechten und den neuen Technologien hüllt sich das MAI in Schweigen. Somit wird ein Autorenrecht geschaffen, das im Hinblick auf alle schon vorhandenen Werke völlig inhaltsleer ist, im Hinblick auf alle künftigen Werke hingegen gar kein Autorenrecht mehr ist. Einigen Verhandlungspartnern, vor allem denen der französischen Regierung, ist noch kurz vor Toresschluß eingefallen, daß angesichts eines Projekts, das weder zurück noch nach vorne schaut, eine Geste in Richtung der Kulturproduzenten durchaus angebracht wäre. Sie haben eine „Ausnahmeklausel für Industrien mit kulturellem Anspruch“ vorgeschlagen, die man, wie alle Ausnahmen, mit der Zeit sicher wieder beseitigen wird.

Besonders in der hochsymbolischen Frage des Autorenrechts wäre heute ein regelrechter Aufstand der Bürger fällig. Das MAI muß als Ganzes zurückgewiesen werden: „Der einzige Fehler, den das Schicksal den Völkern nicht verzeiht, ist ihre Borniertheit, die Träume zu verachten“, erklärte kurz vor seinem Tod Maurice Schumann. Wenn die Kräfte nicht ausreichen sollten, eine glatte Annullierung des gesamten Vertragsentwurfs durchzusetzen, sollten die Kulturschaffenden sich zumindest zugunsten einer Ausnahmeregelung für das literarische und künstlerische Eigentum und eine allgemeine Ausnahmeklausel für den gesamten Kulturbereich einsetzen. Es wäre unerträglich, würde der Geist und überhaupt alles Lebendige dem Diktat des Geldes unterworfen. Die Sixtinische Kapelle wurde nicht von Papst Julius II. ausgemalt. Und „Titanic“ wurde nicht von der 20th Century Fox gedreht. Bill Gates ist kein Autor. Was wir angesichts dieser betrügerischen MAI- Pläne brauchen, ist eine breite Mobilisierung der Wut.

JACK RALITE

Fußnote: 1 Vgl. zu diesem Thema das ausgezeichnete Papier „Le projet AMI, c'est l'ennemi de la création en Europa“, hrsg. von der Société des auteurs et compositeurs dramatiques (SACD). 11 bis, rue Ballu, F-75442 Paris Cedex 09. Tel.: 00331-23-33-33. Fax: 00331-45-26-74-28.

Le Monde diplomatique vom 13.03.1998, von JACK RALITE