Die USA entdecken den vergessenen Kontinent
ENDE März wird Bill Clinton erstmals jenen Kontinent bereisen, der lange Zeit nur als beunruhigender, zuweilen sogar als hoffnungsloser, von Anarchie, Krieg und Naturkatastrophen heimgesuchter Krisenherd galt. Doch in den USA sieht man Afrika in jüngster Zeit immer mehr als eines der letzten unberührten Territorien, und die Investoren haben sich vorgenommen, sich hier unter dem Deckmantel der Integration in die Weltwirtschaft stärker zu engagieren. Gleichzeitig schickt sich Frankreich fast vierzig Jahre nach der Unabhängigkeitswelle an, seine Beziehungen zu Afrika zu „normalisieren“.
Von PHILIPPE LEYMARIE *
Genau zu dem Zeitpunkt, da die französische Regierung, nach dem Abzug einer großen Zahl von Entwicklungsexperten aus Afrika, de facto ihr Ministerium für Technische Zusammenarbeit abschafft, beschließt US-Präsident Clinton – trotz der Haushaltskürzungen der letzten Jahren –, das freiwillige Peace Corps von 6500 auf 10000 Mitglieder aufzustocken. Das bereits in über dreißig afrikanischen Ländern vertretene Peace Corps ist eines der populärsten Interventionsinstrumente der US-amerikanischen Politik im Ausland.
Dieser Schritt hat hohe Symbolkraft für ein Land, das seine neue „Leidenschaft für Afrika“ immer wieder erkennen läßt. Als man zu Beginn der neunziger Jahre den ideologischen und strategischen Blickwinkel des Kalten Krieges aufgab, schien das Land den „Schwarzen Kontinent“ neu zu entdecken.1 1998 zählt dieser Kontinent mehr und mehr zu ihren „neuen Grenzen“ (new frontiers).
Die Afrikarundreise des amerikanischen Präsidenten – der auf Einladung von Nelson Mandela Südafrika und daneben Ghana, Uganda, Botswana und Senegal besucht – ist der Höhepunkt in einer eindrucksvollen Serie politischer Gesten. In seiner Rede zur Lage der Nation am 27. Januar 1998 verkündete Clinton, „dank der Unterstützung beider Parteien“ werde man demnächst den „African Growth and Opportunity Act“ verabschieden können. Dieser sieht die Reduzierung oder Abschaffung von Grenzzöllen für 1800 Produkte aus Schwarzafrika vor und ist somit das Konkurrenzunternehmen zum Lomé- Abkommen, das die Europäische Union mit den Staaten des Afrika-Karibik-Pazifik-Paktes (AKP) abgeschlossen hat und das derzeit in mühsamen Verhandlungen überarbeitet wird.2
In einem Brief an die Vorsitzenden der parlamentarischen Ausschüsse3 , der im Dezember 1997 gemeinsam mit dem dritten der fünf „Jahresberichte des Weißen Hauses über den Handel mit Afrika“ versandt wurde, benennt Clinton die wesentlichen Elemente einer „Partnerschaft für das Wachstum“. Diese komme in erster Linie all jenen (afrikanischen) Staaten zugute, „die ihre demokratische Regierungsform stärken, ihre Handelsbestimmungen reformieren und auf ihre menschlichen Ressourcen setzen“.
Bezeichnenderweise betont Clinton die Rolle des Handels, das heißt der Privatwirtschaft: „Wir planen, afrikanischen Exportgütern den Zugang zu unserem Markt zu erleichtern.“ Desgleichen kündigt Clinton die Aufstockung der technischen Hilfsprojekte an, und zwar vor allem im Bereich von Handel und Gewerbe; ferner sollen US-amerikanische Privatinvestitionen in Afrika gefördert4 , die bilateralen Schulden der ärmsten Länder annulliert und ein jährliches „Wirtschaftsforum“ abgehalten werden, wie auch Konferenzen auf fachlicher Ebene zwischen afrikanischen und US-amerikanischen Ministern.
„Unsere Vision ist ganz einfach“, meinte der amerikanische Transportminister Rodney Slater in einer Ansprache an die Verantwortlichen der zivilen Luftfahrt Afrikas: „Wir wollen Zutritt zu Ihren Märkten, und wir wollen, daß Sie Zutritt zu unseren haben.“5
Präsident Clinton hat sich für eine „Handelsdiplomatie“ mit der bekannten Maxime „Trade, not Aid“ („Handeln, nicht helfen“) stark gemacht. Der Demokrat Charles Rangel, der als Urheber des neuen Gesetzes über den Handel mit Afrika gilt, betont: „Der einzige Teil der Welt, in dem wir nicht wirklich investiert und dessen Handel wir nicht gefördert haben, ist der afrikanische Kontinent.“ Susan Rice, die Stellvertretende Staatssekretärin für afrikanische Angelegenheiten, sprach jüngst (bei einer Afrika-Konferenz der Bürgermeister) von „einem riesigen, bislang kaum erschlossenen Markt von 700 Millionen Menschen, (...) der noch expandiert (...), immense unentdeckte Reichtümer hat (...) und das Potential, [in den USA] Arbeitsplätze zu schaffen“6 .
Diese Begeisterung für die Eroberung neuer Märkte wird auch mit politischen Überlegungen ausstaffiert: „In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der schwarzafrikanischen Länder verfünffacht, die sich zur Demokratie bekannt haben“, meinte Susan Rice. „Heute haben fünfundzwanzig Staaten eine demokratische Regierungsform“, so daß man „zu Recht mit dem südafrikanischen Vizepräsidenten Thabo Mbeki von einer afrikanischen Wiedergeburt sprechen kann.“ Charles Rangel, der sich als schwarzer Parlamentarier für die „Rückkehr“ nach Afrika eingesetzt hat, fordert von den USA, durch „die Schaffung neuer Rahmenbedingungen“ zur Entwicklung des Kontinents beizutragen.
„Die alten Modelle sind gescheitert“, erklärt der Republikaner Edward Royce, der die mächtige Afrikakommission des Repräsentantenhauses leitet: „Demokratie, Verteidigung der Menschenrechte und Marktwirtschaft – diese drei Prinzipien sind auf dem Vormarsch und haben sich noch nicht voll entfaltet. Die Vereinigten Staaten können eine wichtige Rolle beim Umbruch Afrikas spielen.“7 Susan Rice sprach am 5. Februar in einer Rede vor schwarzen Geschäftsleuten sogar von einer „zentralen Rolle“ bei der „Beschleunigung der Integration des Kontinents in die Weltwirtschaft“.
Sandy Berger, Clintons nationaler Sicherheitsberater, bemerkt diesbezüglich: „Noch nie war der Zugang so frei und so attraktiv.“ Während in den Medien täglich über die Armut und die Kriege berichtet werde, gelte es, „die andere Seite, das ganze Bild“ zu sehen, also auch das neu in Gang gekommene Wirtschaftswachstum und die neue afrikanische Führungsgeneration. Berger wünscht, die USA möchten „in dem nächsten Kapitel der afrikanischen Geschichte an vorderster Stelle eine Rolle spielen“. Und er argumentiert für ein „verstärktes Engagement zugunsten US-amerikanischer Interessen“.
Natürlich richten sich derlei emphatische Töne zuallererst an die noch ungläubigen Geschäftsleute. Die Mannschaft von Präsident Clinton hat mit Unterstützung des Kongresses sowie eines Teils der afroamerikanischen Gemeinschaft das Ziel verkündet, insgesamt die alte „Bürde des weißen Mannes“ schultern zu wollen. Als einziger Hebel dient ihm der Rückgriff auf den Privatsektor, der Afrika in die Maschen der Globalisierung à la USA einarbeiten soll. Dieses Ziel ist um so aufsehenerregender, als die ehemaligen Kolonialmächte sich offenbar aufs Schweigen verlegt haben beziehungsweise nicht in der Lage sind, auch nur eine zusammenhängende, mitreißende Rede zustande zu bringen.
Das gilt insbesondere für Frankreich, den traditionellen Vormund eines Teils des afrikanischen Kontinents. In den letzten Jahren ist die französische Politik versackt in der Schande (der Kollaboration mit den Verantwortlichen für den Völkermord von 1994 in Ruanda), im Debakel (des geopolitischen Umschwungs von 1997 im ehemaligen Zaire und der Explosion in Kongo-Brazzaville) und in der Unglaubwürdigkeit (aufgrund der Abwertung des CFA-Franc, die zum einen durch den Druck von IWF und Weltbank, zum anderen durch die „gescheiterte Demokratisierung“ in den frankophonen Ländern verursacht wurde). Der Versuch der französischen Regierung, zu Beginn dieses Jahres eine Neuorientierung ihrer Afrikapolitik einzuleiten und die Komplexe der traditionellen Besitzstandspolitik im Sinne einer mehr „kontinentalen“ Orientierung zu überwinden, erfolgt im Kontext einer französisch-amerikanischen Rivalität, die durch die Krisen des letzten Jahres weiter verschärft wurde.
Paris den alten Besitzstand streitig machen
DIE Franzosen argwöhnen, die Vereinigten Staaten hätten versucht, sie in Kigali wie in Kinshasa auszubooten. Im Juni 1997 hat Clinton beim G-7-Gipfel in Denver mit seiner „Initiative für Afrika“ den Franzosen die Chance genommen, das alte französische Klagelied von den „Vergessenen des Südens“ anzustimmen.8 Hier und da kommt es, zum Beispiel auf den Erdölfeldern Nigerias, Angolas, Kongos, Kameruns oder Gabuns, zu Interessenkonflikten9 , und auf allen Märkten verschärft sich die Konkurrenz. Daß der Plan einer afrikanischen Friedenstruppe unter amerikanischer Schirmherrschaft zustande kam, hat die Unbeweglichkeit und die Nutzlosigkeit des französischen Militärs in Afrika demonstriert und zu einem Teilabbau des Kontingents beigetragen.
Auch die Auseinandersetzung um die Ernennung des neuen UN-Generalsekretärs Anfang 1997 wird vielfach als französisch-amerikanisches „Duell“ dargestellt.10 Ganz zu schweigen von den vielen Äußerungen, die in Paris als gezielte Seitenhiebe empfunden wurden... Besonders die Bemerkung des damaligen US-Außenministers Warren Christopher, der während einer Rundreise in Afrika im Oktober 1996 versicherte: „Die Zeit, da man Afrika in Einflußzonen aufteilen konnte und da fremde Mächte ganze Staatengruppen als ihren Privatbesitz ansehen konnten, ist endgültig vorbei.“11
Auch wenn der Gastgeber im Weißen Haus im Juli 1997 versicherte, er wolle „die Franzosen nicht aus Afrika verjagen“, ist für ihn klar, daß die entwicklungspolitischen Strategien der ehemaligen europäischen Großmächte gescheitert sind: „Die neue Generation von Afrikanern will die alten sozioökonomischen Rezepte loswerden, weil sie nichts gebracht haben“, erklärt Susan Rice.
Die Wahl der vorrangigen Partner – und entsprechend der Hauptstationen für die offiziellen Staatsbesuche – entspricht der Geographie eines Kontinents, der seine „Befreiung“ nunmehr auf andere Weise betreibt. Südafrika bekommt das größte Stück des Kuchens. Von den „lebenswichtigen strategischen Interessen“, die zur Zeit des Kalten Krieges die Politik des „konstruktiven Engagements“ an der Seite des Apartheidsregimes rechtfertigten (und die von Ronald Reagan auf die Spitze getrieben wurde), ist heute selbstverständlich nicht mehr die Rede. Vielmehr sorgen das weltweite Ansehen von Präsident Nelson Mandela, das weiterhin gewaltige Wirtschaftspotential und die Aktivitäten der führenden Schicht des Landes dafür, daß Südafrika heute eine geradezu unumgängliche Station auf dem Weg zur Erschließung des Schwarzen Kontinents als Ganzem ist.
Zu diesen „erfolgreichen“ Ländern zählt die amerikanische Regierung aufgrund der wirtschaftlichen Errungenschaften des weiteren Botswana, Ghana, Mauritius und zunehmend auch Mosambik. Hinzu kommen wegen ihrer (relativ) positiven politischen Entwicklung einige ausgewählte frankophone Länder wie Senegal und Mali. Wegen der geopolitischen Bedeutung im südlichen Afrika gehört auch Angola mit seinem Erdöl dazu, zumal das Land schon aufgrund seiner militärischen Interventionen in mehreren Ländern zu einem wesentlichen Element der neuen geopolitischen Karte der Region geworden ist. Dazu kommen seit dem Genozid Ruanda sowie die neue „Demokratische Republik Kongo“, die de facto aus der frankophonen politischen Zone ausgestiegen sind. Der neue Kongo sei heute in der Lage, „die Hälfte des Kontinents zu stabilisieren oder destabilisieren“12 . Als traditionelle Verbündete sehen die US- Amerikaner auch Länder wie Uganda und Äthiopien, die mit amerikanischer Unterstützung dem islamistischen sudanesischen Regime entgegentreten.
Insgesamt ergeben diese Länder ein überaus „nützliches“ Afrika: fünf der zwanzig Volkswirtschaften, die mit den höchsten Wachstumsziffern der Welt aufwarten (mit 6 Prozent im Jahre 1997), sind afrikanische Länder, die ausgerechnet zu Onkel Sams Lieblingen gehören. Es ist ein Afrika, das kaum noch die Vorherrschaft Washingtons in Frage stellt, und auch nicht die der dort angesiedelten internationalen Finanzinstitutionen. Ein Afrika, dessen Symbol Nelson Mandela ist, der gerade für die Afroamerikaner13 wie kein anderer den Mut und die Revanche des gedemütigten schwarzen Mannes verkörpert; oder das Afrika von Ketumile Masire, dem Präsidenten Botswanas, der auf dem Höhepunkt seines Ruhms abdankte und ein blühendes Land zurückließ; oder das Afrika von Yoweri Museveni, dem ehemaligen ugandischen Guerillero, der zum Liberalismus konvertierte und heute Herold der „afrikanischen Wiedergeburt“ ist.14
Es hat nach wie vor einen deutlichen Stich ins Irreale, die Öffnung eines Marktes zu preisen, den es weitgehend gar nicht gibt. Diese Staaten, die durch die Strukturanpassungsmaßnahmen der letzten zehn Jahre geschwächt sind, mit Volkswirtschaften ohne Kapitalisten und Binnenmärkte, sehen sich bei ihrem Eintritt in den – oft tödlichen – Reigen der „Weltwirtschaft“ vor enormen Schwierigkeiten. Die Vereinigten Staaten sind zwar zum zweitgrößten Handelspartner des Kontinents geworden, doch der Wert ihrer Afrika-Exporte beläuft sich auf nicht einmal die Hälfte der Exporte der EU-Länder. Die von Washington gewährten Hilfsgelder sind selbst nach den letzten Aufwertungen noch bescheiden in Relation zu den Bedürfnissen, aber auch zu den Krediten, die Frankreich und die Europäische Union gewähren.
„Jetzt ist es an Afrika, sich zu öffnen“, erklärte kürzlich ein Verantwortlicher, der damit befaßt ist, die einzelnen Stränge der Globalisierungsstrategie zu bündeln. Manche Beobachter wittern hinter den schönen Reden den Zynismus des Händlers: Wenn es den USA ins Konzept paßt, schließen sie, wie früher, die Augen vor den schweren Menschenrechtsverletzungen oder den Defiziten an politischem Pluralismus, die in Ländern wie Angola, Kongo, Uganda, Ägypten oder Nigeria zutage treten. Wo immer die USA die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) oder die westafrikanische Friedenstruppe Ecomog unterstützen oder eigene Mechanismen zur Krisenbewältigung ins Leben rufen (African Crisis Response Initiative, ACRI), wird stets dieselbe Parole verkündet: Es geht um die Integration der Region in die Weltwirtschaft.
dt. Christiane Kayser
* Journalist bei Radio France Internationale.